Als Aktion Ossawakim (eigentlich „Operation Ossoawiachim“, russisch Операция Осоавиахим Operazija Ossoawiachim) wird eine sowjetische Geheimoperation unter Leitung der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) durch Iwan Serow bezeichnet, bei welcher im Wesentlichen in den frühen Morgenstunden des 22. Oktober 1946 mehr als 2500 ausgewählte deutsche Fachkräfte (russisch Специалисты; also Wissenschaftler, Ingenieure und Techniker, die auf Spezialgebieten tätig waren) aus militär- und wirtschaftspolitisch relevanten Betrieben und Institutionen der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands (SBZ) und dem sowjetischen Sektor von Berlin sowie weitere ca. 4000 Familienangehörige zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion verschleppt wurden.[1]:132[2]
Mit ihrem Vorgehen verstieß die Sowjetunion gegen die Kontrollratsproklamation Nr. 2 (Zusätzliche an Deutschland gestellte Forderungen) vom 20. September 1945, die festgelegt hatte, dass die Auswahl der zu Reparationsleistungen ins Ausland verschickten deutschen Arbeitskräfte von deutschen Behörden entsprechend den Anordnungen der Alliierten Vertreter zu treffen sei.[3] Diese Verletzung alliierter Bestimmungen hatte einen britischen Protest im Alliierten Kontrollrat zur Folge.[4]
Die Aktion Ossawakim diente der Absicherung des Know-how-Transfers und wird in Russland als „Ausländische Experten in der UdSSR“ (Иностранные специалисты в СССР) umschrieben. Teilweise wurden die Familien der Betroffenen sowie deren Mobiliar mit verlagert. Die Jahre in der Sowjetunion verliefen ohne Arbeitsverträge und Legitimation durch Personaldokumente.[5] Die Bezeichnung „Aktion Ossawakim“ wurde vermutlich durch den Sender Deutsche Allgemeine Nachrichtenagentur der US-amerikanischen Besatzungsmacht erstmals am 23. Oktober 1946 verwendet[6] in Anlehnung an die damalige sowjetische Großorganisation OSSOAWIACHIM (russ. Общество содействия обороне, авиационному и химическому строительству, Obschtschestwo sodeistwija oboronje, awiazionnomu i chimitscheskomu stroitelstwu, dt. Gesellschaft zur Förderung der Verteidigung, des Flugwesens und der Chemie), die im Zweiten Weltkrieg die Rekrutierung von Zivilisten für die Rote Armee betrieb.[1]:108 Die Vorläuferorganisation der CIA verwendete den Begriff Operation Ossavakim erstmals am 13. Januar 1947.[7]
Mit dem absehbaren Ende des Zweiten Weltkriegs begannen sich die Alliierten darauf vorzubereiten, deutsches Know-how abzuschöpfen. Die Siegermächte hatten sich bei Kriegsende geeinigt, dass eine der möglichen Reparationsleistungen auch die Nutzung von Arbeitskräften ist, woraufhin ein Wettlauf um die klügsten Köpfe begann.[8] An erster Stelle stand die Kernphysik zur Entwicklung der Atombombe.
