Blick über das Wasserbecken zur Aussegnungshalle
Trauerhalle Getraudenfriedhof in Halle
Trauerhalle Getraudenfriedhof in Halle

Der Gertraudenfriedhof in Halle (Saale) ist ein unter Denkmalschutz stehender, 1912 bis 1914 errichteter Friedhof im Norden der Stadt. Im Denkmalverzeichnis der Stadt Halle ist der Friedhof unter der Erfassungsnummer 094 04815 verzeichnet.[1] Den Entwurf schuf Stadtbaurat Wilhelm Jost.

Geschichte

Der Friedhof wurde zur Entlastung des Südfriedhofs errichtet. Bis Mitte 1914 wurde er Neuer Nordfriedhof genannt, da er ebenfalls nördlich der Altstadt zu finden ist.[2] Seinen heutigen Namen erhielt er in Anlehnung an den ehemaligen innerstädtischen Friedhof der Pfarrkirche St. Gertruden, der im Zuge des Baus des Schiffes der Marktkirche und der Anlage des Marktplatzes beseitigt wurde. Die erste Bestattung war ein verletzter, französischer Kriegsgefangener am 12. September 1914, am 15. September folgte erstmals ein deutscher Kriegstoter.[3]

Der Straßenbahn-Anschluss erfolgte im Jahr 1925.[4] Im Jahr 1934 wurde der Friedhof um die Abteilungen 29 bis 39 und die Kiefernallee erweitert, 1938 entstanden offene Säulenhallen am Eingang Dessauer Straße.[5] Aufgrund der Nähe zu den Siebel Flugzeugwerken wurde der Friedhof am 16. August 1944 bei einem der Luftangriffe auf Halle (Saale) schwer in Mitleidenschaft gezogen. Es entstanden etliche Bombentrichter, Gräber und Brunnen wurden in Mitleidenschaft gezogen. Die Verwaltung musste danach in den südlichen Flügel neben der Kapelle umziehen, da die bisherigen Räumlichkeiten am Landrain zerstört wurden.[5] Bei der Gärtnerei starben elf Menschen, die dort Schutz gesucht hatten.[6] Die Säulenhalle am Eingang Dessauer Straße wurde 1967 für eine Straßenerweiterung beseitigt, für die auch die Mauer teilweise versetzt wurde.[7]

In den Jahren 1991 und 1992 wurde das alte Krematorium durch einen Neubau ersetzt, der 1993 in Betrieb ging.[8] In den ersten 100 Jahren wurden auf dem Getraudenfriedhof 92.291 Menschen beerdigt.[9]

Bauwerke

Der Gertraudenfriedhof ist mit ca. 37 ha Gesamtfläche der größte Friedhof in Halle (Saale). Zentraler Bestandteil der Architektur ist die turmartige, fast würfelförmige, monumentale tempelartige Aussegnungshalle mit Krematorium. Die Halle, die vom Vorplatz durch eine breite Freitreppe oder durch im rechten Winkel verlaufende Rampen von einer Terrasse zu erreichen ist, wurde mit einem flachen Walmdach gedeckt. Der Zentralbau wird von Säulenkolonnaden in dorischem Stil mit Aufenthaltsräumen flankiert, die ihren Abschluss in vorgezogenen Säulengalerien finden. Im Jahr 1925 erhielt die Feierhalle eine Rühlmann-Orgel.[10]

Bemerkenswert sind zwei, auf die Antike verweisende ca. 10 Meter hohe Malsäulen auf der Terrasse, auf denen ein Totentanzrelief abgebildet ist. Ursprünglich trugen sie überlebensgroße Figuren, die seit Dezember 1988 verschollen sind. Die Säulen wurden von Paul Horn geschaffen. Das Totentanzrelief schuf sein Sohn Richard Horn. Im Jahr 2020 wurden die Figuren „Leben“ und „Tod“ durch die Schweizer Bildhauerin und Medailleurin Maya Graber neu erschaffen und im September wieder aufgestellt.[11][12]

In Richtung Westen schließen sich die Funktionsbauten des Feuerbestattungsvereins an. Die an jedem Krematorium problematische Gestaltung der beiden Schornsteine wurde durch ihre Anordnung hinter der Kapelle und die Schaffung eines verbindenden Schwibbogens gelöst. Seit 1993 steht auf dem Gelände des Feuerbestattungsvereins hinter der kleinen Feierhalle eine neue Einäscherungsanlage.

