Frankreich wurde im Westfeldzug (Juni 1940) von der Wehrmacht militärisch besiegt und teilweise besetzt. Ab Juni 1944 (Landung in der Normandie) bzw. ab Mitte August 1944 (Landung an der Côte d’Azur) wurde es von Truppen der Westalliierten befreit.

In Frankreich lebten 1940 über 300.000 Juden, etwa zu gleichen Teilen in der besetzten und der unbesetzten Zone. Fast die Hälfte von ihnen hatte eine ausländische Staatsangehörigkeit (darunter Zehntausende von Flüchtlingen); gut die Hälfte waren französische Staatsbürger.[1]

Am 27. März 1942 startete der erste Zug mit jüdischen Deportierten vom KZ Royallieu bei Compiègne ins Vernichtungslager Auschwitz. Insgesamt wurden 75.721 Menschen mit 79 Zügen deportiert. Nur 2500 von ihnen konnten im Jahr 1945 befreit werden; die übrigen wurden umgebracht.

Die Verantwortung für die Deportationen und die Ermordung dieser Juden trägt primär das NS-Regime; es übte mittels der Besatzungsarmee in Frankreich Macht aus. Es gab auch in Frankreich überzeugte Antisemiten (siehe hier) bzw. Menschen, die aus verschiedensten Motiven an Deportationsmaßnahmen teilnahmen. Ein Teil der Verantwortung wird dem Vichy-Regime (offiziell: État français, mit dem Regierungschef Pierre Laval und dem Präsidenten Philippe Pétain) zugesprochen. Die Kollaboration mit dem Deutschen Reich war jahrzehntelang ein Tabu der französischen Geschichte; dies stand einer Vergangenheitsbewältigung im Wege. Vielen Deutschen waren bzw. sind die Deportationen aus Frankreich und anderen besetzten Gebieten unbekannt. Frankreich war in einem Blitzkrieg besiegt worden; die Besatzungszeit wird kaum mit Kriegsverbrechen oder dem Wort Holocaust in Verbindung gebracht.

Hauptartikel: Vichy-Regime #Antijüdische Politik

Zwei Phasen der Verfolgung von Juden in Frankreich

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Man kann zwei Phasen der Verfolgung von Juden in Frankreich während des Zweiten Weltkriegs unterscheiden: Im Oktober 1940 wurden Juden französischer Staatsangehörigkeit aus dem öffentlichen Dienst gedrängt und andere Berufstätigkeiten eingeschränkt. Im Juni 1942 begann die Massendeportation von Juden nach Auschwitz.

Nach der Niederlage Frankreichs im Westfeldzug versuchte ein Teil des Regierungsapparates, durch Verhandlungen und Kooperation mit der Besatzungsmacht die Lage des französischen Volkes abzumildern.

Juden werden festgenommen und im Autobus abtransportiert, Paris, August 1941

Die Résistance intensivierte 1941 ihre Sabotageakte und Attentate. Die Exilregierung (de Gaulle) und Teile der Bevölkerung stützten sie (moralisch und/oder praktisch). Die deutsche Besatzungsarmee reagierte darauf zunächst mit Geiselerschießungen. Der Militärbefehlshaber Otto von Stülpnagel erkannte dies bald als kontraproduktiv: Sie schreckten fast niemanden ab und erhöhten das Ansehen der Résistance. Er bzw. sein Nachfolger forderten deshalb die Deportation von 1000 Juden für jedes Attentat und die Einrichtung von Juden-Lagern. Wegen fehlender Eisenbahnkapazitäten verließ der erste Transport mit 1112 jüdischen Gefangenen Frankreich erst am 27. März 1942 in Richtung Auschwitz. 78 weitere Züge folgten. Bereits im Oktober 1942 waren 42.000 Ausländer (überwiegend Polen und Deutsche) nach Auschwitz deportiert worden; die meisten von ihnen wurden direkt vergast.

1942 wurden weitere Judengesetze eingeführt (darunter auch eines, das das Tragen des „Judensterns“ vorschrieb), ohne dass die Besatzer dies gefordert hatten (siehe unten). Im Juli 1942 verhaftete die Pariser Polizei mit 9.000 Mann 20.000 überwiegend ausländische Juden (französisch grande rafle) und sperrte sie im Vélodrome d’Hiver (Radsporthalle) ein.