Unmittelbar nach der Kapitulation Deutschlands erfolgte in den westlichen Besatzungszonen die Verbringung von Fachkräften, Dokumenten, Labors und Material ins Ausland.[9] Darunter wurden die US-amerikanische Operation Overcast oder auch die Verschleppung deutscher Atomphysiker in das britische Farm Hall (Operation Epsilon) besonders bekannt. Das sowjetische Atombombenprojekt sicherte sich eine Gruppe von knapp 100 deutschen Spezialisten, darunter Gustav Hertz, Nikolaus Riehl, Peter Adolf Thiessen und Manfred von Ardenne, und brachte sie im Frühjahr 1945 „nicht ganz freiwillig, aber ohne physischen Druck“ in die Sowjetunion. Darüber hinaus wurden 1945 weitere deutsche Spezialisten, die sich zur Zusammenarbeit bereit erklärt hatten, in die Sowjetunion gebracht, vorübergehend im Butyrka-Gefängnis eingesperrt wie der Motorenkonstrukteur Ferdinand Brandner (Junkers Dessau), und später unter Scharaschka-ähnlichen Bedingungen in besonderen Spezialistenlagern eingesetzt.[10]
Weitere militärisch und industriell relevante Bereiche wie die Raketentechnik des Aggregat 4 (bzw. Vergeltungswaffe V2), Kreiselplattformen zur autonomen Navigation, moderne Konstruktionen im Flugzeugbau wie Strahltriebwerke, elektronische und optische Geräte, Farbfilmtechnik und Chemiewaffen verblieben zunächst in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ). Die Anwerbung von Fachkräften war eine der Aufgaben der sogenannten Trophäenkommissionen.[11] Die Sowjetunion baute eine Vielzahl von Konstruktionsbüros auf, u. a. das Institut Nordhausen in der Umgebung von Bleicherode und das Institut Berlin zur Rekonstruktion der deutschen Fernlenkwaffen unter Nutzung der vorhandenen Infrastruktur.
Die als Aktion Ossawakim bezeichnete Operation wurde durch Beschluss Nr. 1017-419 des Ministerrats der UdSSR am 13. Mai 1946 zur „Überführung der Konstruktionsbüros und von ca. 2.000 deutschen Spezialisten bis Ende 1946“ eingeleitet, und das MWD beauftragte Iwan Serow, den Leiter der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland, mit den geheimen Vorbereitungen.[1]:108–110,126. Die Sowjetunion wollte damit den vollständigen Zugriff auf die deutschen Technologien sowohl durch Transfer des Expertenwissens als auch Demontage der Produktionsanlagen und deren Wiederaufbau in der Sowjetunion sicherstellen. Außerdem galt gemäß dem Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945 das Verbot, in Deutschland Waffen zu entwickeln und herzustellen.[1]:61–80 Mit der Verfügung des Ministerrates der UdSSR Nr. 1539-686 vom 9. Juli 1946 legte Stalin den 22. Oktober 1946 als Beginn der Demontagearbeiten fest.[12]
Die Aktion Ossawakim war in ihrer Dimension beispiellos: In einer konzertierten, geheimgehaltenen Aktion wurden am 22. Oktober 1946 innerhalb eines halben Tages Einrichtungen in der gesamten sowjetischen Besatzungszone einbezogen und 92 Güterzüge zum Abtransport bereitgestellt.[8] Detailliert stellte sich das zum Beispiel so dar: Kurt Magnus bemerkte Tage vorher auf dem Bahnhof von Bleicherode ein ungewöhnliches geschäftiges Treiben sowjetischen Militärs und die Ankunft von Güterzügen. – Einem Dessauer gelang Stunden vorher die Flucht. Eine telefonische Warnung seinerseits an Kollegen war nicht möglich; das Telefonnetz war stillgelegt. Ebenso ruhte der öffentliche Personen-Nahverkehr in Dessau.[13] – Ein Konstrukteur der Zeiss-Werke erlitt einen tödlichen Herzinfarkt, als er von seinem Abtransport erfuhr.[14]
In der Ersterwähnung der Aktion Ossawakim[6][15] werden eine Anzahl Betriebe und Einrichtungen genannt, die in den später bekannt gewordenen und nachfolgend genannten Geheim-Befehlen[14][16] bestätigt und ergänzt werden. Die bekannten Dokumente decken sich jedoch nicht ganz mit der Realität.
Nachfolgend wird im Artikel unterschieden zwischen:
Die Aktionen der beiden erstgenannten Industriezweige hatten unterschiedliche Auftraggeber: bei ersterem zeichnete das Ministerium für Luftfahrtindustrie und das Rüstungsministerium der UdSSR verantwortlich. Einrichtungen der gesamten SBZ waren betroffen, die Betroffenen äußerten sich danach über den Aufenthalt in der UdSSR (siehe auch Abschnitt Biographien). Für die zweite, die Jenenser Aktion war das Ministerium für Bewaffnung der UdSSR verantwortlich, sie konzentrierte sich auf Jena, die Betroffenen schwiegen später.
