Mit dem Begriff False Folio oder Pavier’s Quarto bezeichnen Shakespeare-Forscher und Buchwissenschaftler eine Reihe von Werken, die im Jahre 1619 unberechtigt von William Jaggard gedruckt und von Thomas Pavier herausgegeben wurden. Es handelt sich um acht Dramen Shakespeares und zwei ihm fälschlich zugeschriebene Stücke.

Die Bezeichnungen der Fälschungen

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Der von Forschern später eingeführte Begriff „False Folio“ („falsches Folio“) für die unberechtigte Ausgabe von 1619 orientiert sich an der etablierten Bezeichnung für die erste Werkausgabe von Shakespeares Dramen, das First Folio von 1623. Die Bezeichnung „Folio“ für die Ausgabe von 1619 ist nicht ganz korrekt, denn die Stücke erschienen in einem Quarto-Format, das etwas größer als üblich war. 1909 erschienen die Ergebnisse einer erstmaligen Untersuchung mit modernen bibliografischen Methoden durch Alfred W. Pollard, W. W. Greg und William J. Neidig.[1]

Umfang und Art der Fälschung

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1619 druckte William Jaggard zehn Dramen, vermutlich um sie bevorzugt als Sammelband zu verkaufen. Je nach Nachfrage sollten auch Einzelausgaben möglich sein. Da Jaggard aber nicht in jedem Fall die Rechte an den Werken besaß, druckte er sie teilweise mit falschen Datumsangaben und den Namen der ursprünglich verantwortlichen Stationer. Er täuschte auf diese Weise Neuauflagen der früheren Drucke vor. Sortiert nach dem Erscheinungsjahr des Erstdruckes handelt es sich um die folgenden Werke:

Dieser Druck ist eine Innovation. Jaggard fügte zwei ursprünglich als Einzelausgaben gedruckte Werke in einem Band zusammen. The First Part of the Contention Betwixt the Two Famous Houses of York and Lancaster ist der Titel der Erstausgabe von Henry VI, Part 2. Das Werk wurde von Thomas Millington in den Jahren 1594 and 1600 herausgegeben. Die Drucker waren Thomas Creed (1594) und Valentine Simmes (1600). The True Tragedy of Richard Duke of York ist der Titel der Erstausgabe von Henry VI, Part 3. Es wurde von Millington in den Jahren 1595 und 1600 herausgegeben.

In Bezug auf die Reihenfolge der Druckausgaben nimmt man aufgrund der Bogensignatur an, dass Pericles nach The Whole Contention gedruckt wurde. Die Stücke wurden aber in keiner festgelegten Reihenfolge zusammengebunden.

Gründe für die Fälschung

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Da Jaggard keine Rechte an Merchant of Venice besaß (diese gehörten Hayes), hatte er vermutlich ebenfalls keine Rechte an Lear (Rechteinhaber Butters) und Merry Wives (Rechteinhaber Johnson). Die Gründe für Jaggards Vorgehen sind unbekannt. Jaggard hatte lose Beziehungen zu Shakespeares Werken. Er druckte The Passionate Pilgrim in den Jahren 1599 und 1612 fälschlich unter Shakespeares Namen. Manchen Gelehrte haben die Frage aufgeworfen, wieso die King’s Men gerade Jaggard mit dem Druck der First Folio beauftragten, obwohl er erst wenige Jahre vorher mit dem Versuch der Fälschung einer Werkausgabe aufgefallen war. Man vermutet, dass dies aus reiner Not geschah, wahrscheinlich hatte nur Jaggard die technischen Möglichkeiten ein so umfangreiches Werk zu drucken. Auch Paviers Rolle in dem Vorhaben ist umstritten. Da sein Name in etwa der Hälfte der Druckwerke auf der Titelseite erscheint, halten manche Forscher seine Rolle für so bedeutend, dass sie eher von „Pavier-Quartos“ statt einem „False Folio“ sprechen.[3] Da Pollard sich stark mit der Textpiraterie in Shakespeares Kanon beschäftigt hat,[4] prägt dieses Phänomen auch seine Einstellung zum „False Folio“. Spätere Forscher betrachten dagegen das Vorgehen Jaggards und Paviers nicht mehr vornehmlich als Schurkenstück.[5]

Vergleichende Zusammenstellung von Originalen und Fälschungen

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Einzelnachweise

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  1. Alfred W. Pollard: Shakespeare Folios and Quartos. A Study in the Bibliography of Shakespeare’s Plays 1594–1685. Oxford University Press, Oxford 1909 (Digitalisat bei HathiTrust [Zugriff aus den USA]), S. 81–107.
  2. Oxford Companion. S. 145.
  3. Peter M. Blayney: Compositor B and the Pavier Quartos. In: The Library. 5th series. Bd. 27, Heft 3, S. 179–206; William S. Kable: The Pavier Quartos and the First Folio of Shakespeare. W. C. Brown, Dubuque, IA 1970.
  4. Alfred W. Pollard: Shakespeare’s Fight with the Pirates and the Problems of the Transmission of His Text. A. Moring, London 1917.
  5. Sonia Massai: Shakespeare and the Rise of the Editor. Cambridge University Press, Cambridge 2007.