Steinzeitliche Höhlenmalerei mit jägerischem Kontext: „Herr der Tiere“ oder Schamane?

Als Herr der Tiere oder seltener auch Herrin der Tiere wird ein göttliches Wesen bezeichnet, das in den Primärreligionen vieler Wildbeuter-Kulturen als Hüter der Tierwelt, bisweilen als ihr Schöpfer und Bewahrer ihrer Fruchtbarkeit oder auch als Helfer des Jägers angesehen wird. Diese Vorstellung war vor allem im nördlichen Eurasien, in Teilen Afrikas sowie Nord- und Südamerikas verbreitet.[1]

Eine trotz Unterschieden vergleichbare Rolle spielte die Potnia theron (Herrin der Tiere) in der minoischen Kultur und der griechischen Antike. Die religionsgeschichtliche Wissenschaft geht davon aus, dass diese gottähnliche Vorstellung bereits in den ältesten archaisch-animistischen Religionen der Menschheitsgeschichte verehrt wurde.

Vielfalt der Figuren

Jaguar-Gott der Maya: Bärtiger Gott mit Jaguarumhang und Jaguar an der Leine[2]

Die Erscheinungsformen dieses Geistwesens waren sehr verschieden: Die Gestalt wurde entweder als menschenähnlich, als tierähnlich oder als Mischwesen beschrieben. Der Großteil dieser Wesen ist männlich, es kommen aber auch weibliche oder androgyne Figuren vor.[1] Einige Beispiele:[3]

Bedeutung

„Chono wohne im Jenseits, wo der Baum namens „wolkenloser Himmel“ seine Krone habe. Bei Gewitter fahre er auf die Erde hinunter. Dies geschehe aus Wut, die jedoch meistens nicht Chonos Wut darstelle, sondern in ihr zeige sich der Zorn menschlicher und tierischer Totenseelen. Jagten die Aché den Vogel „jakane“ (Euler-Schnäppertyrann)[8] zu heftig, so trete aus dem Auge dieses Tieres Chonos Blitz heraus. Die Rache treffe nicht unbedingt die Menschen, sondern bestimmte Bäume, die von menschlichen Totenseelen bewohnt würden.“

Mark Münzel[6]

Allen diesen Götterwesen ist gemeinsam, dass sie bestimmte Tiere beschützen und darüber entscheiden, ob ein Tier getötet werden darf oder nicht. Der Mensch – der sich in traditionellen Jägerkulturen als Verwandter der Tiere versteht – gerät durch die Jagd in ein Dilemma, denn das Töten von Verwandten gilt in allen menschlichen Kulturen als Vergehen.[3] Der Jäger muss die Geisterwelt um Versöhnung bitten. Er kann die Entscheidung des Herrn der Tiere durch seinen Respekt oder durch Geschenke beeinflussen. Dazu müssen bestimmte Regeln und Rituale eingehalten werden. Bei Verstößen fürchteten die Menschen Bestrafungen durch den Herrn der Tiere. Eine weit verbreitete Regel, die offensichtlich der nachhaltigen Bewahrung des Wildbestandes diente, war die Beschränkung auf die Anzahl der Beutetiere, die für den Lebensunterhalt notwendig waren.[1]

Bei manchen Ethnien war der lokale Geisterbeschwörer für die Kontaktaufnahme zum Tiergott zuständig und trug zum Teil auch die Verantwortung für das Jagdglück.[3]

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. a b c Walter Hirschberg (Begründer), Wolfgang Müller (Redaktion): Wörterbuch der Völkerkunde. Neuausgabe, 2. Auflage, Reimer, Berlin 2005. S. 171 – Stichwort: Herr(in) der Tiere.
  2. a b Christian Ratsch und Heinz Jürgen Probst: Le bàho: Ethnozoologie bei den Maya in Yucatán am Beispiel der Orthogeomys spp. In. INDIANA 10, Ibero-Amerikanisches Institut Berlin, Gebr. Mann, ISSN 0341-8642. S. 240–242.
  3. a b c Klaus E. Müller: Schamanismus. Heiler, Geister, Rituale. 4. Auflage, C. H. Beck, München 2010 (Originalausgabe 1997), ISBN 978-3-406-41872-3. S. 17–18, 41.
  4. Rudolf Tammeus u. Gerd-Rüdiger Koretzki (Hrsg.): Werkbuch. Religion entdecken – verstehen – gestalten. 7./8. Schuljahr: Materialien für Lehrerinnen und Lehrer. Vandenhoeck & Ruprecht 2001. S. 149.
  5. Hans Peter Duerr: Sedna, oder, Die Liebe zum Leben. Band 2, Suhrkamp 1984, S. 35.
  6. a b c d Sabine Lenke: Heil und Heilung. Krankheitsvorstellungen und Heilkunde der südamerikanischen Guaraní-Indianer, gespiegelt in den Quellen der Jesuiten. Inaugural-Dissertation, Freie Universität Berlin, 2012. S. 154–155, 157–158.
  7. W. Lloyd Warner aus A Black Civilisaition. London 1937/1958, S. 542, zitiert auf Einführung in die Archaische Kosmologie. Wintersemester 1976/77, abgerufen am 30. März 2016.
  8. ESTUDIO SOCIONATURAL COMUNIDAD ACHÉ DE YPETIMÍ . (Memento des Originals vom 4. März 2016 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/fesos.org abgerufen am 8. Oktober 2015. S. 61.