Die Lehrtafel im geöffneten Zustand
Hauptbild (1659–1663)

Die kabbalistische Lehrtafel ist ein Triptychon in der evangelischen Dreifaltigkeitskirche im Stadtteil Bad Teinach der Stadt Bad Teinach-Zavelstein mit Motiven zur jüdischen Geheimlehre der Kabbala. Es wurde nach dem Dreißigjährigen Krieg von der herzoglichen Prinzessin Antonia von Württemberg (1613–1679) veranlasst und 1673 gestiftet. Das Bild, das wohl unter dem Eindruck eines Bekehrungserlebnisses Antonias und unter Mithilfe eines gelehrten Beraterkreises von 1652 an entworfen wurde, ist in den Jahren 1659–1663 von Johann Friedrich Gruber (um 1620–1681), dem Maler am Stuttgarter Fürstenhof, in Form und Farbe umgesetzt worden. 1673 erfolgte die Aufstellung des Gemäldeschreins in der Dreifaltigkeitskirche in Teinach, dem Ort, an dem die fürstliche Familie ihre Ferien verbrachte. Das Gesamtaußenmaß des Schreins, der die rechte Seite des Altarraumes vollständig einnimmt beträgt 5,10 m in der Breite und 6,50 m in der Höhe.

Auf diesem als aufklappbares Triptychon gestalteten Kunstwerk ist ein symbolträchtiges biblisches Geschehen in christlich-kabbalistischer Ausdeutung zu sehen. Das Kunstwerk umfasst mit seinem spirituellen Weltsystem "totius mundi" die geistige Evolution der Menschheit von deren Anfängen bis zur Gegenwart. Das Werk weist Wege zu einer spirituellen Weltschau: Diese geschieht durch mystische Initiationswege. Neben einer Einführung in die Sephiroth-Lehre der Kabbala und ihrer christlichen Umdeutung im Humanismus sind in der Lehrtafel Aspekte pietistischer individueller Frömmigkeit enthalten.

Die Lehrtafel zeichnet sich also durch die Kombination einer Vielzahl von Anregungen aus. Genannt seien:

1. Die Kabbala.[1] Für den kabbalistischen Hintergrund wurde vor allem der Hebraist Johann Jacob Strölin wichtig.

2. Das Tugendsystem mit der antiken Tradition der Kardinaltugenden und der christlichen Tradition der Theologischen Tugenden. Die herkömmliche Personifikation der Tugenden durch weibliche Gestalten hat bei der Kombination von Tugendbaum und Sephirothbaum in der Lehrtafel einen Geschlechtertausch bewirkt, vor allem eine weitgehende Feminisierung gegenüber der patriarchal ausgerichteten Kabbala: für die Sephiroth 1 – 9 stehen weibliche Gestalten, für die 10. Sephira (Schechina) Jesus Christus. Anregend wirkte hier Johann Valentin Andreaes Schrift Ein geistliches Gemäld (1615)[2], die schon vorher als eine Vorstufe für die zum Teil durch den in Bietigheim an der Enz wohnhaften Kunstmaler Conrad Rotenburger (1579–1633) seit 1614–1618 ausgeführte einstige, am 9. Oktober 1618 beim Stadtbrand zerstörte, Ausmalung der Evangelischen Stadtkirche in Andreaes Amtsstadt Vaihingen an der Enz anzusehen ist. Die Wandmalereien hatten christliche Tugenden und visuelle Summarien der Heilsgeschichte dargestellt.

3. Das Konzept der Biblischen Summarien. Johann Valentin Andreae hat das von Veit Dietrich (1506–1549) in seinen Summaria über das Alte (1541) und das Neue Testament entwickelte Konzept der Biblischen Summarien offensichtlich schon als Vaihinger Diaconus aufgenommen und damit den Kunstmaler Conrad Rotenburger und dann auch die Prinzessin Antonia von Württemberg angeregt. Deren Mathematiklehrer Johann Jacob Heinlin hatte ebenfalls in seinem einstigen Amtsort Bietigheim an der Enz an die auf Betreiben Andreaes gerade dort durch Rotenburger künstlerisch zu würdigen versuchte Tradition der Biblischen Summarien[3] angeknüpft und sie später mit zwei Bände (1659 bzw. postum 1662) umfassenden Beiträgen zu den württembergischen Summarien unterstützt.