Zunächst sprach die deutsche Militärverwaltung von der „Evakuierung der Juden nach dem Osten“, von „Arbeitseinsatz“ und „Zwangsarbeit“, aber schon nach dem siebten Transport im Juli 1942 wurde die Bestimmung, dass nur arbeitsfähige Männer deportiert werden sollten, aufgeweicht und später ganz fallen gelassen. Denn gleichzeitig versuchte Deutschland, für seine Kriegsproduktion „freiwillige Fremdarbeiter“ aus Frankreich anzuwerben bzw. Zwangsarbeiter zu rekrutieren. Als dann auch alte Menschen, Frauen und seit August 1942 selbst Kinder jeden Alters in die Güterwaggons verfrachtet wurden, war klar, dass es nicht mehr um Arbeitseinsätze, sondern um die Vernichtung der in Frankreich lebenden Juden ging. An die Verabredung mit dem Vichy-Regime, keine französischen Juden zu deportieren, hielt sich die Besatzungsmacht immer weniger, ab Mitte 1943 gar nicht mehr. Nach der Besetzung Südfrankreichs durch Wehrmacht-Truppen betrieb das „Sonderkommando Alois Brunner“ eine regelrechte Menschenjagd auch im Süden Frankreichs.

Auf deutscher Seite waren im besetzten Norden hauptsächlich drei deutsche Institutionen aktiv an der Judenverfolgung beteiligt: die Militärverwaltung, die SS und der deutsche Botschafter. Dieser besonders in seiner Funktion als Verbindungsmann zur vom NS-Regime anerkannten Regierung. Diese drei verfolgten teils etwas unterschiedliche Ziele und waren in ihren Zuständigkeiten unzulänglich voneinander abgegrenzt.

Vom Reichssicherheitshauptamt wurde im September 1940 das „Judenreferat in Paris“ unter Theodor Dannecker als Chef zur Organisation der Deportation errichtet. Disziplinarisch war er Helmut Knochen, dem Leiter der Sicherheitspolizei (Sipo), unterstellt.[2] Carl-Albrecht Oberg wurde im Mai 1942 Höherer SS- und Polizeiführer.

Auf französischer Seite wurde am 29. März 1941 das „Generalkommissariat für Judenfragen“ auf Weisung von Admiral F. Darlan gegründet, der damit einem Wunsch der deutschen Behörden folgte. Seine Politik war es, die Durchführung in Frankreich in der Hand zu behalten. Dies machte tausende französische Polizisten und Regierungsbeamte zu Handlangern der deutschen Haupttäter.

Chronologie einer Kollaboration

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die folgende Chronologie der Gefangennahme und Transporte folgt im Wesentlichen dem 1993 erschienenen Buch von François und Renée Bédarida, La persécution des juifs (Die Verfolgung der Juden).[3]

1940

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Plakat: Unter arischer Verwaltung, Laon 1940

1941

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Gefangene im Lager Beaune-la-Rolande, Aufnahme der deutschen Propagandakompanie von 1941

1942

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

1943

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Razzia von Marseille, 22.-23. Januar 1943
Deportationswege aus Frankreich

1944

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Deportationen

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Dezember 1941 schlug der Militärbefehlshaber Otto von Stülpnagel die Deportation „von Kommunisten, Juden und dem Täterkreis nahestehenden Personen“ vor; die Exekution von Geiseln nach Attentaten sei eine zu wenig abschreckende Vergeltungsmaßnahme.[12] Schon für die bislang bei drei Razzien verhafteten 12.200 „staatspolizeilich in Erscheinung getretenen Personen“ sei kaum Platz in den Lagern. Daraufhin wurden im „Judenlager“ des Polizeihaftlagers Compiègne arbeitsfähige Juden im Alter zwischen 18 und 55 Jahren für die Deportation zusammengeführt; andere als „arbeitsunfähig“ deklarierte und ältere Juden wurden nach Drancy verlegt.[13]

Als „Sühnemaßnahme“ wurden die ersten sechs Deportationszüge bezeichnet, mit denen hauptsächlich arbeitsfähige jüdische Männer zur Zwangsarbeit verschleppt wurden. Der erste Zug mit Personenwagen dritter Klasse, Gepäckwagen und einem Wagen zweiter Klasse für ein Begleitkommando verließ den Bahnhof Le Bourget Drancy am 27. März 1942. Nach einer Fahrt von rund 72 Stunden kamen die 1112 Häftlinge in Auschwitz an und wurden dort zur Arbeit eingesetzt. Nur 23 von ihnen überlebten das Kriegsende.

Die folgenden fünf Züge hatten wahrscheinlich umgebaute Güterwagen mit 35 Sitzplätzen und Abort, wie sie für den Transport russischer Zivilarbeiter benutzt wurden („Coupé-Wagen“).[14] Nach dem sechsten Transport vom 17. Juli 1942 ging die „Repressionspolitik“ über in die Deportationen zur Vernichtung.[15]

Fast zeitgleich mit den Transporten aus Belgien und den Niederlanden begannen Mitte Juli 1942 in Frankreich Massendeportationen, in die nunmehr auch Frauen und nicht arbeitsfähige Personen einbezogen wurden. Die deutschen Deportationspläne wurden im Sommer von der Vichy-Regierung begrüßt. Proteste der katholischen Kirche und die ablehnende Haltung der Bevölkerung ließen das Regime bereits im September 1942 von einer Unterstützung abrücken.[16] Dennoch gingen die Deportationen aus Frankreich weiter. Vom ersten dieser Züge, der am 19. Juli 1942 abfuhr, wurde erstmals ein Teil der Deportierten in Auschwitz selektiert und sogleich ermordet.[17] Anfangs wurden Juden französischer Staatsangehörigkeit verschont. Staatenlose Juden, deren Kinder durch Geburt die französische Staatsangehörigkeit mitbrachten, wurden von ihren Kindern im Lager getrennt und deportiert. Vom 14. August 1942 an wurden auch Kinder deportiert; diese wurden unverzüglich nach ihrer Ankunft im KZ Auschwitz-Birkenau selektiert und ermordet.

