Lex (f.; Plural leges, lateinisch für „Gesetz“) ist ein Begriff aus dem Römischen Reich, der im weiteren Sinne jede Rechtsvorschrift bezeichnet, im engeren Sinne jedoch nur jene Rechtsvorschriften, die einen bestimmten Weg durchlaufen hatten. Ursprung des Wortes sind die Verben legere (lesen bzw. auswählen) oder ligare (binden).

Im Mittelalter wird der Begriff lex im Zusammenhang mit Rechtssammlungen benutzt, in der Neuzeit in der Rechtsphilosophie und im Staatsrecht.

Römisches Reich

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Begriffsentwicklung

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Der Ursprung des Begriffs lex ist umstritten; der älteste römische Prozess, die legis actio, setzte wohl in seiner frühesten Phase kein förmliches Gesetz voraus, sondern stellte einen Ritus dar, der zur Durchsetzung eigener (rechtlicher) Interessen ein formalisiertes, durch göttlich vorgegebene Ordnung festgelegtes Vorgehen vorsah.[1] In der (früh-)republikanischen Zeit – in der altziviles und sogenanntes vorklassisches Recht galten – wurden die Absprachen und Abstimmungen über Rechte demokratisch in den Bürgerversammlungen der Komitien erzielt. Die gewohnheitsrechtliche Anwendung festigte die Autorität der in den Komitien ergangenen Beschlüsse, die als Gesetze (leges) galten.[2]

Der Begriff der lex wandelte sich im klassischen Recht der Kaiserzeit, denn der Souverän nahm Einfluss auf Rechtsordnung und damit Rechtsentwicklung.[3] Die spätrömischen Autoren hingegen verstehen unter einer lex eine Regel oder ein Gebot der souveränen Macht eines Staates, die sich, schriftlich publiziert, mit Rechten oder Pflichten an die Angehörigen dieses Staates richtet.

In der Spätantike ließ Justinian alles bis dahin bewährte Recht thematisch gliedern, um es um überholtes Recht zu bereinigen und nach Bedarf zu modernisieren. Es entstand das zweite fundamentale Gesetz seit den XII Tafeln, die Kompilation des Corpus iuris civilis. Als fünftes Buch schloss Justinian dem zivilrechtlichen Gesamtwerk die Novellae an, die persönliche Gesetzgebung enthielt (leges novellae).[4]

Definition

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«Lex est commune praeceptum, virorum prudentium consultum, delictorum, quae sponte vel ignorantia contrahuntur, coercitio, communis rei publicae sponsio.»

„Eine lex ist eine allgemeine Vorschrift, die von umsichtigen Männern beschlossen wurde, deren Verletzungen, die willentlich oder unwissentlich begangen wurden, im allgemeinen öffentlichen Interesse mit Strafe bedroht sind.“

Papinian: Digesten. 1 tit.3 s1

«Quae scripto sancit quod vult, aut iubendo, aut vetando»

„Das schriftlich bestimmt, was gutgeheißen oder abgelehnt wird.“

Marcus Tullius Cicero: De legibus. i.6 (siehe auch De legibus ii.16)

In den Institutionen Justinians (1 tit.2 s4) gibt es eine Definition, die sich direkter auf die Staatsmacht als Quelle des Gesetzes bezieht:

«Lex est quod Populus Romanus senatorio magistratu interrogante, veluti consule, constituebat.»

Lex ist, was das römische Volk auf Antrag eines senatorischen Magistrats, zum Beispiel eines Konsuls, festsetzte.“

Diese Definition ist jedoch, wie Aulus Gellius bemerkt, nicht anwendbar auf die Gesetze zum imperium des Pompeius oder die Rückkehr des Cicero, die lediglich Individuen betreffen, also eigentlich privilegia genannt werden.

Verfahren

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1. In der Gesetzgebung der römischen Republik und beginnenden Kaiserzeit war die lex das nach dem Antragsteller (meist ein beziehungsweise beide Konsuln oder einer der Volkstribunen) benannte von der Volksversammlung beschlossene Gesetz, das die fünf Stufen des Gesetzgebungsverfahren durchlaufen hatte:

Seit 287 v. Chr., mit der lex Hortensia, waren die Plebiszite (plebiscitae) den leges in ihrer Wirkung gleichgestellt. Sie wurden allerdings als leges bezeichnet. In der Kaiserzeit wurden die leges, ohne dass die Arbeiten des Senats ansonsten aufgewertet worden wären, durch die Senatsbeschlüsse (senatus consulta) verdrängt, auch kam die kaiserliche Gesetzgebung (constitutiones) auf. Beispielhaft sei die Constitutio Antoniniana genannt.

