Selbstwertdienliche Verzerrung (englisch self-serving bias) bezeichnet in der Sozialpsychologie die Tendenz, eigene Erfolge im Zweifelsfall eher inneren Ursachen (wie eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten) und eigene Misserfolge eher äußeren Ursachen (der Situation, dem Zufall etc.) zuzuschreiben.[1]

Ursachen

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Verteidigung eines stabilen, positiven Selbstbildes

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Normalerweise werden die Handlungen anderer eher mit deren Persönlichkeitseigenschaften, eigenes Verhalten eher mit der speziellen Situation begründet, die sogenannte Akteur-Beobachter-Divergenz. Wird das Ergebnis des eigenen Verhaltens jedoch als Scheitern gewertet, dient die selbstwertstützende Verzerrung der Aufrechterhaltung eines stabilen, positiven Selbstbildes.[2] Diese kognitive Verzerrung kommt insbesondere zur Vermeidung von kognitiver Dissonanz zum Einsatz, wenn nämlich die Einsicht droht, ein erneutes Versagen auch bei verstärkten Anstrengungen nicht verhindern zu können.[3] Anderenfalls wird die interne Ursache der schlechten Leistung anerkannt und motiviert zu vermehrten Bemühungen.[4]

Selbstdarstellung

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Der zweite Grund, Ursachen selbstwertdienlich zu attribuieren, ist der Wunsch, für sich und andere in einem guten Licht zu erscheinen.[5] Wer ein schlechtes Ergebnis begründen soll, greift gerne auf Ausreden zurück.[6] Geschieht dies vorsätzlich und systematisch, spricht man auch von Impression-Management.

Wissen um frühere Leistungen

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Die Erfahrung, eine Aufgabe normalerweise bewältigen zu können, legt nahe, einen Erfolg auf innere, ein Versagen auf äußere Faktoren zurückzuführen.[7] (vgl. Kelleys Kovariationsprinzip).

Vermeidung von Hilflosigkeit

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Erlebnisse oder Berichte von Katastrophen, Krankheiten oder Verbrechen, die an die eigene Sterblichkeit erinnern, können mithilfe von Defensivattributionen abgemildert werden. Wer sich einredet, dass solche Tragödien nur Menschen zustoßen, die selbst dazu beitragen, etwa weil sie schlecht, unvorsichtig oder dumm sind (Melvin Lerners „Gerechte-Welt-Hypothese“), erzeugt die Illusion, das Auftreten derartiger Ereignisse beeinflussen zu können. Opfer geben sich selbst eine Mitschuld, weil sie dann Sorge tragen könnten, so etwas in Zukunft verhindern zu können. Außenstehende geben Opfern eine Mitschuld, weil sie dann glauben können, selbst dagegen immun zu sein[8] (vgl. Opfer-Abwertung).

Beispiele

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Forschung

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Barbara Krahé, Sozialpsychologin an der Universität Potsdam, leitet ihren Überblick zu den Forschungen auf diesem Gebiet wie folgt ein:

„Erfolge zu verbuchen und Mißerfolge einzustecken sind konsequenzenreiche Erfahrungen für das eigene Selbstwertgefühl: sie unterstützen bzw. bedrohen das individuelle Bedürfnis, sich selbst in einem möglichst positiven Licht zu sehen. Die "self-serving bias"-Forschung versucht den Nachweis zu erbringen, daß Personen ihre Mißerfolge auf externe Ursachen, ihre Erfolge dagegen auf interne Ursachen zurückführen, um dadurch ihre positive Selbsteinschätzung zu verteidigen und zu festigen. Diese dem "common sense" so plausible Hypothese ist jedoch nicht lange unwidersprochen geblieben.“

Barbara Krahé: Universität Potsdam[15]

In ihrer Publikation aus dem Jahr 1984, die 2010 von der Universität Potsdam als Reprint ins Netz gestellt wurde, befasst sich Krahé unter anderem mit der Konzeptualisierung des Bias in den Attributionstheorien, mit informationstheoretischen Alternativerklärungen, Kausalattributionen aus der Beobachterperspektive und mit den Theoriedefiziten der self-serving bias-Forschung. In Auswertung zahlreicher wissenschaftlicher Studien fasst Krahé ihre Befunde in drei Kernaussagen zusammen:

Literatur

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Einzelnachweise

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  1. D. T. Miller, M. Ross (1975). Self-serving biases in the attribution of causality: Fact or fiction?, Psychological Bulletin, 82, S. 213–225
  2. E. Aronson, T. D. Wilson, R. M. Akert: Sozialpsychologie. Pearson Studium. 6. Auflage 2008. ISBN 978-3-8273-7359-5, S. 116
  3. J. Greenberg et al. (1982). The self-serving attributional bias: Beyond self-presentation. Journal of Experimental Social Psychology, 18, S. 56–67
  4. T. S. Duval, P. J. Silvia (2002). Self-awareness, probability of improvement, and the self-serving bias. Journal of Personality and Social Psychology, 82, S. 49–61
  5. E. Goffman (1959). Presentation of self in everyday life. Garden City, NY: Anchor/Doubleday
  6. Philip E. Tetlock (1981). The influence of self-presentational goals on attributional reports. Social Psychology Quarterly, 44, S. 300–311
  7. R. E. Nisbett, L. Ross (1980). Human inference: Strategies and shortcomings of human judgment. Englewood Cliffs, NJ: Prentice Hall
  8. M. J. Lerner: The belief in a just world: A fundamental decision. Plenum, New York 1980
  9. R. R. Lau, D. Russell (1980). Attributions in the sports pages: A field test of some current hypotheses about attribution research. Journal of Personality and Social Psychology, 39, S. 29–38
  10. S. C. Roesch, J. H. Amirkhan (1997). Boundary conditions for self-serving attributions: Another look at the sports pages. Journal of Applied Social Psychology, 27, S. 245–261
  11. H. A. McAllister (1996). Self-serving bias in the classroom: Who shows it? Who knows it?, Journal of Educational Psychology, 88, S. 123–131
  12. Gray, Janice D., and Roxane C. Silver. "Opposite sides of the same coin: Former spouses' divergent perspectives in coping with their divorce." Journal of Personality and Social Psychology 59.6 (1990): 1180.
  13. Knapp, Mark L., and John A. Daly, eds. The SAGE handbook of interpersonal communication. Sage Publications, 2011.
  14. Kury, Max. Abgabe von Rechenschaft zum Wiederaufbau von Vertrauen: Eine empirische Untersuchung der Berichterstattung von Banken. BoD–Books on Demand, 2014. S. 66.
  15. Der "self-serving bias" in der Attributionsforschung S. 79
  16. Der "self-serving bias" in der Attributionsforschung S. 93