Negative Emissionen – auch als Greenhouse Gas Removal (GGR) bezeichnet – sind Ansätze zur Entnahme von Treibhausgasen aus der Atmosphäre. Sie sind ein elementarer Bestandteil des Konzepts einer Treibhausgasbilanz von Netto-Null, da dabei von menschlichen Aktivitäten ausgestoßene Resttreibhausgasemissionen durch von menschlichen Aktivitäten realisierte negative Emissionen Metrik-gewichtet vollständig ausgeglichen werden.[1] Übersteigen die negativen Emissionen die Resttreibhausgasemissionen, wird von netto-negativen Treibhausgasemissionen gesprochen. Negative CO2-Emissionen – auch als Carbon Dioxide Removal (CDR) bezeichnet – ist eine Untergruppe von negativen Emissionen, welche eine Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre bewirken. Die Ansätze, um negative Emissionen zu realisieren, sind Negativemissionstechnologien oder Negative-Emissionen-Technologien ( , englisch negative emission technologies, kurz NET oder NETs). Negativemissionstechnologien umfassen natürliche und rein technische Ansätze, welche mittels biologischen, physikalischen und chemischen Prozessen die Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre reduzieren. Im Kontext von Netto-Null Treibhausgasemissions-Zielen bekommt CO2-Entnahme in der Klimapolitik zunehmend mehr Bedeutung.[2]
Das 1,5-Grad-Ziel lässt sich ohne negative Emissionen wahrscheinlich nicht mehr einhalten. Ein großangelegter Einsatz der dazu notwendigen Technologien ist jedoch unerprobt, sich auf sie zu verlassen ein bedeutendes Risiko.[3] Klimawirksam sind negative Emissionen nur dann, wenn dabei gebundene Treibhausgase langfristig nicht zurück in die Atmosphäre gelangen, diese permanente Entnahme muss durch robuste Zertifizierungsinstrumente sichergestellt werden.[4] Abscheidung und Speicherung von CO2 erfordert Endlager für ähnliche Mengen von Kohlenstoff, wie aus der Erde geholt werden, in beliebiger Modifikation oder chemischer Verbindung.
Je nach Umfang und Auswirkung der vorgeschlagenen Prozesse für negative Emissionen werden sie zu den Technologien des Geoengineering gezählt.[5]
In einer ersten globalen CDR-Studie wird der Umfang der aktuellen negativen CO2-Emissionen durch technische CO2-Entnahmeverfahren auf zwei Millionen Tonnen pro Jahr geschätzt. Das entspricht ca. 0,005 % der jährlichen CO2-Emissionen. Die negativen CO2-Emissionen durch Aufforstung, Wiederaufforstung und der nachhaltigen Bewirtschaftung bestehender Wälder liegen zwar gegenüber den technischen Verfahren um den Faktor 1000 höher, können jedoch nicht beliebig gesteigert werden. Wenn steigende Temperaturen und Trockenheit dem Wald weiter schaden, wird erwartet, dass geologische und andere technische Verfahren umso wichtiger werden.[6][7]
Klimawissenschaftler gehen von einem CO2-Budget aus,[8] bei dessen Überschreitung unvorhersehbare Folgen eintreten würden, etwa der Zustand des Treibhauses Erde, der zu für den Menschen lebensfeindlichen Bedingungen führen würde.[9] Bei einem im Jahr 2017 durchschnittlichen Ausstoß von ca. 40 Gigatonnen CO2-Äquivalent (Gt CO2eq) pro Jahr verbleiben der Menschheit ab diesem Jahr im Falle einer ausbleibenden Veränderung des Ausstoßes je nach angenommenem CO2-Budget noch etwa 20 bis 30 Jahre, bis dieses Budget ausgeschöpft ist; danach dürften wegen der nur sehr langfristigen Absorbierung von Treibhausgasen durch das Erdsystem über Jahrtausende keinerlei Treibhausgase mehr ausgestoßen werden. Um auch langfristig das Klimasystem für die menschliche Spezies in einem angemessenen Rahmen zu halten, ist somit ein rascher Verzicht auf Treibhausgase vonnöten. Es ist im Rahmen der Klimakrise jedoch davon auszugehen, dass für die Stabilisierung der Erderwärmung auf 1,5 °C (1,5-Grad-Ziel), wie sie im Paris-Abkommen angestrebt wird, eine sehr schnelle Dekarbonisierung und Energieeinsparungen nicht ausreichend sind, sondern der Atmosphäre zudem mit negativen Emissionen Kohlenstoffdioxid entzogen werden muss.[10] Hierbei geht es somit nicht um eine Vermeidung künftiger Emissionen, sondern eine „Rückgängigmachung“ vergangener Emissionen. Auch in den meisten Szenarien zur Einhaltung des Zwei-Grad-Ziels sind mittlerweile (2016) negative Emissionen und damit der großtechnische Einsatz von NET erforderlich.[11][12]
