Emotionale Intelligenz ist ein von John D. Mayer (University of New Hampshire) und Peter Salovey (Yale University) im Jahr 1990 eingeführter Terminus. Er beschreibt die Fähigkeit, eigene und fremde Gefühle (korrekt) wahrzunehmen, zu verstehen und zu beeinflussen.
Das Konzept der emotionalen Intelligenz beruht auf der Theorie der multiplen Intelligenzen von Howard Gardner, deren Kerngedanke bereits von Edward Lee Thorndike und David Wechsler als „soziale Intelligenz“ bezeichnet wurde. Diesen verdeutlichte Thorndike 1920 mit einem Beispiel, wonach der (fachlich) beste Mechaniker als Vorarbeiter scheitern wird, wenn es ihm an sozialer Intelligenz fehlt.[1] Das Thema „emotionale Intelligenz“ ist somit auch ein Beitrag zur Diskussion der Frage nach dem Erfolg im Leben und Beruf.
Zu dessen Popularisierung hat insbesondere der US-amerikanische Psychologe und Wissenschaftsjournalist Daniel Goleman mit seinem Buch EQ. Emotionale Intelligenz (1995) beigetragen.
Manche Autoren stellen die emotionale Intelligenz als Gegensatz zum klassischen Intelligenzbegriff dar. Tatsächlich geht es um die Erweiterung der klassischen Vorstellung von Intelligenz, in der lediglich kognitive und rein akademische Fähigkeiten als Voraussetzung für den Erfolg im Leben betrachtet werden.
Daniel Goleman definiert den Begriff emotionale Intelligenz in Anlehnung an Salovey und Gardner durch die folgenden Fähigkeiten:[2]
Zur Operationalisierung und Messung der emotionalen Intelligenz in einem Test haben Salovey und Mayer dieses Konzept in vier Bereiche gegliedert:
Der erste Bereich Wahrnehmung von Emotionen umfasst die Fähigkeit, Emotionen in Mimik, Gestik, Körperhaltung und Stimme anderer Personen wahrzunehmen. Der zweite Bereich der Nutzung von Emotionen zur Unterstützung umfasst Wissen über die Zusammenhänge zwischen (eigenen und fremden) Emotionen und Gedanken, welches z. B. zum Problemlösen eingesetzt wird. Das Verstehen von Emotionen spiegelt die Fähigkeit wider, Emotionen zu analysieren, die Veränderbarkeit von Emotionen einzuschätzen und die Konsequenzen derselben zu verstehen. Die Beeinflussung von Emotionen erfolgt auf Basis der Ziele, des Selbstbildes und des sozialen Bewusstseins des Individuums und beinhaltet z. B. die Fähigkeiten, Gefühle zu vermeiden oder gefühlsmäßige Bewertungen zu korrigieren (Mayer, Salovey, Caruso, 2004).
Mayer, Salovey und David R. Caruso haben einen Test zur Messung der „emotionalen Intelligenz“ entwickelt, welcher dem Konzept herkömmlicher Leistungstests folgt. Der MSCEIT (Mayer-Salovey-Caruso Emotional Intelligence Test; Mayer, Salovey, Caruso, 2002, zitiert nach Mayer et al., 2004) misst jeden der vier Bereiche des Modells mit je zwei Untertests, welche im Folgenden beschrieben werden:
Wahrnehmung von Emotionen:
Nutzung von Emotionen zur Unterstützung des Denkens:
Verstehen von Emotionen:
Umgang mit Emotionen:
Die Testgütekriterien interne Konsistenz und diskriminante Validität des MSCEIT erwiesen sich in Untersuchungen mit 5000 Datensätzen als gut. Die interne Konsistenz ist mit .98 für den Gesamttest sehr hoch. Die Validität wurde mittels Korrelationen mit anderen Intelligenz- und Persönlichkeitstest erhoben und zeigte, dass der MSCEIT kaum Überschneidungen mit anderen Teilintelligenzen aufweist. Auch die Zusammenhänge mit den Big Five (Persönlichkeitsmerkmale) waren ausreichend gering, um die diskriminante Validität als gegeben ansehen zu können.
Die deutsche Adaption des MSCEIT wird in einer aktuellen TBS-TK Rezension kritisch bewertet.[3] So wird beispielsweise der nicht transparente Konstruktionsprozess des Tests, fehlende Interpretationshinweise für die Testanwendung (Objektivität), unzureichende Angaben über die Normierungsstichprobe (Normierung) sowie eine nicht hinreichende Darstellung bzgl. der theoretischen Fundierung der Validitätskriterien kritisiert. Als positiv wird u. a. die zufriedenstellende Reliabilität sowie eine geringe Verfälschbarkeit gewürdigt. Insgesamt wird die deutsche Version des MSCEIT als teilweise unbefriedigend eingestuft, auf jeden Fall entsprechen die bisherigen Befunde nur teilweise den Gütekriterien psychodiagnostischer Verfahren.
