Paul Abraham

Paul Abraham, ungarisch Ábrahám Pál (* 2. November 1892 in Apatin, Königreich Ungarn, Österreich-Ungarn; † 6. Mai 1960 in Hamburg), war ein ungarisch-deutscher Komponist. In Deutschland nannte er sich Paul Abraham. Er schrieb vornehmlich Operetten.

Leben

Leben bis 1933

Grabstein von Paul Abraham auf dem Friedhof Ohlsdorf
Gedenktafel (mit Spiegelung der Isestraße)
”Paul-Abraham-Park”

Abraham wurde in der donauschwäbischen, deutschsprachigen Gemeinde Apatin in der Batschka (damals Ungarn) als Sohn des jüdischen Kaufmanns Jakab Abraham und dessen Frau Flora Blau (Ábrahám Jakab, Blau Flóra)[1] geboren.[2] In Budapest studierte er an der Königlich-Ungarischen Musikakademie bei Victor von Herzfeld Komposition (von 1913 bis 1917). Während des Studiums entstanden erste Kompositionen, die im großen Musiksaal der Akademie aufgeführt wurden. Es handelte sich um eine ungarische Serenade, ein Cellokonzert und ein Streichquartett (alle 1915).[3] „Verwegene Bankgeschäfte“[4] haben ihn, wie er später selbst erzählte, Anfang 1924 als Bankrotteur ins Gefängnis gebracht.[5] Er saß sechs Wochen in Untersuchungshaft und musste nach Prozess und Berufung einem Kläger seine Schulden sowie die Prozesskosten zurückbezahlen.[6] Abraham arbeitete dann als Angestellter und dirigierte nebenbei in Cafés und Jazzkellern kleine Ensembles.[3] 1927 wurde Abraham Kapellmeister am Budapester Hauptstädtischen Operettentheater, wo er in der Folge mit vier Liedern für die Operette Zenebona Aufsehen erregte. Im Frühjahr 1929 hatte er die musikalische Leitung bei der ungarischen Erstaufführung der Operette Riviera-Express von Géza Herczeg und Robert Katscher.[7] Der Gatte des Fräuleins war dann sein erstes eigenes Musiktheaterstück. 1930 wurde in Budapest die Operette Viktória erfolgreich uraufgeführt. Zeitgleich wurde er in Deutschland mit einem Lied aus Der Gatte des Fräuleins bekannt. Dieses steuerte Paul Abraham dem ersten UFA-Tonfilm Melodie des Herzens bei. Unter dem Titel Bin kein Hauptmann, bin kein großes Tier, wurde die Komposition, gesungen von Willy Fritsch, zu einem riesigen Schallplattenerfolg.

Mit der Ausweitung seiner Popularität in Deutschland übersiedelte er nach Berlin. Dort wurde er Anfang der 1930er zum gefragtesten Komponisten seiner Zeit. Mit der überarbeiteten Operette Viktória (unter dem neuen Namen Viktoria und ihr Husar), der Blume von Hawaii und dem Ball im Savoy schuf er zusammen mit den Librettisten Alfred Grünwald und Fritz Löhner-Beda die erfolgreichsten musikalischen Bühnenstücke in ganz Europa. Durch seine modernen Kompositionen, in denen er traditionelle Elemente mit jazzigen Rhythmen kombinierte, galt er als der Erneuerer und Retter des etwas in die Jahre gekommenen Genres Operette. Gleichzeitig steuerte er die Musik zu zahlreichen Filmen aus Produktionen in Deutschland und im europäischen Ausland bei.

Leben ab 1933

1933 endete dieser Höhenflug jäh durch die Machtergreifung der Nationalsozialisten. Abraham musste zurück nach Budapest gehen, seine Musik galt als „entartet“ und geriet in Deutschland in Vergessenheit. In Wien konnte er in den 1930ern noch die Operetten Märchen im Grand Hotel, Dschainah und Roxy und ihr Wunderteam herausbringen, dann musste er aufgrund der faschistischen Umtriebe, die auch Ungarn erreicht hatten, Budapest verlassen. Er flüchtete ohne seine Ehefrau nach Paris. 1940 kam er über Kuba nach New York, wo er aber nicht Fuß fassen konnte. Im „Mutterland des Jazz“ hatte an seinen Kompositionen niemand Interesse. Eine neue schöpferische Tätigkeit wurde zusätzlich durch eine verhängnisvolle Krankheit verhindert. 1946 dirigierte er geistesverwirrt auf der Madison Avenue den Verkehr und erregte auch durch andere Schübe von Geisteskrankheit Aufsehen. Er kam, an syphilitischer Meningoenzephalitis erkrankt, zunächst ins Bellevue Hospital in Manhattan, von dort aus in das Creedmoor Psychiatric Center in Queens.[8]