Der Klimawissenschaftler Glen Peters fasst die Herausforderungen, die negative Emissionen an Entscheidungsträger stellen, wie folgt zusammen: „Es wimmelt in den Medien von Bildern, die Windkraftanlagen und Sonnenkollektoren zeigen. Das ist schön und gut, aber wenn wir die im Übereinkommen von Paris festgelegten Ziele erreichen wollen, sind sogenannte negative Emissionen erforderlich – sodass wir bereits in die Atmosphäre freigesetztes CO2 entfernen und dieses in großem Umfang entfernen. Doch darüber wird wenig geredet, obwohl die Politiker allmählich verstehen, welche enorme Aufgabe dies darstellt.“[13]
Es gibt Vorschläge zu biologischen, chemischen und physikalischen Verfahren, wie das CO2 aus der Atmosphäre entfernt werden könnte. Viele der bislang vorgeschlagenen Verfahren sind langsam, sie bedürften eines großtechnischen Einsatzes von wahrscheinlich mehr als 100 Jahren, um atmosphärische CO2-Konzentrationen signifikant zu verringern:[14]
Unter gewissen Umständen lassen sich auch mit der Power-to-Gas-Technologie negative Emissionen erzielen. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn das Kohlenstoffdioxid für die Methanisierung aus der Luft gewonnen wird und das synthetisierte Methan später in einem Kraftwerk mit CO2-Abscheidung und -Speicherung verbrannt wird.[23]
Führende Klimawissenschaftler gehen davon aus, dass zur Einhaltung des Zwei-Grad-Ziels ab dem Jahr 2030 alle Gebäudekonstruktionen CO2-neutral oder CO2-negativ sein müssten. Hierfür müsste die Bauwirtschaft entweder emissionsfreien Beton oder Stahl einsetzen oder diese Materialien durch emissionsfreie oder emissionsnegative Stoffe wie Holz (siehe Holzbau) oder Gesteine ersetzen.[24] Denkbar ist ebenfalls, dass die Betonnutzung langfristig zu negativen Emissionen führen könnte, da Beton im Laufe der Zeit durch Karbonatisierung Kohlendioxid aus der Luft aufnimmt. Dies ist jedoch nur dann möglich, wenn die Energieversorgung der Zementherstellung auf emissionsfreie Quellen umgestellt und das bei der Zementproduktion prozessbedingt anfallende Kohlendioxid abgeschieden und dauerhaft gespeichert würde.[25] Durch die weite Verbreitung von Recyclingbeton in der Schweiz wurden dort Produktionsprozesse entwickelt, welche die CO2-Speicherung im Betongranulat ermöglichen.[26]
Gegenwärtig nehmen die Meere und die Biosphäre etwa die Hälfte der menschlichen CO2-Emissionen rasch wieder aus der Atmosphäre auf. Dadurch dämpfen sie einerseits den Anstieg der atmosphärischen CO2-Konzentrationen, andererseits kommt es zur Versauerung der Meere und zu Wirkungen auf das Pflanzenwachstum. Negativemissionstechnologien wirken auch diesen beiden Effekten entgegen: Bei einer Abnahme der CO2-Konzentrationen würden Meere und Biosphäre einen Teil des gespeicherten CO2 wieder in die Atmosphäre abgeben. Wegen dieses Rebound-Effektes muss mit Carbon Dioxide Removal (CDR) aber für eine gewünschte CO2-Reduzierung in der Atmosphäre in etwa das Doppelte an CO2 entfernt werden.[14][27]
Je nach Technologie dienen verschiedene Reservoirs als Speicher des aus der Atmosphäre entfernten Kohlenstoffs. Reservoirs unterscheiden sich in ihrer Speicherkapazität und der Dauer, mit der sie Kohlenstoff speichern. Reservoirs, in denen Kohlenstoff mindestens über zehntausende Jahre eingeschlossen ist, bezeichnet man als permanent. Das Speichern von Kohlenstoff in nicht-permanenten Reservoirs wirkt eher verzögernd als verhindernd auf die Erderwärmung. Geologische Reservoirs könnten den Kohlenstoff permanent speichern, während land- oder ozeanbasierte Reservoirs nicht als permanent gelten. Besonders bei landbasierten Reservoirs (Böden, Biosphäre) besteht zudem das Risiko, dass bei einem weiteren Klimawandel CO2 wieder schneller freigesetzt wird.[14][27] Geologische und ozeanische Reservoirs könnten mehrere tausend Gigatonnen (Gt) Kohlenstoff aufnehmen, landbasierte grob 200 Gt.[27] Zum Vergleich: Die energiebedingten CO2-Emissionen – also ohne Zementproduktion, Landnutzungsänderungen und ohne andere Treibhausgase – betrugen 2017 etwa 32,5 Gt,[28] das entspricht ungefähr 8,9 Gt Kohlenstoff.
