Ilse Frapan (1849–1908)
Unterschrift Ilse Frapan (1849–1908)
Unterschrift Ilse Frapan (1849–1908)

Ilse Frapan, eigentlich Elise Therese Levien, ab 1901 Ilse Frapan-Akunian, (* 3. Februar 1849 in Hamburg; † 2. Dezember 1908 in Genf, Schweiz) war eine deutsche Schriftstellerin, zu ihrer Zeit vor allem als Autorin von zahlreichen Bänden „Hamburger Novellen“ bekannt. Sie schrieb aber auch Erzählungen, einen Roman und ein Drama zur zeitgenössischen Frauenfrage. Die von ihr bevorzugten Figuren sind lebenslustige, starke Menschen und befinden sich nur selten in der Opferrolle.[1] Ihr Pseudonym war Ilse Frapan.[2]

„Wer sich nicht empört gegen die
Brutalität seiner Zeit, der ist an der
Brutalität seiner Zeit mitschuldig.”
                                Ilse Frapan

Leben

Ilse Levien wurde als Tochter des lutherischen Instrumentenmachers Carl Heinrich Eduard Levien und seiner Frau Maria Therese Antoinette, geb. Gentzsch in Hamburg geboren. Der Name „Levien“ ist niederdeutscher Herkunft.[3] Sie wuchs in der multikulturellen Neustadt Hamburgs auf. Nach einer Ausbildung zur Lehrerin war Ilse Frapan von 1869 bis 1878 als Lehrerin an der Hamburger „Schule des Paulsenstifts“[4] tätig, einer Mädchenschule, die einerseits in der Tradition der jüdischen Freischulbewegung stand und sich durch soziale und religiöse Koedukation mit Ethikunterricht auszeichnete, und andererseits in der Nachfolge Friedrich Fröbels, dessen Erziehungsziel in „freien, denkenden, selbsttätigen Menschen“ bestand.[5] Des Lehrberufs überdrüssig, und von Theodor Storm zum Schreiben ermutigt, ging sie im Herbst 1883 zusammen mit ihrer Freundin, der aus Žagarė Russland (heute: Litauen) stammenden Malerin Emma Mandelbaum (1855–1908) nach Stuttgart[6], wo sie Literaturvorlesungen bei Friedrich Theodor Vischer am Stuttgarter Polytechnikum hörte. Nach dem Tod Vischers, dem sie freundschaftlich verbunden gewesen war, zog sie 1887 nach München. Dort kam sie in den engeren Kreis um Paul Heyse und hatte Kontakt zu Julius Rodenberg, in dessen Zeitschrift die Deutsche Rundschau sie vielfach Novellen publizierte.