In der Nacht vom 21. Oktober 1946, dem Tag nach den Landtagswahlen in der SBZ und der Wahl zur Stadtverordnetenversammlung von Groß-Berlin 1946, zum 22. Oktober 1946 wurden sowjetische Offiziere mit Dolmetscher in Begleitung eines bewaffneten Soldaten bei den Wohnungen der deutschen Spezialisten vorstellig und forderten sie auf, ihr Eigentum zu verpacken. LKWs und Eisenbahnen standen für den sofortigen Abtransport der Betroffenen mit ihren Familien nach einem für die Betroffenen unbekannten Ziel bereit. Insgesamt geht man von insgesamt ca. 6.500 Personen aus, die meist gegen ihren Willen in die Sowjetunion gebracht wurden.[17] 1.385 Spezialisten arbeiteten innerhalb des Ministeriums für Luftfahrtindustrie (Flugzeuge, Strahltriebwerke und Flugabwehrraketen), 515 im Ministerium für Bewaffnung (Flüssigkeitsraketen), 358 im Ministerium für die Industrie der Fernmeldemittel (Radar und Funk), 81 im Ministerium für Chemieindustrie, 62 im Ministerium für Schiffbau (Kreisel- und Navigationssysteme), 27 im Ministerium für landwirtschaftlichen Maschinenbau (Feststoffraketentriebwerke), 14 im Ministerium für Kino- und Fotoindustrie, 3 im Ministerium für Erdölindustrie, und 107 in Betrieben des Ministeriums für Leichtindustrie.[1]:108[18]
Am 22. Oktober protestierte der Landesverband Berlin der SPD gegen die Verschleppungen. Am 24. Oktober erreichte den Alliierten Kontrollrat ein Protest des britischen Vertreters in der Alliierten Kommandantur, mit Zustimmung des amerikanischen und französischen, gegen die Überführung von 400 Berliner Facharbeitern, darunter Einwohner des britischen Sektors von Berlin, in die Sowjetunion als ein Verstoß gegen gültige arbeitsrechtliche Anordnungen der Kommandantur wie auch gegen die Menschenrechte. Eine Aussprache des Alliierten Kontrollrats über diese Verschleppung vertagte sein Koordinierungskomitee am 29. Oktober wegen „starker Differenzen über den freiwilligen oder unfreiwilligen Charakter der Transporte“ zwischen dem sowjetischen und den amerikanischen und britischen Vertretern.[19]
In der SBZ und Ost-Berlin hingegen wurde die Verschleppung nach einem kurzen Aufschrei des FDGB totgeschwiegen.[6] Sowohl die deutschen als insbesondere auch die sowjetischen Werkleitungen waren von dieser stabsmäßig vorbereiteten Aktion überrascht und vermochten nicht einzugreifen.[20]
Der nach Gorodomlija verschleppte Kreiselspezialist Kurt Magnus schreibt darüber:[21]
„Erst Tage, sogar Jahre danach sind genauere Einzelheiten zu dieser großangelegten, perfekt geplanten und zugleich sorgfältig geheim gehaltenen Verschleppungsaktion durchgesickert. Nicht nur in Bleicherode, in der gesamten sowjetischen Besatzungszone hatte man schlagartig zugegriffen: in Halle, Leipzig und Dresden; in Dessau, Jena und Rostock; in Brandenburg, Potsdam und Ost-Berlin. … 92 Züge, mit dem Beutegut Mensch beladen, passierten damals Frankfurt/Oder.“
Trotzdem ging es den Betroffenen und ihren Familien gut im Vergleich zu Bürgern der Sowjetunion und der SBZ, wenn man von dem Leid der Verschleppung und Isolation absieht. Die Spezialisten verdienten anfangs deutlich mehr als ihre sowjetischen Kollegen bei besserer Wohnsituation und Essensversorgung.