Ein großes Problem bei Politikstrategien, die auf große Mengen negativer Emissionen in der Zukunft setzen, ist der Umstand, dass derartige Technologien heute kaum getestet sind und es unsicher ist, ob sie jemals in nennenswertem Maße zur Verfügung stehen werden. Für die Politik von heute ist es zwar deutlich attraktiver, auf negative Emissionen in der Zukunft zu hoffen, als aktuell eine schnelle und weitreichende Dekarbonisierungspolitik einzuleiten. Hierbei besteht aber die große Gefahr, dass negative Emissionstechnologien wie insbesondere BECCS aufgrund vielfältiger Probleme wie z. B. dem enormen Flächenverbrauch nicht großflächig eingesetzt werden können und damit eine heutige zögerliche Klimaschutzpolitik die Welt auf eine starke globale Erwärmung im Bereich von 4 °C schicken würde. Dies würde insbesondere Gesellschaften treffen, die selbst wenig Emissionen verursachen, zugleich aber besonders anfällig für einen schnellen Klimawandel sind. Klimaforscher wie Kevin Anderson und Glen Peters betonen daher, dass negative Emissionstechnologien keine Versicherungsstrategie seien, sondern vielmehr ein ungerechtes und hochriskantes Glücksspiel, das nicht die Grundlage für eine Klimaschutzstrategie sein sollte.[29]
Bei der Gestaltung neuer Politikinstrumente sind die nationalen Kontexte von großer Bedeutung – so stellen sich in großen Emittenten des „Globalen Südens“ andere politische Herausforderungen als in OECD-Ländern.[30]
Eine 2016 erschienene Review-Studie, die die Potentiale und Risiken verschiedener Negativ-Emissions-Technologien systematisch untersuchte, hält fest, dass es sehr risikoreich sei, von vorneherein den Einsatz negativer Emissionstechnologien anzustreben, da es bisher keine derartigen Technologien gebe, mit denen das Zwei-Grad-Ziel ohne erhebliche negativen Auswirkungen auf den Verbrauch von Flächen, Energie, Wasser, Nährstoffen oder auf die Kosten oder durch Eingriffe in die Albedo erreicht werden könne. Plan A müsse daher immer die sofortige und schnelle Reduzierung der heutigen Treibhausgasemissionen durch Dekarbonisierung der Wirtschaft sein und nicht das Hoffen auf negative Emissionen in der Zukunft. Denn wenn das Hoffen auf zukünftige negative Emissionen von vorneherein Plan A sei, dann gebe es in dem Fall, dass negative Emissionen aufgrund diverser ökologischer oder ökonomischer Grenzen nicht in ausreichendem Maße erzielt werden können, keinen Plan B mehr.[11]
Wenn CO2-Entnahmetechnologien tatsächlich in dem Maßstab eingesetzt werden sollen, wie das in vielen Klimaschutzszenarien zu sehen sei, dann müssten in den Bereichen Innovation, Markteinführung und Marktpenetration schon größere Fortschritte erreicht sein, als dies bisher der Fall ist. Diese Dringlichkeit spiegle sich laut Jan Minx jedoch weder in der wissenschaftlichen Literatur noch im politischen Diskurs wider.[31]
Andreas Malm und Wim Carton (beide Universität Lund) sehen in Negativemissionstechnologien das erhebliche Risiko, als Rechtfertigung für bisherige Lebens- und Produktionsstile zu dienen, Investitionskapital zu binden und so Transformationsprozesse zum klimaneutralen Wirtschaften zu verlangsamen. Da die Technologie aber bereits in Entwicklung sei, schlagen sie eine Durchsetzung des Verursacherprinzips vor, das Großunternehmen und Industrie zur Bindung ihrer Emissionen verpflichte. Staaten könnten die Breitenwirksamkeit und Innovationsgeschwindigkeit unterstützen, indem sie geistiges Eigentum von CDR-Technologien erwerben und vergesellschaften. Ergänzend empfehlen sie weitere Maßnahmen wie die anteilige Umstellung der Automobilindustrie auf derartige Technologien und die Renaturierung und natürliche CO2-Sequestrierung von bisher zur Fleischwirtschaft genutzten Flächen.[32]