Innen besteht die Aussegnungshalle aus einer hohen Rotunde mit einer Kuppel, die von schlichten dorischen Säulen gestützt wird. Die Kuppel ist von innen mit Fresken von Karl Völker geschmückt; darunter ein Bildmotiv „Engelszyklus“.

Vor der Halle befindet sich ein von hohen Pappeln umsäumtes großes rechteckiges Wasserbassin, in dem sich die Feierhalle spiegelt.

Das sich nördlich der Hauptachse in Höhe des Wasserbeckens in der Abteilung 9 befindliche Kolumbarium ist eine offene Anlage auf einem rechteckigen Grundriss, die erst 1936 fertiggestellt wurde und ebenfalls von Wilhelm Jost stammt.[5] Die Kalksteinummauerung wird durch große Rundbögen gegliedert, in denen sich die Urnennischen befinden.

Auf dem Friedhof befinden sich des Weiteren 58 verschiedene Brunnen und Wasserentnahmestellen, die teilweise von Richard Horn geschaffen wurden. Unter Denkmalschutz stehen 20, die restlichen sind einfach Betonbecken. Ein Jugendstil-Brunnen stammt von Hannes Miehlich, ein anderer konnte indirekt Karl Österling zugeordnet werden, beides Künstler aus dem Umfeld der Bildhauer Horn. Im Fall des Österling-Brunnens handelt es sich um eine Auftragsarbeit für einen anderen Zweck, die dann als Grabstein für sein eigenes Grab Verwendung fand und erst später an den Brunnen gelangte.[13]

Denkmale und Gräberfelder

Auf dem Friedhof stehen bzw. standen mehrere bedeutsame Denkmale, Kunstwerke und Anlagen; zu ihnen gehören:

Zudem wurden im Laufe der Geschichte bereits mehrere Denkmäler und Gedenkstätten wieder zerstört, darunter das Denkmal für die in den Märzkämpfen in Mitteldeutschland gefallenen Zeitfreiwilligen. Es wurde aus Spenden der Bürgerschaft errichtet und am Himmelfahrtstag 1921 (5. Mai) feierlich enthüllt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es im Jahr 1947 zerstört.[24] Die Kreuzinschrift war aus dem Johannesevangelium (15:13):

NIEMAND HAT GRÖSSRE LIEBE DENN DIE DASS ER SEIN LEBEN LÄSSET FÜR SEINE FREUNDE

Noch kürzer war die Lebensdauer einiger anderer Denkmäler, so des Denkmals für die „Märzgefallenen“, das Martin Knauthe 1921 schuf. Es wurde im Jahr 1940 zerstört.[3] Beim Bombenangriff von 1944 wurden die beiden Figuren mit Engelsflügeln am Portal des Wirtschaftseingangs am Landrain vernichtet.[25] Zuvor wurde bereits das Denkmal für die zehn Toten des Blutfreitags von 1925 beseitigt. Das Denkmal für die Bombenopfer entstand unter Verwendung von Resten eines 1938 errichteten und 1946 entwidmeten Kriegerdenkmals für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs.[7]

Gräber bekannter Persönlichkeiten

Da der Gertraudenfriedhof der jüngste der vier großen innenstadtnahen Friedhöfe – nach dem Stadtgottesacker von 1557, dem Nordfriedhof von 1850 und dem Südfriedhof von 1887 – ist, befinden sich hier vor allem Gräber der Toten des 20. Jahrhunderts, darunter das von Wilhelm Jost, der große Teile der Anlagen in seiner Funktion als Stadtbaurat entwarf. Daneben finden sich Gräber von bekannten Künstlern, Wissenschaftlern und Widerstandskämpfern.

Neuer Jüdischer Friedhof

Historische Grabsteine auf dem Neuen Jüdischen Friedhof

Teil des Gesamtareals ist der Neue Jüdische Friedhof, der als getrennte Anlage errichtet wurde. Bereits im Jahr 1904 hatte die jüdische Gemeinde ein Grundstück am Landrain erworben, das aber nach der Verabschiedung eines Bebauungsplans nicht mehr genutzt werden konnte. Daraufhin trat die Gemeinde 1924 in Verhandlungen mit der Stadt und erhielt im Jahr 1925 ein 1,875 Hektar großes Grundstück an der Dessauer Straße.[3][4] 1929 wurde der Friedhof mit dem Eingang an der Dessauer Straße 24 als vierter jüdischer Friedhof eingeweiht.[4] Der Leipziger Architekt Wilhelm Haller errichtete mit der Trauerhalle die zu diesem Zeitpunkt bedeutendste expressionistische Architekturschöpfung in Halle.[26]

