Hannes Heer (Fotografie aus dem Jahr 2017)

Hans Georg „Hannes“ Heer (geboren am 16. März 1941 in Wissen) ist ein deutscher Historiker, Regisseur und Publizist.

Bekannt wurde er insbesondere als einer der inhaltlich prägenden wissenschaftlichen Gestalter der Wehrmachtsausstellung (Originaltitel: „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“), die als Wanderausstellung ab Mitte der 1990er Jahre zum ersten Mal die Kriegsverbrechen der regulären deutschen Streitkräfte während des Zweiten Weltkriegs auch für eine breite Öffentlichkeit dokumentierte. Heer trug damit – gegen Widerstände von vor allem rechtsextremen und geschichtsrevisionistischen Kreisen – maßgeblich dazu bei, die im geschichtswissenschaftlichen Umfeld bereits nachgewiesene Widerlegung des Mythos der vermeintlich „sauberen Wehrmacht“ auch im Bewusstsein der deutschen Bevölkerung zu verbreiten.

Für diese Leistung wurde Hannes Heer 1997 stellvertretend für das Organisationsteam der Ausstellung mit der Carl-von-Ossietzky-Medaille ausgezeichnet.

Leben

Studium und Studentenbewegung

Heer studierte Literatur- und Geschichtswissenschaft in Bonn, Freiburg und Köln. Das Studium schloss er 1968 mit dem Staatsexamen ab. Von 1970 bis 1972 absolvierte er in Bonn ein Aufbaustudium in Volkswirtschaft und Wirtschaftsgeschichte.[1]

Seit den 1960er Jahren engagierte sich Heer in der Studentenbewegung und in der politischen Linken. In Bonn wurde er im Januar 1965 ins Studentenparlament und in den AStA gewählt. Ein Jahr später gehörte er zu den Wiederbegründern des dortigen Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS). Wegen seiner Tätigkeit im SDS wurde er 1968 nicht als Referendar zum Schuldienst zugelassen. Ab 1969 gehörte er für eine Amtszeit dem SDS-dominierten Vorstand des Verbands Deutscher Studentenschaften (VDS) an und stand kommunistischen Organisationen nahe.[2]

Arbeit in der Wissenschaft, am Theater und beim Film

Seine berufliche Laufbahn umfasst Tätigkeiten bei wissenschaftlichen Institutionen, im Kulturbereich und in den Medien. Von 1975 bis 1979 war er Lehrbeauftragter und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bremen. Er arbeitete als Rundfunkautor und 1980 bis 1985 als Dramaturg und Regisseur am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg und an den städtischen Bühnen Köln. In Hamburg inszenierte er 1980/81 das Stück Als ich neun Jahre alt war, kam der Krieg, das Erlebnisse von Kindern in der Zeit des Nationalsozialismus thematisiert. 1995 brachte er dort mit dem Minsker Prozess erneut ein Stück über den Krieg und dessen Aufarbeitung in der Nachkriegszeit auf die Bühne.

Von 1985 bis 1992 drehte er Dokumentarfilme für ARD und ZDF. In dieser Zeit entstanden mehr als 20 Dokumentarfilme, unter anderem Regiearbeiten über Joseph Beuys,[3] über den 1945 von einem Werwolf-Kommando ermordeten Aachener Bürgermeister Franz Oppenhoff[4] und mit „Mein 68“ eine persönliche Auseinandersetzung mit der 68er-Bewegung und der eigenen Familiengeschichte.[5]

Leiter der „Wehrmachtsausstellung“

Während eines geplanten Filmprojekts über die SS-Einsatzgruppen in Weißrussland kam Heer in Kontakt mit Jan Philipp Reemtsma, dem Gründer des Hamburger Instituts für Sozialforschung (HIS). 1993 bis 2000 war Heer wissenschaftlicher Mitarbeiter am HIS. Dort zeichnete er für die erste Wehrmachtsausstellung verantwortlich, die ihn einer breiteren Öffentlichkeit bekannt machte. Das Projekt mit dem Titel Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944 war von 1995 bis 1999 in 34 Städten zu sehen und fand etwa 900.000 Besucher. Es thematisierte die seit der Nachkriegszeit populäre „Legende von der sauberen Wehrmacht“ und zeigte die aktive Beteiligung der Militärangehörigen am Holocaust, an Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung und der Ermordung von Kriegsgefangenen auf. Die damals kontrovers diskutierte Ausstellung erregte in der Öffentlichkeit großes Aufsehen und wurde besonders von rechtsextremistischen, aber auch von bürgerlich-konservativen Kreisen heftig bekämpft.

