Betrachtung ist ein Sammelband mit 18 meist kurzen Prosatexten von Franz Kafka, der Ende 1912 erschienen ist. Es war Kafkas erstes veröffentlichtes Buch und wurde – mit der Jahreszahl 1913[1] – im damals jungen Rowohlt-Verlag[2] verlegt. Der kleine Sammelband trägt die Widmung Kafkas „Für M. B.“, also für den Freund Max Brod.[3]

Bereits 1908 waren acht der Prosastücke mit dem Obertitel Betrachtung in der Zeitschrift Hyperion (Erstes Heft, S. 91–94, erschienen im Hans von Weber Verlag, München; im Inhaltsverzeichnis allerdings als "Betrachtungen" bezeichnet), herausgegeben von Franz Blei, veröffentlicht worden.[4] Dabei handelte es sich um einfachere Varianten gegenüber den späteren Drucken.[5] Kafka war der einzige bis dahin noch unbekannte Autor dieses Hefts. Weitere Einzelveröffentlichungen folgten dann 1910 in der Zeitschrift Bohemia.[6]

Die kaum zu überschätzende literaturgeschichtliche Bedeutung und Wertschätzung dieser Erstveröffentlichung als Buch zeigt sich u. a. daran, dass – auch noch in jüngerer Zeit, zuletzt 2016 – eine Vielzahl von Sonderausgaben erschienen sind, illustrierte und zum Teil höchst aufwendig gestaltete Vorzugs- und Suitenausgaben etwa der Bear Press Wolfram Benda.

Inhalt

Verlagseinband des Erstdrucks 1912
Die broschierte Ausgabe der Erstauflage

In Betrachtung werden Themen dargestellt, die Kafka auch im Weiteren immer wieder aufgriff, nämlich jugendliche Geselligkeit, zwischenmenschliche Abgrenzung, Junggeselleneinsamkeit und die Mühen des Kaufmannsdaseins.

Der Sammelband umfasst im Einzelnen folgende Erzählungen:

Erzählweise

Von den 18 Stücken beschäftigen sich acht mit der Position des voyeuristischen Betrachters.[7] Der Kritiker Paul Friedrich spricht in dem Zusammenhang von „Kafkas Junggesellenkunst“. Es werden Lebensverfehlungen dargestellt, denn Kafkas Helden bleiben einer bürgerlichen Alltagswelt verhaftet,[8] ohne deren Kriterien erfüllen zu können.

Die Texte sind vom filmischen Sehen bestimmt; sie übertragen die Möglichkeiten des neuen Mediums zunächst nur auf Kurzsequenzen. Kafka erzählt mit Hilfe des kinomathographischen Verfahrens keine geschlossenen Geschichten, sondern bietet experimentelle Sequenzen, in denen Bewegungsbilder, Lichteffekte und Momentaufnahmen die Vielfalt der erzählerischen Darstellung erweitern und ergänzen.[9]

Max Brod schreibt in einem (nicht publizierten) Brief vom 27. November 1953 über die Herkunft der Stücke:

„Ihre Begeisterung für Kafkas ‚Betrachtung‘ teile ich in vollem Maße. Kafka hat diese Prosastücke auf meine Bitte aus seinem Tagebuch ausgewählt. Sie schienen ihm also gewiß wertvoll. An besondere Bemerkungen über sie, die er gemacht hätte, kann ich mich nicht erinnern. Einiges darüber steht im (schon publizierten) ‚Tagebuch‘.“[10]

Rezeption

Ausgaben

Sonderausgaben

Normalausgaben

Bibliographie

Ludwig Dietz, Franz Kafka. Die Veröffentlichungen zu seinen Lebzeiten [1908–1924]. Eine textkritische und kommentierte Bibliographie, Lothar Stiehm Verlag, Heidelberg 1982:

Sekundärliteratur

Einzelnachweise

  1. Alt Kafka/Sohn S. 248
  2. Wagenbach S. 179
  3. Kafka-Handbuch von Jagow S. 403
  4. Unseld S. 26
  5. Ludwig Dietz: Franz Kafka. Die veröffentlichungen zu seinen Lebzeiten [1908-1924]. Eine textkritische und kommentierte Bibliographie. Lothar Stiehm Verlag, Heidelberg 1982, S. 25, 26.
  6. 83. Jahrgang Nr. 86, Morgen-Ausgabe, Prag, Sonntag, 27. März 1919, vgl. Dietz, Heidelberg, S. 32.
  7. Alt Kafka/Sohn S. 251
  8. Alt Kafka/Sohn S. 254
  9. Alt Kafka/Film S. 47
  10. Nicht veröffentlichter Brief von Max Brod an Dieter Höllger, Tel-Aviv, 27. November 1953, S. 2.