[22] Die Wissenschaftler, Techniker und Facharbeiter wurden einzelnen Projekten und Arbeitsgruppen, vornehmlich in den Bereichen Luftfahrt- und Raketentechnik, Kernforschung, Chemie und Optik zugeordnet. Der Aufenthalt wurde auf etwa fünf Jahre angegeben. In der Folgezeit wurde auch zahlreiches Inventar von Betrieben aus dem Bereich der Spitzentechnologie demontiert und in die Sowjetunion verfrachtet, darunter von Carl Zeiss (Jena), Junkers (Dessau) und der Siebel-Werke (Halle). Dies war Teil der Reparationsleistungen, die im Potsdamer Abkommen vereinbart worden waren. Die genannte Verschleppung sicherte der Sowjetunion im Vorfeld die Spezialisten, die zur Bedienung und Weiterführung benötigt wurden. Man wollte den Ausbau der Rüstungsindustrie voranbringen, unter anderem die Atom- und Raketentechnik weiterentwickeln. Aus strategischen Gründen wollte man zudem die militärische Forschung und Entwicklung nicht in der SBZ belassen, zumal das Potsdamer Abkommen die Demilitarisierung Deutschlands vorsah.
Der Historiker Daniel Bohse formuliert das wie folgt:[23]
„Den Sowjets ging es nur darum, das Spezialistenwissen der Techniker und Ingenieure abzuschöpfen, um auf dieser Grundlage ein eigenes Raketenprogramm entwickeln zu können. Ende 1947 hatten die deutschen Wissenschaftler ihre Schuldigkeit getan, als diese Nachbauten von deutschen V2-Raketen wiederholt erfolgreich gestartet sind, und dann haben die Sowjets das in eigene Hand genommen und ein Jahr später, im November 1948 hatten sie ja schon den ersten Start der sowjetischen R1-Rakete absolviert, die Koroljow auf Grundlage der deutschen V2 entwickelt hatte.“
In den Jahren 1948 und 1949 arbeitete das deutsche Team in Gorodomlja unter Leitung von Helmut Gröttrup an Skizzenprojekten und Designstudien für Raketen der sowjetischen Raumfahrt mit größerer Nutzlast und Reichweite, im Projekt G-4 (R-14) 3.000 kg auf eine Distanz von 3.000 km.[24] Der US-amerikanische Raumfahrtingenieur Frederick Ordway III beschrieb das Ergebnis folgendermaßen:[25]
„Die R-14, die schließlich von den Deutschen [1949] vorgeschlagen wurde, war sicherlich keine ‚aufgemotzte‘ V2. Sie war ein neuer Ansatz im Raketendesign. In der Tat war sie zu dieser Zeit allem, was von Braun und sein Team in den Vereinigten Staaten vorgeschlagen oder erdacht hatten, weit voraus.“
Die abschließende Bewertung der Beiträge der deutschen Spezialisten ist umstritten, weil die Sowjetunion ab 1948 gegen den Kosmopolitismus kämpfte und positive Einschätzungen ihrer Leistungen unterdrückte, ja sogar ihre Beteiligung negierte. Doch konnten lt. Christoph Mick „die sowjetischen Konstrukteure die deutschen Pläne sorgfältig studieren und nützliche Überlegungen und Anregungen in ihre Projekte übernehmen“.[26] 2016 bestätigte das Werk Svezda (russ. Звезда), das russische Nachfolgewerk der Filiale auf der Insel Gorodomlja (heute Solnetschny), die Bedeutung der deutschen Beiträge: „Die deutsche Erfahrung hinsichtlich Grundlagenforschung und praktischer ingenieurmäßiger Anwendung wurde eine gute Schule für die sowjetischen Wissenschaftler. Vom deutschen Kollektiv wurden viele wertvolle Ideen übernommen, die der sowjetischen Raketenindustrie viele Entwicklungsjahre und Fehler ersparten. […] In der technisch vereinfachten Konstruktion einer einstufigen Rakete mit konischer Form [Projekt G-2[27]] wurden erneut viele Innovationen umgesetzt: Zum ersten Mal gab es keine Gasstrahlruder, die Rakete war mit Stufen in längslaufender und querlaufender Teilung versehen, mit einem Bündel von drei Triebwerken als Antriebsblock und einer Triebwerksregelung während der Beschleunigung.“[28]
Den Spezialisten und ihren Angehörigen wurde bei Androhung von Repressalien untersagt, schriftliche Unterlagen wie z. B. Konstruktionsunterlagen und Tagebücher in die Heimat zu schicken oder bei der Heimreise mitzunehmen. Es erfolgte dennoch, wie deren Literatur sowie die Entwicklung des ersten deutschen Passagierstrahlflugzeuges 152 von Baade und Mitarbeitern zeigen.
