Deckblatt der ersten Ausgabe (1886)

Bilder einer Ausstellung (russisch „Картинки с выставки“ – Воспоминание о Викторе Гартмане, transkribiert Kartinki s wystawki – wospominanije o Wiktore Gartmane) ist ein Klavierzyklus von Modest Mussorgski aus dem Jahre 1874, der als ein Musterbeispiel für Programmmusik gesehen wird.

Die einzelnen Sätze beschreiben Gemälde und Zeichnungen seines im Jahr zuvor gestorbenen Freundes Viktor Hartmann, die Mussorgski auf einer Gedächtnisausstellung gesehen hatte. Das Werk entstand auf Anregung eines gemeinsamen Freundes, des Kunstkritikers Wladimir Stassow. Er war auch an der Namensgebung der Stücke beteiligt und ihm wurde der Zyklus gewidmet.

Der Reichtum der Klangfarben regte schon früh andere Komponisten an, das Werk auch für Orchester und andere Instrumentalbesetzungen zu bearbeiten. Die bekannteste Bearbeitung ist die von Maurice Ravel.

Sätze

Die folgende Tabelle zeigt zehn Bilder.

In der linken Spalte sind die Originaltitel notiert, daneben steht der deutsche Titel bzw. die direkte Übersetzung. In der rechten Spalte finden sich alternative Bezeichnungen der Sätze.

Satz I–III
Satz IV–VI
Satz VII–X
Originaltitel deutsche Übersetzung Alternativtitel (Anmerkungen)
Promenade
I. Gnomus Der Gnom
(Promenade) (im Original steht kein Titel)
II. Il vecchio castello Das alte Schloss
(Promenade) (im Original steht kein Titel)
III. Tuileries
(Dispute d'enfants après jeux)
Die Tuilerien
(Spielende Kinder im Streit)
IV. Bydło Der Ochsenkarren
(Promenade) (im Original steht kein Titel)
V. Балет невылупившихся
птенцов
Ballett der unausgeschlüpften
Küken
Ballett der Küchlein
in ihren Eierschalen
VI. „Samuel“ Goldenberg
und „Schmuÿle“
„Samuel“ Goldenberg
und „Schmuyle“
Promenade (entfällt in Ravels Fassung)
VII. Limoges. Le marché
(La grande nouvelle)
Limoges. Der Marktplatz
(Die große Neuigkeit)
Der Marktplatz von Limoges
VIII. Catacombae
(Sepulcrum romanum)
Die Katakomben
(Römische Gruft)
Cum mortuis in lingua mortua Mit den Toten in einer toten Sprache (eine Version der Promenade)
IX. Избушка на курьих ножках
(Баба-Яга)
Die Hütte auf Hühnerfüßen
(Baba-Jaga)
Die Hütte der Baba-Jaga
X. Богатырские ворота
(В стольном городе во Киеве)
Das Heldentor
(in der alten Hauptstadt Kiew)
Das große Tor von Kiew

Inhaltliche Erläuterung

Das Werk vermittelt den Eindruck eines Rundgangs durch eine Ausstellung von Werken Hartmanns.

Vor dem Teil Con mortuis in lingua mortua steht im Autograph folgende Notiz Mussorgskis: „Der lateinische Text lautet: mit den Toten in einer toten Sprache. Was besagt schon der lateinische Text? – Der schöpferische Geist des verstorbenen Hartmann führt mich zu den Schädeln und ruft sie an; die Schädel leuchten sanft auf.“ In der Musik scheint Mussorgski selbst die Schädel anzurufen: Vor dem Hintergrund eines schimmernden Tremolos im Diskant erklingt eine Mollvariante des Promenadenthemas abwechselnd in der Mittellage (Anrufung) und in düsterer Bassregion (Antwort aus dem Totenreich). Mit mystisch anmutenden Akkorden verklingt das Stück, eingetaucht in das allgegenwärtige Tremolo, das am Ende allein übrig bleibt und dessen immer leiseres Verklingen – wenn es ohne Löcher und dynamische Ausreißer geschehen soll – ebenfalls zu den pianistischen Problemen zählt, mit denen der gesamte Zyklus reichlich gespickt ist.
Von Viktor Hartmann stammender, nicht ausgeführter architektonischer Entwurf für ein Kiewer Stadttor mit Glockenturm und einer kleinen Kirche im Innern aus dem Jahre 1869, der den Satz „Das Heldentor (in der alten Hauptstadt Kiew)“ in Modest Mussorgskis Klavierzyklus Bilder einer Ausstellung inspirierte.

Das Verhältnis zu den Bildvorlagen

Ausschlag für Mussorgskis Komposition gab die Gedächtnisausstellung für Viktor Hartmann, die im Februar und März 1874 in der Akademie der Künste in St. Petersburg stattfand. Ob zu allen Sätzen tatsächlich jemals Bildvorlagen existierten oder ob einige der Bilder vielleicht direkt Mussorgskis Phantasie entsprungen sind, ist nicht zuletzt angesichts der schwierigen Quellenlage um Viktor Hartmanns Bilder, von denen viele verschollen sind, nur schwer zu klären. Wassily Kandinsky jedenfalls vertrat die Ansicht, die Musik beschreibe keineswegs „die gemalten Bildchen“.[1] Zu der verbindenden Promenade gibt es keine Bildvorlage; hier charakterisiert Mussorgski einfach das Flanieren in der Ausstellung in wechselnden Stimmungen, in denen das jeweils vorherige Motiv nachwirkt oder das aufkommende seine Schatten vorauswirft.

