Die Distel ist eine Weiterleitung auf diesen Artikel. Zum gleichnamigen Kinofilm siehe Die Distel (Film).
Das Kabarett-Theater Distel (Eigenschreibweise: Kabarett-Theater DISTEL) ist das derzeit größte Ensemble-Kabarett Deutschlands und hat deutschlandweit einen hohen Bekanntheitsgrad. Die Distel wurde 1953 als Ost-Berliner Gegenpol zu älteren West-Berliner Kabaretts gegründet. Das Theater befindet sich seitdem im Vorderhaus des Admiralspalastes direkt am Bahnhof Friedrichstraße in Berlin-Mitte.[1][2]
Es bietet tagesaktuelle Kabarettprogramme zu politischen und allgemein gesellschaftlichen Themen. Das Kabarett pflegt die Tradition des klassischen Nummern-Kabaretts, das mit Sketchen, Parodien, Monologen, sarkastischen Liedern und Live-Musik temporeiche und unterhaltende Programme inszeniert.[3]
Geschichte
„Hurra, Humor ist eingeplant“ – mit diesem Programm feierte Die Distel am 2. Oktober 1953 ihre erste Premiere. Ihre Gründung wurde am 19. März 1953 vom damaligen Ost-Berliner Magistrat von Groß-Berlin auf Wunsch „breitester Bevölkerungskreise“, wie es in einer Aktennotiz hieß, beschlossen. Die Gründung eines Kabaretts im Osten Berlins sollte vor allem ein politisches Gegengewicht zum RIAS-Rundfunkkabarett „Die Insulaner“ und den „Stachelschweinen“ in West-Berlin darstellen, die mit Vehemenz gegen den Osten lästerten.[4][5]
Doch die Distel zielte aufs „Janze“ und wurde so bald zu einer bekannten und beliebten Gesamtberliner Adresse.[4] Von den vielen Kabaretts, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland neu gebildet haben, ist die Distel eines der dienstältesten.
Vor allem nach dem Bau der Berliner Mauer wurde der Distel oft vorgeworfen, nicht in genügendem Maße gegen den Klassenfeind im Westen mit satirischen Mitteln vorzugehen und zu viel ideologische Kritik am Sozialismus in der DDR zu üben.[5]
Mehrmals wollten sich die Regierenden der DDR dieses kritische Kabarett nicht mehr bieten lassen. Direktoren wurden neu berufen und mussten gehen.[6] 1965 drohte Walter Ulbricht auf dem bekannten 11. Plenum des ZK der SED: „Sie brauchen sich nicht zu wundern, wenn eines Tages ein Gewitter niedergeht über die Betreffenden […]. Sie dürfen doch nicht denken, dass wir uns weiter als Partei- und Arbeiterfunktionäre von jedem beliebigen Schreiber anspucken lassen. In Moskau gibt’s ja auch kein Kabarett.“ Erzürnt war Ulbricht vor allem noch über den Titel des 11. Programms von 1958 „Beim Barte des Proleten“.[5] Kurzerhand wurde das Programm vor der Premiere in „Liebe und Raketenbasen“ umbenannt.
Die Beliebtheit beim Publikum, die Kompromissbereitschaft der Direktoren, Autoren und des Ensembles bewahrte die Distel immer wieder vor dem Aus.[3]
Da die Distel-Karten, die im Übrigen auch ein beliebtes Tauschobjekt im volkswirtschaftlichen Alltag waren, äußerst knapp waren, wurde 1976 eine zweite Spielstätte im ehemaligen Kino Venus in der Hohenschönhausener Degnerstraße eröffnet und das Ensemble wesentlich vergrößert.[4] Bis 1990 spielten zwei Ensembles wechselseitig,[1] nur am Wochenende stand man gemeinsam auf der Bühne.
