Liebfrauenkirche von Westen: Fassade zwischen den Türmen Ende des 19. Jh. umgestaltet, ebenso der untere Bereich der rechten Seitenfront
Liebfrauenkirche und Rathaus

Die Kirche Unser Lieben Frauen steht nordwestlich des Marktplatzes in Bremen am Platz Unser Lieben Frauen Kirchhof. Sie ist nach dem Dom die älteste Kirche der Stadt und war die erste Pfarrkirche außerhalb des Dombezirks, damit dann auch Ratskirche. Sie steht unter Denkmalschutz seit 1917.[1]

Geschichte

1876, zwischen den Türmen noch kein Giebel, keine Rosette, kein Portal

Noch in der Gründungsurkunde der Stephanikirche von 1139 wird die heutige Liebfrauenkirche als „Marktkirche St. Veit“ erwähnt.[2] In einem päpstlichen Schreiben von 1220 heißt sie dann „Sancta Maria Bremensis“.[3] Wie auch andernorts, wurde die Heilige Maria als „Unsere Liebe Frau“ bezeichnet. Dementsprechend nennt sich auch die heutige evangelische Gemeinde der Kirche Gemeinde von Unser Lieben Frauen. Der Platz um das Gebäude heißt offiziell Unser-Lieben-Frauen-Kirchhof und umgangssprachlich Liebfrauenkirchhof.

Erste Kirchen in Bremen

Willerich, der zweite Bischof von Bremen, ließ ab 805 nicht nur die in den Sachsenkriegen zerstörte Bremer Bischofskirche neu errichten, sondern – in Holz – noch zwei weitere Kirchen. Eine war St. Wilhadi, die Grabkapelle für seinen Vorgänger. Die andere ist nicht näher beschrieben, wird aber zumeist mit der späteren Sankt-Veits-Kirche gleichgesetzt.[4][5]

Saalkirche und Basilika

Ein neuer hölzerner Bau dieser ältesten Pfarrkirche Bremens entstand 1020 durch Erzbischof Unwan.

Um 1100 wurde dem Kirchenschiff ein Turm vorgebaut, der heutige Südturm. Er ist der älteste erhaltene Teil der Kirche. Für die Ausstattung einer hölzernen Kirche mit einem steinernen Turm gibt es damals den Dom zu Verden als Parallelfall. Für ein steinernes Kirchenschiff von St. Veit in jener Zeit gibt es weder archäologische noch schriftliche Hinweise.[6] Allerdings beweist die Erwähnung von Bauholz durch Adam von Bremen nicht, dass die Kirche nach ihrer Erneuerung im 11. Jahrhundert ganz aus Holz bestanden habe.[7]

Wohl in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts erhielt die Kirche an ihrer Nordseite einen annähernd quadratischen Anbau, dessen Keller mit vier Jochen eines Kreuzgratgewölbes erhalten ist. Der Keller wurde noch im 15. Jahrhundert als Beinkeller genutzt. Vom Gebäude darüber sind möglicherweise große Teile der Nordwand in der heutigen Wand des Nordschiffs erhalten (s. u.). Seine ursprüngliche Funktion ist unbekannt. Am verbreitetsten ist die Annahme, es sei eine Karnerkapelle gewesen. Auch ein Privathaus, das samt Keller zunächst nichts mit der Kirche zu tun gehabt habe, wird diskutiert. Daneben gibt es die Möglichkeit einer asymmetrischen Erweiterung des Gottesdienstraums der Kirche; derartige Erweiterungen wurden zu verschiedenen Zeiten in verschiedenen Regionen errichtet, beispielsweise um 1500 an der Andreaskirche in Riede, 15 km südöstlich der Bremer Altstadt.

Vielleicht wurde die Kirche um 1160 zu einer dreischiffigen Basilika mit drei Apsiden erweitert. Die Reste von Sandsteinbögen in den östlichen Stirnseiten der Seitenschiffe werden üblicherweise als die Anschlussbögen von Neben-Apsiden angesehen, deren Fundamente archäologisch ergraben wurden. Maße und Lage des fein gearbeiteten Sandsteinbogens passen allerdings nicht zu dem Anschluss der nördlichen Apsis an ein basilikales Seitenschiff mit einer Arkade, von der ein Pfeiler auf dem Mittelpfeiler des Beinkellers gestanden hätte. Außen in der heutigen Nordwand ist auf halber Höhe der Fenster eine Lage niedriger etwas bläulicher Quader zu erkennen. Sie wird gern als Traufe des basilikalen Seitenschiffs gesehen.[6] Allerdings ist das Mauerwerk zwischen mittlerem und östlichem Nordfenster des Schiffs oberhalb und unterhalb dieser Steinlage völlig gleichartig. Das heutige Backsteinmauerwerk der Innenseite ist teils gotisch (Klosterformat), teils aus dem 19. Jahrhundert (neuzeitlich klein). Wo die Wand auf dem Beinkeller steht, gibt es einige Flächen aus wenig behauenem Naturstein.