Im Jahr 1939 wurde die jüdische Trauerhalle als Rückwandererheim für die „evakuierten“ Juden aus den westdeutschen Frontgebiete deklariert und eine Zwischendecke in die Halle eingezogen. Im Folgejahr wurden Zwischenwände eingebaut. Weitere Umbauten folgten im Februar 1941, ein Erweiterungsbau im Mai 1942 veränderte sie äußerlich schließlich völlig. Die Friedhofshalle wurde nun als jüdisches „Altenheim“ bezeichnet und als Sammellager für Juden aus Halle, dem Saargebiet, der Pfalz und aus Baden genutzt. Von hier aus erfolgten Deportationen nach Theresienstadt und von dort nach Auschwitz.[5] Auch nach 1945 fungierte das Gebäude als Altenheim und wurde erst im Jahr 1990 wieder in eine jüdische Trauerhalle umgewandelt.[8]

Zum Friedhof gehört auch ein jüdisches Denkmalfeld mit insgesamt 180 Grabmalen, zum Teil noch aus dem Mittelalter. Es entstand, als das Begräbnisfeld am Töpferplan, dem zweiten alten jüdischen Friedhof, im Jahre 1937 zwangsweise aufgelöst wurde und die besterhaltenen Grabmale in die Anlage des neuen jüdischen Friedhofs integriert wurden.[26]

Träger des Friedhofs ist die Jüdische Gemeinde Halle.

Literatur

Einzelnachweise

  1. Landesamt für Denkmalpflege Sachsen-Anhalt (Hrsg.): Denkmalverzeichnis Sachsen-Anhalt / Stadt Halle. Fliegenkopfverlag, Halle 1996, ISBN 3-910147-62-3. S. 266.
  2. Vgl. Natur und Kunst, S. 26–27.
  3. a b c d Vgl. Natur und Kunst, S. 115.
  4. a b c Vgl. Natur und Kunst, S. 116.
  5. a b c d e f Vgl. Natur und Kunst, S. 117.
  6. Ernst-Ludwig Bock: Halle im Luftkrieg 1939–1945. Projekte Verlag, Halle (Saale) 2002, S. 30. Werner Piechocki: Eine Chronik der Fliegerangriffe auf Halle. In: Hallesches Monatsheft für Heimat und Kultur. 2. Jahrgang, Nr. 4, 1955, S. 3–6.
  7. a b c d e f g h i Vgl. Natur und Kunst, S. 119.
  8. a b c d Vgl. Natur und Kunst, S. 121.
  9. Vgl. Natur und Kunst, S. 125.
  10. Halle (Saale) / Landrain – Gertraudenfriedhof (Große Feierhalle) – Orgel Verzeichnis – Orgelarchiv Schmidt. Abgerufen am 26. März 2022.
  11. Sven Götze: Skulpturen & Plastiken, Leben und Tod. In: Halle im Bild. 1. Februar 2023, abgerufen am 4. Dezember 2023.
  12. Mathias Homagk: Gertraudenfriedhof Halle/Saale. In: Verein für Friedhofskultur in Halle und dem Umland e.V. Abgerufen am 4. Dezember 2023.
  13. Vgl. Natur und Kunst, S. 91–99.
  14. Vgl. Natur und Kunst, S. 73–74 ausführlicher zu den Opfergruppen.
  15. a b c Vgl. Natur und Kunst, S. 78.
  16. Vgl. Natur und Kunst, S. 69.
  17. a b c Vgl. Natur und Kunst, S. 122.
  18. Vgl. Natur und Kunst, S. 75, 77.
  19. Vgl. Natur und Kunst, S. 74–75.
  20. Vgl. Befreiungskriege (Gertraudenfriedhof). In: Halle im Bild. 30. Juli 2020, abgerufen am 24. Juni 2021.
  21. Vgl. Natur und Kunst, S. 71–72.
  22. Vgl. Natur und Kunst, S. 71.
  23. Vgl. Natur und Kunst, S. 79.
  24. Aribert Schwenke: Zeitfreiwilligen-Verbände und Hallenser SC während der Unruhen in den Jahren 1919–21. In: Einst und Jetzt. Band 31, 1986, S. 47–72.
  25. Abbildung siehe z. B. Natur und Kunst, S. 26 & S. 28.
  26. a b Vgl. Natur und Kunst, S. 101–109.

Koordinaten: 51° 30′ 17,3″ N, 11° 59′ 4,5″ O