Nach einer Isolierungsphase, in der sie nur noch in nebenrangige sowjetische Entwicklungen involviert waren, kehrten die Spezialisten in den Jahren 1951 bis 1958 nach Deutschland zurück. Vor ihrer Abreise wurden sie zur Verschwiegenheit über die Jahre in der Sowjetunion belehrt.[29] Die in die DDR zurückgekehrten Spezialisten erhielten in der Regel großzügige Angebote für leitende Stellungen, ihre Familien bevorzugt Wohnraum. Überläufer in den Westen berichteten dem britischen Secret Intelligence Service (MI6) und dem amerikanischen CIA über die Ergebnisse der Forschungsarbeiten.[30]
Nachfolgend werden die betroffenen Branchen im Detail behandelt.
In der SBZ waren zunächst sogenannte Versuchs-Konstruktions-Büros (OKBs) eingerichtet worden, die unter sowjetisch-deutscher Leitung standen. Einige derselben hatten sich bis Mitte 1946 zu umfangreichen Entwicklungsbetrieben wie z. B. die Zentralwerke in Bleicherode mit mehreren tausend Mitarbeitern etabliert. Insofern wurden die Kontrollratsbestimmungen zur Beschränkung der deutschen Forschung bis zum Herbst 1946 von der SMAD äußerst lax gehandhabt.[20] Derartige Institutionen wurden in Sowjetische Aktiengesellschaften (SAG) überführt. Militärstrategisch wichtige Institutionen solcher Art in der SBZ führten zu Konflikten mit den vereinbarten alliierten Verträgen, weshalb gewisse sowjetische Führungskreise erwogen, diese Institutionen in ihr Mutterland zu überführen. Das wiederum wurde von anderen sowjetischen Führungskreisen abgelehnt mit der Begründung, dass man sich nicht die Konkurrenz ins eigene Land hole. Daraufhin entschied Stalin am 2. April 1946 den Ortswechsel von Fachpersonal und Material in die Sowjetunion.[31]
Für die Raketenentwicklung in Deutschland war als Fachberater von Seiten der Sowjetunion der Raketen-Konstrukteur Sergei Koroljow im Range eines Generals u. a. im Zentralwerk Bleicherode abgeordnet und an dieser Aktion beteiligt.
Daraufhin wurde betreffs der deutschen Triebwerks- und Flugzeugindustrie am 19. April 1946 für die Durchführung desselben der Geheimbefehl Nr. 228ss[32] des Ministeriums der Luftfahrtindustrie der UdSSR unter Michail Chrunitschew erlassen,[16] der im Detail die Verlegung von Mensch und Material festlegte.
