Ausschnitt eines typischen Bewertungsmusters
Gesamtansicht des Bewertungsbogens

Ein Assessment-Center (AC) (engl. assessment „Beurteilung“) ist eine Methode zur Einschätzung von Personen vor allem in den Bereichen der Personalauswahl und Personalentwicklung. Neben Ergebnissen von Arbeitssimulationen oder anderen Übungen (Rollenspiele, Gruppendiskussionen, Konzeptionsübungen u. a.) und deren Bewertung durch geschulte Beobachter („Assessoren“) können Leistungstests oder Persönlichkeitstests zur Einschätzung von Personen verwendet werden.[1]

Funktion

Wie alle personellen Auswahlverfahren hat auch das AC zwei Funktionen:

Geschichte

In einigen Schriften finden sich Vorstufen von AC in den chinesischen Auswahlverfahren öffentlicher Bediensteter, die mittels „Testbatterien“ ausgewählt wurden. Dabei handelte es sich noch nicht um psychologische Verfahren, einzig die Standardisierung der Übungen stellt die Nähe zum Auswahlverfahren Assessment-Center dar.

AC gehen auf Tests zurück, denen die deutsche Reichswehr nach dem Ersten Weltkrieg Offizieranwärter unterzog. 1920 gründete die Universität Berlin ein psychologisches Forschungszentrum im Auftrag des Reichswehrministeriums. Johann Baptist Rieffert, Leiter des Instituts, entwickelte das AC-Verfahren. Sein Ansatz lag auf der ganzheitlichen Betrachtung des Kandidaten. Später wurden dann erstmals psychologische Testverfahren eingesetzt, um Offiziere, Flugzeugführer, Kraftfahrer und Funker auszuwählen. Ab 1927 durfte kein Offizier der Reichswehr ernannt werden, der nicht zuvor erfolgreich das heerespsychologische Auswahlverfahren durchlaufen hatte. Damals gab es erstmals „führerlose Gruppendiskussionen“. Ziel war es, die Auswahl von Offizieren von der sozialen Herkunft und dem Status der Teilnehmer zu lösen sowie die Persönlichkeit der Bewerber umfassender zu ergründen. Diese Neuerungen bei den diagnostischen Verfahren zur Personalauswahl sollten die Diagnose der Gesamtpersönlichkeit ermöglichen und somit die Chancengleichheit und Gerechtigkeit bei der Auswahl gewährleisten. Dabei wird noch nicht berücksichtigt, dass diese Verfahren nicht die Gesamtpersönlichkeit abbilden können, sondern sich nur situationsbedingt betrachten lassen.

Während des nationalsozialistischen Regimes veränderte Hermann Göring die psychologische Auswahl von Offizieren und ersetzte sie durch eine intensive Prüfung der parteipolitischen Gesinnung und nationalsozialistischen Vorstellungen über Abstammung.

Im Zweiten Weltkrieg wurde das AC-Prinzip in Großbritannien unter dem Einfluss von William C. Byham ebenfalls zur Auswahl von Offizieren und von Douglas Bray in der AT&T zur Beobachtung von Nachwuchskräften benutzt. So lief bei AT&T von 1956 bis 1966 eine Studie (Management Progress Study) an über 400 Nachwuchsführungskräften auf hohem wissenschaftlichen Niveau. Der Erfolg dieser Studie forcierte in den 1960er und 1970er Jahren eine weite Verbreitung des Verfahrens sowohl in den USA (hier vorwiegend zur Auswahl von Agenten) als auch in Europa.[2]

Einsatz

AC laufen ein- oder mehrtägig und sind daher kosten- und zeitaufwendig. AC können für sehr unterschiedliche Stellenbesetzungen verwendet werden. Dazu gehören Führungspositionen, aber auch Traineeprogramme und Volontariate, vor allem in großen Unternehmen.

Einer Einladung zur Teilnahme an einem Assessment-Center geht nicht immer eine Bewerbung auf eine Arbeitsstelle voraus. Möglich sind auch unternehmensinterne ACs, beispielsweise im Rahmen einer Potenzialanalyse, die der Auswahl eines Pools geeigneter Kandidaten für Führungsaufgaben dienen (Development Center).

