Gertrud Eysoldt, um 1888
Gertrud Eysoldt als Lulu, Lithographie von Emil Orlik (1919)

Gertrud Franziska Gabriele Eysoldt, auch Gertrud Martersteig und Gertrud Berneis (* 30. November 1870 in Pirna; † 5. Januar 1955 in Ohlstadt) war eine bedeutende deutsche Theaterschauspielerin und Schauspiellehrerin in Berlin. Nach ihr ist der Gertrud-Eysoldt-Ring benannt, der jährlich für hervorragende schauspielerische Leistungen vergeben wird.

Leben

Herkunft und erste Theaterengagements

Sie war die Tochter des Reichstagsabgeordneten Arthur Eysoldt und dessen Ehefrau Bertha Wilhelmine Richter in Pirna[1]. Die Schwester engagierte sich in der Frauenbewegung.[2]

Eysoldt studierte von 1888 bis 1889 an der Königlichen Musikschule in München. Danach spielte sie am dortigen Hoftheater seit 1890 als Elevin in ersten kleinen Rollen. Im Herbst wechselte sie an das bekannte Hoftheater in Meiningen, das mit seiner realistischen Aufführungspraxis zu den modernsten Theatern in Deutschland gehörte. Dort wurde sie vom Theaterherzog Georg II. und dessen Frau gefördert.

Auf einer Gastspielreise des Theaters kam Eysoldt 1891 nach Riga. Dort wurde sie ab Herbst als Erste Muntere und Naiv-Sentimentale am Staatstheater angestellt. Max Martersteig war der Direktor, er wurde 1894 ihr Ehemann. 1893 wechselte sie an das Hoftheater Stuttgart, wo sie erste Titelrollen in Hauptmanns Hanneles Himmelfahrt und Ibsens Nora spielte.

Berlin 1899–1919

Gertrud Eysoldt als Salome von Lovis Corinth 1903

1899 ging Eysoldt nach Berlin, wo sie zunächst am Schiller-Theater O. engagiert war, ab 1900 am Lessingtheater. Ab Ende 1901 spielte sie auch in der Kleinkunstbühne Schall und Rauch, die Max Reinhardt mit jungen Schauspielerkollegen gegründet hatte.

Ab dem Herbst 1902 spielte sie im Kleinen Theater, das daraus hervorgegangen war, die weiblichen Hauptrollen. Ihre Salome im Stück von Oscar Wilde wurde ein phänomenaler Erfolg, der ihren Ruf als bedeutendste Theaterschauspielerin dieser Jahre in Berlin begründete. Sie spielte die Rolle mit einer Leidenschaft, die auf die Anwesenden einen tiefen Eindruck hinterließ. Ihre intensive Spielweise war Teil einer Abkehr des Kleinen Theaters vom rein naturalistischen Theater. Ähnliche Erfolge erzielte sie mit der Lulu von Frank Wedekind und dem Puck im Sommernachtstraum von Shakespeare, den sie mit einer rüpelhaften Wildheit spielte, die sich völlig von bisherigen eher ballettartigen Darstellungen der Rolle unterschied.[3] Der Schriftsteller Hugo von Hofmannsthal war von ihrer Nastja in Gorkis Nachtasyl so beeindruckt, dass er für sie das Drama Elektra und später zwei weitere Rollen für sie schrieb.

Eysoldt spielte seit 1903 auch im Neuen Theater und seit 1905 schließlich im Deutschen Theater, jeweils unter der Direktion von Max Reinhardt. Sie wurde der Star seiner Bühnen, die der einen erheblichen Anteil an dessen Erfolgen hatte.

Ab 1905 unterrichtete sie auch an der Schauspielschule des Deutschen Theaters, bis in die frühen 1930er Jahre wahrscheinlich mehr als 2.000 Schülerinnen.

Berlin 1920–1945

Eysoldt war seit 1920 auch Direktorin des Kleinen Schauspielhauses in Berlin-Charlottenburg. Dort setzte sie unter anderem trotz Zensurverbots die Aufführung von Arthur Schnitzlers Reigen durch, weswegen sie im „Reigenprozess“ verklagt wurde. 1922 gab sie die Leitung wieder ab.

Seit 1923 spielte sie in einigen Stummfilmen mit. Dort verkörperte sie teilweise Vamprollen. 1930 wurde Eysoldt Mitglied im Komitee zur Vorbereitung des großen 5. Internationalen Kongresses für Individualpsychologie in Berlin, den der befreundete Arthur Kronfeld vorbereitet hatte.