Im Jahr 1890 ging sie zurück nach Hamburg, 1892 dann nach Zürich. Hier studierte sie an der Universität Zürich vom Wintersemester 1892/93 bis Juni 1897 Botanik und Zoologie. 1893 gründete sie zusammen mit fünf anderen Frauen unter dem Vorsitz von Emilie Kempin-Spyri den Zürcher „Frauenrechtsschutzverein“, der zusammen mit dem Martha-Verein (Zürcher Gruppe der „Freundinnen junger Mädchen“) auch gegen den internationalen Frauenhandel kämpfte. Außerdem wirkte sie im Zürcher „Frauenbildungsverein“ und in der 1896 gegründeten „Union für Frauenbestrebungen“ (später: „Frauenstimmrechtsverein Zürich“) mit. 1899 erwirkte sie die Gründung der „Zürcher Kinderschutzvereinigung“.[7] Im deutschen Arbeiterverein „Eintracht“ knüpfte sie Beziehungen zu Sozialisten wie Robert Seidel und Fritz Brupbacher.[8] Als Mitglied der „Schweizerischen Gesellschaft für Ethische Kultur“, gegründet 1896 von Friedrich Wilhelm Foerster, setzte sie sich für Menschenwürde ein, überzeugt von der sittlichen Freiheit des Menschen.[9] Mit Emma Mandelbaum übersetzte sie Lew TolstoisAuferstehung“ (1899) und bekannte sich als Tolstojanerin zu dessen christlichem Anarchismus: zu Vergebung, Versöhnung und Gewaltfreiheit, auch zu Wehrdienstverweigerung. Als Friedensaktivistin versuchte sie, Frauen gegen die Verbrechen des deutschen Militärs während des Boxeraufstandes zu mobilisieren. Im Jahr 1898 lernte sie den Armenier Hovannessian Akunian (russisch: Iwan Akunoff, 1869–1947, chemotechnischer Ingenieur aus Schemacha) kennen, der das Vorbild für die Figur des Hovannessian in ihrem Roman Arbeit (1903) war. Mit Akunian/Akunoff[10] und Emma Mandelbaum zog sie 1901 in eine Art Landkommune in das damals kleine Dorf Onex bei Genf in unmittelbarer Nachbarschaft und engem Kontakt zu dem Tolstoi-Biographen Pawel Birjukow. Seit dieser Zeit benutzte sie das Pseudonym „Ilse Frapan-Akunian“. Von dort aus setzte sie sich auch für die Unabhängigkeitsbewegung der Armenier ein. Ab 1903 wurde sie als "Ehrenvorsitzende der Monistischen Gesellschaft in Hamburg", Feministin, Friedensaktivistin und Antiimperialistin von der Politischen Polizei Hamburgs bespitzelt. Bis 1909 entstand eine umfrangreiche Akte über sie. Sie war in Hamburg zur 'persona non grata' geworden.[11] Unheilbar an Magenkrebs erkrankt, ließ Ilse Frapan sich 1908 von ihrer Freundin Emma Mandelbaum erschießen, die nach der Tat gleichfalls aus dem Leben schied. Beide wurden am 5. Dezember 1908 auf dem Genfer Friedhof Saint-Georges beigesetzt.

Werk

Frapan war primär Novellistin.[12] Von Theodor Storm und Friedrich Theodor Vischer beeinflusst, stellte Frapan, dem poetischen Realismus entsprechend, in ihrem Frühwerk bis Mitte der 1890er Jahre Individualität, Humanität sowie Schuld- und Tragikfähigkeit der Menschen dar – allerdings bei den Unterschichten, insbesondere in denen Hamburgs. So verfasste sie Hamburger Heimatdichtung, allerdings ohne Verklärungstendenz. Frapan beschrieb die Möglichkeit des Menschlichen selbst unter menschenunwürdigen Bedingungen des Großstadtmilieus, auf das sie mit Humor blickte. Darin besteht das Spezifische ihrer Novellistik, und damit wurde sie in Deutschland um 1900 einem Millionenpublikum bekannt. Seit Ende der 1890er Jahre verschärfte sich Frapans literarische Aussage und sie schrieb engagierte Literatur. Bereits durch die Titel ihrer Novellenbände, wie Wehrlose oder Schreie, wird das deutlich.

Frapans Nichte Sita Staub, geb. Levien, war die Frau von Ferdinand Hardekopf.

Ehrungen

Seit 1965 gibt es im Hamburger Stadtteil Iserbrook den Frapanweg.