Vorderes West­joch, Wand des Süd­turms: Balken­löcher einer zeit­weilig hier an­gebauten Holzd­ecke und eine wieder ver­mauerte Verbindungstür

An der Nordseite des Südturms finden sich Hinweise auf eine hier zeitweilig vorhandene Holzdecke, die zu einem Obergeschoss (ggf. vor der gotischen Einwölbung) oder einer (deutlich über der heutigen gelegenen) Empore gehört haben kann: Etwa drei Meter unterhalb eines Bogenfrieses aus der Zeit da, der Turm nach Süden frei stand, wurden Balkenlöcher für diese Decke in die Wand gemeißelt. Oberhalb der Decke wurde ein Zugang aus dem Turm geschaffen. Später wurde die Tür wieder vermauert, vor der Entfernung der tragenden Deckenbalken. Die Farbe einiger Sandsteinquader der Vermauerung weckt den Verdacht, dass sie teilweise in jüngerer Zeit ersetzt wurden.

Die Umwidmung des Patroziniums an die Gottesmutter Maria (Unser Lieben Frauen) ist erst 1220 nachweisbar. Lange Zeit wurde angenommen, sie sei schon früher vorgenommen worden. Unlängst wurde dargelegt, Umwidmung und Umbau zur frühgotischen, annähernd quadratischen Vierstützenhalle seien zusammen eine Initiative des ehrgeizigen Erzbischofs Gerhards II. gewesen, der 1219 sein Amt antrat.[7] Seine Schwester Gertrud ließ als Äbtissin der Reichsabtei Herford gleichzeitig das dortige Münster zur Hallenkirche mit frühgotischen Gewölben umbauen.

Aufteilung des Kirchspiels

Auf Ermahnung durch Papst Gregor IX. wurde die inzwischen stark angewachsene Liebfrauenpfarrei aufgeteilt, zwischen Sögestraße und Brill entstand das Kirchspiel Sankt Ansgarii, flussaufwärts an der Weser das Martinikirchspiel.[8] Da schon 1139 die Pfarrei auf dem Stephaniberg gegründet worden war,[9] gab es in der Bremer Altstadt seither vier Pfarrkirchen. Zusätzlich wurde später zeitweise die Wilhadikapelle als Pfarrkirche für die Laienbewohner des Dombezirks genutzt.

Hallenkirche

Mittelere und östliche Jochreihe der 4-Stützen-Halle und etwas Chor: acht­feldrig links das zentrale Joch, rechts das auf­wändi­ger gestaltete Südostjoch

Möglicherweise schon ab 1220,[7] also mit einem Baubeginn knapp vor der um 1224 begonnenen Einwölbung des Bremer Doms, wurde die Liebfrauenkirche dann im frühgotischen Stil zur heutigen Hallenkirche umgebaut. Es war, nach dem 1206(d)[10] errichteten romanischen Schiff der Stadtkirche im mecklenburgischen Gadebusch die wohl zweite Vierstützenhalle in Norddeutschland und mithin die erste gotische.

Die neun Joche der Halle sind mit Domikalgewölben nach dem Vorbild der angevinischen Gotik der Kathedrale von Poitiers gedeckt. Über drei der vier Eckjoche und dem Mitteljoch haben diese Gewölbe acht Felder und einen Scheitelring. Wäre auch das Nordwestjoch so gestaltet, ergäbe sich ein Schachbrettmuster aus fünf achtteiligen und vier vierteiligen Gewölben. Das südöstliche (also dem einzigen „einfachen“ Eckjoch diagonal gegenüberliegende) Joch zeigt einerseits mit Lilienpalmetten im Scheitelring die aufwändigste Gestaltung, andererseits weist es eine gar nicht repräsentative Unregelmäßigkeit auf; seine vier Quadranten haben so unterschiedliche Höhenreliefs, dass der Scheitelring schief hängt, siehe Galerie dazu in WM Commons.

Allein der Wandpfeiler in der Nordwestecke der Halle enthält nur einen einzigen runden Dienst, die Vorlage der Diagonalrippe, denn der Schildbogen an der westlichen Schmalseite des Nordschiffs ist im Unterschied zum östlichen und zu beiden Enden des Südschiffs nicht mit einem begleitenden Rundstab geschmückt.

