Der Ausdruck Exekutive Funktionen (EF) ist ein Sammelbegriff aus der Hirnforschung und Neuropsychologie. Er bezeichnet jene geistigen Funktionen, mit denen Menschen (im weiteren Sinne: höhere Lebewesen) ihr eigenes Verhalten unter Berücksichtigung der Bedingungen ihrer Umwelt steuern. Sie dienen dazu, das eigene Handeln optimal auf eine Situation auszurichten, um ein möglichst günstiges Verhaltensergebnis zu erzielen. Ein Synonym für dieses Bündel an Fähigkeiten ist auch „kognitive Kontrolle“.

Exekutive Funktionen sind also Kontrollprozesse, die besonders dann eingesetzt werden, wenn automatisiertes Handeln zur Problemlösung nicht mehr ausreicht. Beispiele für solche Situationen wären etwa die Korrektur eines Fehlers, das Erlernen einer komplizierten neuen Fertigkeit oder das Durchbrechen tief verwurzelter Gewohnheiten. In diesen Fällen ist anstatt routiniertem Vorgehen ein hohes Maß an bewusstem und aufmerksamem Handeln gefragt, wofür die EF erforderlich sind.[1]

Beschreibung

Exekutive Funktionen sind keinem einzelnen kognitiven Bereich (z. B. Gedächtnis, Wahrnehmung usw.) zugeordnet, sondern erfüllen eine überwachende Kontrollfunktion.[2] Beispiele für exekutive Funktionen wären:

Es handelt sich also um die höheren mentalen und kognitiven Prozesse, die der Selbstregulation und zielgerichteten Handlungssteuerung des Individuums in seiner Umwelt dienen. Die EF können zusammenfassend als diejenigen psychischen Fähigkeiten verstanden werden, „die der Ausführung von Handlungen unmittelbar vorangehen oder sie begleiten“.[3] Auch Selbstmotivation, die Willensbildung (Volition) und der Anstoß zum Beginnen einer Handlung (Initiative) werden den exekutiven Funktionen zugerechnet.

Die exekutiven Funktionen sind überall im Alltag von zentraler Bedeutung: Sie sind unverzichtbar für eine eigenständige Lebensführung und machen Selbstdisziplin, gutes Zeitmanagement, Umsetzungsstärke und Belohnungsaufschub erst möglich.

Statistische Forschungen ergaben, dass sich alle komplexeren exekutiven Funktionen auf drei unabhängige Basisprozesse reduzieren lassen:[4]

Vorteil dieser Vorgehensweise ist die gute Operationalisierung und Messbarkeit dieser Grundprozesse mittels Tests.[4]

Messverfahren

Zu Messung exekutiver Funktionen werden üblicherweise klassische neuropsychologische Testverfahren (z. B. der Stroop Test) eingesetzt. Deren Vorhersagekraft für reale Alltagstätigkeiten (ökologische Validität) wird jedoch zunehmend angezweifelt und kontrovers diskutiert. Daher werden heute parallel dazu Fragebogenverfahren (etwa das Behavior Rating Inventory of Executive Function (BRIEF)) angewendet, die alltagsnäher konzipiert sind.[5]

Beispiele für bekannte Messverfahren sind:

Neurobiologisches Substrat

Die Voraussetzung für eine gute Funktionsfähigkeit dieser kognitiven Leistungen ist auf Gehirnebene ein intaktes Frontalhirn (insbesondere Präfrontaler Cortex) sowie ein ausbalanciertes Zusammenspiel bestimmter in Regelkreisen angeordneter Nervenbahnen und der zugehörigen Neurotransmitter. Diese neuronalen Regelkreise umfassen neben dem Frontalhirn auch Teile der Basalganglien und den Thalamus (siehe Striatofrontale Dysfunktion).

Medizinische Relevanz

Bei bestimmten neurologischen Störungen (z. B. frontotemporaler Demenz, Dysphasie, Schädel-Hirn-Trauma, Dysexekutivem Syndrom bzw. Frontalhirnsyndrom, fetales Alkoholsyndrom) sind die exekutiven Funktionen beeinträchtigt. Sie sind aber auch bei einer Vielzahl von psychischen Erkrankungen oder Entwicklungsstörungen mehr oder weniger ausgeprägt betroffen: Etwa bei der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS), Autismus, Korsakow-Syndrom, Schizophrenie oder beim Borderline-Syndrom.

Literatur

Fachbücher

Ratgeber

Einzelnachweise

  1. Donald A. Norman, Tim Shallice (1986). Attention to Action: willed and automatic control of behavior. (S. 1–18) In: Richard J. Davidson (Eds). Consciousness and self-regulation. Vol. 4, New York Plenum. ISBN 978-1-4757-0631-4
  2. Jamie Ward: The Student’s Guide to Cognitive Neuroscience. 4. Auflage. Routledge, 2020.
  3. Franz Petermann (Hrsg.): Lehrbuch der Klinischen Kinderpsychologie. 7., überarbeitete und erweiterte Auflage. Hogrefe, Göttingen 2013, ISBN 978-3-8409-2447-7, S. 277.
  4. a b Lutz Jäncke: Einführung in die Kognitiven Neurowissenschaften. Hogrefe-Verlag 2013. ISBN 978-3-456-85004-7, Kapitel 11: Exekutive Funktionen, S. 387–422.
  5. Renate Drechsler, Hans-Christoph Steinhausen: Verhaltensinventar zur Beurteilung exekutiver Funktionen. (Deutschsprachige Adaptation des Behavior Rating Inventory of Executive Function (BRIEF) von G. A. Gioia, P. K. Isquith, S. C. Guy und L. Kenworthy und der Self-Report Version (BRIEF-SR) von S. C. Guy, P. K. Isquith und G. A. Gioia). Hogrefe Verlag, 2013.
  6. Sandra Verena Müller: Behavioural Assessment of the Dysexecutive Syndrome (BADS) im Dorsch Lexikon der Psychologie. 2021 (hogrefe.com [abgerufen am 12. Juli 2021]).
  7. Russell A. Barkley: Barkley deficits in executive functioning scale (BDEFS). Guilford Press, New York 2011, ISBN 978-1-60623-934-6 (guilford.com [abgerufen am 12. Juli 2021]).
  8. Anke Menzel-Begemann: HOTAP-Handlungsorganisation und Tagesplanung. Hogrefe Verlag 2009.
  9. L.H. Phillips: The Role of Memory in the Tower of London Task. In: Memory. Band 7, Nr. 2, 1999, ISSN 0965-8211, S. 209–231, doi:10.1080/741944066.
  10. Ulf Hlobil: Eine theoretische Kritik der somatischen Marker Hypothese Antonio Damasios. Diplomarbeit, 2008 (psycharchives.de [abgerufen am 12. Juli 2021]).
  11. Figure Complexe de Rey. 21. Juli 2007, archiviert vom Original am 21. Juli 2007; abgerufen am 12. Juli 2021.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.testraum.ch
  12. a b Camila de Assis Faria, Heloisa Veiga Dias Alves, Helenice Charchat-Fichman: The most frequently used tests for assessing executive functions in aging. In: Dementia & Neuropsychologia. Band 9, Nr. 2, Juni 2015, ISSN 1980-5764, S. 149–155, doi:10.1590/1980-57642015DN92000009, PMID 29213956 (scielo.br [abgerufen am 12. Juli 2021]).