Jehuda Amichai (1994)

Jehuda Amichai (hebräisch יְהוּדָה עַמִּיחַי Jəhūdah ʿAmmīchaj) (geboren 3. Mai 1924 in Würzburg; gestorben 22. September 2000 in Jerusalem; ursprünglich Ludwig Jehuda Pfeuffer, 1946 Namensänderung zu Amichai, hebräisch „Mein Volk lebt“) war ein deutsch-israelischer Lyriker. Er gilt als einer der meistgelesenen und bedeutendsten modernen israelischen Dichter und war einer der ersten, die in umgangssprachlichem Hebräisch schrieben.

Leben und Werk

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Jehuda Amichai wurde 1924 als Ludwig Pfeuffer und Sohn des Kaufmanns Friedrich Moritz Pfeuffer in Würzburg geboren. Sein zweiter, hebräischer Name war von Anfang an Jehuda. Er wuchs in einem traditionellen, jüdisch-orthodoxen und zionistischen Milieu auf. Schon im Kindergarten und anschließend in der jüdischen Volksschule in der Nähe der Synagoge erlernte er die hebräische Sprache.

Angesichts der antisemitischen Politik der Nationalsozialisten wanderte die Familie 1936 nach Palästina aus.[1] Sie ließ sich – wie weitere Verwandte – zunächst in der landwirtschaftlichen Siedlung Petach Tikwa nieder. Ein Jahr später zog sie nach Jerusalem um. Hier wurde Jehuda, wie er sich nun nannte, Schüler der religiösen Maʿaleh-Schule und später Mitglied des im Untergrund agierenden Palmach. Während des Zweiten Weltkriegs kämpfte er in der Jüdischen Brigade der britischen Streitkräfte. 1946 änderte Jehuda seinen Nachnamen in Amichai.[2] Jehuda Amichai begann 1946 mit dem Studium am David-Yellin-Lehrerseminar. Nach Beendigung des israelischen Unabhängigkeitskrieges nahm er das Studium der hebräischen Literatur und der Bibelwissenschaft an der Hebräischen Universität in Jerusalem auf. Im Anschluss daran arbeitete er als Lehrer, später als Hochschuldozent für hebräische Literatur.

1955 erschien sein erster Gedichtband Jetzt und in anderen Zeiten. 1971 nahm Amichai eine Gastprofessur an der University of California, Berkeley wahr und war 1987 poet in residence an der New York University. Für die revolutionäre Änderung der Sprache der hebräischen Dichtung, die maßgeblich durch sein Werk in Gang gesetzt wurde, verlieh ihm der Staat Israel 1982 den Israel-Preis. Im selben Jahr wurde Amichai mit dem Bialik-Preis ausgezeichnet. Seine Geburtsstadt Würzburg ehrte ihn 1981 mit dem Kulturpreis der Stadt und benannte 2005 eine Straße nach ihm. 1990 wurde ihm die Ehrendoktorwürde der Hebräischen Universität verliehen. 1986 wurde er als auswärtiges Ehrenmitglied in die American Academy of Arts and Letters[3] und 1991 als Mitglied in die American Academy of Arts and Sciences gewählt. Seit 1993 war er Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.

Aus Amichais erster Ehe mit Tamar Horn, mit der er seit 1949 verheiratet war, stammt der 1961 geborene Sohn Ron, aus seiner zweiten Ehe mit Chana [auch: Hana] Sokolov-Amichai die beiden Kinder David (geb. 1973) und Emanuella (geb. 1978). Amichai starb im Jahr 2000 im Alter von 76 Jahren an einer Krebserkrankung.

Amichais Bücher wurden in mehr als 40 Sprachen übersetzt, und er galt als einer der führenden Anwärter auf den Literatur-Nobelpreis. In Deutschland setzte die Rezeption seiner Werke im Zuge der Entdeckung und vermehrten Übersetzung der hebräischen Literatur ins Deutsche seit den 1970er Jahren ein: „Es zeigt sich, dass er in Deutschland nicht gekannt wird, obwohl er in Würzburg geboren wurde, eine Kindheit lang Deutscher war“, schreibt Christoph Meckel 1988 im Begleittext zum ersten Sammelband der Gedichte in deutscher Sprache.[4] Amichais erster Roman Nicht von jetzt, nicht von hier ([Lo me achschaw lo mi-kan]) war 1963 auf Hebräisch erschienen; 1968 erschien die erste Ausgabe in englischer Sprache, und erst 1992, nach der Übersetzung und Veröffentlichung großer Teile seines als bedeutender erachteten lyrischen Werkes, wurde der Roman auch auf Deutsch publiziert. 2017 erschien anlässlich des Projekts Würzburg liest ein Buch[5] in seiner Geburtsstadt eine Neuausgabe.[6] In demselben Zusammenhang wurden außerdem von Würzburger Verlegern sowohl eine Anthologie von Amichais Gedichten als auch eine Sammlung seiner Texte publiziert ("Ausgaben in deutscher Sprache" s. u.).

