Das interdisziplinär ausgerichtete Fach Digital Humanities (‚digitale Geisteswissenschaften‘) umfasst die systematische Nutzung computergestützter Verfahren und digitaler Ressourcen in den Geistes- und Kulturwissenschaften sowie die Reflexion über deren Anwendung. Seine Vertreter zeichnen sich sowohl durch eine traditionelle Ausbildung in den Geistes- und Kulturwissenschaften aus als auch durch ihre Vertrautheit mit Konzepten, Verfahren und Standards der Informatik. In Deutschland sind das insbesondere Forscher der Computerphilologie, der Historischen Fachinformatik, der Informationswissenschaft und der Computerlinguistik. Typische Arbeits- und Forschungsfelder sind zum Beispiel digitale Editionen, quantitative Textanalyse, Visualisierung komplexer Datenstrukturen oder die Theorie digitaler Medien.

Zur Begrifflichkeit

„Digital Humanities“ und „e-Humanities“ sind Begriffe neuer Prägung, die beide heute gebräuchlicher sind als die etwas älteren Begriffe „Computing in the Humanities“ und „Humanities Computing“.[1] E-Humanities ist dabei analog zu e-Science gebildet und steht für „enhanced“ oder auch „enabled“ Humanities. Unklar bleibt bisher, ob es sich bei Digital Humanities um ein Fach, eine Methode oder eine bestimmte Denkweise handelt,[2] wenn oft allein die Verwendung von Computern bei der Beantwortung geisteswissenschaftlicher Fragestellungen schon dazu führt, diese den Digital Humanities zuzuordnen.

Die erste internationale Fachtagung zum Thema „Literatur und Datenverarbeitung“[3] fand in Deutschland bereits im Juni 1970 an der RWTH Aachen statt. Rund 100 Naturwissenschaftler, Mathematiker, Ingenieure und Geisteswissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen aus sechs Ländern kamen zusammen, um die Relevanz der modernen elektronischen Daten- und Informationsverarbeitung für die Geisteswissenschaften (Humanities) zu diskutieren, die sich in ihren traditionellen Erkenntnisinteressen, Forschungsgegenständen und Methoden zunehmend durch den Einsatz von Computern provoziert und in Frage gestellt sahen.[4] An der Eberhard Karls Universität Tübingen fanden ab November 1973 regelmäßig Kolloquien zur Anwendung der EDV in den Geisteswissenschaften statt.[5]

Wissenschaftsorganisation

Die US-amerikanische Fachorganisation The Association for Computers in the Humanities (ACH), die European Association for Digital Humanities (EADH) (bis 2011 Association for Literary and Linguistic Computing (ALLC)) und die kanadische Society for Digital Humanities / Société pour l’étude des médias interactifs (SDH-SEMI) sind in der Dachorganisation The Alliance of Digital Humanities Organizations (ADHO) zusammengefasst. 2013 gründete sich der Verband Digital Humanities im deutschsprachigen Raum (DHd) als assoziierter Regionalverband der EADH.

Mitglied einer dieser Organisationen wird man durch das Abonnement der Zeitschrift Literary and Linguistic Computing, die somit die wichtigste Fachzeitschrift in diesem Feld darstellt. Die ADHO organisiert einmal im Jahr die Konferenz Digital Humanities, die abwechselnd in den USA bzw. Kanada stattfindet oder in Europa. Außerdem vergibt die ADHO alle drei Jahre den Busa-Preis für besondere Verdienste in den Digital Humanities.

Seit 1986 gibt es die Fachzeitschrift Literary and Linguistic Computing, weitere Zeitschriften sind über die Jahre hinzugekommen. Seit 1999 gibt es das deutschsprachige Forum Computerphilologie. Weitere einschlägige Fachzeitschriften sind im Abschnitt Literatur angeführt.

CenterNet ist ein internationaler Zusammenschluss von rund 100 Digital Humanities Centers aus 19 Ländern. Die Organisation steht im Dienst der Digital Humanities und benachbarter Fachrichtungen.[6][7]

Kritik

In den herkömmlichen Geisteswissenschaften gelten die Digital Humanities weithin als „wunderlich“.[8] Der Literaturtheoretiker Stanley Fish behauptet zudem, dass sie traditionelle Werte der Geisteswissenschaften untergrüben.[9] Den Digital Humanities fehle überdies die theoretische Reflexion und sie neigen angeblich zur unkritischen Affirmation technologischer, gegenstandsferner Konzepte.[10] Gleichzeitig liefern erste DH-Analysen im Bereich kultursoziologischer Diachronie zum Teil verblüffende Resultate, die sowohl einige herrschende Meinungen klar bestätigen, als auch andere deutlich in Frage stellen, wie etwa die These von der zunehmenden Ökonomisierung moderner Gesellschaften.[11]

Themen

Zentrale Themen des geisteswissenschaftlichen Computereinsatzes sind:

Wissenschaftliche Projekte

Deutsche Projekte

Österreichische Projekte

Schweizer Projekte

Europäische Projekte

US-amerikanische Projekte

Literatur

Einführende Literatur

Einführungen in Einzelfragen der Digital Humanities

Fachzeitschriften (chronologisch)