Das Westjoch des Mittelschiffs ist nach Westen hin höher als zu den drei benachbarten Hallenjochen. Nach Westen ist dieses Joch durch eine Art Triumphbogen mit dem Joch zwischen den Türmen verbunden. Im Süden beginnt dessen Öffnung mehr als einen Meter nördlich des Wandpfeilers, der den Scheidbogen trägt (im Foto rechts neben der Orgel). Im Norden ist der Rundstab des „westlichen Triumphbogens“ hingegen Teil des Pfeilers an der Ecke des Nordturms, an dem auch der westlichste Scheidbogen des Nordschiffs fußt. Die Kämpfer dieses „westlichen Triumphbogens“ liegen höher als die aller anderen Bögen der Halle und sind als einzige nicht durch Kapitelle betont. Unterhalb der Empore ist diese Konstruktion teilweise durch eine neuzeitliche Ziegelwand verborgen, seit das Joch zwischen den Türmen unterhalb der Empore als Windfang dient.

Nordturm

Im Zusammenhang mit dieser einem Zentralbau nahekommenden Halle wurde an der Nordecke des Gebäudes ein zweiter Westturm errichtet, höher und mit etwas größerem Querschnitt als der romanische. Obwohl das zwischen beiden Türmen eingebaute Gewölbejoch genau vor dem Mittelschiff der Kirchenhalle steht, ist die (Nord-)Westfassade dadurch asymmetrisch. Das Erdgeschoss des Nordturms hat ein Rippengewölbe und in seinen vier Ecken Wandpfeiler. Deren Sockel und Schäfte stammennoch aus der Bauzeit, die Kapitelle sind augenscheinlich Repliken, und das Gewölbe wurde im späten 19./frühen 20. Jahrhundert verändert. Der nordwestliche Wandpfeiler, im Winkel zweier Außenwände, besteht nur aus einem Rundstab als Vorlage einer Rippe und den rechteckigen Vorlagen der beiden Schildbögen. Wo ein Wandpfeiler vor einer Innenwand steht, gibt es aber jeweils hinter der Schildbogenvorlage eine weitere Stufe (in der Südostecke also an jeder Seite eine), siehe Galerie dazu in WM Commons. Diese Vorlagen von Scheidbögen deuten an, dass der untere Turmraum zunächst sowohl mit dem Nordschiff als auch mit dem vorderen Westjoch durch je einen breiten Bogen verbunden war. Im Nordschiff ist der breite runde Sandsteinbogen auf der anderen Wandseite noch zu erkennen, der Backstein darüber mittelalterlich, darunter neuzeitlich. Seit dem 14. Jahrhundert dürfte der Turmraum abgetrennt gewesen sein, denn dann beherbergte er als Tresekammer das Urkundenarchiv des Bremer Rates. Die Trese war nur vom Kirchinneren aus zu betreten. Das Fenster und die Gewölbe dieses Raumes weisen teils romanische, teils einen Übergang zu gotischen Formen auf.

Erweiterungen

Um 1343 (d)[7] wurde an der Südseite ein viertes Schiff angebaut, was die Stellung der Türme noch asymmetrischer machte. Wohl gleichzeitig wurden die Nordfenster des Schiffs vergrößert und mit feinem hochgotischen Maßwerk ausgestattet. Erst 1461 (d)[7] wurde der frühgotische Chor durch den heutigen drei Joche langen ersetzt. Dabei wurde auch der Triumphbogen ausgetauscht, sodass der vorgelagerte Rundstab, als Vorlagen an den Pfeilern erhalten, seither an den Kapitellen endet. Das östliche Dreieck des östlichen Mittelschiffsjochs neu gemauert, Ziegelformat und Mauerverband der Gewölbeschale gleichen dort denen des Chors, nicht der Halle. Im Gegensatz zu den aufwändigen Pfeilersockeln des Schiffs (s. u.) haben die Pfeiler des Chors gar keine Sockel. Die Gewölberippen haben im Schiff Rundstab-, im Chor Birnstab­querschnitte.

Seit der Reformation

Details an linkem Rand und Unter­seite der Treppen­pforte deuten auf Um­setzung hier­her in der Neuzeit.

1582 ließ der Pfarrer der Liebfrauengemeinde im Einvernehmen mit Bürgermeister Daniel von Büren d. J. und Ratsherren die Altäre, Kruzifixe, Skulpturen und andere bildliche Darstellungen aus dem Kirchenschiff entfernen und vernichten.