Amichais Werke sind untrennbar verbunden mit seinen traumatischen Erlebnissen in den Jahren des Nationalsozialismus und in mehreren israelisch-arabischen Kriegen. Eine Triebfeder seiner schriftstellerischen Aktivität ist die „doppelte Identität“ als Deutscher und Jude.[7] Amichais „schmerzgesättigte, erfahrungsreiche Poesie kümmert sich mehr um das Leben als um die Sprache, sie bietet Lebenshilfe“.[8] Über seine Rolle als Dichter sagt Amichai: „Die eigentliche Aufgabe der Schriftsteller und Künstler ist es, Menschen Worte zu geben, die sie stützen. Die Kunst soll dabei helfen, mit der Wirklichkeit zu leben, darf aber nie Illusionen wecken.“[9] In seinem Roman Nicht von jetzt, nicht von hier verdichten sich Amichais Kindheitseindrücke und die Erlebnisse seiner frühen Jahre in Palästina und Israel mit der Kraft der Bilder aus der Gegenwart zu einem unauflöslichen Ganzen. Vermittelt wird die Botschaft, dass Vergangenheit nur bewältigt werden kann, wenn sie nicht beiseite geschoben, sondern in das Heute integriert wird. In seinem Werk ist Amichai viel spontaner, ironischer und weniger offensichtlich literarisch als andere hebräische Dichter. Er kombinierte das biblische Hebräisch „mit zeitgenössischem Slang, und noch dazu ist sein Werk voller Ironie, die er auf sich selbst bezog“.[10] Die hebräische Sprache wurde durch die künstlerische Kompetenz dieses im jüdischen Glauben aufgewachsenen Dichters zu einem modernen Kommunikationsmittel, mit dem sich auch andere als nur die vorrangig religiösen Aussagen und Botschaften gültig formulieren lassen. „Die Erhabenheit biblischer Sprache“ war ihm vertraut, doch hat er ihr das „jahrtausendealte Gewicht“ genommen.[11] Amichai „hat mit der prägenden Kraft seiner Sprache einen großen Beitrag zum Selbstverständnis der neuen hebräischen Nationalliteratur Israels geleistet“.[12] Unter den Vorbildern, die Amichai in seinem literarischen Schaffen maßgeblich geprägt haben, ist vor allem der englische Dichter Wystan Hugh Auden zu nennen; 1969 kam es zu einer intensiven Begegnung mit dem Dichter Paul Celan. Dieser hatte wenige Monate vor seinem Tod Israel einen Besuch abgestattet und war dabei von Amichai betreut und in die Literaturszene des Landes eingeführt worden. Für Celans Lesungen übersetzte Amichai einige seiner Gedichte ins Hebräische. Anschließend tauschten die beiden in wechselseitiger Hochachtung Briefe aus, wobei Celan seinem israelischen Kollegen überzeugende Sprachkraft und ein Höchstmaß an Authentizität bescheinigte.[13]

Werke

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In deutscher Sprache (chronologisch)

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In englischer Sprache (chronologisch)

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Vertonungen

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Der hohe Bekanntheitsgrad, den Amichais Gedichte und Romane vor allem in Israel genießen, zeichnet sich allein schon dadurch ab, dass sie fester Bestandteil und Inhalt von Unterricht und Schulbüchern sind und im öffentlichen Leben als Zitate kursieren. Ein Spiegel seiner Popularität ist aber auch die große Zahl von Vertonungen. Ausgehend von Israel, wo Komponisten ihn Ende der 1960er Jahre als Textautor für sich entdeckten, trat er einen Siegeszug durch die englischsprachige Welt an. Heute hört man seine Texte nicht mehr ausschließlich auf den Foren der modernen E-Musik, vielmehr hat er mit seiner politischen Botschaft auch die jüngere Generation mit ihren eigenen Überzeugungen und Vorlieben für sich gewonnen. Einen nicht geringen Anteil an der Verbreitung haben die Chorkompositionen für Kinder- und Jugendchöre. Amichais Texte haben viele Komponisten zu besonderer Intensität der Gestaltung inspiriert, wobei die stilistische Bandbreite der Vertonungen von liturgischer Strenge bis zu individuell erlebter Expressivität reicht.