4. Das barocke Konzept der „edlen Vielfalt“, das an die antike Tradition der umfassenden (enzyklopädischen) Bildung anknüpft. Hier wurde der klassisch-philologisch gebildete Theologe Johann Lorenz Schmidlin I. wichtig.[4]

5. Die in der Renaissancezeit besonders seit Andrea Alciato entwickelte Emblematik (Sinnbildkunst). Erst 1974 wurde in der Forschung zur Lehrtafel auf ein für deren Entstehung besonders wichtiges Emblembuch hingewiesen.[5] Es stammt von Johann Ebermeier (auch: Ebermaier)[6], Stadtpfarrer in Zavelstein und im Filialort Teinach im Schwarzwald, der mit Andreae und der Prinzessin Antonia von Württemberg in Verbindung stand, und trägt den Titel New Poetisch Hoffnungs-Gärtlein.[7] Zum Beispiel trägt das 270. Emblem in Ebermeiers Buch die Überschrift "Emblema Illustriß[imae]. & [et] Celssissimae Dominae, D[ominae]. Antoniae, Ducissae VVürttemb[ergiae]. Praemium spei, corona". Das bekrönte und von einem Anker als Hoffnungssymbol überdeckte Monogramm "A V" der Prinzessin findet sich zuoberst auf dem Innenbild der Lehrtafel mit der Darstellung der zehn Abglänze (Sephiroth) Gottes.

Literatur

Einzelnachweise

  1. Vgl. die grundlegende Darstellung von Otto Betz [senior]: Licht vom unerschaffnen Lichte. Die kabbalistische Lehrtafel der Prinzessin Antonia. 3. Auflage, bearbeitet von Isolde Betz. Verlag Werner Grimm, Tübingen, September 2013; ISBN 978-3-00-041501-2. - 108 Seiten, 50 zum Teil ganzseitige Bilder.
  2. Vgl. [Johann Valentin Andreae (wirklicher Name); Pseudonym:] Huldrich StarckMann: Ein Geistlich Gemäld/ Darinnen/ Als in einem Contra-fäht fürgebildet ist/ was eines frommen Christen tägliche Vbung seye [...] Tübingen M D CXV [1615]. - Historisch-kritische Edition: Johann Valentin Andreae: Ein geistliches Gemälde. Entworfen und aufgezeichnet von Huldrich StarkMann, Diener des Evangeliums. Nach dem wiedergefundenen Urdruck Tübingen 1615 hrsg. von Reinhard Breymayer. Tübingen [1992]. - Vgl. ferner Breymayer: Steinhofer (2012), S. 87–98 zu der Schrift Ein Geistlich Gemäld.
  3. Vgl. Conrad Rotenburger: Biblische Summarien Vber iede vnd alle Capitel der gantzen Heiligen Schrifft [ohne den Brief des Paulus an Philemon] […]. (Bietigkheim [Bietigheim an der Enz]) 1630. - [Bilderbibel mit 1444 Ätzradierungen aus dem Alten und Neuen Testament]. - [Nachdruck:] Conrad Rotenburger: Biblische Summarien. (Hrsg. vom Geschichtsverein Bietigheim-Bissingen e. V.) Bietigheim-Bissingen 2011. Vgl. dazu Breymayer: Steinhofer (2012), S. 75–82 zu den Biblischen Summarien und Rotenburger.
  4. Vgl. dazu Johann Lorenz Schmidlin: Pictura docens [Lehrtafel]. Unter Mitarbeit von Reinhard Gruhl, Inga Woolston, Anne Eusterschulte, Anja Knebusch, Lothar Mundt und Felix Mundt zum ersten Mal hrsg. und übersetzt von Fritz Felgentreu und Widu-Wolfgang Ehlers. frommann-holzboog, Stuttgart-Bad Cannstatt 2007 (Clavis Pansophiae, Bd. 4), ISBN 978-3-7728-2428-9
  5. Vgl. Reinhard Breymayer: Zu Friedrich Christoph Oetingers Theologia Emblematica und deren niederländischen Wurzeln. In: Pietismus und Réveil. Referate der internationalen Tagung: Der Pietismus in den Niederlanden und seine internationalen Beziehungen Zeist 18. - 22. Juni 1974. Hrsg. von J[ohannes] van den Berg und J[an-]P[ieter] van Dooren. Mit 7 Abbildungen. Leiden 1978 (Kerkhistorische Bijdragen, deel 7), S. 253–281; hier S. 260–263 und S. 276 zu Ebermeiers Emblembuch. - Vgl. ebenso Reinhard Breymayer: Friedrich Christoph Oetingers Theologia Emblematica und die Lehrtafel der Prinzessin Antonia von Württemberg. In: Friedrich Christoph Oetinger: Die Lehrtafel der Prinzessin Antonia. Berlin, New York 1977, Teil 1, S. 1–30, hier S. 3. 15. 23 und S. [269]. [274] zu Ebermeiers Emblembuch.
  6. Vgl. Reinhard Breymayer/Red[aktion]: Ebermaier, Ebermeier, Johann. In: [Walther] Killy Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraumes. 2, vollständig überarbeitete Aufl. Hrsg. von Wilhelm Kühlmann [...], Bd. 3. Berlin, New York (2008), S. 156 f.
  7. Johann Ebermeier: New Poetisch Hoffnungs-Gärtlein/ Das ist: CCC. [300] und XXX. [30] Sinnbilder von der Hoffnung [...]. Tübingen M DC. LIII. [1653.]