Erst infolge der Reformation wurden Kirchenbänke üblich, damit die Gläubigen während des Gottesdienstes sitzen konnten. Wegen des dadurch vermehrten Platzbedarfs wurden auch in der Bremer Liebfrauenkirche Emporen eingebaut – Abrechnungen darüber sind erhalten. Im Zusammenhang damit ist auch die Anlage eines Treppenaufgangs von einer dieser Emporen (noch nicht der heutigen) ins erste Obergeschoss des Turms zu sehen. Als Eingang zur Treppe wurde ein romanischer Türbogen in die westliche Stirnwand des Nordschiffs umgesetzt und dort so platziert, dass er seither den Bogen des vermauerten hochmittelalterlichen Durchgangs unterbricht.

1625 wurde das bisherige Beinhaus des Liebfrauenkirchhofs abgebrochen. Die dort aufbewahrten Gebeine wurden in den Beinkeller unter dem Nordschiff gebracht.

1857 bis 1860 wurde das südliche Schiff abgeteilt. Der untere Bereich wird nun zu Gemeinderäumen genutzt, während darüber das Tageslicht durch unverglaste Maßwerkfenster weiterhin in die Gottesdiensthalle dringt.

Im weiteren Verlauf des Jahrhunderts wurden erst beiderseits des Südpotrals angebaute Häuser entfernt, dann die vor den Nordturm gebaute und bis vor den Mittelteil der Westfassade reichende Gemeindeschule. Von 1893 bis 1896 gestaltete der Dombaumeister Ernst Ehrhardt den eher schlichten Mittelteil zu einer prächtigen Fassade im romanisch-gotischen Übergangsstil um.

1944 brannte der Nordturm infolge eines Luftangriffs aus. Im Kirchenschiff entstanden dabei Verwüstungen aber keine wesentlichen Zerstörungen.

Ehemalige Nebengebäude

Der Liebfrauenkeller befand sich an der Nordwestecke der Kirche und wurde von 1948 bis 2002 gastronomisch genutzt (Eisdiele, Konditorei Schnuchel, Restaurant Liebfrauenkeller, Disco New Yorker).

Die Liebfrauenschule im Kirchspiel der Liebfrauenkirche, die sich im zweiten Seitenschiff und in Anbauten vor der Westseite befand, übernahm 1901 die Stadt, gab sie auf und riss die Schulgebäude ab.

Die Liebfrauen-Gaststätte bzw. das Liebfrauen-Restaurant befand sich von 1871 bis 1891 an der Nordwestecke des Liebfrauenkirchhofs. Als das Bickhaus aus dem 18. Jahrhundert abgerissen wurde, zog die Gaststätte in die Sögestraße/Ecke Queerenstraße um, bevor sie 1944 zerbombt wurde.

Heutiger Zustand

Heutige Grundrisse der frühgotischen Räume und des Beinkellers; reale, abgesehen vom Windfang schon im 19. Jh. schon so bestandene Winkel

Eckdaten

Grundriss, wohl von Heinrich Müller 1857, mit Maß­ein­trägen an dessen Umbauten

Die Liebfrauenkirche ist mit zwei Türmen ausgestattet.

Der Nordturm ist mit der rund 6 Meter hohen Wetterfahne 84,2 Meter hoch und damit nach den zwei Türmen des Domes der drittgrößte Kirchturm der Stadt. Seine Breite beträgt 9,4 m. Die Turmuhr befindet sich in einer Höhe von 37,4 Meter.

Der kleinere Südturm hat eine Höhe von rund 30,5 Meter und eine Breite von 8,3 Meter.

Die Dachhöhe des Kirchenschiffs beträgt 22,9 Meter.[Anmerkung 1]

Die gesamte Länge des Kirchenbaus beträgt etwa 59 m und die gesamte Breite etwa 34 Meter.[Anmerkung 2]

Außenmauern

Nordseite des Südturms, in Backstein repariert
Südwestseite mit Schmuckgiebeln der Backsteingotik; kleine Erd­geschoss­fenster neugotisch
Nordostseite: romanische Bögen im Erd­ge­schoss, gotische Lang­haus­fenster, schlichte Backsteingiebel

Das Kernmauerwerk des Südturms besteht größtenteils aus Granitfindlingen und ist nur oberflächlich mit Portasandstein verblendet.