Werke

Märchen, Erzählungen, Novellen und Skizzen

Romane

Dramen

Essayistisches

Übersetzungen

Literatur

  • Frapan, Ilse (Ps.). In: Gudrun Wedel, Autobiographien von Frauen. Ein Lexikon, Böhlau-Verlag, Köln, Weimar, Wien 2010, ISBN 978-3-412-20585-0, S. 241/242.
  • Gudrun Loster-Schneider, Gaby Pailer: Lexikon deutschsprachiger Epik und Dramatik von Autorinnen (1730–1900). Francke, Tübingen und Basel 2006, S. 144–147.
  • Frapan, Ilse. In: Gisela Brinker-Gabler, Karola Ludwig, Angela Wöffen: Lexikon deutschsprachiger Schriftstellerinnen 1800–1945. dtv, München 1986. ISBN 3-423-03282-0, S. 96–97. (mit Werk und Literaturverzeichnis).
  • Levine, Ilse. In: Lexikon deutscher Frauen der Feder. Eine Zusammenstellung der seit dem Jahre 1840 erschienenen Werke weiblicher Autoren, nebst Biographien der lebenden und einem Verzeichnis der Pseudonyme. Herausgegeben von Sophie Pataky. Band 1. Carl Pataky, Berlin 1898, S. 497. Digitalisat
  • Christa Kraft-Schwenk: Ilse Frapan, Blog bei Königshausen & Neumann zu Frapans Biographie, https://verlag.koenigshausen-neumann.de/zum-internationalen-frauentag-das-leben-und-wirken-der-ilse-frapan/
  • Christa Kraft-Schwenk: Ilse Frapan, Blog bei Königshausen & Neuman zu Frapans literarischem Schaffen, https://verlag.koenigshausen-neumann.de/zum-internationalen-frauentag-das-literarische-schaffen-der-ilse-frapan/
  • Christa Kraft-Schwenk: Ilse Frapan (1849–1908): Leben, Werk und öffentliches Wirken, Dissertation, Eberhard Karls Universität Tübingen, 2022, (Epistemata Würzburger Wissenschaftliche Schriften. Reihe Literaturwissenschaft. Band 966), Königshausen & Neumann, Würzburg 2023, ISBN 978-3-8260-7964-1.
  • Karin Huser: Bildungsort, Männerhort, politischer Kampfverein.Der deutsche Arbeiterverein „Eintracht Zürich“ (1840–1916). Chronos, Zürich 2012.
  • Andreas Graf, Werkprofil. Hamburger Bilder für Hamburger Kinder von Ilse Frapan, In: Otto Brunken u. a., Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur, Bd. 5, von 1850 - 1900, J.B. Metzler, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-476-01687-4
  • Gina Weinkauff: Ilse Frapans kleine Flaneure. Bild der Großstadt in einem zu Unrecht vergessenen Kinderbuch der Jahrhundertwende. In: Henner Bartel (Hrsg.): Aus „Wundertüte“ und „Zauberkasten“. Peter Lang, Frankfurt am Main 2000. ISBN 3-631-35317-0, S. 227–244.
  • Eva Borst: Über jede Scham erhaben. Das Problem der Prostitution im literarischen Werk von Else Jerusalem, Margarete Böhme und Ilse Frapan unter besonderer Berücksichtigung der Sittlichkeits- und Sexualreformbewegung der Jahrhundertwende. Lang, Frankfurt am Main u. a. 1993. (=Studien zur deutschen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts 24), ISBN 3-631-46460-6.
  • Inge Stephan, 'Wir Frauen haben kein Vaterland'. Ilse Frapan (1849-1908) und ihre 'Vaterstadt' Hamburg, In: Inge Stephan, Hans-Gerd Winter (Hg.), 'Heil über dir Hammonia'. Hamburg im 19. Jahrhundert. Kultur, Geschichte, Politik, Hamburg, Dölling und Gallitz 1992, ISBN 3-926174-40-4.
  • Christa Kraft-Schwenk: Ilse Frapan. Eine Schriftstellerin zwischen Anpassung und Emanzipation. Königshausen & Neumann, Würzburg 1985, ISBN 3-88479-216-4.
  • Christa Kraft-Schwenk: Levien, Elise Therese. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 14, Duncker & Humblot, Berlin 1985, ISBN 3-428-00195-8, S. 398 f. (Digitalisat).
  • Ernst Kreowski: „Die Retter der Moral“ … Unter obigem Titel hat Ilse Frapan-Akunian, die bekannte Novellistin, ein Polizeidrama in drei Aufzügen geschrieben …. In: Die Neue Zeit. Wochenschrift der deutschen Sozialdemokratie. 24.1905–1906, 1. Band (1906), Heft 5, S. 164–166. Digitalisat

