Das so genannte Decretum Gelasianum (de libris recipiendis et non recipiendis) oder Gelasianische Dekret (auch Decretum Damasianum) ist ein umfangreiches Dekret, das vor allem durch die darin enthaltenen Listen kanonischer bzw. apokrypher Bücher von Bedeutung ist. Es wurde traditionell Papst Gelasius I. (492–496) zugeschrieben, geht aber in Teilen auf Damasus I. zurück und ist in seiner Langfassung erst Ergebnis späterer Überarbeitungen des fünften oder sechsten Jahrhunderts. Das Decretum war seit dem Mittelalter in mehreren Fassungen sehr weit verbreitet und wurde in zahlreiche kanonische Sammlungen aufgenommen.

Gliederung und Datierung

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Das Decretum Gelasianum besteht aus fünf Teilen:

  1. Aussagen über die drei Personen Gottes (Trinität)
  2. Liste kanonischer Bücher
  3. Rangordnung der Patriarchensitze
  4. Liste der anerkannten Synoden und Kirchenschriftstellern
  5. Liste apokrypher Bücher

Nach einer 1794 von Faustino Arévalo aufgestellten Theorie entsprechen die ersten drei Teile den Beschlüssen eines 382 unter Papst Damasus I. abgehaltenen Konzils. Demnach wäre die im Decretum Gelasianum enthaltene Liste kanonischer Bücher die früheste überlieferte derartige Zusammenstellung offizieller Art. Ernst von Dobschütz zufolge hat das Decretum jedoch keinen offiziellen Charakter, sondern ist eine pseudonyme Schrift des 6. Jahrhunderts (zwischen 519 und 553). Heute folgt man für die Langfassung weitgehend den Schlüssen von Dobschützens, geht aber davon aus, dass die ersten drei Teile der Schrift auf Papst Damasus bzw. die Synode von 382 zurückgeführt werden können.[1][2]

Erster Teil: Abhandlung über Heiligen Geist und Namen Christi

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Der erste Teil enthält Aussagen zur Dreieinigkeit, die einem römischen Konzil unter Papst Damasus I. zugeschrieben werden und mit großer Wahrscheinlichkeit auf diesen Papst zurückgehen (also nicht erst von Gelasius stammen).

Zweiter Teil: Biblischer Kanon

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Der zweite Teil besteht aus einer Aufzählung aller Bücher, die als Teil der Bibel gezählt werden sollen. Der Kanon entspricht weitgehend dem heutigen Kanon, im Falle des Alten Testaments entspricht er (bis auf die Anordnung) weitgehend dem heutigen Kanon der römisch-katholischen Kirche, enthält also einige Schriften, die in anderen Kirchen und im Judentum als apokryph bzw. deuterokanonisch gelten.

Altes Testament

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Propheten
Geschichtsbücher

Neues Testament

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Der Kanon umfasst 27 oder (in einem Teil der Textüberlieferung) 26 Bücher des Neuen Testaments und spiegelt die römische Praxis in der Entwicklung des biblischen Kanons. Die Liste beinhaltet die neutestamentlichen Schriften in folgender Reihenfolge: Zuerst die Evangelien nach Matthäus, Markus, Lukas, Johannes, dann die Apostelgeschichte (die jedoch in einem Teil der Textüberlieferung erst weiter unten nach der Offenbarung des Johannes genannt wird), dann vierzehn oder (in einem Teil der Textüberlieferung) dreizehn dem Apostel Paulus zugeschriebene Briefe, einschließlich Philemon und Hebräer, jedoch fehlt in einem Teil der Textüberlieferung der Zweite Korintherbrief, dann die Offenbarung des Johannes, und am Ende sieben weitere nicht dem Paulus zugeschriebene Briefe (zwei Petrusbriefe, Jakobusbrief, drei Johannesbriefe, Judasbrief). Damit hat der Kanon im Wesentlichen seine heutige Gestaltung erreicht.