Die Außenmauern des Kirchenschiffs bestehen zwar bis auf die Reste des Basilika-Mauerwerks aus Backstein, sind aber bis in Traufenhöhe mit Sandstein verblendet. Nur die Giebeldreiecke der Querdächer zeigen nach außen Backstein. Auf der Südseite sind sie aufwändig gestaltet, mit einem Relief aus Lisenen und Blendarkaden und teilweise in unterschiedlicher Tönung glasierten Ziegeln. Die Giebeldreiecke der Nordseite weisen hingegen keine dekorativen Elemente auf. Am westlichen und am mittleren Nordgiebel sind die Dachkanten aus Sandstein, am östlichen aus Backstein. Bei sorgfältiger Betrachtung ist unter dem Sims, das die Giebeldreiecke nach unten begrenzt, eine dünne Ausgleichsschicht aus Backstein zu erkennen. Unter dem wenig höher gelegenen mittleren Sims des Nordturms findet sich eine ähnliche Ausgleichsschicht aus bläulichem Backstein in der Nord- und in der Westwand (siehe Foto des Südturms von Osten). Das macht deutlich, dass auch die großen Flächen aus bläulich glasiertem Backstein in Nord- und Ostwand dieses Turms keine Reparaturfolge, sondern bauzeitlich sind. Wie auch so manches andere Bauwerk der Frühgotik kein oder nur wenig äußeres Strebewerk hat (beispielsweise der Hochchor des Magdeburger Doms), so erhielt die Liebfrauenkirche beim frühgotischen Umbau noch keine Strebepfeiler. Nur die Anbauten Südschiffs und Langchor wurden mit solchen errichtet. Das oberste Geschoss des Südturms wurde mit Backstein repariert, nach der Größe der verwendeten Ziegelsteine wahrscheinlich in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts.[11]

Die heutigen Fenster sind nicht mehr die der frühgotischen Halle. Bei den Umbauten der Hoch- und Spätgotik wurden sie durch größere ersetzt. Bei der Einrichtung von Gemeinderäumen im äußeren Südschiff im 19. Jahrhundert wurden nicht nur dort, sondern auch auf der Nordseite die Sohlbänke der Fenster wieder angehoben. Die neuen Granitquader unter den Fenstern sind erkennbar glatter als sie alten der übrigen Nordwand.

Die Nordwand des Schiffs zeigt an den Grenzen des Beinkellers (s. u.) „Sprünge“ im Fugennetz des Quadermauerwerks und in der Struktur des Sockels, und vom ehemaligen Frauenportal bis zur östlichen Grenze des Kellers weisen die Quader einen besonders einheitlichen dunkelbraunen Farbton auf. An der Innenseite der Wand befindet sich genau in diesem Bereich grob behauenes Natursteinmauerwerk, abgesehen von Mauerwerk der Ostwand des Südturms unter (und womöglich auch hinter) der Orgel das gesamte derartige Mauerwerk dieser Kirche. Diese Unterschiede zu den übrigen Außenwänden des Kirchenschiffs legen nahe, dass dieser Wandbereich bis in Höhe der doppelten Reihe niedriger Steinquader an der Außenseite in Höhe der heutigen Sohlbänke der Fenster noch von dem ersten Gebäude auf dem Beinkeller stammt.[12]

Innenraum

Gemäuer

Im Inneren hat die Hallenkirche dreimal drei Joche und bildet damit ein Westfälisches Quadrat. Vier der neun Gewölbe sind achtteilige Domikalgewölbe mit einer Ringrippe und einem zapfenförmigen Schlussstein. Die anderen fünf Joche haben Kreuzgewölbe mit Rundstabrippen, die getragen werden auf im Kern kreuzförmigen Pfeilern mit halbrunden Säulenvorlagen der Gurt- und Scheidbögen und in den Winkeln Diensten für die Rippen. Gewölbt wurde die Kirche durch dieselben Bauhandwerker, welche die Gewölbe im Bremer Dom schufen, zur Zeit von Erzbischof Gerhard II. Die Kelchblockkapitelle mit stilisiertem Blattwerk haben u. a. ihren Ursprung von einer westfälischen Steinmetzhütte und verbreiteten sich nach Norden.

Die frühgotischen Pfeiler und Wandpfeiler haben allesamt aufwändige verkröpfte Sockel, die für jeden runden und jeden eckigen Teil des Pfeilerschaftes ein im Grundriss rechteckiges Sockelelment aufweisen. In vertikaler Reihenfolge beginnen die meisten dieser Sockel am Boden mit einer Kehlung, gefolgt von einem Wulst und dann verschiedenen leicht abschüssigen Stufen. Die Zwickel zwischen Ecken der Sockelelemente und der Rundung des zugehörigen Pfeilerteils sind teilweise mit Tierzehen geschmückt. Die Halbsäule bzw. der Rundstab beginnt dann wieder mit einer Kehlung und einem Wulst.

Wandgestaltung

Von 1958 bis 1965 wurde das Innere nach Plänen des Architekten Dieter Oesterlen neu gestaltet. Hierbei war die wichtigste Veränderung für den Raumeindruck das Abschlagen des Putzes, so dass der Kirchenraum heute steinsichtig ist. Unter dem zu der Zeit weißen Anstrich lagen noch Reste mittelalterlicher Wandmalereien, die mit dem Putz entfernt wurden. Wenige Reste von Fresken in den Gewölben des Nordschiffes zeugen noch von der ursprünglichen farbigen Gestaltung.