Doch auch fachliche Kritik wurde geäußert: Historiker wiesen einige Fehler in der Zuordnung von Fotografien nach, weswegen das HIS die Ausstellung durch eine Historikerkommission untersuchen ließ. Die Kommission bestätigte klar ihre Grundthesen, bescheinigte dem Team seriöse Quellenarbeit und entkräftete den Vorwurf von Fälschungen. Sie kritisierte aber auch einen nachlässigen Umgang mit fotografischen Quellen, den die Wehrmachtsausstellung mit der Geschichtswissenschaft und der gängigen Archivpraxis gemeinsam habe, sowie generell eine pauschalisierende Darstellung. Sie empfahl deshalb eine Überarbeitung.[6] An dieser wirkte Hannes Heer nicht mehr mit, weil er sich mit Jan Philipp Reemtsma nicht auf eine Konzeption der Neufassung einigen konnte.[7]

Weitere Ausstellungen und Publikationen

Seit seinem Ausscheiden am HIS arbeitet Heer als freier Autor, Herausgeber, Regisseur und Ausstellungsmacher.

Seine Themenschwerpunkte sind die Erinnerungspolitik und die Konstruktion von Geschichte, insbesondere die Aufarbeitung der NS-Zeit. In den Werken „Vom Verschwinden der Täter“ (2004) und „Hitler war’s“ (2005) untersuchte er die Tendenz, die Geschichte des Nationalsozialismus als eine Geschichte von „Taten ohne Täter“ zu präsentieren.[8]

2004/05 realisierte er zusammen mit Petra Bopp und Peter Schmidt in Hamburg die Ausstellung „Viermal Leben. Jüdisches Schicksal in Blankenese“. Das Projekt stellte vier Blankeneser Bürger vor, die sich der Deportation durch Freitod entzogen hatten.

Ein aktueller Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Erforschung von Antisemitismus in der Musik. Hannes Heer untersuchte ab 2006 im Rahmen des Ausstellungsprojektes „Verstummte Stimmen“ anhand der Opernhäuser Hamburg, Berlin, Stuttgart, Darmstadt und Dresden die aus rassischen und politischen Gründen erfolgte Vertreibung und Verfolgung von künstlerischem und technischen Personal im Dritten Reich. Er rekonstruierte auch die Geschichte der Diffamierung und Ausgrenzung jüdischer Künstler bei den Bayreuther Festspielen 1876 bis 1945 und erinnerte an die Schicksale von 51 Verfolgten nach 1933. Zwölf von ihnen wurden ermordet.[9] Die Ausstellung ist seit 2012 auf dem Grünen Hügel in Bayreuth zu sehen.[10]

Hannes Heer (Fotografie aus dem Jahr 2006)

Auszeichnung

1997 erhielt Hannes Heer die Carl-von-Ossietzky-Medaille für das Team der Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“.

Werke (Auswahl)

Literatur

Einzelnachweise

  1. Munzinger Online/Personen – Internationales Biographisches Archiv: Hannes Heer. Abgerufen am 27. März 2013.
  2. Munzinger Online/Personen – Internationales Biographisches Archiv: Hannes Heer. Abgerufen am 19. August 2013.
  3. Joseph Beuys, Kleve. Eine Innere Mongolei (WDR, 1991, 30 Minuten)
  4. Der Mordfall Oppenhoff (WDR, 1985, 60 Minuten)
  5. Mein 68 – Ein verspäteter Brief an meinen Vater (WDR, 1988, 45 Minuten)
  6. Bericht der Kommission zur Überprüfung der Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“. November 2000 (Memento vom 21. Oktober 2013 im Internet Archive) (pdf; 370 kB)
  7. Volker Ullrich: Der Zivilisationsbruch. Interview mit Jan Philipp Reemtsma, geführt von Volker Ullrich und Jens Jessen. Online auf www.zeit.de vom 23. November 2000.
  8. Klappentext und Rezensionsnotizen zu Hannes Heer: Vom Verschwinden der Täter. Online auf www.perlentaucher.de.
  9. Hannes Heer, Jürgen Kesting, Peter Schmidt: Verstummte Stimmen : die Vertreibung der "Juden" aus der Oper 1933 bis 1945, Metropol, 2008, ISBN 978-3-938690-98-7.
  10. Die Welt: Wir wollen doch die Juden außen lassen. 10. Juli 2012.