Das Herrenhaus (englisch The mansion) von Bletchley Park war die Zentrale der britischen Codeknacker und ist heute ein Museum (2017)

Bletchley Park (Abkürzung B.P.)[1] ist ein Landsitz in der englischen Stadt Bletchley in der Grafschaft Buckinghamshire und liegt etwa 70 km nordwestlich von London. B.P. war die zentrale militärische Dienststelle, die sich im Zweiten Weltkrieg erfolgreich mit der Entzifferung des deutschen Nachrichtenverkehrs befasste. Heute befindet sich dort das Nationale Computer-Museum Großbritanniens.

Government Code and Cypher School

Über die Antenne der ehemals hochgeheimen und heute weltberühmten Station X wurden verschlüsselte deutsche Funksprüche abgefangen.
Die legendäre Hut 6 (deutsch Baracke 6, Foto 2004) in Bletchley Park, in der unter der Leitung von Gordon Welchman an der Entzifferung der deutschen Enigma gearbeitet wurde

Die Government Code and Cypher School (G.C. & C.S.) (deutsch etwa „Staatliche Code- und Chiffrenschule“; auch genannt Station X nach der hier befindlichen zentralen Funkabhörstelle des britischen Y service) zog 1939 ins Herrenhaus von Bletchley Park ein. Hier erhielten britische Kryptoanalytiker (englisch codebreakers) die Aufgabe, den geheimen Nachrichtenverkehr der deutschen Wehrmacht zu entziffern. Dazu waren deutsche Verschlüsselungsmethoden zu brechen, wie die Schlüsselmaschine Enigma, der Siemens-Geheimschreiber T 52 und die Lorenz-Schlüsselmaschine.

Gründe für die Auswahl des Standortes waren:

Bis 1973 blieben alle Aktivitäten in und um B.P. als Verschlusssache mit dem Geheimhaltungsgrad Top Secret ein streng geschütztes militärisches Geheimnis der Briten (Britain’s best kept secret, deutsch: „Britanniens bestgehütetes Geheimnis“).[2] Erst danach wurden die kriegswichtigen Aktivitäten und Erfolge von B.P. öffentlich bekannt.

Die ersten Mitarbeiter der G.C. & C.S., wie Alastair Denniston und Dillwyn Knox, waren Veteranen aus der Kryptologie-Abteilung der Admiralität, dem legendären Room 40. Dazu kamen um 1939 hervorragende Mathematiker, wie Alan Turing und Gordon Welchman, und auch Historiker, Sprachwissenschaftler und Schachmeister.

Die britischen Codebreakers bauten dabei auf Erkenntnissen auf, die polnische Codeknacker, wie Marian Rejewski, Jerzy Różycki und Henryk Zygalski, bereits seit Anfang der 1930er-Jahre im polnischen Biuro Szyfrów (deutsch: „Chiffrenbüro“) erarbeitet hatten. Ende Juli 1939, also kurz vor dem deutschen Überfall auf Polen, der den Zweiten Weltkrieg auslöste, trafen sich britische und französische Kryptoanalytiker zu einem Geheimtreffen im Kabaty-Wald von Pyry, nahe der polnischen Hauptstadt Warschau. Auf dieser Geheimkonferenz offenbarten die Polen ihren verblüfften Alliierten ihre bereits seit 1932 erfolgreich entwickelten Methodiken und Gerätschaften, mit denen es ihnen gelungen war, den von der deutschen Reichswehr und später von der Wehrmacht mithilfe der Rotor-Chiffriermaschine Enigma verschlüsselten Nachrichtenverkehr zu entziffern. Mit diesem Anschub konnten die britischen Codebreaker mit Ausbruch des Krieges einen erneuten Angriff auf die deutsche Maschine starten, der es ihnen in der Folge ermöglichte, die verschlüsselten deutschen Funksprüche nahezu kontinuierlich zu entziffern.

Im Jahr 1943 wurde in B.P. der Röhrencomputer Colossus, ein Vorläufer heutiger Computer, in Betrieb genommen. Er diente zum Entziffern des deutschen Fernschreibverkehrs, der mithilfe der Lorenz-Maschine (Schlüsselzusatz SZ42) verschlüsselt war, von den Briten Tunny (deutsch Thunfisch) genannt.

Der Bruch der deutschen Verschlüsselungen in B.P. ab Januar 1940 lieferte den Briten während der Luftschlacht um England wichtige Erkenntnisse über Stärke und Standorte deutscher Luftwaffenverbände. In Verbindung mit den Ortungen des Chain-Home-Radarsystems konnten der Royal Air Force wichtige Hinweise für den Einsatz der britischen Jagdgeschwader gegeben werden. Durch das Abhören des Funkverkehrs des Deutschen Afrikakorps konnten etliche Erfolge gegen die Nachschublinien im Mittelmeer erzielt werden; auch im Vorfeld deutscher Offensiven erwies sich das Abhören als effektiv. Auf deutscher Seite kam der Verdacht auf, der Schlüssel könnte geknackt worden sein.

Auch bei den Angriffen von U-Booten der Kriegsmarine auf alliierte Nachschubkonvois in der Atlantikschlacht konnte B.P. mit einer Zeitverzögerung von zunächst etwa vier Tagen und später in der Regel weniger als einem Tag den mit der Enigma-M4 verschlüsselten Funkverkehr von und zu den deutschen U-Booten mitlesen. Dadurch erhielt die alliierte Marineführung die Möglichkeit, Geleitzüge um die deutschen U-Boot-Rudel herumzuführen und die eigene U-Boot-Abwehr zu verbessern. Geleitflugzeugträger, Langstreckenflugzeuge und mit Sensoren und Radar zur U-Boot-Jagd ausgerüstete Schiffe wurden an die Aufstellungsräume der U-Boote herangeführt.