In der nachfolgenden Liste ist die Aufenthaltsdauer in der Sowjetunion angegeben, soweit bekannt.[40][41]
Während von den vorgenannten Spezialisten eine umfangreiche Memoirenliteratur existiert, fehlt dies von den Jenenser Optik- und Glasspezialisten. Die entsprechende sowjetische Anweisung für die Carl-Zeiss-Werke und das Jenaer Glaswerk Schott & Gen. in Jena behandelt der geheime Befehl Nr. 186 des Ministeriums für Bewaffnung der UdSSR vom 16. Juli 1946.[68]
Standen in der Triebwerks- und Flugzeugbranche die Forschung und Entwicklung im Vordergrund des sowjetischen Interesses, so sind in der optischen und Glasbranche Jenas sowohl die Forschung und Entwicklung als auch der Aufbau adäquater Produktionslinien gleichberechtigt von sowjetischem Interesse. Das bedingte neben der Verschleppung des Entwicklungspersonals auch die Verschleppung von Produktionspersonal zum Anlernen sowjetischer Fachkräfte und die umfangreiche Deportation von Produktionsausrüstungen. Solches wiederum führte dazu, dass man in Jena mit den verbliebenen restlichen Produktionsmitteln nicht mehr in der Lage war, die von sowjetischer Seite geforderten Reparationsleistungen zu erbringen, wodurch es zu Differenzen zwischen der SMA der SBZ und Moskau kam. Ursprünglich war von Ustinow beabsichtigt, die Zeiss-Werke zu liquidieren, wozu es durch die sowjetische Seite (Erfüllung von Reparationsleistungen) und dem Aufbauwillen der Zeiss-Belegschaft nicht kam.[14]
Die Zeiss-Werke hat diese Aktion insofern sehr hart getroffen, als diese bereits in den Monaten nach Ende des Zweiten Weltkriegs durch US-amerikanische Truppen im Rahmen der sogenannten Carl-Zeiss-Werk-Mission geplündert und anschließend bedeutsame Werksteile in die amerikanische Besatzungszone überführt wurden.[69]
Einzelheiten wie vorgenannt sind hier nicht bekannt.
Unabhängig von der Aktion Ossawakim wurden etwa 50-60 Häftlinge mit technischem Spezialwissen aus sowjetischen Speziallagern in der SBZ zur Arbeit in Konstruktionsbüros des NKWD/MWD deportiert, um dort unter Scharaschka-Bedingungen zu arbeiten. Eine weitere Gruppe von 200-250 Kriegsgefangenen (meist Handwerker, aber auch Wissenschaftler und Ingenieure) wurden aus Kriegsgefangenenlagern rekrutiert und Einrichtungen der Atomforschung zugeordnet.[78]
Nach der Ersterwähnung der Aktion Ossawakim,[6][15] wenige Tage nach dem 22. Oktober 1946, erscheint die Benennung „Aktion Ossawakim“ erneut erst 1953 bei Beendigung der Verschleppung.[79] In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war „Aktion Ossawakim“ ein Synonym für diese Verschleppung. Historiker vermeiden heute diese Benennung. Von den Betroffenen und deren Nachfahren wird er abgelehnt. Nach Christoph Mick ist diese Bezeichnung bislang nur durch Agentenberichte des amerikanischen und britischen Geheimdienstes bezeugt.[80] – Im Angelsächsischen findet sich entgegen der unkorrekten deutschen Transkription die korrekte Transkription Operation Osoaviakhim.[81]
Die vermeintlich sowjetische Quelle dieser Benennung konnte bis heute (2017) trotz umfangreicher Recherchen u. a. von Dieter Scheller und Matthias Uhl[82] in deutschen und sowjetischen/russischen Archiven nicht gefunden werden. Ebenso findet sich diese Benennung nicht in den Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit. In deren Akten wird nur sehr allgemein formuliert, dass sich entsprechende Wissenschaftler im relevanten Zeitraum in der UdSSR aufgehalten haben.
Den Nutzen dieser Arbeitsjahre beurteilen die Fachleute aus Podberesje wie folgt: Sie trugen in erheblichem Maße dazu bei, ihren russischen Kollegen zu vermitteln, wie Arbeitsprozesse zu planen und wie diese Pläne durch harte Disziplin einzuhalten sind.[83] Von sowjetischer Seite wird dies bestätigt: Die deutschen Spezialisten arbeiteten in genauem Zeitregime. Der Obermeister stellte eine unumstrittene Autorität dar. Die Disziplin der Arbeiter und des gesamten ingenieurtechnischen Personals war hoch.[84] Von sieben Flugzeugtypen in elf Varianten vornehmlich für militärische Einsatzzwecke wurden sieben Maschinen gebaut und im Flug erprobt, darunter der Experimentalbomber EF 140 mit negativ gepfeilten Flügeln.