Am 22. August 1944 endeten die Deportationen. Innerhalb von zweieinhalb Jahren wurden etwa 76.000 Juden deportiert; rund 32.000 von ihnen zwischen dem 19. Juli und 30. September 1942.[16]

Zahlen

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Aus Frankreich waren es 75.721 Deportierte, davon:

Altersgruppen:

Nach französischen Schätzungen hatte etwa ein Drittel der Deportierten die französische Staatsangehörigkeit.

Von den Ausländern unter den aus Frankreich Deportierten stammten:

Nur 2500 (3,3 Prozent) der Verschleppten überlebten das Kriegsende. Zu den jüdischen Opfern gehören auch etwa die 1000 als Geiseln in Frankreich hingerichteten oder erschossenen Personen jüdischen Glaubens. Ferner sind 3000 Tote mit einzurechnen, die bereits in den französischen Sammel- und Transitlagern starben.

Film

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Eine Dokumentation aus dem Jahr 2017 von Ruth Zylberman rekonstruiert das Schicksal vieler jüdischer Hausbewohner in einer der großen Wohnanlagen mit 300 Bewohnern im Zentrum von Paris: der Nr. 209 „Die Kinder aus der Rue Saint-Maur“. Sie findet nur noch wenige Überlebende der Razzia vom 16. Juli 1942, einer von der Kollaboration getragenen NS-Aktion mitten in der Shoah, und lässt sie heute von ihren Erinnerungen an ihre Eltern und an die Tage damals berichten. (Original frz./engl. Les Enfants du 209, rue Saint-Maur, Paris. 2017, 101 Min.)

Siehe auch

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. Haus der Wannsee-Konferenz. (PDF) S. 1–9.
  2. Claudia Steur: Theodor Dannecker. Ein Funktionär der „Endlösung“. Essen 1996, ISBN 3-88474-545-X, S. 45.
  3. eine weitere Chronologie siehe bundesarchiv.de
  4. Aus den Lagern Camps de „la Combe aux Loups“ in Ruelle-sur-Touvre und das der "Alliers" in Angoulême. Nach: Bartolomé Bennassar, La Guerre d’Espagne et ses lendemains, Perrin, coll. Temps. (Deren Frauen und Kinder unter dem Alter von 13 Jahren werden an Franco-Spanien ausgeliefert.)
  5. siehe auch französische Wikipedia, z. B. Weblinks
  6. Raul Hilberg: Die Vernichtung der Europäischen Juden. Fischerverlag, 1982, ISBN 3-596-24417-X, S. 649 ff.
  7. Rapport de la préfecture de police du 14 mai 1941. Archives, page 29-30. Cité par Serge Klarsfeld in Vichy-Auschwitz, Bd. I, S. 15.
  8. Transport 3 from Drancy, Camp, France to Auschwitz Birkenau, Extermination Camp, Poland on 22/06/1942. Yad Vashem. The World Holocaust Remembrance Center, 2023, abgerufen am 5. Februar 2024 (englisch).
  9. Danuta Czech: Kalendarium der Ereignisse im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau 1939–1945. Reinbek bei Hamburg 1989, ISBN 3-498-00884-6, S. 253.
  10. siehe en:Italian occupation of France during World War II und fr:Zone d'occupation italienne en France
  11. Convoi 53 de Drancy, Camp, France à Sobibor, Camp d'extermination, Pologne le 25/03/1943. Yad Vashem. The World Holocaust Remebrance Centre, abgerufen am 5. Februar 2024 (französisch).
  12. Ahlrich Meyer: Täter im Verhör. Die „Endlösung der Judenfrage“ in Frankreich 1940–1944. Darmstadt 2005, ISBN 3-534-17564-6, S. 96/97.
  13. Ahlrich Meyer: Täter im Verhör… S. 102/103.
  14. Ahlrich Meyer: Täter im Verhör… S. 111.
  15. Ahlrich Meyer: Täter im Verhör… S. 101.
  16. a b Deportation in Frankreich. (Memento vom 29. Juni 2007 im Internet Archive) Haus der Wannsee-Konferenz; abgerufen am 26. März 2008.
  17. Ahlrich Meyer: Täter im Verhör… S. 119 und 161.