Nach dem Modus der Inkraftsetzung betrachtet gibt es zwei Arten römischer leges, die leges curiatae und die leges centuriatae. Die ursprünglichen Repräsentanten der leges waren die leges curiatae, die vom Volk in den Kurienversammlungen beschlossen wurden. Nach der Einrichtung von Zenturiatskomitien gerieten die Kurienversammlungen allmählich außer Gebrauch, bewahrten aber in der formellen Übertragung des imperium, die ausschließlich durch eine Lex curiata de imperio möglich war, und in der Zeremonie der adrogatio (siehe Adoption im Römischen Reich), die lediglich in diesen Comitia getätigt wurde, über die Republik hinaus bis unter Augustus einen Schatten der alten Verfassung.

Diese leges wurden in den Zenturiatskomitien beschlossen, eingebracht (rogabantur) durch Magistrate von senatorischem Rang, die der lex dann auch ihren Namen gaben. Eine solche lex wurde auch als populi scitum (Festus, s. v. Scitum Pop.) bezeichnet.

Als die Kurienversammlungen auf die gleiche Stufe gestellt wurden wie die Zenturiatskomitien, wurde das Wort lex auch auf Plebiszite angewandt, so dass lex ein allgemeiner Begriff wurde, der manchmal mit besonderen Bezeichnungen wie lex plebivescitum, lex sive plebiscitum est versehen wurde.

In seiner Aufzählung der römischen Rechtsquellen (Top. 5) erwähnt Cicero keine Plebiszite, die er damit unzweifelhaft unter die leges subsumiert. Viele Plebiszite werden als leges zitiert, so wie die lex Falcidia (Gaius, ii.227) und die lex Aquilia (Cicero, pro Tullio, 8.11). Auf den Tafeln von Heraclea erscheinen die Worte lege plebivescito, um die gleiche Verordnung zu bezeichnen, und in der lex Rubria steht die Phrase „ex lege Rubria sive id plebiscitum est“ (Savigny, Zeitschrift etc. Band ix Seite 355).

Form

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Der Form nach kann man die römische Gesetzgebung nach den noch vorhandenen Fragmenten beurteilen. Die Römer scheinen immer an den alten Begriffen gehangen zu haben und wenig überflüssige Worte zu benutzen. Große Sorgfalt wurde auf jene Klauseln verwandt, die vorgeschlagen wurden, um eine bestehende lex zu ändern, und große Sorgfalt wurde auch aufgewandt, um jede Überschneidung mit einer früheren lex zu vermeiden, wenn deren Änderung nicht beabsichtigt war. Die leges wurden oft in Kapitel (capita) eingeteilt (Cicero, ad Atticus iii.23). Sie wurden in Bronze (aes) geschnitten und auf dem Aerarium (Sueton, De vita Caesarum 28; Plutarch, Cat. Min. 17) ausgestellt. Vermutlich fand letzteres nur für eine bestimmte Zeit statt (Cicero ad Atticus xiv.12).

Der Name der lex war üblicherweise vom Gentilnamen des Magistrats abgeleitet, der es einbrachte, wie die lex Hortensia vom Diktator Quintus Hortensius. Manchmal erhielt die lex ihren Namen von den beiden Konsuln oder anderen Magistraten, wie die lex Acilia Calpurnia (Manius Acilius Glabrio), die lex Aelia Sentia, die lex Papia oder lex Papia Poppaea, wobei es üblich war, das Wort et („und“) zwischen den beiden Namen wegzulassen, wenn es auch Ausnahmen davon gibt.

Eine lex bezeichnete auch oft seinen Inhalt, wie die leges Cincia de donis et muneribus, Furia testamentaria, Iulia municipalis und viele andere. Leges, die sich auf allgemeinere Themen beziehen, wurden oft mit Kollektivnamen versehen, wie leges agrariae, leges judiciariae und andere (vgl. insoweit die leges Iuliae). Manchmal wurde im Untertitel auf ein Kapitel einer lex verwiesen, zuzüglich zum Hinweis auf den Inhalt des Kapitels, zum Beispiel die lex Iulia de fundo dotali, die ein Abschnitt der lex Iulia de adulteriis coercendis war. Manchmal bezog eine lex ihren Namen auch aus dem hauptsächlichen Inhalt des ersten Kapitels, wie zum Beispiel bei der lex Iulia de maritandis ordinibus. Manchmal fasste eine lex auch verschiedene Vorschriften zusammen, die auch zu äußerst unterschiedlichen Themen gehörten; in diesen Fällen wurde die lex satura genannt (lex Caecilia Didia, lex Iulia municipalis).