Nicht zu allen Sätzen der „Bilder einer Ausstellung“ sind auch korrespondierende Bilder Hartmanns erhalten. Nur drei der von Mussorgski vertonten Bilder sind überhaupt in der Ausstellung von 1874 nachzuweisen: das Ballett der unausgeschlüpften Küken (ein Kostümentwurf zu dem Ballett Trilbi des Komponisten Julius Gerber und des Choreographen Marius Petipa), Die Hütte auf Hühnerfüßen (Baba-Jaga) (eine Entwurfszeichnung für eine Bronzeuhr) und Das große Tor von Kiew (ein nicht ausgeführter architektonischer Entwurf). Da die Ausstellung allerdings auch noch nach deren Beginn durch Leihgaben erweitert wurde, ist deren endgültiger Umfang im Nachhinein nicht mehr genau zu ermitteln.

Als Vorlage zu „Samuel Goldenberg“ und „Schmuÿle“ lassen sich zwei getrennte Bleistiftzeichnungen zweier Juden identifizieren, die sich in Mussorgskis Privatbesitz befanden und verschollen sind, von denen aber jeweils eine Variante als Aquarell erhalten geblieben ist. Ferner existiert noch ein Bild Hartmanns Katakomben von Paris. Ob dieses tatsächlich als Vorlage zu dem Satz Catacombae (sepulc[h]rum romanum) diente, bleibt spekulativ. Ein römisches Grabmal, wie im Titel angegeben, ist auf dem Bild Hartmanns nicht dargestellt.

Galerie

Einspielungen der Manuskriptfassung

Lars David Kellner veröffentlichte 2010 auf seiner Mussorgsky-CD das Stück „Gnomus“ in der Manuskript-Fassung des Komponisten[2] (Ersteinspielung).

2014 veröffentlichte der russische Pianist Andrej Hoteev eine neue CD-Einspielung von „Bilder einer Ausstellung“ nach Originalmanuskripten aus der Russischen Nationalbibliothek St. Petersburg, die laut seiner Forschung zahlreiche wesentliche Abweichungen zu anderen Notenausgaben enthält.[3][4] Im CD-Beiheft sind die wichtigsten Abweichungen anhand von Abbildungen aus den Manuskripten nachvollziehbar dokumentiert.[5] Die Presse schildert den Eindruck der expressiven Kraft, der Dynamik, des Farbenreichtums und der Intensität des Originals.[6]

Bearbeitungen

Es wird vielfach bemerkt, dass dieser Klavierzyklus geradezu nach einer Orchesterfassung verlange, entsprechend vielfältig sind die Versionen. In der Folge blieben auch andere Bearbeitungen nicht aus.

Bereits Nikolai Rimski-Korsakow, ebenfalls Mitglied der „Gruppe der Fünf“, instrumentierte zwei Sätze des Werks. Dieser Umstand gab immer wieder Anlass zu Spekulationen, inwieweit auch Mussorgski selbst über eine orchestrale Fassung nachgedacht haben könnte. Es ist aber nicht einmal belegt, dass sich Rimski-Korsakow Mussorgski dazu mitgeteilt hat. 1891 veröffentlichte der Rimski-Korsakow-Schüler Michail Tuschmalow die früheste Instrumentation, enthält jedoch nur eine Satzauswahl von sieben Bildern.

1922 bearbeitete Maurice Ravel im Auftrag von Sergei Kussewizki, Dirigent des Pariser „Concerts Symphoniques“, das Werk für Orchester. Er ließ die fünfte Promenade weg. Mit dieser bekanntesten Fassung fand das Werk weltweit Beachtung.

Einspielungen der Orchesterfassungen (Auswahl)

Besetzung der Orchesterfassung von Maurice Ravel

Literatur

Einzelnachweise

  1. Wolfgang Schreiber: Vor 100 Jahren uraufgeführt. Als Ravel Mussorgskis „Bilder einer Ausstellung“ orchestrierte. In: Kalenderblatt (Rundfunksendung auf DLF). 19. Oktober 2022, abgerufen am 19. Oktober 2022.
  2. Pressestimmen lars david kellner. 11. Dezember 2019, archiviert vom Original am 11. Dezember 2019; abgerufen am 7. Dezember 2021.
  3. Remy Franck: Mussorgsky nach den Originalmanuskripten. Pizzikato, 24. September 2014
  4. Edel (Memento vom 6. Dezember 2014 im Internet Archive)
  5. Dorothea Bossert:Diese CD hat Folgen (Memento vom 10. Dezember 2014 im Internet Archive). SWR2, 16. September 2014
  6. Gregor Willmes: Urtext-Bilder (Memento vom 9. Dezember 2014 im Internet Archive), FonoForum. November 2014