Chronologische Übersicht:

Sekundärliteratur

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Einzelnachweise

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  1. Arolsen Archives: Verzeichnisse zu Jüdinnen und Juden der Gestapo-Außendienststelle Würzburg mit u. a. Angaben zu Emigrationen zwischen 1933 und 1942 (Auszüge aus Gestapo-Akten), abgerufen am 5. Februar 2024.
  2. Hana Sokolov-Amichai: Jehuda Amichai – Die Jugendjahre in Palästina/Erez Israel. In: Renate Eichmeier, Edith Raim (Hrsg.): Zwischen Krieg und Liebe. Der Dichter Jehuda Amichai. Berlin 2010, S. 101–142, hier S. 105, 109, 132f.
  3. Honorary Members: Yehuda Amichai. American Academy of Arts and Letters, abgerufen am 4. März 2019.
  4. Jehuda Amichai: Wie schön sind deine Zelte, Jakob (Gedichte). Piper, München/Zürich 1988.
  5. siehe unter "Weblinks"
  6. @1@2Vorlage:Toter Link/www.mainpost.de (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im März 2024. Suche in Webarchiven)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
  7. Jehuda Amichai: Die Last doppelter Identität? In: Das Parlament, Wochenzeitung für Politik (Bonn), 15. April 1988.
  8. Thomas Betz: Poesie der Atempause. In: Literaturkritik. 1. Jg. Nr. 10, Oktober 1999.
  9. Jehuda Amichai in einem Zeitungsinterview anlässlich des deutsch-israelischen Schriftstellertreffens 1993 in Berlin; zit. nach d. Klappentext von Auch eine Faust war einmal eine offene Hand. Piper, München/Zürich 1994.
  10. ha-Galil 2000
  11. Christoph Meckel in: Jehuda Amichai, Wie schön sind deine Zelte, Jakob. Piper, München/Zürich 1988, S. 162.
  12. David Schuster, in: Zwischen Würzburg und Jerusalem, Festschrift für Yehuda Amichai, herausgegeben von der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Würzburg, 1981.
  13. John Felstiner: An Exchange on Nation and Exile. In: Words without Borders – The Online Magazine for International Literature, November 2008. Vgl. auch: Na'ama Rokem: German–Hebrew Encounters in the Poetry and Correspondence of Yehuda Amichai and Paul Celan. Prooftexts, hrsg. von der Indiana University Press Bd. 30, Nr. 1 (2010), S. 97–127.
  14. Erschienen auf der CD SYMPOSIUM RECORDS (England) Best. Nr. 1110.
  15. Erschienen auf CD „The Jerusalem Artist Series“ 04-2000, hg. v. Jerusalem Municipality, Culture Dept.
  16. Erschienen auf CD „The Jerusalem Artist Series“ 04-2000, hg. v. Jerusalem Municipality, Culture Dept.
  17. Erschienen auf der CD "Israel at 50" Label: Opus One, Best.Nr. 175
  18. Erschienen auf der CD "Sh'ma" amphion records amph 20268 EAN 4039147000686.
  19. Erschienen auf CD „Finally on My Way to Yes“, Seafarer Press SEA-CD-01
  20. Erschienen auf der CD „David Froom – Song and Dance“, BRIDGE 9240 (EAN: 0090404924026)
  21. Erschienen auf CD "Of Songs and Psalms" (2012) bei dem Label Summitrecords Best. Nr. 579.
  22. Erschienen auf CD bei dem Label Sonoluminus, Best. Nr. DSL 92177 (2014).
  23. Erschienen bei dem Label: Monotreme (Cargo Records).
  24. Erschienen auf CD bei 482 Music (2016).
  25. https://3kantoren.bandcamp.com/album/believe-it-or-not
Personendaten
NAME Amichai, Jehuda
ALTERNATIVNAMEN Pfeuffer, Ludwig (Geburtsname)
KURZBESCHREIBUNG deutsch-israelischer Lyriker
GEBURTSDATUM 3. Mai 1924
GEBURTSORT Würzburg
STERBEDATUM 22. September 2000
STERBEORT Jerusalem