Kritik konzentriert sich in erster Linie auf den Begriff „emotionale Intelligenz“ und auf die Frage, inwiefern er zu den traditionellen Konstrukten der Intelligenz passt und diese sinnvoll ergänzt. Inhaltlich beschreibt das Konzept dagegen höchst relevante Fähigkeiten des Menschen.[4] Diese werden in der Wissenschaft unter den Stichworten „Emotionsregulation“ oder „Selbstregulation“ diskutiert.[5] Ob sich der Begriff „emotionale Intelligenz“ in der Wissenschaft durchsetzen wird, dürfte in erster Linie davon abhängig sein, inwiefern es gelingt, dieses Konzept durch entsprechende Tests zu validieren und theoretisch von anderen psychologischen Konstrukten abzugrenzen.[6]
Einen Vorstoß in diese Richtung im deutschen Sprachraum unternahm Heiner Rindermann mit dem Fragebogen zur Messung der emotionalen Kompetenz. Dieser Test zur Operationalisierung und empirischen Überprüfung dieses Konzeptes basiert auf einer Normstichprobe von über 600 Personen und erzielt – so der Autor – zufriedenstellende Werte bei Validität und Reliabilität.[7] Er meint ferner, der Begriff Intelligenz sollte für kognitive Fähigkeiten reserviert bleiben und nicht überdehnt werden, zumal die Korrelation zwischen emotionaler Kompetenz und (kognitiver) Intelligenz nicht hoch sei (S. 9). Bei dem Test werden vier Dimensionen emotionaler Kompetenzen erhoben, nämlich die Fähigkeiten (1) zum Erkennen eigener Gefühle, (2) zum Erkennen der Gefühle von anderen, (3) zur Regulation eigener Gefühle und (4) zum Ausdruck von Gefühlen als emotionale Expressivität.
Empirische Studien zeigen, dass Menschen, die die Fähigkeit besitzen eigene und fremde Gefühle zu steuern, im beruflichen und privaten Leben erfolgreicher sind; sie leiden weniger häufig unter psychischen Störungen, haben bessere persönliche Beziehungen, sind zufriedener und weniger anfällig für ungünstige Gewohnheiten wie Rauchen, ungesunde Ernährung etc.[8]
Eine Metaanalyse aus dem Jahr 2011 kam jedoch zu dem Ergebnis, dass die Vorhersagekraft von emotionaler Intelligenz für Berufserfolg auch von der Art des Messinstrumentes abhängt, mit dem emotionale Intelligenz gemessen wird. So können Leistungstests basierend auf dem Modell nach Mayer und Salovey den Berufserfolg nicht besser vorhersagen als die Kombination aus kognitiver Intelligenz und den fünf Persönlichkeitsdimensionen. Dagegen bieten Selbstberichte und aus den beiden vorgenannten Testformen gemischte Tests zusätzliche Vorhersagekraft.[9] Weitere Forschungsergebnisse zu den Themen, die das Konzept der emotionalen Intelligenz ergänzen oder weiterführen, findet man in den Artikeln Emotionsregulation, Umsetzungskompetenz und Volition.
Die Psychologen Murphy und Sideman kritisieren den in der Populär- und Managementliteratur zirkulierenden verflachten Begriff der emotionalen Intelligenz. Sie halten das Konzept für hochgradig fad-verdächtig. Die blitzschnelle Verbreitung des Begriffs durch das Buch von Goleman und populäre Medien seit 1995 (ein Bandwagon-Effekt), geringe Evidenz durch empirische Forschung, das Fehlen einer theoretischen Weiterentwicklung und die Gläubigkeit der Anhänger des Konzepts (true believers) wecken diesen Verdacht, der sich jedoch nicht gegen die ursprüngliche Version von Salovey und Mayer (1990) richte, die stärker an klassische Theorien anschließe und entwicklungsfähig sei. Im übrigen sei der Begriff problematisch, weil allgemeine Intelligenz und das, was unter dem Begriff der emotionalen Intelligenz gemessen wird, wenig korreliert.[10]
Im Übrigen wäre im 19. Jahrhundert das, was heute (nach Ansicht von Ute Frevert „managementtauglich“) als emotionale Intelligenz bezeichnet wird, nicht im Rahmen von psychologischer Wissenschaft, sondern im Rahmen eines theologisch-moralischen Diskurses, in der Erziehungslehre oder in der Literatur behandelt worden. In diesem Kontext erscheint die Herzensbildung geradezu als Gegenstück zu Intelligenz, wie dies etwa in der üblichen Wendung „Verstand und Herz“ (frz. intelligence et coeur) zum Ausdruck kommt.[11] Vergleiche als Beispiel hierfür etwa bei Marcel Proust, wo Herz im Sinne von Herzensbildung zu verstehen ist:
« Qu’est-ce que cela peut faire qu’il soit duc ou cocher s’il a de l’intelligence et du coeur? »
„Was tut es denn, ob einer Herzog oder Droschkenkutscher ist, wenn er Geist und Herzensbildung besitzt?“