Einzelnachweise

  1. https://blog.muenchner-stadtbibliothek.de/ilse-frapan-kaempferin-fuer-frauenrechte/, abgerufen am 19. Februar 2021.
  2. Christa Kraft-Schwenk: Ilse Frapan (1849–1908): Leben, Werk und öffentliches Wirken. Königshausen & Neumann, Würzburg 2023, ISBN 978-3-8260-7964-1, S. 128.
  3. Christa Kraft-Schwenk: Ilse Frapan (1849–1908): Leben, Werk und öffentliches Wirken. Königshausen & Neumann, Würzburg 2023, ISBN 978-3-8260-7964-1, S. 30/31.
  4. Christa Kraft-Schwenk: Ilse Frapan (1849–1908): Leben, Werk und öffentliches Wirken (= Epistemata Reihe Literaturwissenschaft). Königshausen & Neumann, Würzburg 2023, ISBN 978-3-8260-7964-1, S. 50 ff.
  5. Christa Kraft-Schwenk: Ilse Frapan (1849–1908): Leben, Werk und öffentliches Wirken (= Epistemata Reihe Literaturwissenschaft). Königshausen & Neumann, Würzburg 2023, ISBN 978-3-8260-7964-1, S. 112 ff.
  6. Christa Kraft-Schwenk: Ilse Frapan (1849–1908). Leben, Werk und öffentliches Wirken. Königshausen und Neumann, Würzburg 2023, ISBN 978-3-8260-7964-1, S. 87 ff.
  7. Christa Kraft-Schwenk: Ilse Frapan (1849–1908). Leben, Werk und öffentliches Wirken. Königshausen und Neumann, Würzburg 2023, ISBN 978-3-8260-7964-1, S. 309 ff.
  8. Christa Kraft-Schwenk: Ilse Frapan (1849–1908): Leben, Werk und öffentliches Wirken. Königshausen & Neumann, Würzburg 2023, ISBN 978-3-8260-7964-1, S. 271 ff.
  9. Christa Kraft-Schwenk: Ilse Frapan (1849–1908). Leben, Werk und öffentliches Wirken. Königshausen & Neumann, Würzburg 2023, ISBN 978-3-8260-7964-1, S. 279 ff.
  10. Matthias Fritz: Das Kamel im Nadelöhr. Wer war Iwan Akunoff? In: Studia niemcoznawcze. Uniw. Warszawski, Inst. Germanistyki, Warszawa 2011. ISSN 0208-4597. Band 47 (2011), S. 367–380.
  11. Inge Stephan: 'Wir Frauen haben kein Vaterland'. Ilse Frapan (1849-1908) und ihre 'Vaterstadt' Hamburg,. In: Inge Stephan, Hans-Gerd Winter, (Hrsg.): 'Heil über dir, Hammonia': Hamburg im 19. Jahrhundert: Kultur, Geschichte, Politik. 1. Auflage. Dölling und Galitz, Hamburg 1992, ISBN 978-3-926174-40-6, S. 383.
  12. Christa Kraft-Schwenk: Ilse Frapan (1849–1908): Leben, Werk und öffentliches Wirken. Königshausen & Neumann, Würzburg 2023, ISBN 978-3-8260-7964-1, S. 407 ff.
  13. Andreas Graf: Werkprofil. Hamburger Bilder für Hamburger Kinder von Ilse Frapan. In: Otto Brunken u. a. (Hrsg.): Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur, Bd. 5, Von 1850 bis 1900. J.B. Metzler, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-476-01687-4, S. 348.
  14. Christa Kraft-Schwenk: Ilse Frapan. Eine Schriftstellerin zwischen Anpassung und Emanzipation. Königshausen & Neumann, Würzburg 1985, ISBN 3-88479-216-4, S. 79.
  15. Neuauflage Berlin 1983, Courage Frauenverlag, Vorwort: Eva-Maria Epple. Kostenlos im Internet im Projekt Gutenberg: Digitalisat.