Ausstattung
Chor, Altar und Kanzel, gesehen aus dem inneren rechten Seitenschiff

Das Kreuz auf dem Altar soll zunächst nur ein Provisorium gewesen sein. Es kommt aber den Prinzipien reformierter Kirchengestaltung nahe, die statt eines Altars nur einen schlichten Tisch vorsehen, da im Zentrum des Gottesdienstes kein materieller Gegenstand stehen soll, sondern Gottes Wort. An der Westwand des Nordschiffes hängt ein Epitaph für Dietrich von Büren († 1686) aus der Hand des Kopenhagener Bildhauers David Etener.[13] In den Fußboden sind mehrere alte Grabplatten eingelassen.

Kanzel

Die 1709 datierte Kanzel gehört zu den qualitätvollsten und aufwändigsten in Bremen. Sie wurde gestiftet von Simon Post, dem Bauherrn der Kirche, einem bremischen Seidenhändler und seiner Frau. Über den Schnitzer wissen wir nichts Sicheres.[Anmerkung 3] Die Kanzeltreppe begleitet ein mit dichtem Akanthus-Laubwerk gefülltes Geländer, in dem sich mehrfach das Wappen des Stifters versteckt. Die fünf Felder an den Kanzelwänden zeigen Moses und die vier Evangelisten. Sie werden flankiert von sechs Personifikationen, darunter den vier Tugenden Caritas, Spes, Patientia, Justitia und zwei weiteren, nur spekulativ zu deutenden Allegorien.[14]

Licht

Die im Zweiten Weltkrieg zerstörten Fenster wurden 1966 bis 1973 durch farbkräftige Buntglasfenster des französischen Künstlers Alfred Manessier (1911–1993) ersetzt.[15][16][17][18] Die östlichen Fenster und das westliche Rundfenster haben verschiedene Aspekte der Verkündigung des Wortes Gottes zum Thema. Die anderen Fenster ordnen sich als farbige Lichtvorhänge diesen vier Hauptfenstern unter.

Die flämischen Leuchter stammen aus der Mitte des 17. Jahrhunderts. Stärker geprägt ist der Innenraum heute allerdings durch eine große Zahl moderner Leuchten mit kugeligem schwarzen Gehäuse, die den unteren drei bis vier Metern des durch das freiliegende Mauerwerk ansonsten dunklen Raumes, die für einen Gottesdienst erforderliche Helligkeit geben.

Beinkeller
Fresco aus dem 15. Jh. in der als Beinkeller wohl im 12. Jh. errichteten St.-Veits-Kapelle

Der Beinkeller unter dem Nordschiff diente seit 1890 als Kohlen- und Heizungskeller. Seit 1992 ist er als Andachtsraum St.-Veits-Kapelle hergerichtet, hat einen direkten Zugang aus dem Kirchenraum und einen weiteren zu der kontainerförmigen modernen Sakristei südlich des Chors. Ein völlig schmuckloser Mittelpfeiler stützt die vier Joche seines romanischen Kreuzgratgewölbes. An den Schildbögen sind immerhin die Kämpfer durch einfache Kapitelle betont. Südlich daneben steht der nachträglich eingefügte Unterbau des nordöstlichen Pfeilers des Hallenschiffs. Der Raum hat vier heute vermauerte ehemalige Zugänge: Aus der Zeit der einschiffigen Kirche stammen ein Zugang in der Mitte des westlichen Schildbogens des Südwestjochs und einer in der rechten Ecke des gegenüber liegenden Schildbogens des Südostjochs. Bei der Erweiterung der Kirche zur Basilika wurde ein Zugang an der Nordseite des Nordostjochs des Kellers angelegt. Außen hat er einen niedrigen Segmentbogen. In und an seiner inneren Laibung finden sich große mittelalterliche Backsteine. Im westlich benachbarten Schildbogen, also unter dem äußerlich erkennbaren Frauenportal gibt es einen weiteren ehemaligen Zugang von der Straße. In den mit Fresken aus dem 15. Jahrhundert geschmückten rechten südlichen Schildbogen, also mitten unter die Kirchenhalle, wurde eine Pforte gebrochen, mit einem Korbbogen aus 5,5–6 cm hohen Backsteinen, also nicht mehr im Mittelalter; wo sie hin führte, ist unklar.