Dritter Teil: Vorrang des Römischen Stuhls

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Dem römischen Stuhl wird der Primat gegenüber allen anderen Patriarchaten zuerkannt. Zunächst unter Verweis auf Mt 16,18 EU („tu es Petrus et super hanc petram aedificabo ecclesiam meam“), sodann mit der Begründung, dass Rom der Sitz der beiden Apostel Petrus und Paulus gewesen sei. Eine Notwendigkeit, diesen Primat mit einem Konzilsbeschluss zu begründen, wird ausdrücklich abgelehnt.

Weiterhin wird den Patriarchaten von Alexandrien und Antiochien eine besondere Würde an zweiter bzw. dritter Stelle nach Rom zuerkannt, Alexandrien als Sitz des Evangelisten Markus, Antiochia am Orontes als Sitz des Petrus, bevor er nach Rom ging, außerdem als der Ort, wo erstmals Christen als solche bezeichnet wurden.

Vierter Teil: Liste der anerkannten Synoden und Kirchenschriftsteller

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Ausdrücklich anerkannt werden die Beschlüsse folgender ökumenischer Konzilien:

Das erste Konzil von Konstantinopel (381) wird nicht aufgeführt.

Weiterhin werden die Schriften folgender Kirchenväter als von der Kirche angenommen bezeichnet:

Wie man sieht, folgt die Anordnung der Liste weitgehend chronologisch den Lebensdaten.

Dieser Liste kirchenväterlicher Schriften folgt eine Liste ebenfalls anerkannter einzelner Werke bzw. Werkgruppen. Es werden anerkannt:

Fünfter Teil: Liste der apokryphen Schriften

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Dieser Teil ist der für die Forschung interessanteste Teil, wird hier doch eine ausführliche Liste apokrypher Schriften gegeben. Welche Schriften gemeint sind, ist teilweise umstritten, weil die Bezeichnungen ungenau sind und ein Vergleich mit der erhaltenen Überlieferung schwierig, in vielen Fällen sogar unmöglich ist. Die folgende Liste zitiert die lateinische Beschreibungen, wie sie im Decretum Gelasianum zu finden sind und gibt plausible Identifizierungen in Klammern an:

Darüber hinaus wird der Bannfluch noch geschleudert auf:

Dieses und das, was ihm ähnlich ist, was Simon Magus, Nikolaus, Kerinth, Markion, Basilides, Ebion, Paul von Samosata, Photin und Bonosus, die an ähnlichem Irrtum krankten, auch Montanus mit seinen ekelhaften Anhängern, Apollinaris, Valentinus der Manichäer, Faustus der Afrikaner, Sabellius, Arius, Macedonius, Eunomius, Novatus, Sabbatius, Calistus, Donatus, Eustatius, Iovianus, Pelagius, Iulianus von Eclanum, Caelestius, Maximian, Priscillian aus Spanien, Nestorius von Konstantinopel, Maximus der Kyniker, Lampetius, Dioscur, Eutyches, Petrus und der andere Petrus, von denen der eine Alexandrien, der andere Antiochien befleckte, Acacius von Konstantinopel mit ihren Genossen, und was auch alle Schüler der Häresie und der Häresien oder Schismatiker gelehrt haben oder zusammengeschrieben haben, deren Namen wir kaum behalten haben, das bekennen wir, daß es nicht nur verworfen sei, sondern von der ganzen römischen katholischen und apostolischen Kirche ausgeschlossen sei und mit seinen Verfassern und den Anhängern der Verfasser unter der unlöslichen Fessel des Anathema in Ewigkeit verdammt sei.[3]

Edition

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Literatur

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Wikisource: Decretum Gelasianum – Quellen und Volltexte (Latein)

Einzelnachweise

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  1. Siehe Francis Crawford Burkitt: Rezension zu Das Decretum Gelasianum de libris recipiendis et non recipiendis in kritischem Text herausgegeben und untersucht von Ernst von Dobschütz. In: Journal of Theological Studies. Band 14, 1913, S. 469–471 (online).
  2. Ursula Reutter: Damasus, Bischof von Rom (366–384): Leben und Werk (= Studien und Texte zu Antike und Christentum. Band 55). Mohr Siebeck, Tübingen 2009, ISBN 978-3-16-149848-0, S. 468–513 (google.de).
  3. Übersetzung nach Schneemelcher, S. 32f.