Szenen, die das Publikum nie erlebte, füllen ganze Aktenordner. Eine staatliche Abnahmekommission prüfte vor jeder Premiere das Programm. Oft mussten Passagen gestrichen und Texte umgeschrieben werden. 1988 durfte ein ganzes Programm „Keine Mündigkeit vorschützen“ nicht zur Aufführung kommen. Das nächste Programm wieder zu verbieten, wurde nicht gewagt. Die Zeit des Umbruchs hatte auch für die Distel begonnen, und sie ging „Mit dem Kopf durch die Wende“.[6] Nie zuvor war das Kabarett so dicht an den Problemen der Zeit: Texte, die morgens geschrieben wurden, waren abends schon nicht mehr aktuell.[5]
Bis 1991 war die Distel eine Einrichtung des Magistrats bzw. dann des Senats von Berlin. Zur Umsetzung der Bestimmungen des Einigungsvertrages hatten Senat und Magistrat von Berlin gemeinsam mit Wirkung vom 15. Dezember 1990 u. a. beschlossen, dass bestimmte Einrichtungen nicht überführt, sondern abgewickelt werden. Die damals 60 Mitarbeiter der Distel bekamen einen Brief, in dem u. a. stand: „Sie sind in einer Einrichtung beschäftigt, die der Abwicklung unterliegt“. Senat und Magistrat beabsichtigten nicht, das Kabarett zu schließen, sondern forderten eine neue Wirtschaftsform. Die Gründung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung wurde empfohlen. 40 Mitarbeiter wurden für sechs Monate befristet vom Senat übernommen. In dieser Zeit wurde von der Leitung der Distel die Gründung einer GmbH vorbereitet und die zweite Spielstätte aufgegeben. Seit 1. August 1991 arbeitet die Distel nur noch im Stammhaus in der Friedrichstraße mit noch 20 festangestellten Mitarbeitern ohne jegliche städtische oder staatliche Subventionen. Darüber hinaus macht sie neben durchschnittlich 340 Vorstellungen pro Jahr in Berlin ca. 80–100 auswärtige Gastspiele im Jahr. Diese finden in zirka 180 deutschen und ausländischen Orten (unter anderem Schweiz, Österreich, England, Frankreich, Namibia, Ungarn und in den USA) statt und steigern somit den Bekanntheitsgrad des Hauses.[4][5]
Die Distel hat ständig drei bis zu sechs Programme im Repertoire, die von zwei Gruppen gespielt werden.[1] Einmal jährlich stehen alle Schauspieler gemeinsam auf der Bühne.
Vor den Premieren neuer Programme werden von der Distel sogenannte Offene Proben bei freiem Eintritt angeboten.[7]
Im Frühjahr 2012 eröffnete die Distel als zweite Bühne das Distel-Studio im ersten Stockwerk. Dort finden Gastspiele, Improvisationstheater und Programme des Jungen Kabaretts statt. Häufig spielen dort beispielsweise Melanie Haupt, Tilman Lucke, Benjamin Eisenberg, Andreas Krenzke, Roger Stein oder Christin Henkel. Monatlich findet die Late-Night-Show Frisch gepresst im Distel-Studio statt.
Jährlich unterhält die Distel bis zu 150.000 Besucher in Berlin und auf Tourneen.[3][5]
Direktoren und künstlerische Leiter
Gründer und erster Direktor der Distel von 1953 bis 1958 war Erich Brehm.[4] Von 1958 bis 1963 wurde das Theater von Hans Krause geleitet, der als Distel-Gründungsmitglied von 1953 bis 1955 als Schauspieler am Haus war, von 1963 bis 1968 von Georg Honigmann und von 1968 bis 1989 vom Österreicher Otto Stark, der dem Ensemble seit 1959 angehörte. Norbert Dahnke leitete die Distel von 1990 bis 2008 als Geschäftsführer. Einer der prominentesten Kabarettisten war Peter Ensikat, der von 1974 bis Mitte der 80er Jahre als Autor an der Distel wirkte und von 1999 bis 2004 die künstlerische Leitung übernahm, nachdem sich das Ensemble von Gisela Oechelhaeuser wegen ihrer zeitweiligen Tätigkeit als inoffizielle Mitarbeiterin des Ministeriums für Staatssicherheit trennte, die von 1989 bis 1999 die Intendanz innehatte. Von 2006 bis 2008 war Frank Lüdecke künstlerischer Leiter, von 2009 bis 2014 war es Martin Maier-Bode. Seit Anfang 2015 leitet Dominik Paetzholdt das Haus künstlerisch. Die Geschäftsführung lag von 2010 bis 2015 bei Dirk Neldner und von Mai 2015 bis Dezember 2021 bei Astrid Brenk. Seit Januar 2022 obliegt die Geschäftsführung Evangelia Epanomeritakis.[8]