Betrachtet man die Resultate der Demontage und des Arbeitseinsatzes der Zeissianer in der UdSSR aus der Sicht des Ministeriums für Bewaffnung unter Minister Ustinow, dann haben sich Erwartungen nur zum Teil erfüllt. Es war nicht gelungen, ein neues Zentrum der feinmechanisch-optischen Industrie aufzubauen, dessen Erzeugnisse der UdSSR auf dem internationalen Markt eine herausragende Position verschafften.[14]
Nachfolgend werden eine Auswahl von Entwicklungen und Ereignissen genannt, die im Vorgenannten ihre Wurzeln haben:
„Während die Zwangsverschickung deutscher Spezialarbeiter aus Berlin in die Sowjetunion, von der bisher etwa 500 Techniker und Elektroarbeiter betroffen wurden, noch im vollen Gange ist, begann eine ähnliche Maßnahme in Halle und in Dessau, wo bisher etwa 1000 Angestellte und Arbeiter zur angeblichen freiwilligen Abwanderung nach Rußland aufgefordert wurden. Unter den aus dem russischen Sektor Berlins Evakuierten war angeblich Prof. E. Habann, eine bekannte Autorität auf dem Gebiet der Hochfrequenz.“
„Zu den Meldungen über eine angebliche Verschleppung von Arbeitern aus der russischen Zone erklärten die russischen Militärbehörden: Kein Deutscher wurde nach der Sowjetunion zwangsverschickt, eine Anzahl Spezialarbeiter ist mit ihren Familien nach Rußland gereist, nachdem sie sich freiwillig in einem Vertrag venpflichteten‚ zwei bis drei Jahre in der russischen Industrie tätig zu sein.“
„Der Berichterstatter des Londoner Rundfunks, Beer, der sich derzeit in Berlin aufhält, meldet zu der Verschleppung: ‚Es ist klar, daß die Überführung deutscher Arbeiter nach Rußland nicht eine Vergeltungsmaßnahme der Wahlniederlage der SED ist, sondern das diese Maßnahmen auch in den anderen russischen Besatzungsgebieten durchgeführt wurden, in denen die SED als stärkste Partei aus dem Wahlkampf hervorging. Es handelt sich vermutlich um eine seit einiger Zeit vorbereitete Maßnahme, die auf die Zeit nach den Wahlen verschoben wurde, um das Wahlergebnis nicht ungünstig zu beeinflussen.‘“
„Wie das Foreign Office mitteilt, wurde eine gewisse Anzahl deutscher Techniker aus der englischen Besatzungszone in Deutschland von der britischen Regierung nach Großbritannien berufen. Man legt Wert darauf, festzustellen, daß sich diese Facharbeiter freiwillig nach Großbritannien begaben. Andererseits erklärt man in unterrichteten Kreisen, daß die Angelegenheit der Verschleppung deutscher Fachleute durch die Russen nicht über den Rahmen der alliierten Kommandantur hinaus gegangen sei und sie zu keinem diplomatischen Schritt zwischen den Besatzungsmächten Veranlassung gab.“
„Eine ausführliche Erklärung der russischen Besatzungsbehörden zur Frage der Überführung deutscher Techniker und Facharbeiter wurde in den unter russischer Kontrolle stehenden Berliner Zeitungen veröffentlicht. Die Erklärung tritt in zwei Punkten in den Vordergrund: 1. Nur wenige Gruppen deutscher Spezialisten, Ingenieure, Techniker und Arbeiter sind bisher abgereist. Sie wurden mit Arbeitsverträgen versehen. 2. Das russische Vorgehen folgt dem Beispiel der westlichen Alliierten, besonders England und Amerika.“