Der Wortlaut einer lex wurde von der Person festgelegt, die sie einbrachte, wobei sie sich in vielen Fällen der Hilfe einer Person bediente, die die Fachsprache beherrschte. Eine lex wurde den comitia in ihrer Gesamtheit zur Zustimmung oder Ablehnung vorgeschlagen, eine Diskussion über einzelne Bestimmungen gab es nicht, Änderungen waren nicht möglich, nicht einmal die Diskussion darüber. Die sanctio (Strafbestimmung) einer lex (Rhet. ad Herenn. ii.10; Papinian, Digesten 48 tit.19 s41) machte eine lex zu dem, was die Römer eine perfecta nannten. In einer lex perfecta werden Handlungen, die im Gegensatz zu den Bestimmungen der lex stehen, für nichtig erklärt. Wenn eine lex diese sanctio nicht enthielt, wurde sie imperfecta genannt (vergleiche Lex imperfecta). Eine lex wurde minus quam perfecta genannt, wenn die Handlungen, die im Gegensatz zu den Bestimmungen der lex stehen, nicht für nichtig erklärt wurden, aber mit einer Strafe belegt waren (Savigny, System etc. Band iv Seite 549ff). Die Einteilung der leges in perfectae etc. ist offensichtlich nur auf solche leges anwendbar, die die Römer dem Bereich des privatum ius zuwiesen.

Anwendung

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1. In den meisten Fällen dienten die leges der Lösung politischer Fragen, während privatrechtliche Probleme im Allgemeinen von den rechtsprechenden Behörden und Fachjuristen auf der Grundlage der bestehenden Rechtssätze und -normen entschieden wurden. Durch Gesetze wurden zum Beispiel verfassungsrechtliche (Beamtenlaufbahn (cursus honorum), Amtsvergabe, Bürgerrechtsverleihung, Übertragung von Sondervollmachten und -kommandos), ökonomische (sogenannte Ackergesetze, Handelsbeschränkungen für Senatoren usw.) und sozialpolitische (Verhältnis Patrizier zu Plebejern, Stellung der Sklaven und Freigelassenen, Ehegesetze) Probleme geregelt.

2. Zu den leges gehören aber auch Festlegungen zwischen Behörden und Privatpersonen beziehungsweise zwischen Privatpersonen untereinander mit Vertragscharakter (zum Beispiel die Guts- und Bergwerksstatuten: lex Hadriana, lex Manciana und lex metalli Vipascensis).

Der Begriff wird dann genutzt, um Vertragsbedingungen auszudrücken, offensichtlich mit Hinweis auf die bindende Kraft aller Verträge. Das Werk des Marcus Manilius (Konsul 149 v. Chr.) über den Handel wird von Cicero zitiert (De oratore i.58) als „Manilianas venalium vendendorum leges“ (siehe Digesten 18 tit.1 s40, wo lex Verkaufsbedingungen meint). Entsprechend findet man den Ausdruck leges censoriae, um die Bedingungen auszudrücken, unter denen die Zensoren öffentliches Eigentum bebauen ließen; und vielleicht bezeichnete der Begriff bestimmte ständige Regularien für derartige Fragen, zu denen die Zensoren bevollmächtigt waren (Frag. de jure Fisci, s18; Digesten 50 tit.16 s203). In beiden Fällen wird die Phrase lex censoria (im Singular) benutzt, und diese lex, ob sie ein Gesetz ist oder nicht, scheint auch in Kapitel eingeteilt zu sein.

3. Auch die von einem Oberbeamten (später vom Kaiser) aufgestellten Ordnungen für Provinzen und Städte (sogenanntes lex data, gegebenes Gesetz) wie die lex Rupilia für Sizilien, lex Pompeia für Bithynien, die Stadtrechte von Malaca (lex Malacitana), Salpensa (lex Salpensana), Urso (lex Ursonensis) und Tarent (lex Tarentina) werden zu den leges gezählt.

Das Ende der klassischen leges

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In der Spätzeit der Republik wuchs die Zahl der leges stark an (Tacitus Annales iii.25-28), und Caesar wird nachgesagt, dass er eine Überarbeitung des gesamten Werks überlegt habe. Unter ihm und Augustus wurden viele Bestimmungen verabschiedet, die unter dem allgemeinen Namen leges Iuliae bekannt sind. Es wurde oft fälschlicherweise behauptet, dass keine leges oder Plebiszite nach der Zeit des Augustus in Kraft gesetzt wurden. Obwohl die Abstimmung nur Formsache war, wurde doch diese Form gewahrt, und wenn dem nicht wäre, dann wäre die Passage bei Gaius (i.2ff), in der er von leges und Plebisziten als gültiger Form der Gesetzgebung spricht, nicht korrekt. Außerdem werden viele Gesetze erwähnt, die in der römischen Kaiserzeit verabschiedet wurden, wie die lex Visellia, eine lex agraria unter Caligula, und eine lex Claudia zur Vormundschaft bei Frauen (Gaius, i. 157, 171). Dies tritt jedoch nicht mehr auf, als die alten Formen der Gesetzgebung beiseitegeschoben wurden, aber sie überlebten doch lange die Wahlen, auf die allein die Passage bei Tacitus (Annales i.15) verweist.

