Dorfkirche ist die kunstgeschichtliche und volkskundliche Bezeichnung für das Kultgebäude einer dörflichen Gemeinde; kirchliche und staatliche Verwaltungskategorien verwenden diesen Begriff nicht. Entscheidend für die Begriffsbestimmung der Kunstgeschichte und der Volkskunde ist nicht der Rang der Kirche (Pfarr-, Mutter- oder Filialkirche, Kapelle), sondern die Gestaltung aus dem Wesen dörflicher Lebensweise. Sie ist in der Regel mittelalterlichen bis frühneuzeitlichen Ursprungs und oft Siedlungskern des Dorfes. Nicht alle Kirchen auf dem Land sind daher Dorfkirchen; abgesehen von Kloster- und Wallfahrtskirchen können auch die meisten ländlichen Kirchen der späteren Neuzeit nur mit Einschränkungen als solche bezeichnet werden.[1]

Datierungen, Baustile und Schmuckformen

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Dorfkirchen sind oft die ältesten baulich erhaltenen Zeugnisse der Besiedlung einer Landschaft. Betrachtet man die Entstehungszeiten, kann man teilweise die Wege der Christianisierung nachvollziehen, wie zum Beispiel an der Straße der Romanik in Sachsen-Anhalt.

Beginnend in der Romanik war die räumliche und gestalterische Weiterentwicklung der Dorfkirche gekoppelt an die Entwicklung des Dorfes und der landwirtschaftlichen Produktionsverhältnisse im Allgemeinen und an regionale Aufschwünge und Krisen im Besonderen. Zu allen Zeiten erfuhren Dorfkirchen Um- und Erweiterungsbauten.

Da es nur im Ausnahmefall Schriftquellen zur Baugeschichte einer Dorfkirche gibt, sind Datierungsversuche mit erheblichen Problemen verbunden.

Baugestalt: Baumaterial und Grundrisstypen

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Grundrisstypen nach Stilepochen (problematisch)
Grundrisstypen nach ökonomischem Aufwand, der auch eine frühere Bauzeit bedingt

Zumindest für die neuen Bundesländer wird, vor allem aufgrund der archäologischen Funde in der Niederlausitz, inzwischen davon ausgegangen, dass in den Gebieten des hochmittelalterlichen Landesausbaus in der Germania Slavica von den zuziehenden Neusiedlern zunächst Holzkirchen erbaut wurden.

Erst nach einem Abstand von 20 bis 30 Jahren, also etwa einer Generation, wurden die Holzkirchen durch Steinbauten ersetzt, vor allem um die beträchtlichen Baukosten anzusparen, denn die frisch gerodeten Felder brauchten erst einmal einen Vorlauf bis zum vollen Ertrag. Dabei wurde das Material verwendet, welches vor Ort zur Verfügung stand. So kann man heute unterscheiden zwischen den Feldsteinkirchen und den Dorfkirchen aus Backstein. Die Wahl des Baumaterials und des Grundrisstyps war aber auch stark abhängig von der ökonomischen Leistungsfähigkeit des Dorfes, die sich vor allem aus der Gemarkungsgröße und der Bodenqualität ergibt (Ernteertrag).[2] Dabei ist der Backstein gegenüber dem Feldstein offenbar das teurere Baumaterial. Deswegen begegnen z. B. in Brandenburg Dorfkirchen aus Backstein nicht nur auf den findlingsarmen Talsandböden des Havellandes, sondern auch in klostereigenen Dörfern (z. B. die Dörfer im Umkreis des Klosters Dobrilugk). Wegen der Baukosten sind nicht wenige Dörfer im Mittelalter ohne Steinkirche geblieben, sondern mussten sich mit Holzkirchen oder Fachwerkkirchen begnügen.

Mangels Schriftquellen zum Baugeschehen werden meist Baumaterial und Grundrisstyp als Kriterien zur Datierung herangezogen. Dabei wird von einem prozesshaften Verlauf ausgegangen: vom sorgfältig gequaderten Feldstein zum einfach gespaltenen, ungequaderten Findling (Backsteinbauten sind meist jünger), vom vielfach gestaffelten Grundriss zum einfachen Saal. Diese Kriterien werden in die geläufigen Stilepochen eingepasst. Jedoch hat schon Erich Bachmann darauf hingewiesen, dass die von ihm gebildeten vier Dorfkirchen-Grundrisstypen „vollständige Anlage“, „Chorquadratkirche“, „Chorturmkirche“ und „Apsissaal“ innerhalb derselben Stilepoche, nämlich der „Spätromanik“, vorkommen.[3] Inzwischen werden allerdings die Stilbegriffe problematisiert.[4]

Gruppiert man die Grundrisstypen nach ihrem Kostenaufwand (sorgfältige Quaderung und vielfach gestaffelter Grundriss sind teurer, vor allem ein schiffsbreiter Turm), so zeigt sich auch hier ein (nicht stilistisch orientierter) zeitlicher Verlauf: Bauherren, die genug Einkünfte haben, um sich den kostenaufwändigsten Typ zu leisten, sind auch diejenigen, die als erste die Holzbauten ablösen können. Unter dem Gesichtspunkt des „ökonomischen Faktors“ im Dorfkirchenbau zeigt sich, dass die Chorquadratkirche nicht eine prozesshaft um die Apsis reduzierte Saalkirche darstellt, sondern offenbar zeitgleich auftritt (vgl. Erich Bachmann). Dass Dorfkirchen mit ungequaderten Findlingen oder Mischmauerwerk (geringerer Kostenaufwand) erst im Spätmittelalter gebaut wurden, ist ohnehin unumstritten.