Orgel

Urkundlich ist seit dem 16. Jahrhundert häufiger von den Orgeln in der Kirche die Rede.[19] Die Orgel wurde 1953 von Paul Ott (Göttingen) erbaut. Das Instrument stand bis zur Wiederherstellung des Turmjochs an der Westwand des (zugemauerten) Turmjochs und wurde 1964 an der Westwand des südlichen Seitenschiffs in einem neuen Gehäuse aufgestellt. Das Instrument wurde zuletzt im Jahr 1984 durch die Orgelbaufirma Karl Schuke (Berlin) überholt, wobei auch die Disposition geringfügig verändert wurde.[20]

Inneres südliches Seiten­schiff mit Orgel, Westjoch mit acht Rippen und Scheitelring
I Rückpositiv C–f3

1. Holzpfeife 8′
2. Quintadena 8′
3. Principal 4′
4. Rohrflöte 4′
5. Sesquialtera II 223
6. Waldflöte 2′
7. Octave 1′
8. Scharff IV-V
9. Dulcian 8′
Tremulant
Cymbelstern
II Hauptwerk C–f3
10. Quintadena 16′
11. Principal 8′
12. Hohlflöte 8′
13. Octave 4′
14. Spitzflöte 4′
15. Nasat 223
16. Octave 2′
17. Mixtur VI-VIII
18. Trompete 16′
19. Span. Trompete 8′
20. Trompete 4′
III Brustwerk C–f3
21. Gedackt 8′
22. Principal 4′
23. Blockflöte 4′
24. Gemshorn 2′
25. Terz 135
26. Quinte 113
27. Cymbel III-IV
28. Vox humana 8′
Tremulant
Pedal C–f1
29. Principal 16′
30. Subbass 16′
31. Octave 8′
32. Gedacktpommer 8′
33. Octave 4′
34. Holzflöte 4′
35. Nachthorn 2′
36. Rauschpfeife II
37. Mixtur X
38. Posaune 16′
39. Trompete 8′
40. Schallmey 4′

Geläut

Das Geläut besteht aus einer Glocke. Daneben gibt es nur noch die Uhrglocke. Die Läuteglocke hat den Schlagton cis' + 3 (sie hängt im rechten Turm), die Uhrglocke hat den Ton gis' (sie hängt im linken Turm). Die Glocke wurde 1727 gegossen, nachdem die alte im selben Jahr geborsten war.

Denkmäler

Reiterstandbild des General­feld­marschalls Helmuth von Moltke am Nordturm
Gedächtnis- und Gebets­raum für die Getöteten aller Kriege

Zwei Denkmäler verweisen darauf, dass die Liebfrauenkirche von 1867 bis 1919 auch die Kirche für die Bremer Garnison war.

Die Kirchgemeinde

Die Gemeinde von Unser Lieben Frauen hat ihr Gemeindezentrum an der H.-H.-Meier-Allee 40a. 2017 wurde das Gemeindezentrum Unser Lieben Frauen mit dem Gemeindehaus mit einem kubischen Saalbau und der zweigeschossigen Kindertageseinrichtung eingeweiht.

Die Gemeinde unterhält den regional bedeutenden Knabenchor Unser Lieben Frauen Bremen, der 1945 von Kantor Harald Wolff gegründet wurde.

Persönlichkeiten

Siehe auch

Literatur

Zwei Seiten des ansonsten mit Sandstein verblendeten Nordturms sind in der Höhe der Querdachgiebel aus blaugrau glasiertem Backstein (und der von keiner Straße einsehbare östliche Teil seiner Südwand aus einfachem rotem).

Anmerkungen

  1. Alle Höhen der Liebfrauenkirche durch indirekte Höhenmessungen am 13. Juli 2009 durch J. Möhring bestimmt. Ältere Höhenangabe des Nordturmes: 86 m (keine Information, ob mit oder ohne Wetterfahne).
  2. Bestimmung der Gesamtlänge und -breite über Satellitenbild (Juli 2009).
  3. Der Dehio nennt den nur archivalisch nachweisbaren Gert Rode; Schulze, S. 10, denkt an einen flämisch geschulten Bildhauer, auch an David Etener, der das Büren-Epitaph schuf; Rolf Gramatzki: Bremer Kanzeln, Bremen 2001, S. 110, favorisiert Dierich Gercken II.