Da die natürlichen Kohlenstoffsenken zunehmend verloren gehen, empfiehlt eine Arbeitsgruppe der Science for Future die umgehende Einführung eines Ziels für negative Emissionen. Um die Biosphäre zu stabilisieren, sollten bis Mitte des Jahrhunderts 10 Gigatonnen und bis zum Ende des Jahrhunderts 1000 Gigatonnen CO2 eliminiert werden. Dies entspricht 2/3 der bisher emittierten Menge an CO2 aus der Verbrennung von fossilen Brennstoffen. Für die Umsetzung in Deutschland sieht die Arbeitsgruppe das größte Potential bei der beschleunigten Verwitterung, da mit der Umsetzung umgehend begonnen werden könne und die politische Durchsetzungsfähigkeit wahrscheinlich erscheint. Daneben von Bedeutung sind die Wiedervernässung von Mooren, der Humusaufbau, der Einsatz von Pflanzenkohle und die Aufforstung und Begrünung.[33]
In einem 2016 publizierten Review in Nature Climate Change wurden die Kosten verschiedener negativer Emissionstechnologien analysiert, wobei es je nach Technologie erhebliche Bandbreiten gab. Die Kosten für die direkte Abscheidung von Kohlendioxid aus der Luft (DAC) wurden mit 1.600–2.080 US-Dollar je Tonne CO2eq angegeben, während für BECCS für das Jahr 2100 bei großen Schwankungen ein mittlerer Wert von 132 US-Dollar je Tonne CO2eq ermittelt wurde. Die Aufforstung und Wiederaufforstung von Wäldern verursacht demnach ebenfalls für das Jahr 2100 zwischen 65 und 108 US-Dollar pro Tonne CO2eq, mit einem mittleren Wert von 87 US-Dollar, während die Kosten der künstlichen Verwitterung mit ca. 88 bis 2120 US-Dollar pro Tonne CO2eq angegeben werden.[11] Eine Studie aus dem Jahr 2018 kommt zum Ergebnis, dass die Kosten für negative Emissionen durch künstliche Verwitterung von Dunit bei 60 US-Dollar pro Tonne CO2 liegen und im Falle von Basalt bei 200 US-Dollar pro Tonne CO2.[34]
Forscher der Firma Carbon Engineering errechneten für das DACCS-Verfahren 2018 Kosten von 94–232 US-Dollar pro aufgenommene Tonne CO2. Vor dieser Berechnung wurden laut Berichten von Medien wie unter anderem Nature für das Entfernen von CO2 aus der normalen Luft größere Kosten angenommen, nämlich 600 US-Dollar, errechnet 2011 von der American Physical Society. Es wird angenommen, dass, wenn die Technik fortgeschrittener ist, die Kosten sinken. Eine andere Firma, Climeworks, behauptet, dass sie mit ihrer Technik in fünf bis zehn Jahren unter 100 US-Dollar kommen könnten; aktuell lägen sie noch bei 600 US-Dollar. Die Kosten von 94 US-Dollar liegen allerdings über dem aktuellen Marktpreis für CO2-Einsparung und sind nicht rentabel.[35][36]
Tabelle:
Methode | Potential Gt CO2/Jahr |
Kosten US$/t CO2 |
Speicherungsdauer |
---|---|---|---|
(Wieder-)Aufforstung | 0,5–10 | 0–50 | Dekaden–Jahrhunderte |
Biomasse-Verbrennung (bzw. Vergärung) und CO2-Einlagerung (BECCS) | 0,5–11 | 100–200 | Jahrtausende |
Ozean-Alkalisierung[37] | 1–100 | 14–500 | Jahrhunderte |
Beschleunigte Verwitterung von z. B. Basalt | 2–4 | 50–200 | Jahrhunderte |
Biomasse-Verkohlung (Pflanzenkohle / Pyrolyse (PyCCS)) | 0,3–6,6 | 30–120 | Jahrhunderte |
Veränderte Landnutzung (Renaturierung der Mooren, Humusaufbau, Tierzucht, Lebensmittelverschwendung etc.)[38] | 2–5 | 0–100 | Jahre bis Jahrzehnte |
CO2-Filterung aus der Luft und Einlagerung (DACCS) | 5–40 | 100–300 | Jahrtausende |