Die Delphi-Methode (auch Delphi-Studie, Delphi-Verfahren oder Delphi-Befragung genannt) ist ein systematisches, mehrstufiges Befragungsverfahren mit Rückkopplung und ist eine Schätzmethode, die dazu dient, zukünftige Ereignisse, Trends, technische Entwicklungen und andere derzeit ungewisse Sachverhalte möglichst gut einschätzen zu können.

Namensgeber der Methode ist das antike Orakel von Delphi, das seinen Zuhörern Ratschläge für die Zukunft erteilte.

Geschichte

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Die Delphi-Methode wurde – nach Vorarbeiten Ende der 1950er Jahre – von der amerikanischen RAND-Corporation 1963 entwickelt[1] und wird seitdem häufig, wenn auch in variierter Form, für die Ermittlung von Prognosen/Trends sowie für andere Meinungsbildungen im Rahmen von Systemaufgaben angewendet. Mehr und mehr hat sich das Verfahren zu einem Bewertungsverfahren für Themen entwickelt, in dem festgestellt werden kann, ob es einen Konsens über das Thema gibt (bzw. ob dieser erreicht werden kann) oder nicht. In Deutschland war es in den 90er Jahren das damalige Bundesministerium für Forschung und Technologie (BMFT), das die ersten Delphi-Studien zur Entwicklung von Wissenschaft und Technik in Auftrag gab. Die Studien Deutscher Delphi-Bericht zur Entwicklung von Wissenschaft und Technik (1993) und Delphi '98 Umfrage. Zukunft nachgefragt. Studie zur globalen Entwicklung von Wissenschaft und Technik (1998) wurden vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) durchgeführt.

Vorgehensweise

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Bei einer Delphi-Befragung wird einer Expertengruppe ein Fragen- oder Thesenkatalog des betreffenden Fachgebiets vorgelegt. Die Befragten haben in zwei oder mehr sogenannten Runden die Möglichkeit, die Thesen einzuschätzen. Ab der zweiten Runde wird Feedback gegeben, wie andere Experten geantwortet haben, in der Regel anonym. Auf diese Weise wird versucht, der üblichen Gruppendynamik mit sehr dominanten Personen entgegenzuwirken.

Die in der ersten Runde schriftlich erhaltenen Antworten, Schätzungen, Ergebnisse etc. werden daher aufgelistet und beispielsweise mithilfe einer speziellen Mittelwertbildung, Perzentilen oder Durchschnittswertberechnungen zusammengefasst und den Fachleuten anonymisiert erneut für eine weitere Diskussion, Klärung und Verfeinerung der Schätzungen vorgelegt. Dieser kontrollierte Prozess der Meinungsbildung erfolgt gewöhnlich über mehrere Stufen. Das Endergebnis ist eine aufbereitete Gruppenmeinung, die die Aussagen selbst und Angaben über die Bandbreite vorhandener Meinungen enthält.

Der Meinungsbildungsprozess enthält die Elemente: Generation, Korrektur beziehungsweise teilweise Anpassung oder Verfeinerung, Mittelwertbildung beziehungsweise Grenzwertbildung, oft auch offene Felder für Erläuterungen. Störende Einflüsse werden durch die Anonymisierung, den Zwang zur Schriftform und die Individualisierung eliminiert. Die Strategie der Delphi-Methode besteht aus: Konzentration auf das Wesentliche, mehrstufigem, teilweise rückgekoppeltem Editierprozess und sichereren, umfassenderen Aussagen durch Zulassen statistischer fuzzyartiger Ergebnisse. Ein Problem kann darin bestehen, dass die Experten ihre einmal geäußerte Meinung in den folgenden Runden trotz Anonymität nicht ändern. Der Zusatznutzen weiterer Runden wäre in diesem Fall begrenzt.

Als Ergänzung der Delphi-Methode kann zum Beispiel die Wechselwirkungsanalyse verwendet werden. Auch in der D2-Methode finden sich Elemente der Delphi-Methode wieder. Kombinationen mit Szenarien werden inzwischen ebenfalls häufiger durchgeführt. Aus Delphi-Ergebnissen lassen sich einfache Roadmaps ableiten, sodass auch diese Kombination sich zunehmender Beliebtheit erfreut. Man findet diverse Formen der Delphi-Methode, die das Verfahren der Schätzung etwas variieren: Die Standard- und die Breitband-Methode sind einige der Varianten. Inzwischen werden die meisten Verfahren elektronisch durchgeführt. Realtime-Delphi-Verfahren (mit einer sofortigen Rückkopplung der Ergebnisse) sind eine Variante, die nur elektronisch möglich ist.

