Der Hanauer Geschichtsverein 1844 e. V. ist einer der ältesten Geschichtsvereine in Hessen und in Deutschland. Er widmet sich vorrangig der Geschichtsforschung in der Stadt, Grafschaft und späteren Provinz Hanau. Eine besondere Tradition besitzt der Verein als ältester heute noch archäologisch tätiger Verein.

Geschichte

Grafschaft Hanau, Karte von Friedrich Zollmann 1728.

Gründung

Der Verein wurde am 18. September 1844 als Hanauer Bezirksverein für hessische Geschichte und Landeskunde gegründet. In der Anfangszeit bildeten archäologische Themen die Ausnahme, wenngleich der Verein zahlreiche Gräber des Kastell und Vicus Salisberg sicherte, die beim Bau der Frankfurt-Hanauer Eisenbahn entdeckt wurden. Unter dem Vorsitz von Pfarrer Anton Calaminus, Regierungsrat Johann Peter Ruth und Landbaumeister Carl Arnd etablierte sich früh ein Vortragswesen, da sich die Mitglieder der Forschung und zugleich ihrer Dokumentation verpflichtet fühlten. Den Vortragsprogrammen der ersten Vereinsjahre ist zu entnehmen, dass Themen der mittelalterlichen und neuen Geschichte mit hanauer oder hessischem Schwerpunkt dominierten. Die Befreiungskriege und speziell die Schlacht bei Hanau waren beliebte Themen, besonders weil zum damaligen Zeitpunkt noch Zeitzeugen existierten, deren Berichte dokumentiert werden mussten.

Der Verein war bis zu einer Satzungsänderung 1896 Teilverein des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde. Er betrieb von 1874 bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts ein kleines Museum im Erdgeschoss des Regierungsgebäudes am Schlossplatz, zusammen mit der Wetterauischen Gesellschaft. Die sehr beengten Verhältnisse konnten erst mit dem Umzug in das Altstädter Rathaus (heute: Deutsches Goldschmiedehaus) behoben werden. Neben den Bodenfunden aus dem Altkreis Hanau besaß der Verein auch Mittel zu Ankäufen, wodurch die Sammlung ebenso wuchs wie durch Nachlässe und Geschenke. 1923 erschien die 1913–1919 erarbeitete Publikation der Hanauer Sammlung als Katalog West- und Süddeutscher Altertumssammlungen.[1]

Limesforschung

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts leistete der Verein besonders in der Archäologie Beträchtliches. Die Tätigkeit, welche der Verein schon vor der Gründung der Reichs-Limeskommission entfaltete, ist eng verbunden mit Reinhard Suchier und Albert Duncker, später Georg Wolff. Der Gymnasiallehrer Duncker führte, unterstützt vom Numismatiker Suchier Grabungen im Kastell Alteburg bei Rückingen durch. Seine Ergebnisse führten zur Widerlegung eines vermuteten Limesverlaufs über den Vogelsberg an den Main („Vogelsberg-Limes“).[2] Während Duncker noch seine These verteidigen musste[3], wurde die Vogelsberg-Theorie in den 1880er Jahren durch die Entdeckung der Kastelle der Mainlinie (Wörth 1881, Obernburg 1882, Trennfurt 1883 und Stockstadt 1885) endgültig widerlegt. In der Folge gelang Georg Wolff die Entdeckung der Kastelle Großkrotzenburg (1881, 1882 erstmals publiziert) und Marköbel (1884). Im Norden komplettierten die Untersuchungen der Reichs-Limeskommission unter Friedrich Kofler das bis heute mit geringen Abstrichen gültige Bild des Wetterau-Limes.

Mit der Berufung Wolffs nach Frankfurt setzte er seine erfolgreiche Tätigkeit fort, unter anderem durch Grabungen in der Römerstadt Nida-Heddernheim. Er blieb dem Verein aber weiterhin verbunden und hielt Vorträge in Hanau. Später wurde er Ehrenvorsitzender des Vereins. Eine Bronzebüste von Georg Wolff, geschaffen von August Bischoff, steht heute im Historischen Museum Hanau.

Mit den Funden des Geschichtsvereins im Zweiten Weltkrieg zerstörtes Mithrasrelief aus Großkrotzenburg. Aufstellung im Museum des Vereins im Altstädter Rathaus (ca. 1900 bis 1919).