Variationen

Variationen bzw. Weiterentwicklungen,[2] die sich im Wesentlichen der Assessment-Center-Methode bedienen, sind:

Weitere Bezeichnungen, unter denen sich ACs in der Praxis der Personalentwicklung finden, sind: Personalentwicklungs-/Entwicklungsseminar, Auswahlseminar, Offizierbewerber-Prüf-Zentrale, Förderseminar, Standortbestimmungsseminar, Development-Center, Potenzialanalyse-Seminar, erweiterte psychologische Untersuchung. (Häufig liegt der Grund für die Wahl eines alternativen Namens darin, dass mit der Einladung zu einem AC bei den Teilnehmern Ängste hervorgerufen werden, die auf diese Weise verhindert werden sollen.)

Methoden

Die natürliche Reaktion eines Menschen auf starken Stress ist Flucht oder Angriff.[5] Genau diesem starken Stress wird jeder Prüfling ausgesetzt. Der Stress (Flucht- oder Angriffsinstinkt) wird kombiniert mit diversen Leistungstests und gruppendynamischen Aufgaben. Mit anderen Worten: Der Prüfling soll in einer extremen Situation getestet werden.

Wesentliche Methoden von Assessment-Centern sind:

Fast alle Bestandteile des AC sind unter Zeitvorgaben zu erfüllen, dabei sind insbesondere die Leistungstests so konzipiert, dass kaum alle Aufgaben erfüllt werden können.

Qualitätskriterien

Der Verein Arbeitskreis Assessment-Center hat neun Qualitätskriterien bestimmt:[6][7]

Stärken und Schwächen

Stärken

AC dienen der eignungspsychologischen Analyse eines Probanden. Je nach Charakter und Persönlichkeit einer Person werden Fähigkeiten und Fertigkeiten unterschiedlich zur Problemlösung eingesetzt. Diese sehr individuellen Problemlösungen werden durch die AC individuell bewertet.

Bezeichnend für ein AC ist, dass die zu beurteilenden Personen nicht nur in einer Situation (z. B. das „klassische Bewerber-Interview“), sondern in mehreren Situationen (Verhaltenssimulationen, Arbeitsproben) über einen längeren Zeitraum beobachtet und bewertet werden können. Insbesondere können durch geschulte Beobachter die zwischenmenschlichen Kommunikationsfähigkeiten und Führungsqualitäten festgestellt werden, die sich nicht mit gleicher Sicherheit aus Arbeitszeugnissen ableiten lassen.

Wichtig ist, dass im AC zwischen bereits vorhandenen Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kompetenzen etc. und noch nicht entwickelten, jedoch grundsätzlich entwickelbaren Fähigkeiten etc. (siehe Potenziale) unterschieden wird.

Schwächen

Interessenskonflikte im Assessment-Center

Kritiker bestreiten die Tauglichkeit der Messungen[8] bzw. die Wirksamkeit von ACn.[9] Demnach sind Manipulationsmöglichkeiten und Interessenskonflikte die stärksten Indikatoren für den mangelnden Nutzen. Zudem wird die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf die tatsächlichen Anforderungen angezweifelt.

Kritisiert wird auch die starke Konzentration auf die Persönlichkeit des Teilnehmers. Bislang ist der Organisationspsychologie der Nachweis nicht gelungen, dass Menschen mit bestimmten Eigenschaften besonders erfolgreich führen können. Dies wird damit begründet, dass gewisse Eigenschaften, wie etwa Intelligenz, von Menschen ganz unterschiedlich in Verhalten umgesetzt werden. Dennoch scheint in der Praxis die Vorstellung vom „großen charismatischen Führer“ verlockend zu sein.[10]

Manipulationsmöglichkeit

Insbesondere bei der Anwendung von Persönlichkeitstests für die Auswahl von Mitarbeitern besteht das Problem der Manipulierbarkeit der Ergebnisse durch den Probanden: Die Fragen lassen fast immer erkennen, auf welche Charaktereigenschaften ihre Beantwortung schließen lässt und welche davon für die (Führungs-)Position positiv bewertet werden.

