Nadia Boulanger, 1910

Nadia Juliette Boulanger (* 16. September 1887 in Paris; † 22. Oktober 1979 ebenda) war eine französische Komponistin, Pianistin, Dirigentin, Musiktheoretikerin und Musikpädagogin.

Leben

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Nadia Boulanger (1925)

Nadia Boulanger war die Tochter der Sängerin Raïssa Mychetskaja (1858–1935), einer russischen Adeligen, und des Komponisten, Dirigenten und Gesangslehrers Ernest Boulanger (1815–1900). Ihre jüngere Schwester war die Komponistin Lili Boulanger (1893–1918). Sie begann bereits im Alter von neun Jahren bei ihrem Vater Orgel und Komposition zu erlernen und ging sehr jung ans Pariser Konservatorium, wo sie von Louis Vierne (1870–1937) und Alexandre Guilmant in Orgel und von Gabriel Fauré (1845–1925) in Komposition unterrichtet wurde.[1] Bereits 1903 wurde Nadia Boulanger stellvertretende Organistin für Gabriel Fauré an der Orgel der Kirche La Madeleine. 1904 erhielt sie im Alter von sechzehn Jahren die ersten Preise in Orgel, Begleitung und Komposition und 1908 den zweiten Preis im großen Prix de Rome in Komposition für ihre Kantate La Sirène. In ihrem Appartement in der Rue Ballu besaß sie eine Mutin-Cavaillé-Orgel.

Im Jahr 1914 komponierte sie „Drei Stücke“ für Violoncello und Klavier, ein impressionistisches Werk mit drei Teilen jeweils eigenen Charakters. Der Pianist Raoul Pugno (1852–1914) setzte sich für Nadia Boulanger ein und führte unter ihrer Leitung ihre Rhapsodie variée für Klavier und Orchester auf. Auch komponierte er mit ihr gemeinsam eine Reihe von Werken wie den Liederzyklus der Hellen Stunden (Heures claires). Nach seinem Tod widmete Nadia Boulanger sich stärker der Musikpädagogik, Orchesterleitung und der Verbreitung des Werks ihrer Schwester Lili Boulanger. Ab 1921 unterrichtete sie an der École normale de musique de Paris und am neu gegründeten Conservatoire Américain in Fontainebleau. Im selben Jahr reiste sie erstmals in die USA, wo sie fortan regelmäßig Meisterkurse gab. Sie wurde eine der berühmtesten Kompositionslehrerinnen des 20. Jahrhunderts.

Sie unterrichtete zum Beispiel den französischen Komponisten Maurice Journeau, und mehrere Generationen amerikanischer Komponisten zählten zu ihren Schülern, darunter Aaron Copland, Gerardo Guevara, Astor Piazzolla, Quincy Jones, Roy Harris und Philip Glass. Unter den zahlreichen von ihr unterrichteten polnischen Komponisten finden sich Namen wie Grażyna Bacewicz, Zbigniew Bargielski, Wojciech Kilar, Stefan Kisielewski, Zygmunt Krauze, Krzysztof Meyer, Marta Ptaszyńska, Kazimierz Serocki, Stanisław Skrowaczewski, Michał Spisak, Witold Szalonek, Antoni Szałowski, Stanisław Wiechowicz und Antoni Wit. Ihr größter Klavierschüler war der Rumäne Dinu Lipatti (1917–1950), mit dem sie 1937 die ersten gemeinsamen Aufnahmen machte. Bis heute wohl unerreicht ist ihre Einspielung der Brahms-Walzer op. 39 für vier Hände. Eine enge Freundschaft verband sie auch mit Igor Stravinsky (1882–1971). Sie unterrichtete seinen Sohn Swjatoslaw Sulima Stravinsky (1910–1994), der ebenfalls ein bekannter Musiker wurde, und vermittelte Igor Stravinsky für eine Lehrtätigkeit an die Harvard University.[2]

Als sie 1938 das Boston Symphony Orchestra dirigierte, brach sie in eine traditionsgemäß männliche Domäne ein. Es war ihr erster Auftritt außerhalb Frankreichs und das erste Mal, dass dieses Orchester unter der Stabführung einer Frau spielte. Ihr Ruf als Dirigentin wuchs besonders im Zusammenhang mit modernen Werken und alter Musik, für die sie sich sehr einsetzte.

Während des Zweiten Weltkriegs lebte sie als Lehrerin in den USA. 1946 kehrte sie nach Paris zurück. Sie übernahm eine Professur am Pariser Konservatorium, wo sie bis zu ihrem Tod unterrichtete. Ihre vielleicht wichtigste Rolle fand sie jedoch als Leiterin des Conservatoire Américain in Fontainebleau, einer offenen, englischsprachigen Sommerakademie mit internationalem Rang.

Ihre Wohnung in Paris wurde zum Treffpunkt der französischen musikalischen Welt. In der „Boulangerie“ („Bäckerei“) verkehrten unter anderem Aaron Copland, Maurice Ravel, Arthur Honegger, Leonard Bernstein, Priaulx Rainier, Grażyna Bacewicz, Vilayat Inayat Khan und Noor-un-Nisa Inayat Khan und Thea Musgrave, denen sie Unterweisung in Harmonielehre, Komposition, Kontrapunkt, Musikanalyse und Instrumentation gab. Zeitweise unterrichtete sie auch an der Yehudi Menuhin School in England.

Werk

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Von ihren Werken dürfte die 1911/1912 entstandene Oper „La Ville Morte“ das bekannteste sein. Außerdem schrieb sie zahlreiche Lieder und kammermusikalische Werke.

Ehrungen

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Diskografie (Auswahl)

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Literatur

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Einzelnachweise

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  1. Bruno Monsaingeon: Ich denke in Tönen. Gespräche mit Nadia Boulanger. Paris 1981, deutsche Übersetzung Joachim Kalka, Berlin 2023, S. 10 und S. 29/30/31.
  2. Privatkorrespondenz mit Théodore Strawinsky (im Besitz der Fondation Théodore Strawinsky Genf), sowie Stephen Walsh, Stravinsky, Bd. II: The Second Exile.
  3. Werkverzeichnis nach: Melanie Unseld: Artikel „Nadia Boulanger“. In: MUGI. Musikvermittlung und Genderforschung: Lexikon und multimediale Präsentationen, hg. von Beatrix Borchard und Nina Noeske, Hochschule für Musik und Theater Hamburg, 2003ff. Stand vom 24. April 2018.
  4. Süddeutsche Zeitung: Albtraumhaft begabt. Abgerufen am 5. Juli 2020.
Personendaten
NAME Boulanger, Nadia
ALTERNATIVNAMEN Boulanger, Nadia Juliette (vollständiger Name)
KURZBESCHREIBUNG französische Musikpädagogin, Komponistin und Dirigentin
GEBURTSDATUM 16. September 1887
GEBURTSORT Paris
STERBEDATUM 22. Oktober 1979
STERBEORT Paris