Manchmal wird in Übersichten auch ein senatus consultum (Senatsbeschluss) als lex bezeichnet (14 tit.6 s9 § 4; s14), was keine große Ungehörigkeit darstellt, wenn wir die Zeit betrachten, als senatus consulta Gesetze waren. Nur darf ein echtes senatus consultum nicht mit einer echten lex verwechselt werden; es gibt keinen Grund, anzunehmen, dass die lex Claudia des Gaius ein senatus consultum gewesen sei, und wenn er von einem senatus consultum aus der Zeit des Claudius spricht, nennt er sie so (i.84, 91). Schließlich: Es wird keine lex erwähnt, die nach der Zeit des Nerva verordnet wurde (Digesten 47 tit.21 s3 § 1).

Zwar sprach man auch in Hoher Kaiserzeit und Spätantike noch von leges, doch kamen diese nunmehr auf andere Weise zustande. Im 3. Jahrhundert konstatiert so Herennius Modestinus ausdrücklich, dass eine lex zu seiner Zeit nicht mehr vom Volk, sondern von den Kaisern gemacht werde (Digesten 48 tit.14 s1).

Mittelalter

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Zu Beginn des 6. Jahrhunderts wurden unter der Bezeichnung lex im Westgoten- (lex Romana Visigotorum) und Burgundenreich (lex Romana Burgundionum) Gesetzbücher veröffentlicht, die für die römische Bevölkerung galten und Auszüge aus den älteren Gesetzessammlungen darstellten. Auch bei der späteren Aufzeichnung der germanischen Volksrechte findet der Name lex Verwendung (Lex Alamannorum, Lex Baiuvariorum, Lex Frisionum, Lex Ripuaria, Lex Salica, Lex Saxonum usw.).

Neuzeit

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Unter anderem in der Rechtsphilosophie wird lex noch in lateinischen Ausdrücken und Begriffen gebraucht, zum Beispiel:

Im Staatsrecht ist die lex ein aus bestimmtem Anlass ergangenes Maßnahmengesetz, oft (aber nicht offiziell) nach dem benannt, dem es zugutekommt oder den es treffen soll. Auch allgemeine Gesetze tragen zum Beispiel den Namen dessen, der den Entwurf eingebracht hat. Auch Gesetze, die auf die Bedürfnisse einzelner Personen oder Unternehmen zugeschnitten sind, werden oft inoffiziell nach diesen benannt (so zum Beispiel die lex Naumann 1998 in Deutschland[5] oder die lex Nokia 2009 in Finnland[6]). Solcherlei Gesetze genießen in der Regel gleichwohl kein hohes gesellschaftliches Ansehen, weshalb die Verwendung von lex + Name oft negativ konnotiert ist. Es kommt allerdings auch vor, dass die Gesetze nach ihrem Verfasser oder dem Abgeordneten, der sie eingebracht hat, benannt werden und dann typischerweise nicht negativ konnotiert sind, bspw. Lex Koller in der Schweiz.

Bedeutende römische leges

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(nach Alter absteigend):

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Wiktionary: lex – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

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  1. Detlef Liebs: Römisches Recht. 5. Auflage, 1999, S. 28.
  2. Folker Siegert: Charakteristika des römischen Rechts, in: Band I Einleitung. Arbeitsmittel und Voraussetzungen, hrsg. von Folker Siegert. Berlin, Boston, De Gruyter, 2023. S. 53–76 (53 f.).
  3. Ulrich Manthe: Geschichte des Römischen Rechts. 4. Auflage, München 2011, S. 88–92.
  4. Wolfgang Kunkel, Martin Schermaier: Römische Rechtsgeschichte. 13. Auflage, Böhlau, Köln u. a. 2001, ISBN 978-3-8252-2225-3. S. 211 f.
  5. Noch nicht am Ziel, Welt online vom 12. Dezember 1998
  6. Finnische Firmen dürfen Mitarbeiter-Mails prüfen, Welt online vom 4. März 2009.