Andreas Schleicher (2013)

Andreas Schleicher (* 7. Juli 1964 in Hamburg) ist ein deutscher Statistiker und Bildungsforscher. Er ist bei der OECD Direktor des Direktorats für Bildung; zuvor leitete er in diesem Direktorat die Abteilung für Indikatoren und Analysen. Er ist einer breiteren Öffentlichkeit bekannt als Internationaler Koordinator des Programm for International Student Assessment (PISA-Studien).

Lebenslauf

Schleichers Grundschullehrer stufte ihn 1974 als „ungeeignet fürs Gymnasium“ ein. Sein Vater, ein Professor für Erziehungswissenschaften, sorgte dennoch für den Besuch einer höheren Schule des 10-Jährigen und schickte ihn auf die Waldorfschule in Hamburg-Wandsbek, die er nach eigenen Angaben mit einem Notendurchschnitt von 1,0 absolvierte.[1][2]

In seinem letzten Schuljahr nahm er 1984 mit einer Spracherkennungs-Software an Jugend forscht teil und erhielt dafür einen Sonderpreis. Schleicher bezeichnete diese Erfahrungen als prägend.[1]

Er studierte Physik mit Schwerpunkt „Methoden“[1] in Hamburg und absolvierte einen Aufbaustudiengang für Mathematik an der Deakin University, den er 1992 mit dem Master of Science abschloss. Dort arbeitete er auch an der TIMSS-Studie mit. Er lernte in Hamburg das Rüstzeug für die Vergleichende Pädagogik bei Torsten Husen, John Keeves und vor allem Neville Postlethwaite.

Vortrag von Andreas Schleicher auf der re:publica 2013: „21st Century Skills“

Von 1993 bis 1994 arbeitete er für die International Association for the Evaluation of Educational Achievement am Institut für Bildungsforschung in den Niederlanden. 1994 wechselte er als Projektmanager an das Centre for Educational Research and Innovation (CERI) der OECD nach Paris. Ab 1995 konzipierte er dort die PISA-Studien. 1997 stieg er zum stellvertretenden Leiter der Abteilung für Bildungsstatistiken und Indikatoren (Indicators and Analysis Division, Directorate for Education) auf. 2001 stellte er die in Deutschland viel beachtete erste PISA-Studie vor. Seit 2002 trägt er die Verantwortung für das PISA-Programm und ist an zahlreichen weiteren Bildungsprojekten beteiligt. Schleicher koordinierte in dieser Funktion auch die 2013 erschienene PIAAC-Studie.[3]

Schleicher ist verheiratet und hat drei Kinder. Seine Ehefrau Maria Teresa Siniscalco ist ebenfalls Bildungsforscherin.[1] Sie war unter anderem technische Leiterin von PISA 2003 in Italien.

Kritik an Bildungsmythen

Im Buch Weltklasse: Schule für das 21. Jahrhundert (2019) zog er Bilanz, was er für den zentralen Ertrag seiner Forschungen hält. Dabei zeigt er, dass einige Bildungsmythen entlarvt werden können:[4]

Kritik am deutschen Bildungssystem

Schleicher gilt als scharfer Kritiker des deutschen Bildungssystems. Seine Kritikpunkte umfassen dabei u. a. die frühe Selektion von Schülern bei hoher Homogenität und geringer Durchlässigkeit zwischen den Schularten in höheren Klassenstufen. Auch kritisierte er wiederholt die gering ausgeprägte Fähigkeit zum Wissenstransfer und den Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg. Die deutschen Reformbemühungen bezeichnete er zudem wiederholt als zu langsam und unzureichend.

Kritik an Schleicher

Deutschland

Auch an Schleicher selbst wird harte Kritik geübt. Man wirft ihm vor, in seinen Analysen einseitig und vereinfachend vorzugehen, ohne auf die Eigenheiten des deutschen Bildungssystems einzugehen. Bayerns Kultusminister Siegfried Schneider (CSU) warf Schleicher u. a. vor, bei seiner „gebetsmühlenhaft wiederholten und einseitigen Forderung“ nach mehr Abiturienten und Hochschulabsolventen den Stellenwert der beruflichen Bildung in Deutschland vollkommen zu ignorieren, obwohl in Deutschland im OECD-Vergleich eine weit über dem Durchschnitt liegende Zahl der 25 bis 64-Jährigen über einen Abschluss im Sekundarbereich II verfüge. Hierbei erwog man sogar, aus der OECD auszutreten, sollte Schleicher nicht zurücktreten.