In der Anwendung der Delphi-Methode sollte besonderes Augenmerk auf der Formulierung der Delphi-Thesen und der Definition und Auswahl der Experten liegen, da hier in der Praxis häufiger methodische Schwächen auffallen und die Ergebnisse in Frage stellen.[2][3]

Beiderbeck et al. haben ausgehend von einer disziplinübergreifenden Analyse eine Methoden-Toolbox entwickelt, die klassische und innovative Design-Kriterien für Delphi-Studien illustriert. Neben der Analyse der Experten-Bewertungen an sich rücken in jüngster Zeit beispielsweise auch die Persönlichkeitsprofile der Teilnehmer in den Fokus. Mittels ergänzender Cross-Impact-Analysen können einzelne Delphi-Thesen und Ergebnisse in einen gemeinsamen systemischen Kontext und Wechselwirkungen berücksichtigt werden. Darüber hinaus bieten dreidimensionale Abbildungen von Szenarioclustern ein erweitertes Verständnis gesammelter Daten.[4]

Standard-Delphi-Methode

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Bei der Standard-Delphi-Methode werden mehrere Experten zur Schätzung eines Projektes – oder zur Prognostizierung – herangezogen, die sich nicht untereinander abstimmen dürfen. Der Prozess sieht wie folgt aus:

Das Fehlen jeglicher Diskussionen hat zwei Aspekte, die ein Projektleiter bewerten muss: Einerseits wird damit verhindert, dass sich aufgrund einer ungewollten Gruppendynamik Strömungen und Tendenzen in den Meinungen herausbilden, die unter Umständen gute Schätzungen verhindern. Auf der anderen Seite könnten Gruppendiskussionen dazu beitragen, Defizite im Know-how einzelner Experten und die damit verbundenen Fehleinschätzungen zu vermeiden.

Häufig werden Delphi-Umfragen schriftlich und getrennt durchgeführt, die Fragebogen werden also den Experten per Brief oder Mail gesandt. Die einzelnen Experten sehen sich nie und wissen auch erst nach Abschluss aller Umfragerunden die Namen der anderen Befragten. Dieses Vorgehen ist zuverlässiger als das Versammeln aller Experten in einem Raum. Liegt der Schlussbericht einmal vor, werden in der Regel alle Experten und andere Interessierte zu einem Symposium eingeladen.

Breitband-Delphi-Methode

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Bei der Breitband-Delphi-Methode werden mehrere Experten zur Schätzung eines Projektes herangezogen, die sich untereinander abstimmen dürfen. Der Prozess sieht wie folgt aus:

Durch die Wechselwirkungen der Experten untereinander werden unterschiedliche Ansichten vermittelt, was eine Konsens-Bildung beschleunigt. Vorteil dieser Methode ist zum einen die Anonymität der Schätzungen: Die Experten werden nicht mit ihren gravierenden Abweichungen der Schätzungen konfrontiert und können damit die Schätzaufwände in ihrem Sinne beeinflussen. Starke Abweichungen von Mittelwerten werden offengelegt. Nachteil dieser Methode ist die Gefahr einer Meinungsbildung durch die Gruppendynamik, in der eine unter Umständen notwendige gravierende Schätzabweichung dem Gruppenzwang unterliegt. Ein weiterer Nachteil ist, dass aufgrund mehrerer Iterations-Schleifen für die Meinungsbildung der gesamte Schätzaufwand recht umfangreich werden kann. Die Breitband-Delphi-Methode ist eine sinnvolle Technik für das Schätzen von großen Projekten, in denen komplexe Architekturen durch eine große Expertenrunde mit Hilfe der Interaktion der Experten untereinander zu realistischen Werten führen kann.

Kritik

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Die Delphi-Methode versucht, durch das mehrstufige, manchmal auf Konsens angelegte Design, Fehleinschätzungen der Experten zu reduzieren. Dennoch lassen sich nicht alle Probleme der Expertenbefragung vermeiden; durch die Befragung mehrerer Personen entstehen weitere Einschränkungen.

Siehe auch

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Literatur

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Sekundärliteratur zur Delphi-Methode:

Delphi-Studien:

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Einzelnachweise

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  1. Manfred Hüttner: Markt- und Absatzprognosen. Kohlhammer, 1982, ISBN 3-17-007325-7, S. 29.
  2. vgl. C. Markmann et al.: Improving the question formulation in Delphi‐like surveys: Analysis of the effects of abstract language and amount of information on response behavior. In: Futures & Foresight Science. 2020, e56, doi:10.1002/ffo2.56.
  3. vgl. Mauksch et al.: Who is an expert for foresight? A review of identification methods. In: Technological Forecasting and Social Change. Vol. 154, 2020, 119982, doi:10.1016/j.techfore.2020.119982.
  4. D. Beiderbeck et al.: Preparing, conducting, and analyzing Delphi surveys: Cross-disciplinary practices, new directions, and advancements (Open Access). In: MethodsX. 8, 2021, S. 101401, doi:10.1016/j.mex.2021.101401.
  5. Kevin Tappe: Cooke-Methode. In: Zeitschrift für Controlling. 24. Jahrgang, Heft 4/5, 2012, S. 278–279; für eine beispielhafte Anwendung der Cooke-Methode siehe Nature. Ausgabe 463, S. 294–295.