Bargfelder Bote. Materialien zum Werk Arno Schmidts (abgekürzt BB) ist eine literaturwissenschaftliche deutsche Fachzeitschrift, die sich mit Werk und Leben des deutschen Schriftstellers Arno Schmidt (1914–1979) beschäftigt. Begründet 1972 von Jörg Drews und seit dessen Tod 2009 herausgegeben von Friedhelm Rathjen, ist der Bargfelder Bote heute das wichtigste Organ der Schmidt-Forschung.
Gegründet wurde der Bargfelder Bote 1972 nach Erscheinen von Schmidts monumentalem Hauptwerk Zettel’s Traum. Der Gebrauch von verschlüsselten Bemerkungen, Anspielungen und Zitaten, der Schmidts Texte schon vorher ausgezeichnet hatte, war hier auf 1330 dreispaltig beschriebenen DIN-A3-Seiten auf die Spitze getrieben. Um sich über Schmidt und vor allem Zettel’s Traum auszutauschen, traf sich eine Gruppe versierter Schmidt-Leser auf Einladung des Münchner Literaturkritikers Jörg Drews im Mai 1970 und noch einmal im Oktober 1971 im Heidedorf Bargfeld, dem Wohn- und Arbeitsort Schmidts, wo sie im Gasthaus Bangemann gemeinsam Teile von Schmidts Werk zu entschlüsseln suchten. Die Teilnehmer ernannten sich selbstironisch zum „Arno-Schmidt-Dechiffrier-Syndikat“ und beschlossen auf Vorschlag von Drews, sich zukünftig mittels einer Zeitschrift auszutauschen, die sie – u. a. in Anspielung auf Matthias Claudius’ Wandsbecker Bothen – „Bargfelder Bote“ nennen wollten.[1]
Als Herausgeber fungierte von Anfang an Jörg Drews, einen Verleger fand man in Berndt Oesterhelt von edition text + kritik, sodass im September 1972 die erste Lieferung des Bargfelder Boten erscheinen konnte. Zunächst war die Zeitschrift, ähnlich wie der Wake Newslitter von Clive Hart und Fritz Senn, der sich mit James Joyce’ Finnegans Wake beschäftigt, nur als Materialsammlung, als „philologisches Hilfsorgan“ gedacht, das keine literaturwissenschaftlichen Aufsätze oder deutenden Essays, sondern nur Entschlüsselungshilfen für einzelne Textstellen bieten sollte.[2] Deshalb enthielt die erste Ausgabe auch keine Aufsätze, sondern kurze Zitatnachweise, und war zudem einseitig bedruckt, um die Verzettelung in Zettelkästen zu ermöglichen (schon das zweite Heft wurde dann aber doch beidseitig bedruckt). Die Publikation stand jedem offen, Beiträge konnten einfach an den Herausgeber gesandt werden, der sie dann in einer der nächsten Lieferungen unterbrachte. Seit 1980 stand ihm dazu auch ein redaktioneller Beirat zur Verfügung.[3] Die ersten Lieferungen stießen auf beachtliche Resonanz, teilweise anerkennend, teilweise auch spöttelnd, wenn etwa Klaus Podak in der Stuttgarter Zeitung bemerkte: „Merke: Der BARGFELDER BOTE erklärt jede Zote“.[4] Arno Schmidt selbst soll über die ersten Lieferungen bemerkt haben, das sei „sehr wenig“ und „ungenügend“.[5]
Bald veröffentlichte Drews dann aber doch umfangreichere Arbeiten, schon in Lieferung 3 findet sich ein längerer Aufsatz von Robert Wohlleben über Schmidts Caliban über Setebos.[6] Die Dechiffrierungen von Einzelstellen nahmen zunächst noch einen breiten Raum ein, wichen aber nach und nach umfangreichen Essays und Aufsätzen. Oft veröffentlichte der Bargfelder Bote auch kleinere Dokumente, die nähere Auskunft über Schmidts Leben oder Person geben sollten, etwa Briefe oder biographische Bemerkungen und Erinnerungen. Zunehmend wurde der Bargfelder Bote zum Organ einer aufkommenden Schmidt-Forschung, indem er Rezensionen und bibliographische Hinweise auf Publikationen brachte, die Schmidt zum Thema hatten oder irgendwie mit ihm in Verbindung zu bringen waren. Dabei, so schickte Drews 2007 hinterher, musste es nicht zwangsläufig ernst zugehen:
Seit 1980 erschienen Monographien und Aufsatzsammlungen von namhaften Schmidt-Forschern als Sonderlieferungen des Bargfelder Boten. Unter den etwa 40 Büchern befinden sich Kommentarbände zu zahlreichen Werken Schmidts, umfang- und teils recht einflussreiche literaturwissenschaftliche Studien sowie wichtige Sammelbände, aber auch polemische Essays oder von Schmidt angeregte Bilderalben.[8] Der Bote bewegte sich dabei meist abseits literaturwissenschaftlicher Moden, was vor allem aus seiner relativen Unabhängigkeit vom universitären Wissenschaftsbetrieb erwuchs, der Arno Schmidt erst relativ spät eingehender würdigte.[7]
Nach jeweils 50 bzw. 100 Lieferungen erarbeitete Günther Flemming ein Register, das die bisherige Arbeit im Bargfelder Boten erschließen sollte. Die Leserschaft wuchs relativ schnell auf etwa 1000 Abonnenten, heute sind es allerdings wieder weniger.[7] Vor allem die anfängliche Ausrichtung auf Einzelstellendechiffrierungen, aber auch die Offenheit für Laienbeiträge führten zu wiederholt vorgebrachter Kritik am Boten, der, so der Vorwurf, die Schmidt-Forschung in die falsche Richtung lenke: Die Einzelentschlüsselungen brächten das Schmidt-Verständnis nicht weiter, solange sie nicht im Rahmen echter literaturwissenschaftlicher Analysen in einen allgemeinen Zusammenhang gerückt würden.[9] Drews selbst mahnte mehrfach an, dass die Beiträge sich mehr von der Orientierung an dem von Schmidt selbst vorgegebenen Interpretationsrahmen lösen sollten. In dieser Hinsicht konnte er erst allmählich, etwa seit Mitte der 1990er Jahre, eine wirkliche Besserung feststellen.[10]
Im Juni 2007 erschien die 300. Lieferung des Bargfelder Boten, kurz darauf wurden die ersten 300 Lieferungen mit Volltext-Suchfunktion auf CD-ROM veröffentlicht. Im März 2009 verstarb der Gründer und langjährige Herausgeber Jörg Drews. Die Herausgeberschaft übernahm auf Drews’ Wunsch der Literaturkritiker und -wissenschaftler Friedhelm Rathjen. Ihm stehen als redaktionelle Berater Axel Dunker, Kurt Jauslin, Sabine Kyora, Doris Plöschberger, Rudi Schweikert und Robert Weninger zur Seite. Als Aufgabe formulierte Rathjen zum 50. Jubiläum des Bargfelder Boten im Jahr 2022: „im BB [hat] alles seinen Platz, was dazu angetan ist, dem Verständnis des Werks von Arno Schmidt auf die Sprünge zu helfen, wobei Arbeiten, die dies auf inspirierende, stimulierende und gern auch neckische Weise tun, besonders willkommen sind.“ Rathjen konstatierte auch, „dass immer noch die meisten Beiträge außerhalb akademischer Zusammenhänge entstehen.“[11]