Abū ʿAbdallāh Ahmad ibn Muhammad ibn Hanbal asch-Schaibānī (أبو عبد الله أحمد بن محمد بن حنبل الشيباني, DMG Abū ʿAbdallāh Aḥmad ibn Muḥammad ibn Ḥanbal aš-Šaibānī; geb. 780[1] in Bagdad; gest. 855[1] ebenda), in der Literatur häufig kurz Ahmad oder Ibn Hanbal genannt, war ein islamischer Traditionarier, Theologe und Faqīh mit Wirkungskreis in Basra und Bagdad. Er war der jüngste unter den Gründern der vier im sunnitischen Islam etablierten Rechtsschulen (madhhab) der islamischen Rechtswissenschaft (fiqh), nämlich der nach ihm benannten Schule der Hanbaliten.

Die Ahmad ibn Hanbal gewidmete Moschee in Medina, Saudi-Arabien; in Saudi-Arabien herrscht die hanbalitische Lehrrichtung vor

Leben

Ibn Hanbals Familie stammte aus Basra und zog später nach Merw. Sein Vater, ein Mitglied des arabischen Stammes Banu Schayban der Rabīʿa, diente in der abbasidischen Armee in Chorasan und ließ sich mit seiner Familie in Bagdad nieder. Regelmäßig studierte Ibn Hanbal bei Huschaim b. Baschir und bei Sufyān ibn ʿUyayna. Auch den Unterricht des hanafitischen Kadis Abū Yūsuf († 798), der Schüler von Abū Ḥanīfa war, soll Ibn Hanbal besucht haben. Abū Yūsuf hatte aber wenig Einfluss auf Ibn Hanbal gehabt. Während seiner Studienreise nach Mekka besuchte er den Unterricht von Muhammad ibn Idrīs asch-Schāfiʿī. Ibn Hanbal hat asch-Schāfiʿī später in Bagdad ein weiteres Mal getroffen.[2]

Im Jahr 795 trat Ahmad ausgedehnte Studienreisen an, die ihn nach Syrien, in den Jemen, nach Chorasan, nach Mekka und Medina führten. Mehrere Autoritäten der Hadith-Literatur des frühen 9. Jahrhunderts hatten großen Einfluss auf seine Bildung, unter ihnen vor allem Yahyā ibn Maʿīn († 847), Sufyan ibn ʿUyaina († 811) in Mekka, Abd al-Rahman ibn Mahdi († 813) in Basra und Waki' ibn al-Dscharrah († 812) in Kufa, die damals unumstrittenen Repräsentanten der Ashāb al-hadīth.

Ahmads Nähe zur Theologie bestimmte sein Schicksal während der Mihna, als al-Mamun die mu'tazilitische Lehre von der Erschaffenheit des Korans zur Staatsdoktrin erklärte. Im September 834 musste er mit anderen Vertretern der ahl al-sunna am Kalifenhof erscheinen und sich der Mihna unterwerfen. Er wurde ausgepeitscht, eingekerkert und unter Hausarrest gestellt. Erst unter al-Mutawakkil ʿalā Llāh (ab 847) konnte er ungestört unterrichten und öffentlich auftreten. Acht Jahre später starb er nach einer kurzen Krankheit in Bagdad.

Sein Sohn Salih hat das Leben seines Vaters unter dem Titel سيرة أحمد بن حنبل / Sīrat Aḥmad b. Ḥanbal / ‚Die Biographie von Ahmad ibn Hanbal‘ zusammengefasst.[3] Das Buch ist erstmals 1995 in Riad im Druck erschienen.