Kirchturm

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Die Dorfkirche besitzt in der Regel einen Turm mit einer oder zwei Glocken und der Turmuhr mit Zifferblättern. Die Bauart des Kirchturms beeinflusst den Bauaufwand der Dorfkirche beträchtlich. Man unterscheidet in dieser Hinsicht fünf Bauarten:

Liste der höchsten Türme von Dorfkirchen in Deutschland

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Die Liste enthält Bauten mit einer Höhe von mindestens 48 Metern. Die Liste ist unvollständig.

Höhe in m Bauwerk Vollendung Ort Bundesland Bemerkungen
79,3 Artländer Dom 1900 Ankum Niedersachsen gilt als höchste Dorfkirche Deutschlands
78,0 St. Ägidius 1531 Schildthurn Bayern
59,4 St.-Mauritius-Kirche 1907 Winzeln Baden-Württemberg gilt als höchste Dorfkirche in Baden-Württemberg
57,0 St. Martinus 1537 Bierlingen Baden-Württemberg
56,0 Marienkirche Suhlendorf 1905 Suhlendorf Niedersachsen auch „Bauerndom“ genannt
53,5 Hoffnungskirche 1848/1886 Westrhauderfehn Niedersachsen gilt als der höchste Kirchturm in Ostfriesland
52,0 St. Leonhard 1496 Wonneberg Bayern Wallfahrtskirche
50,0 St. Johann Baptist 1868 Gehofen Thüringen
50,0 Evangelische Kirche[5] 1864 Seulberg Hessen auch „Seulberger Dom“ genannt
48,0 Evangelische Kirche 1625/1860 Crainfeld Hessen auch „Vogelsberger Bleistift“ genannt

Anbauten (Sakristeien, Totenhallen, Grüfte)

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In den allermeisten Fällen zählen die Sakristeien nicht zum ersten Steinbau der Kirche, wurden aber oft noch im Mittelalter angebaut. Grüfte entstanden meist im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit, Totenhallen in der Neuzeit.

Die Dorfkirchenbewegung

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Anfang des 20. Jahrhunderts entstand aufgrund umfassender Veränderungen auf dem Land die sogenannte Deutsche Dorfkirchenbewegung. Ein wichtiger Vertreter dieser Bewegung war Hans von Lüpke, der ab 1907 die Zeitschrift Die Dorfkirche mit dem anfänglichen Zusatz Illustrierte Monatsschrift zur Pflege des religiösen Lebens in heimatlicher und volkstümlicher Gestalt herausgab.[6] Der Untertitel weist auf die inhaltliche Ausrichtung der Bewegung hin.

Liste bekannter Beispiele

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Dänemark

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Typisch dänische Dorfkirche, weiß verputzt (Sandby)

Deutschland

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Niederlande

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Österreich

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In Österreich sind die Dorfkirchen durchwegs die katholischen Pfarrkirchen und Filialkirchen, viele kleine Weiler des Landes haben nur eine Ortskapelle.[7] Die heute evangelischen Kirchen sind fast ausnahmslos sekundär.

Die Listen siehe Kategorie:Römisch-katholisches Dekanat (Österreich)

Polen

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Die pommerschen Dorfkirchen (hier: Iwięcino/Eventin) sind den mecklenburgischen ähnlich.

Russland

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Schweden

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Schweiz

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Siehe auch

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Literatur

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(chronologisch)

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Wiktionary: Dorfkirche – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

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  1. Erich Bachmann: Dorfkirche. In: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte. Band 4, Stuttgart 1958, S. 245–274 (rdklabor.de).
  2. Ulrich Waack: Dorfkirchenbau und Ökonomie. Über den Zusammenhang der baulichen Gestalt mittelalterlicher Dorfkirchen auf dem Barnim mit Siedlungsmerkmalen. In: Kirchen des Mittelalters in Brandenburg und Berlin. Archäologie und Bauforschung. Hrsg. vom Brandenburgischen Landesamt für Denkmalpflege. Petersberg 2007, S. 26–37; derselbe: Kirchenbau und Ökonomie. Zur Beziehung von baulichen Merkmalen mittelalterlicher Dorfkirchen auf dem Barnim und dessen Wirtschafts- und Siedlungsgeschichte. Berlin 2009.
  3. Erich Bachmann: Kunstlandschaften im romanischen Kleinkirchenbau Deutschlands. In: Zeitschrift des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft. Band 8, 1941, S. 159–172.
  4. Robert Suckale: Die Unbrauchbarkeit der gängigen Stilbegriffe und Entwicklungsvorstellungen. Am Beispiel der französischen gotischen Architektur des 12. und 13. Jahrhunderts. In: Friedrich Möbius, Helga Sciurie (Hrsg.): Stil und Epoche. Periodisierungsfragen. Dresden 1989, S. 231–250: „Daß die Gleichung Romanik = Rundbogen, Gotik = Spitzbogen nicht stimmt, ist lange bekannt und sollte zum gesicherten Wissen aller gehören.“ (S. 232).
  5. Der stolze Kirchturm von Seulberg. Frankfurter Rundschau, 15. Januar 2019, abgerufen am 14. Januar 2024.
  6. ZDB-ID 525293-3, Titelaufnahme bei der Zeitschriftendatenbank, sowie DNB 012791083 bei der Deutschen Nationalbibliothek.
  7. So ist bis heute der siedlungskundliche Begriff des Dorfes an eine vorhandene Infrastruktur wie Kirche oder Gasthaus gebunden, vergl. etwa Ortsverzeichnis 2001 Tirol (PDF; 3,1 MB), Statistik Austria, Wien 2005, ISBN 3-902452-46-3, S. 20.