1933 emigrierte Max Reinhardt. Eysoldt trat seitdem nur noch selten in Theatern auf, sie wirkte noch in zwei Filmen mit. Sie stand 1944 in der Gottbegnadeten-Liste des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda.[4]

Letzte Jahre

Grabstätte

1945 verließ sie Berlin und wohnte bei Freunden in Ohlstadt bei Murnau. Dort starb sie wahrscheinlich am 5. Januar 1955.[5]

Ihr Grab befindet sich auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin-Mitte.

Ehen und Nachkommen

Gertrud Eysoldt war in erster Ehe mit dem Schauspieler und Schriftsteller Max Martersteig verheiratet. Aus der Ehe ging 1891 der spätere Dirigent und Komponist Leo Eysoldt hervor.

Ihr zweiter Ehemann war der Maler Benno Berneis, den sie 1915 heiratete. Mit ihm hatte sie bereits 1910 ihren zweiten Sohn Peter Berneis, der ebenfalls als Schauspieler tätig war und nach 1945 vor allem als Drehbuchautor arbeitete.

Ehrungen

Gedenktafel in der Marktgasse in Pirna

Theaterrollen (Auswahl)

Erste Rollen

Berlin

In Berlin spielte Eysoldt zuerst im Schillertheater O. und dem Lessingtheater, danach in zahlreichen Rollen im Kleinen Theater, Neuen Theater im Deutschen Theater und weiteren Bühnen, meist unter der Direktion von Max Reinhardt.

Theaterregie

Gertrud Eysoldt führte Regie in einigen Theaterstücken, vor allem im Kleinen Schauspielhaus in Berlin-Charlottenburg, das sie von 1920 bis 1922 leitete.

Filmografie

Würdigung

Gertrud Eysoldt war eine der bedeutendsten Theaterschauspielerinnen im Berlin des frühen 20. Jahrhunderts. Sie beeindruckte durch ihre meisterlich gespielten, oft erotisch angehauchten Frauengestalten, sowie ihr großes, facettenreiches Rollenspektrum. Einige sahen in ihr die erste Feministin des deutschen Theaters.[8] Es gibt zahlreiche Würdigungen ihrer Schauspielkunst.

Literatur

Einzelnachweise

  1. Digitale Bibliothek - Münchener Digitalisierungszentrum. Abgerufen am 18. März 2018.
  2. Gertrud Eysoldt Steffi Line, ausführliche Biographie
  3. "Aus dem niedlichen Ballett-Puck früherer Inszenierungen machte sie einen zotteligen Kobold, der durch einen richtigen Wald auf der Bühne hüpfte" Steffi Line
  4. Eysoldt, Gertrud. In: Theodor Kellenter: Die Gottbegnadeten : Hitlers Liste unersetzbarer Künstler. Kiel: Arndt, 2020, ISBN 978-3-88741-290-6, S. 373
  5. Auf ihrem Grabstein steht der 5. Januar 1955, so auch in dtv Theaterlexikon und Ulrich Liebe (Hrsg.): Von Adorf bis Ziemann. Die Bibliographie der Schauspieler-Biographien 1900-2000 und dtv Theaterlexikon. Dagegen gibt die Neue Deutsche Biographie und einige Filmlexika wie Kay Weniger: Das große Personenlexikon des Films und rororo Theaterlexikon 2 den 6. Februar an
  6. "(…) sie ist "Hüterin des Mordes" schlechtweg; eine Fledermaus der Rache: weil das ganze Werk Erfüllung des Rachegefühls ausdrückt. Sie verkörpert ein Ding, nicht einen Fall. Sie hält wunderbar die Arme gespreizt wie ein Nachtvogel die Fittiche (der Dichter sagt nur, sie solle mit dem Rücken gegen die Wand gepreßt stehen), sie ist mit Raubtieraugen Hüterin des Mordes, wird zu einem Ornament, zu einer Impression, zu einem Symbol, sie gibt den Stil der malenden Schauspielkunst. Man hat schlimmstenfalls das ganze Geschöpf in dieser Gebärde. Und die Sache in diesem Geschöpf." Alfred Kerr
  7. "Aus dem niedlichen Ballett-Puck früherer Inszenierungen machte sie einen zotteligen Kobold, der durch einen richtigen Wald auf der Bühne hüpfte. Sie verkörperte den Puck bis 1921 in insgesamt fünf Inszenierungen des Stücks durch Reinhardt."
  8. Gertrud Eysoldt Steffi Line, dort auch die folgenden Zitate (mit Anmerkungen 1 bis 5)
  9. Felix Hollaender
  10. Sport im Bild, 1905, Artikel Berliner Bühnensterne