Übersicht der Programme
Die Programme des Kabarett-Theaters Distel auf einen Blick:[9]
Hurra! Humor ist eingeplant – 2. Oktober 1953
Mensch, fahr richtig – 19. Februar 1954
Wegen Renovierung geöffnet – 26. September 1954
Keine Ferien für den lieben Spott – 21. Februar 1955
Himmel, Marsch und Wolkenbruch – 16. Juni 1955
Wer einmal in den Fettnapf tritt – 2. Dezember 1955
Wem die Jacke paßt – 18. Mai 1956
O du geliebtes Trauerspiel – 25. Oktober 1956
Wenn die kleinen Kinder schlafen – 27. April 1957
Wohin rollst Du, Erdäpfelchen – 11. Oktober 1957
Liebe und Raketenbasen – 2. April 1958
Blick zurück nach vorn – 28. August 1958
Kein Platz für milde Satire – 21. November 1958
Berlin ist, wenn man trotzdem lacht – 26. März 1959
Lach matt – 9. Oktober 1959
Greif zur Frohkost, Kumpel! – 18. März 1960
Jetzt hat es geklingelt – 8. Oktober 1960
Ach du meine Presse – 25. Mai 1961
Der rote Feuerwehrmann – 6. Oktober 1961
Nahtlose Trümpfe – 3. März 1962
Die Macht ist nicht allein zum schlafen da – 11. Oktober 1962
Vom Montmartre zum Mont Klamott – 27. März 1963
Spargang 63 – 10. Juli 1963
Wir stoßen an – 2. Oktober 1963
Zwischen Hamlet und Tokio – 24. März 1964
Bis hierher und so weiter – 21. Oktober 1964
Bette sich wer kann – 9. Mai 1965
Kleine Geschichten vom großen Muckefuck – 20. Mai 1965
In Sachen Pappenheimer – 16. Oktober 1965
Revue der Gekränkten – 3. Februar 1966
Seid verschlungen Millionen – 21. Juni 1966
Distels Nachtobszönitäten: 1. Nachtpr. – 26. November 1966
Wir sind die längste Zeit barock gewesen – 9. Juni 1967
Requiem für alte Hüte – 12. Oktober 1967
Achtung! Spielstraße! – 20. Mai 1968
Sie können uns mal am Abend besuchen – 8. Oktober 1968
Plunder, Plüsch und Patschuli – 26. März 1969
Der Jubel rollt – 24. September 1969
Hier hab ick mal Murmeln jespielt – 21. Dezember 1969
Bitte das Beschwerdebuch – 21. Mai 1970
Lernt heiter, Genossen – 5. Oktober 1970
Wir bitten zur Klasse – 25. März 1971
Der Freizeit eine Gasse (3. Nachtprogramm) – 14. Oktober 1971
Mir nach, Medaillen! – 5. April 1972
Am Busen der Kultur – 14. Oktober 1972
Tugend voran! – 28. April 1973
In eigener Lache – 1. Dezember 1973
Vorwärts und nicht vergessen! – 27. April 1974
Eine kleine Nachtboutique (4. Nachtpr.) – 19. Oktober 1974
Zur heiteren Bearbeitung – 26. April 1975
Alles Rummel – 16. November 1975
Auf ein NeuNTes – 24. Juni 1976
So wahr mir Spott helfe – 27. November 1976
Knigge 77 – 23. April 1977
Distels Funzelkabinett (5. Nachtprogramm) – 26. November 1977
Einsteigen bitte – 22. April 1978
Hurra ist eingeplant – 25. November 1978
Danke, weiterlachen! – 28. April 1979
Berlin, Weltstadt mit Theater – 8. Dezember 1979
Liebe und Hiebe (6. Nachtprogramm) – 4. Oktober 1980
Ein Glück, daß wir es haben – 4. April 1981
Wir haben noch Reserven – 12. Dezember 1981
Vom Ich zum Wir – 16. Oktober 1982
Das ist bei uns so Sitte – 23. April 1983
Das ist schon nicht mehr feierlich (7. Nachtpr.) – 10. Dezember 1983
Für- und Widersprüche – 30. April 1984