Der Geschichtsverein in der NS-Zeit

Nach der Machtübernahme der NSDAP wurde von verschiedenen Seiten eine Gleichschaltung des Geschichtsvereins versucht, die mit der Ernennung des NS-Bürgermeisters Walter Junker zum Vereinsführer 1941 auch vollständig vollzogen war. Junker war damit der einzige Vorsitzende in der Vereinsgeschichte, der nicht gewählt wurde. Der Verein hatte zunächst den Beitritt zum Reichsbund Volkstum und Heimat (1934) und zum Reichsbund für Deutsche Vorgeschichte (1936) abgelehnt. Junker, seit 1937 Hanauer Bürgermeister, förderte die Renovierung der Altstadt sowie die Anerkennung Hanaus als Goldschmiedestadt. Den geeigneten Hebel gegenüber dem Geschichtsverein fand er in den finanziellen Zuwendungen der Stadt für Verein und Museum sowie dem Umzug des Museums vom Altstädter Rathaus in den Fürstenbau des Stadtschloss Hanau. Die Umbenennung des Altstädter Rathauses zum Deutschen Goldschmiedehaus wurde im Oktober 1942 vollzogen. Der Umzug des Museums in die neuen Räume im Stadtschloss erfolgte zunächst mit der römisch-germanischen Abteilung.

Durch den 1943 aus dem Kriegsdienst zurückgekehrten Museumsleiter Hugo Birkner wurden zwischen November 1943 und 1944 zahlreiche Vereinsbestände vor den zunehmenden Luftangriffen ausgelagert, viele davon sogar im Spessart und Vogelsberg in Sicherheit gebracht, darunter besonders die wertvollen Archivalien.

Aufgrund des Bombenkriegs und der Auslagerung von Kulturgütern wurde der Umzug des Museums in das Stadtschloss anscheinend nicht komplett vollzogen. Am 6. Januar 1945 wurden das Stadtschloss bei einem Bombenangriff durch die Royal Air Force zerstört, nur die Außenmauern standen noch. Manche archäologischen Funde aus der Stadt und dem Altkreis und vor allem ein Teil der reichhaltigen Vereinsbibliothek gingen dadurch verloren. Die Steindenkmäler waren zunächst mit dem Lapidarium des Vereins im Altstädter Rathaus verblieben. Dort konnten nur noch kleinere Bruchstücke aus den Trümmern geborgen werden.[4] Trotz der Verluste zahlreicher Bodenfunde gelang es vor allem durch Birkners unermüdliche Arbeit, etwa 80 % der Vereinsbestände über den Krieg zu retten.[5]

Die Folgen des Zweiten Weltkriegs

In der Nachkriegszeit war es zunächst unmöglich, die Bestände des Vereins museal zu präsentieren. Ab 1955 verfügte der Verein immerhin über Magazinräume im Schloss Philippsruhe. Das dortige Museum wurde offiziell erst 1967 eröffnet. Ohnehin hatte der Verein zunächst andere, vorrangige Ziele. Im Feuersturm nach den Bombenangriffen vom 19. März 1945 waren große Teile der historischen Bausubstanz von Alt- und Neustadt Hanau zerstört worden. Gleichwohl wären zahlreiche der Gebäude zu retten oder wieder aufzubauen gewesen, da ihre Außenmauern noch standen. Unter anderem betraf dies das Stadtschloss, das Stadttheater und das barocke Zeughaus am Freiheitsplatz. Auch das Edelsheimsche Palais sowie ein größeres Stück der mittelalterlichen Mauer der Hanauer Altstadt entlang der Nordstraße standen damals noch.

Der Disput über den Erhalt dieser Kulturdenkmäler mit der Stadtverwaltung und den verantwortlichen Politikern zog sich bis 1956 hin. Entgegen dem von Verein und Denkmalpflege befürworteten Erhalt wurden die meisten dieser Gebäude und Baudenkmäler abgerissen.[6] Vom Stadtschloss blieben nur Teile, wie das Regierungsgebäude (heute Stadtbibliothek), der Wasserturm und der Marstall (Stadthalle) erhalten. Einige der Hanauer Sandsteinbrunnen aus der Renaissance sowie wenige Architekturteile der Altstadt wurden gesichert oder in moderne Gebäude eingefügt. Die Geringschätzung der historischen Substanz hat zur Folge, dass die Hanauer Innenstadt heute zum großen Teil aus eher zweckmäßiger Architektur der 1950er und 1960er Jahre besteht und bis auf wenige Ausnahmen, wie das Goldschmiedehaus, seine frühere Attraktivität komplett eingebüßt hat.[7]