Werke

Die Rechtsfragen von Abū Dāwūd al-Siǧistānī an Ibn Ḥanbal. Eine der ältesten literarischen Handschriften in der islamischen Welt, hergestellt im Rabīʿ I. 266 (Oktober 879)

Lehren

Ahmad ibn Hanbal war bestrebt, alle Gesetze aus dem Koran, der Sunna und dem Konsens (idschmāʿ) der ersten Generationen abzuleiten. Die von asch-Schāfiʿī definierten Quellen des fiqh – der Analogieschluss (qiyās) und die eigenständige Lehrmeinung (ra'y) verloren bei ihm an Bedeutung.[7] Dies hängt in erster Linie damit zusammen, dass Ahmad ibn Hanbal mehr in Kreisen der Hadith-Gelehrten als in denen der Juristen verkehrte. Anders als asch-Schāfiʿī hielt Ahmad bei Hadithen eine ununterbrochene Tradentenkette bis direkt zum Propheten für nicht erforderlich; er berief sich auch auf Mursal-Traditionen.[8]

Auf theologischer Ebene vertrat Ahmad ibn Hanbal die Position, Gottes Eigenschaften und Attribute lediglich auf die Beschreibungen aus dem Koran und der Sunna, mit dem Verständnis der Prophetengefährten zurückzuführen, anders als die Muʿtazila, die eine Herleitung von Gottes Eigenschaften auf Grundlage des Kalāms, dem Koran und den Hadithen voranstellten.

Er bekräftigte, dass Gottes Eigenschaften nicht den menschlichen Eigenschaften gleichen und Gott keine menschliche Gestalt habe. Eigenschaften und Attribute wie Gesicht, Augen, Atem, Hände, Finger oder Füße, sind somit nicht metaphorisch wie bei den Mu'tazila, aber auch nicht als wörtliche Anthropomorphismen wie bei anderen Gruppen, zu verstehen.

Die Rezeption seiner Lehren ist auch in der Gegenwart unterschiedlich. Gruppen wie die Asch'ariya, Nachfolger der Mu'tazila betrachten diese Positionen als Irrlehre.[9] Auf die Ascha'irya geht die Haltung zurück, Eigenschaften Gottes ohne die wörtliche Bedeutung bzw. „ohne zu fragen, wie“ (bi-lā kaif), anzunehmen, d. h. lediglich die Wörter zu bestätigen. Beispielsweise kann das Wort يد (arab. für Hand) nach der Lehre der Asch'ariyah jede erdenkliche Bedeutung haben.

Auf Ahmad ibn Hanbal beruft sich die nach ihm entstandene Rechtsschule der Hanbaliten. Diese ist heute zahlenmäßig die kleinste der vier Rechtsschulen im Islam.

Ibn al-Dschauzī (gest. 1200) versuchte in seinem Werk Dafʿ šubhat at-tašbīh bi-akuff at-tanzīh („Abwendung des Verdachts des Anthropomorphismus mit den Mitteln des Transzendentalismus“) den Nachweis zu erbringen, dass hanbalitische Gelehrte, die weiterhin anthropomorphistische Lehren vertraten, sich nicht auf ihren Rechtsschulgründer berufen konnten. Eine ähnliche Intention hatte das Kitāb Dafʿ šubah min šabbah wa-tamarrad wa-nasab ḏalik ilā al-imām Aḥmad („Buch zur Abwendung der Scheinargumente derjenigen, die Gott in unverschämter Weise mit dem Menschen vergleichen und dies dem Imam Ahmad zuschreiben“) von dem syrischen Gelehrten Taqī ad-Dīn al-Hisnī († 1426).

Literatur

Einzelnachweise

  1. a b Ahmad Ibn Muhammad Ibn Hanbal: Die Grundlagen der Sunnah - Usulu-s-Sunnah. Hrsg.: Ahlul Athar. 2. Ausgabe Auflage. Ahlul Athar, 2021, ISBN 979-87-2333491-5, S. 10.
  2. Henri Laoust: Ahmad b. Hanbal. In: Encyclopaedia of Islam. 2. Auflage, Band 1, S. 272.
  3. Fuat Sezgin (1967) S. 510.
  4. Vgl. Sezgin: Geschichte des arabischen Schrifttums. 1967, Band I., S. 507.
  5. Vgl. Sezgin: Geschichte des arabischen Schrifttums. 1967, Band I., S. 507.
  6. Fuat Sezgin (1967) S. 152
  7. M. Muranyi (1987). S. 320
  8. Vgl. Birgit Krawietz: Die Hierarchie der Rechtsquellen im tradierten sunnitischen Islam. Duncker & Humblot, Berlin, 2002. S. 148.
  9. Vgl. Williams: „Aspects of the creed of Imam Ahmad ibn Hanbal“. 2002, S. 444.