Einzelnachweise

  1. Unser Lieben Frauen Kirche & Liebfrauenkirche & St. Veit - OBJ-Dok-nr.: 00001180,T in der Datenbank des Landesamtes für Denkmalpflege Bremen
  2. Bremisches Urkundenbuch. I. Nr. 89 (S. 38): … ecclesiam sancti Viti, que est forensis … (brema.suub.uni-bremen.de).
  3. Bremisches Urkundenbuch I. Nr. 120 (S. 143), Schlichtungsauftrag Papst Honorius' vom 9. September 1220: „… sanctae Mariae Bremensis …“
  4. Wilhelm von Bippen u. a.: Geschichte der Stadt Bremen (Müller, 1892–1904) › Band 1 › Erstes Buch. Bremen im Mittelalter› Erstes Kapitel. Bremen unter den Bischöfen. S. 13.
  5. Manfred Rech (Hrsg.): Gefundene Vergangenheit – Archäologie des Mittelalters in Bremen. (= Bremer Archäologische Blätter. Beiheft 3). 2004, ISBN 3-7749-3233-6.
  6. a b Uwe Bölts: Die Baugeschichte der Liebfrauenkirche. Magisterarbeit. In: Dietmar von Reeken (Hrsg.): Unser Lieben Frauen – Die Geschichte der ältesten Kirchengemeinde Bremens … Edition Temmen, 2002, ISBN 3-86108-677-8, S. 185–259. (Staatsarchiv Bremen: Ag-266, im Magazin)
  7. a b c d e Georg Skalecki: Die Kirche Unser Lieben Frauen in Bremen - Ein frühgotischer Zentralbau von 1220. In: INSITU - Zeitschrift für Architekturgeschichte. 12. Jg., Worms 2020, S. 159–180.
  8. Bremisches Urkundenbuch. 1. Band [1863], Lieferung 2-3: Urkunden bis 1300. S. 171ff., Urkunde Nr. 150 von 1229.
  9. Bremer Urkundenbuch 27. August 1139: Erzbischof Adalbero (II.) verlegt das Wilhadikapitel auf den Stephaniberg und erteilt der Kirche, die die Bremer Bürger dort zu bauen versprochen haben, das Pfarrrecht innerhalb der Stadt für alle Bürger, die vom Haus Elverici bis zum Stephaniberg wohnen, sowie für die Dörfer Utbremen und Walle.
  10. Erstes Dendrodatum des Kirchenschiffs der Stadtkirche in Gadebusch, Ralf Gesatzky, siehe Tilo Schöfbeck: Mittelalterliche Kirchen zwischen Trave und Peene. 1. Auflage. Lukas Verlag, 2014, ISBN 978-3-86732-131-0, Tabelle auf S. 362.
  11. Die Backsteine an der Nordseite des Südturms sind 30 cm lang und 8,5 cm hoch. Bis um 1200 waren die Backsteine flacher und/oder kürzer (z. B. die Türme des Verdener Doms und der Schlosskirche in Varel), Mitte des 13. Jahrhunderts setzte sich das typische Klosterformat durch, mit Längen von 28–29 cm und Höhen von 8,5–9 cm.
  12. Die äußere Verblendung aus Sandsteinquadern könnte auch beim Umbau neu angebracht und nur deswegen an dieser Wand besonders einheitlich sein, weil nur hier eine vorbestehender Mauerkern die Arbeit begünstigte. Die Lisene links neben dem Portal, die bis zu der doppelten Lage niedriger Quader reicht, spricht eher für einen Altbestand als für eine neue zweigeschossig gestaltete Fassade. Die gegenteilige Behauptung, also die Nordwand über dem Beinkeller sei insgesamt abgetragen und anschließend neu aufgeführt worden, ist mangels Indizien wissenschaftlich haltlos.
  13. Gerd Dettmann: Die Steinepitaphien der bremischen Kirchen. Bremen 1939.
  14. Rolf Gramatzki: Bremer Kanzeln. Bremen 2001, S. 108–128.
  15. Othmar Hinz (Hrsg.): Licht, das singt. Das Bremer Fensterwerk von Alfred Manessier. Bremen 2012.
  16. Fotografien der Fenster auf der Seite der Gemeinde
  17. Gottfried Sprondel (ehem. Pfarrer von ULF): Das Kirchenfensterwerk Alfred Manessiers in Liebfrauen. (Memento des Originals vom 19. Juni 2015 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.kirche-bremen.de (PDF)
  18. Frank Laukötter: Das Bremer Pfingstfenster von Alfred Manessier als Zeichen deutsch-französischer Freundschaft. In: Kunst und Politik. 15.2013, S. 135–141.
  19. Fritz Piersig: Die Orgeln der bremischen Stadtkirchen im 17. und 18. Jahrhundert. In: Bremisches Jahrbuch. Band 35, 1935, S. 380 ff. und 400–413.
  20. Nähere Informationen zur Geschichte der Orgeln der Liebfrauenkirche

Koordinaten: 53° 4′ 35″ N, 8° 48′ 27″ O