Nach dem vorzeitigen Bekanntwerden der Ergebnisse der 2. PISA-Studie im November 2007 erhoben abermals Kultusminister der CDU/CSU-regierten deutschen Bundesländer Forderungen nach einem Rücktritt Schleichers. Dieser habe sich bei der Kommentierung des Abschneidens der deutschen Schüler nicht an die Sperrfrist gehalten. Die OECD stellte sich daraufhin demonstrativ hinter den Bildungsforscher. Schleicher hatte in Interviews eine Verbesserung Deutschlands mit Hinweis auf die Nichtvergleichbarkeit der beiden PISA-Studien bestritten.

Wolfram Meyerhöfer sagt: „Standardisierte Tests entprofessionalisieren die Lehrerschaft. Sie müssen die Schüler auf die Tests hin trimmen, statt mit ihnen das Spannungsfeld der Bildung von Autonomie auszuloten […] Ich möchte, dass der Job von Herrn Schleicher abgeschafft wird, da bitte ich ihn doch nicht per Brief, Pisa bildungsnäher zu gestalten. Diese Tests gehören abgeschafft.“[5]

USA

Im Mai 2014 verfassten zwei amerikanische Professoren einen offenen Brief an Andreas Schleicher,[6] der von mehr als 130 Menschen erstunterzeichnet wurde.[7] Darin wird unter anderem die Fokussierung auf die Arbeitsmarktbefähigung von Schülern kritisiert, hinter welcher andere wesentliche Ziele der schulischen Bildung zurückbleiben würden. Daneben kritisierte man unter anderem die Testfrequenz, die ständige Beurteilung von Schulen in Form verschiedener Rangfolgen sowie die mangelnde Belastbarkeit der PISA-Tests.[7] Die Gesellschaft für Bildung und Wissen fertigte eine autorisierte Übersetzung des Briefes an, die wie das Original als Petition ausliegt.[8]

Ehrungen und Auszeichnungen

Für seine Master-Arbeit erhielt Schleicher 1993 den Bruce-Choppin-Preis. Es folgten weitere Auszeichnungen. Im April 2003 erhielt er vor dem Hintergrund der breiten Diskussion über die PISA-Studie den Theodor-Heuss-Preis für „beispielhaftes demokratisches Engagement“.

2006 ernannte ihn die Universität Heidelberg zum Honorarprofessor an der Fakultät für Verhaltens- und Empirische Kulturwissenschaften.[9]

Einzelnachweise

  1. a b c d Afanasia Zwick: „Mr. PISA“ Andreas Schleicher: „Jugend forscht hat bei mir sehr viel bewirkt“. In: Deutschlandfunk-Sendung „Campus & Karriere“. 19. Mai 2015, abgerufen am 21. September 2018.
  2. Per Hinrichs, Julia Koch: „Das System ist gescheitert“. (PDF) In: spiegel.de. 2004, abgerufen am 27. April 2020.
  3. Thomas Kerstan: Wie schlau sind die Deutschen?: Üben, üben, üben. In: Die Zeit. Nr. 42, 10. Oktober 2013, S. 71 f. (online [abgerufen am 21. September 2018]).
  4. Weltklasse: Schule für das 21. Jahrhundert gestalten. 2019, S. 45–70, abgerufen am 18. Dezember 2021.
  5. Jenni Roth: Miese Noten für den Pisa-Test. In: Neue Zürcher Zeitung. 22. Juni 2015, abgerufen am 21. September 2018 (Interview mit Wolfram Meyerhöfer).
  6. Open Letter to Andreas Schleicher, OECD, Paris.
  7. a b Jürgen Kaube: Vom Unsinn ewiger Bildungsreformen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. Nr. 109, 12. Mai 2014, ISSN 0174-4909, S. 11 (ähnliche Version online).
  8. Offener Brief an Andreas Schleicher, OECD, Paris.
  9. Ingeborg Salomon: „Bildungssysteme sind träge Tanker“: Andreas Schleicher, Koordinator der Pisa-Studien, gab seinen Einstand als Honorarprofessor an der Universität Heidelberg. Pressemitteilung der Universität Heidelberg, 1. Juni 2006, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 12. Februar 2013; (Überblick über seine Standpunkte).