Verdrängte Jahre (Sonderprogramm) – 4. Dezember 1984
Wir leisten uns was – 27. April 1985
Die Poesie, ich pfeif auf sie (Sonderprogramm) – 5. November 1985
An Mut sparet nicht trotz Mühe – 8. März 1986
Immer rin in die jute Stube (8. Nachtpr.) – 6. Dezember 1986
Vorwärts zu neuen Folgen – 16. Mai 1987
Wir handeln uns was ein – 6. Februar 1988
Keine Mündigkeit vorschützen (verboten), Generalprobe – 16. November 1988
Zwischen Tränen und Gelächter (Sonderprogramm) – 8. April 1989
Wir sind schon eine Reise wert – 22. April 1989
Mit dem Kopf durch die Wende – 14. Januar 1990
Über-Lebenszeit – 24. März 1990
Uns gab’s nur einmal – 29. September 1990
Wir sind das Letzte – 11. Mai 1991
Berlin, Berliner am Berlinsten – 18. Oktober 1991
Diesseits von Gut und Böse – 11. April 1992
Wir haben uns übernommen (Reprise) – 25. August 1992
Dietmar Jacobs: Untersuchungen zum DDR-Berufskabarett der Ära Honecker. Kölner Studien zur Literaturwissenschaft. Frankfurter a. M. 1996
Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.): Spaß beiseite. Humor und Politik in Deutschland. Leipzig 2010
Brigitte Riemann: Das Kabarett der DDR: „… eine Untergrundorganisation mit hohen staatlichen Auszeichnungen …“?. Gratwanderung zwischen sozialistischem Ideal und Alltag (1949–1999). In: Zeit und Text, Band 17, 2000
Heinrich Goertz: Frischer Wind im Haus Vaterland 1948. In: Die Horen. Zeitschrift für Literatur, Kunst und Kritik, 40, 1995
Volker Kühn: Das Kabarett der frühen Jahre – Ein freches Musenkind macht erste Schritte. Weinheim, Berlin (West) 1984
Manfred Jäger: So lacht man in der DDR. In: Pardon, 14, 1975
Klaus Budzinski: Pfeffer ins Getriebe. Ein Streifzug durch 100 Jahre Kabarett. München 1984
Frank Wilhelm: Literarische Satire in der SBZ, DDR 1945–1961 – Autoren, institutionelle Rahmenbedingungen und kulturpolitische Leitlinien. Hamburg 1998
Hans H. Krause: Greif zur Frohkost, Kumpel! Henschelverlag Kunst und Gesellschaft, Berlin 1962
Hans-Dieter Schütt: Das halbstarke Lachen Gespräche mit Gisela Oechelshaeuser. Dietz Verlag, Berlin 1997
Erich Brehm: Die Distel blüht zum Spaße. Eulenspiegel Verlag, Berlin
Peter Ensikat: Ab jetzt geb’ ich nichts mehr zu. Nachrichten aus der neuen Ostprovinz.
Peter Ensikat: Wo der Spaß aufhört. Satiren aus 20 Jahren.
Peter Ensikat: Meine ganzen Halbwahrheiten.
Peter Ensikat, Wolfgang Schaller: Bürger, schützt eure Anlagen oder Wem die Mütze passt, Satirische Sätze aus dem Nachlass vom Roten Paul. Henschelverlag Kunst und Gesellschaft, Berlin 1983
Erich Brehm: Die erfrischende Trompete, Taten und Untaten der Satire. Henschelverlag Kunst und Gesellschaft, Berlin 1964
Hans Krause: Ich war eine Distel. Erinnerungen eines Sairikers. Eulenspiegel-Verlag, Berlin 2011, ISBN 978-3-359-02305-0.
Lutz Stückrath: Gute Seiten, schlechte Seiten. Geschichten die das Leben schrieb. Eulenspiegel-Verlag, Berlin 2005, ISBN 978-3-359-01661-8.
Rudolf Hösch: Kabarett von Gestern und Heute
Alexander Schäfer – über seinen Vater Gerd E. Schäfer
Kurt Zimmermann: Wen die Götter lieben. Zum Fünfundzwanzigjährigen der „Distel“. In: Ernst Günther, Heinz P. Hofmann, Walter Rösler (Hrsg.): Kassette. Ein Almanach für Bühne, Podium und Manege (= Kassette). Nr.2. Henschelverlag Kunst und Gesellschaft, Berlin 1978, S.7–28.
↑ abcÜber uns. Die Distel, abgerufen am 26. November 2015.
↑ abcdeKabarett Distel. CONTOUR-Concert.de, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 27. November 2015; abgerufen am 26. November 2015.