Einzelnachweise

  1. Siehe zu dieser Unterscheidung u. a. David M. Berry: „The Computational Turn: Thinking About the Digital Humanities“, in: Culture Machine 12, 2011, 2-4. URL: [culturemachine.net/wp-content/uploads/2019/01/10-Computational-Turn-440-893-1-PB.pdf] oder Patrik Svensson: Humanities Computing as Digital Humanities, in: DHQ 3.3, 2009.
  2. Swantje Dogunke: Glossar: Digital Humanities. In: blog.klassik-stiftung.de. 17. Juni 2015, abgerufen am 13. April 2019.
  3. Literatur und Datenverarbeitung. Ein Tagungsbericht, hrsg. von Helmut Schanze. Max Niemeyer Verlag, Tübingen 1972, ISBN 3-484-10153-9.
  4. Computer und Literatur. Eine Sendung des WDR 3 am 19. Juli 1970 von Burghard Rieger zur Tagung „Literatur und Datenverarbeitung“ vom 15. bis 17. Juli 1970 an der RWTH Aachen
  5. Vor 40 Jahren: erstes von 90 Tübinger „digital humanities“-Kolloquien. In: dig-hum.de. 21. November 2013, abgerufen am 19. Mai 2019.
  6. About. In: CenterNet. Abgerufen am 26. Juli 2012.
  7. Benjamin Caraco: Les digital humanities et les bibliothèques. In: Le Bulletin des Bibliothèques de France. Band 57, Nr. 2, 1. Januar 2012 (französisch, enssib.fr [abgerufen am 27. Februar 2022]).
  8. Patricia Cohen: Digital Keys for Unlocking the Humanities’ Riches. In: nytimes.com. 16. November 2010, abgerufen am 19. Dezember 2017 (amerikanisches Englisch).
  9. Stanley Fish: The Digital Humanities and the Transcending of Mortality. In: nytimes.com. 9. Januar 2012, abgerufen am 14. Januar 2018 (amerikanisches Englisch).
  10. Thomas Thiel: Digital Humanities – Eine empirische Wende für die Geisteswissenschaften? In: faz.net. 24. Juli 2012, abgerufen am 11. Mai 2021.
  11. Steffen Roth: Fashionable Functions: A Google Ngram View of Trends in Functional Differentiation. In: International Journal of Technology and Human Interaction. Band 10, Nr. 2, 2014, S. 34–58, doi:10.4018/978-1-4666-9461-3.ch010 (englisch).
  12. anci. Analysing networked climate images
  13. Website des Arbeitskreises „Digitale Kunstgeschichte“. Abgerufen am 3. Juli 2018.
  14. Über Artigo. In: artigo.org. Play4Science-Projekt, Ludwig-Maximilians-Universität München, abgerufen am 13. September 2018.
  15. BStK Online – Datenbank der althochdeutsche und altsächsischen Glossenhandschriften. (Memento des Originals vom 5. Juni 2017 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/glossen.ahd-portal.germ-ling.uni-bamberg.de Abgerufen am 24. April 2020.
  16. eIdentity. In: ims.uni-stuttgart.de. Institut für Maschinelle Sprachverarbeitung der Universität Stuttgart, abgerufen am 11. November 2018.
  17. LegIT – Der volkssprachige Wortschatz der Leges barbarorum
  18. LOEWE-Schwerpunkt Digital Humanities Hessen – Integrierte Aufbereitung und Auswertung textbasierter Corpora. In: digital-humanities-hessen.de. Archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 7. Januar 2019; abgerufen am 7. Januar 2019.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.digital-humanities-hessen.de
  19. Website des Projekts „metropolitalia“. Abgerufen am 5. Februar 2019 (italienisch).
  20. Über den musiXplora. In: musixplora.de. Abgerufen am 23. Mai 2022.
  21. BBAW: Personendaten-Repositorium, ein DFG-Projekt zur Etablierung einer digitalen Infrastruktur für wissenschaftliche biographische Informationen
  22. Janna Hennicke: Person Data Repository. In: culturesofknowledge.org. 2013, abgerufen am 23. Januar 2022 (englisch).
  23. sandrart.net. Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel, abgerufen am 8. Februar 2019.
  24. VisArgue: Analyse und Visualisierung politischer Kommunikation. In: wwwdns.kim.uni-konstanz.de. Abgerufen am 25. Februar 2019.
  25. Zentrum Musik-Edition-Medien. Abgerufen am 16. Mai 2019.
  26. (c) 2003–2017 Donau-Universität Krems – Universität für Weiterbildung. All rights reserved.: Department für Bildwissenschaften – Donau-Universität Krems. Archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 3. Dezember 2017; abgerufen am 2. Dezember 2017.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.donau-uni.ac.at
  27. Home – ADA | Archive of Digital Art. Abgerufen am 2. Dezember 2017 (englisch).
  28. Institut – Allgemeines. In: informationsmodellierung.uni-graz.at. Abgerufen am 9. Dezember 2019.
  29. digital-humanities.at
  30. Media Art History. Abgerufen am 2. Dezember 2017 (amerikanisches Englisch).
  31. Graphische Sammlung Stift Göttweig. Abgerufen am 2. Dezember 2017.
  32. gams.uni-graz.at
  33. gams.uni-graz.at
  34. Digital Humanities auf sagw.ch, abgerufen am 5. Juni 2018.
  35. dariah.eu
  36. dixit.uni-koeln.de (Memento des Originals vom 7. Februar 2019 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.dixit.uni-koeln.de
  37. World Literary Atlas
  38. Project Bamboo Archive. In: Project-Bamboo-Website auf Google Sites. Abgerufen am 22. April 2020 (englisch).