Selbst wenn durch geschickte Kontrollfragen versucht wird, die Kohärenz (innere Stimmigkeit) des Antwortverhaltens zu gewährleisten, bleibt das Problem bestehen. Allein die Tatsache, dass der Proband glaubt, er könne das Testergebnis in seinem Sinne manipulieren, führt zu einer Verfälschung der Ergebnisse. Studien haben belegt, dass Testprobanden, die aufgefordert wurden, Ergebnisse zu manipulieren, dazu auch in der Lage waren.[11]

Dagegen wird angeführt, dass sich der Mensch in unterschiedlichen Rollen angepasst verhalten kann. Die Fähigkeit, die Notwendigkeit zur Anpassung zu erkennen und sich dann entsprechend zu verhalten (oder das Antwortverhalten zu zeigen), kann ebenfalls als Testergebnis gewertet werden. In einigen Tests wird daher über eine „Konsistenzkennziffer“ und die Aufzeichnung des Antwortverhaltens eine Interpretation des Testergebnisses auch auf dieser Ebene ermöglicht. Allerdings überschreitet diese Ebene der Beurteilung bei weitem das Niveau der meisten AC.

Interessenkonflikte

Die Möglichkeit der Manipulation[11] und ein hoher ökonomischer Druck sind ideale Voraussetzungen zur Verfälschung der Ergebnisse. AC stellen ein sehr teures Auswahlverfahren dar. Um die Kosten gegenüber dem Unternehmen zu rechtfertigen, sollen AC hochwertige Ergebnisse liefern. Die vom Verein „Arbeitskreis Assessment-Center“ erarbeiteten neun Qualitätskriterien dienen dazu, die zahlreichen Möglichkeiten der Ergebnisverfälschung zu minimieren, ganz verhindern kann man Fälschungen jedoch nicht.

International

In den USA sind AC in der Form, wie es sie in Deutschland gibt, außerhalb des Militärs eher unbekannt. Wichtigstes Auswahlinstrument in den USA ist stattdessen die verhaltensbasierte Befragung (behavioral interview).

Als Beispiel kann das Energieunternehmen Duke Power genannt werden, weil es Absolventen der High-School auf der Basis der Note und eines kognitiven Tests einstellte. Das Gericht verurteilte das Unternehmen mit der Begründung, dass weiße Personen dreimal so häufig einen High-School-Abschluss haben wie schwarze, – das stelle eine unzulässige Benachteiligung letzterer dar.

In Europa sind AC besonders in deutsch- und englischsprachigen Gebieten verbreitet.

In Asien sind AC auch eine Methode der Mitarbeiterbeurteilung, allerdings mit anderen Schwerpunkten. Die Gruppenorientierung, beispielsweise in Japan, wird als große Stärke jedes Unternehmens angesehen. Demzufolge wird „Assessment“ entweder oft als reine Bewertung (das Ausfüllen eines Formulars) oder als Gruppentraining (die ganze Abteilung macht den gleichen AC-Test) verstanden.

Literatur

Einzelnachweise

  1. Assessment-Center in DORSCH Lexikon der Psychologie
  2. a b Werner Sarges (Hrsg.): Weiterentwicklungen der Assessment Center-Methode. 2. Auflage. Hogrefe, Hogrefe, 2001, ISBN 3-8017-1447-0 Artikel zum Herunterladen (PDF-Datei; 537 kB)
  3. Udo Konradt, Werner Sarges: E-Recruitment und E-Assessment. Hogrefe, Göttingen 2003, ISBN 3-8017-1652-X.
  4. Merkle, K., Thielsch, M. T. & Holtmeier, S. (2009). IT meets HR: Computergestützte Personalauswahl – zwischen Psychometrie und User Experience. In T. Brandenburg & M. T. Thielsch (Hrsg.), Praxis der Wirtschaftspsychologie: Themen und Fallbeispiele für Studium und Praxis (S. 155–173). Münster: Monsenstein und Vannerdat. PDF-Datei
  5. Elliot Aronson, Robin M. Akert, Elliot Aronson, Timothy Wilson, Timothy Wilson, Robin M. Akert: Sozialpsychologie. Veröffentlicht von Pearson Education Deutschland, 2006, ISBN 3-8273-7276-3.
  6. Arbeitskreis Assessment-Center e. V.
  7. Arbeitskreis Assessment-Center (Schweiz) (Memento des Originals vom 22. Februar 2011 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.akac.ch
  8. Werner Sarges (2009): Warum Assessment Center häufig zu kurz greifen und zudem meist das Falsche zu messen versuchen. Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie, 53, 79–82. Artikel zum Herunterladen (PDF; 137 kB)
  9. vgl. Kompa 2004
  10. Alfred Kieser, Mark Ebers (Hrsg.): Organisationstheorien. 6. Auflage. Kohlhammer, Stuttgart 2006, ISBN 3-17-019281-7.
  11. a b Viswesvaran und Ones, 1999; Martin, Bowen und Hunt, 2002.