Durch das langfristig aufgebaute Täuschungsmanöver (Operation Fortitude), bei dem Bletchley Park die entzifferten Erwartungen des Oberbefehlshabers West und der Abwehr in deren Funkverkehr mit Berlin nutzte, täuschte die alliierte Seite über den Beginn der Landung in der Normandie hinaus eine fiktive, viele Divisionen starke, nahe dem Kanal stationierte 1st US-Army-Group vor, die bei Invasionsbeginn die deutsche Panzerreserve und viele andere militärische Kräfte in Nordwestfrankreich und Belgien band, weil die deutsche Seite mit einer zweiten, noch größeren alliierten Landung bei Calais rechnete.

Trotz aller britischen Vorsichtsmaßnahmen hatte die Sowjetunion in Bletchley Park einen Agenten namens John Cairncross platziert.

Allerdings gaben auch die Briten selbst wichtige Informationen aus dem deutschen Nachrichtenverkehr, die sie in Bletchley Park entziffert hatten, an Stalin weiter, wenn sie die Ostfront betrafen. Da sie selbst ihrem Verbündeten gegenüber keineswegs die Quelle offenbaren wollten, spielten sie die Informationen zunächst dem schweizerischen Nachrichtendienst zu, der die Erkenntnisse an Rudolf Rößler (Deckname Lucie) weitergab. Dieser leitete die Informationen, die er angeblich von einem Informanten mit dem Decknamen Werther erhalten haben wollte, über die Rote Drei nach Moskau weiter. Da die Informationen sich immer wieder als zutreffend erwiesen, vertraute man ihnen in Moskau bald uneingeschränkt. So erlangten die Sowjets Erkenntnisse über deutsche Angriffspläne, die ihnen dabei halfen, die größte Panzerschlacht im Zweiten Weltkrieg (Unternehmen Zitadelle) zu gewinnen.

Organigramm

Informationsfluss durch die Abteilungen: Vom durch den Y-Dienst abgefangenen Funkspruch über die Entzifferung bis zur nachrichtendienstlichen Auswertung
Die Hut 1 (Foto 2006) wurde als erste Baracke bereits im Jahr 1939 errichtet
In Hut 3 (Foto 2009) wurden die durch Hut 6 entzifferten Nachrichten ausgewertet
Anzahl der täglich von Hut 3 ausgewerteten Funksprüche.

Die Government Code and Cypher School (GC&CS) war auf dem Höhepunkt des Krieges 1942 in verschiedene Huts („Baracken“) gegliedert. Der englische Begriff spiegelt den provisorischen Charakter der kleinen Holzgebäude wider, in denen die Codeknacker abteilungsweise untergebracht waren. Die Bezeichnung Hut für die einzelnen Abteilungen wurden später größtenteils auch nach dem Umzug in solidere Steingebäude beibehalten.

In Hut 4 (Foto 2005) wurden die Entzifferungen aus Hut 8 militärisch-taktisch ausgewertet. Heute befindet sich dort das Restaurant des Bletchley-Park-Museums.

Außer den hölzernen Huts wurden später einige Backsteingebäude errichtet, die als Blocks bezeichnet wurden:

Frauen in Bletchley Park

Aufgrund des hohen Personalbedarfs wurden ab 1939/40 vermehrt Frauen angeworben, bis diese schließlich 75 % der Mitarbeiter ausmachten. Viele der Frauen führten nur Hilfstätigkeiten aus, einige arbeiteten jedoch auch als Codebrecherinnen an der Entzifferung von verschlüsselten Nachrichten.

Filmische Rezeption

Die Situation und Atmosphäre in Bletchley Park sind wesentliche Bestandteile des Romans Enigma von Robert Harris von 1995 und des darauf aufbauenden Spielfilms Enigma – Das Geheimnis von 2001.

Der Film The Imitation Game – Ein streng geheimes Leben aus dem Jahr 2014 spielt zu großen Teilen in Bletchley Park, wurde aber im etwa zehn Kilometer entfernten Chicheley Hall gedreht.

Auch die zwischen 2012 und 2014 von ITV ausgestrahlte Krimiserie The Bletchley Circle spielt in den Jahren 1952 und 1953 in Bletchley Park. Die Protagonistinnen sind vier ehemalige Codebrecherinnen, die ihre Fähigkeiten zur Aufklärung von Verbrechen einsetzen.

Literatur

Fußnoten

  1. Gordon Welchman: The Hut Six Story – Breaking the Enigma Codes. Allen Lane, London 1982; Cleobury Mortimer M&M, Baldwin Shropshire 2000, S. 11, ISBN 0-947712-34-8.
  2. Ted Enever: Britain’s Best Kept Secret – Ultra’s Base at Bletchley Park. Sutton Publishing, 1994, ISBN 0-7509-2355-5.
  3. a b c d e f g Part I: Huts. In: History of Bletchley Park Huts & Blocks 1939–1945. Bletchley Park Trust. New Edition. Report No. 18. September 2009. S. 8–23.

Koordinaten: 51° 59′ 49″ N, 0° 44′ 31″ W