Der Hanauer Geschichtsverein heute

Inhalte

Hugo Birkner hat sich in der Nachkriegszeit weiter der archäologischen Forschung gewidmet. Verstärkt seit Ende der 1970er Jahre wurden durch den Verein regelmäßig archäologische Forschungen im Altkreis Hanau durchgeführt.[8] Der Hanauer Geschichtsverein vermittelt auch heute noch die Geschichte der Stadt und ehemaligen Grafschaft Hanau in Wort und Bild.

Wie zur Zeit der Vereinsgründung machen Vorträge, Publikationen und Studienfahrten heute noch einen wesentlichen Teil der Vereinsarbeit aus. Der Verein ist an zahlreichen Ausstellungsprojekten beteiligt, zuletzt an der überregionalen Ausstellung „die Amerikaner in Hessen“ und der Ausstellung „Kesselstadt – Vom Kastell zum Stadtteil“ (2009). Die Sammlungen des Vereins sind heute elementarer Bestandteil des gemeinsam mit der Stadt Hanau getragenen Historischen Museum Hanau und des archäologischen Museums Schloss Steinheim.

Bibliotheksbestände des Vereins sind gemeinsam mit der Hanauer Stadtbibliothek erfasst und können im dortigen online-Portal als Katalog „HGV-Hanauer Geschichtsverein“ abgefragt werden.[9] Bedeutende Archivalien wie das Dienerbuch des Johann Adam Bernhard oder die Zieglersche Chronik befinden sich ebenfalls im Besitz des Vereins und können über das Stadtarchiv Hanau eingesehen werden.[10]

Arbeitsgruppen

Der Verein arbeitet in Räumlichkeiten im Regierungsgebäude am Schlossplatz und im Schloss Philippsruhe. Arbeitsgruppen bestehen zu den Bereichen

Ehrungen

Bedeutende Mitglieder

Publikationsreihen

Publikationen (Auswahl)

Hanauer Geschichtsblätter

- seit 1985, eine Übersicht über ältere Publikationen des HGV befindet sich am Ende von Band 29, 1985–

Hanauer Schriften zur Archäologie und Geschichte

Literatur

Einzelnachweise

  1. Ferdinand Kutsch: Hanau. 1. Teil, Frankfurt am Main 1923; 2. Teil, Frankfurt am Main 1926 (Kataloge west- und süddeutscher Altertumssammlungen 5).
  2. A. Duncker: Beiträge zur Erforschung und Geschichte des Pfahlgrabens (Limes imperii Romani Transrhenanus) im unteren Maingebiet und der Wetterau. Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde N.F. 8,1880; Fritz-Rudolf Herrmann: Die archäologische Erforschung der Römerzeit in Hessen. In: D. Baatz, F.-R. Herrmann: Die Römer in Hessen. Theiss, Stuttgart 1989 S. 27f.; Rainer Braun: Frühe Forschungen am Obergermanischen Limes in Baden-Württemberg. Kleine Schr. Kenntnis Röm. Besetzungsgeschichte Südwestdeutschlands (Schriften des Limesmuseums Aalen) 45, Stuttgart 1991 S. 36, 42–44.
  3. Ernst Fabricius, Felix Hettner, Oscar von Sarwey (Hrsg.): Der obergermanisch-raetische Limes des Roemerreiches/Abt. A, Bd. 2,1. S. 7.
  4. Eckhard Meise: Bernhard Hundeshagen – kein Denkmalschutz im Hanau des frühen 19.Jahrhunderts. In: Neues Magazin für Hanauische Geschichte 2006, S. 3–61, hier: S. 52.
  5. K. L. Krauskopf 1994, S. 330.
  6. K. L. Krauskopf 1994, S. 248–262 (mit weiteren Quellen).
  7. Postkartenansichten Hanaus aus der Vorkriegszeit (Memento des Originals vom 31. Dezember 2015 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.hgv1844.de
  8. Seite der Arbeitsgemeinschaft (Memento des Originals vom 7. April 2014 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.hgv1844.de
  9. Stadtbibliothek Hanau
  10. Stadtarchiv Hanau (Memento des Originals vom 2. Mai 2013 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.hanau.de