1956 kehrte der Komponist – nachdem die Bundesrepublik mit den USA die Fragen der Ausreise des ungarischen Staatsbürgers geklärt hatte – auf Initiative eines maßgeblich von Walter Anatole Persich in Hamburg gegründeten Paul-Abraham-Komitees nach Deutschland zurück. Er wurde zunächst in der Psychiatrie der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf behandelt. Danach lebte er noch knapp vier Jahre mit seiner inzwischen aus der Volksrepublik Ungarn ausgereisten Ehefrau zusammen. 1960 starb er nach einer schweren Krebserkrankung und wurde auf dem Friedhof Ohlsdorf beigesetzt. Bis zu seinem Tode war Abraham weiter der Überzeugung, in New York zu leben und bald wieder einen großen Kompositionserfolg landen zu können.[9]

1967 wurde die Abrahamstraße in Hamburg-Rahlstedt nach Paul Abraham benannt.[10] An der Fassade Klosterallee 80 in Hamburg-Harvestehude befindet sich eine Gedenktafel für Paul Abrahams dortigen Wohnaufenthalt 1956-1960. Seit 2019 heißt ein Teil der Parkanlage Grindelberg in Hamburg-Harvestehude offiziell „Paul-Abraham-Park“.[11]

Rekonstruktion der Originalfassungen der Operetten

Seit 2013 erleben die Operetten Paul Abrahams in Deutschland eine Renaissance. In der Folge einer Inszenierung von Ball im Savoy an der Komischen Oper Berlin, die vom Intendanten Barrie Kosky selbst besorgt wurde, finden an deutschen Bühnen vermehrt Inszenierungen von Paul-Abraham-Operetten statt, darunter auch 2014 die deutsche Erstaufführung der Fußball-Operette Roxy und ihr Wunderteam an der Oper Dortmund, der 2017 eine weitere Inszenierung am Theater Augsburg folgte. Die Operette Märchen im Grand-Hotel (Uraufführung 1934 in Wien) erklang 2017 in der Komischen Oper Berlin als konzertante Aufführung erstmals in Deutschland. Am Staatstheater Mainz wurde diese Operette dann 2018 auch erstmals in Deutschland szenisch aufgeführt. Weitere Komplettinszenierungen folgten 2019 an der Staatsoper Hannover und am Staatstheater Meiningen, 2021 am Staatstheater Nürnberg. Im Dezember 2019 schließlich gab es an der Komischen Oper Berlin die deutsche Erstaufführung von Dschainah, das Mädchen aus dem Tanzhaus (Uraufführung 1935 in Wien) in konzertanter Fassung.

Basis und Voraussetzung für diese Renaissance sind die neuen, sogenannten „Bühnenpraktischen Rekonstruktionen“ der Partituren der Abraham-Operetten von Henning Hagedorn und Matthias Grimminger.[12] Nach der Wiederentdeckung der verloren geglaubten Originalpartituren eines Großteils der Operetten erarbeiten Hagedorn und Grimminger in Zusammenarbeit mit den Verlagen Josef Weinberger[13] und Musik und Bühne[14] Notenausgaben mit dem Ziel, das für die Entstehungszeit der Operetten typische Klang- und Aufführungserlebnis mit den Mitteln eines heutigen Theaterorchesters wieder erlebbar zu machen.[15]

Biografische Arbeiten

Auch am wechselhaften Leben Abrahams ist in den letzten Jahren neues Interesse erwacht. 2008 schuf János S. Darvas 2008 unter dem Titel Bin nur ein Jonny eine einstündige TV-Dokumentation über Paul Abraham für den deutsch-französischen Sender Arte. 2014 legte der Publizist Klaus Waller die international erste Biographie des Komponisten vor: Paul Abraham. Der tragische König der Operette (Neuausgabe 2021: Paul Abraham. Der tragische König der Jazz-Operette). 2015 brachten die Hamburger Kammerspiele in Kooperation mit den Kammerspielen Magdeburg das biographische Theaterstück Abraham von Dirk Heidecke heraus, das inzwischen in vielen Städten aufgeführt wurde und weiterhin mit Jörg Schüttauf in der Titelrolle auf Tournee geht. Im Jahr 2019 inszenierte auch das Kleine Theater in Bad Godesberg dieses biographische Zwei-Personen-Stück. Das Theater Trier führte im Juni 2022 ein weiteres biografisches Stück über Paul Abraham auf: „… und im Aug’ die falsche Träne“ von Rainer Nolden. 2023 veröffentlichte Karin Meesmann, die vorher über Paul Abraham promoviert hatte (Universität Tübingen 2021), mit dem illustrierten Buch Pál Ábrahám. Zwischen Filmmusik und Jazzoperette (Hollitzer Verlag) das Ergebnis jahrelanger musikwissenschaftlicher Forschung.

Werke (Auswahl)

Verfilmungen

Filmografie

Literatur

Rezeption

Einzelnachweise

  1. Korrekturen zum Buch ‚Paul Abraham. Der tragische König der Operette‘ auf der Website paul-abraham-bio.de
  2. Es gibt auch einen amtlichen Eintrag in Abrahams Heiratsurkunde mit dem Geburtsort Zombor (Ungarischen Zivilstandsregister 1895–1980/Pest-Pilis-Solt-Kis-Kun/Budapest (5. Bezirk), 1930, Heiraten (jan), S. 129, online einsehbar bei familysearch). Dieser ist jedoch nachweislich falsch, denn im Jüdischen Geburtsregister Zombor von 1892 November/Dezember (Eintrag 115-119) ist keine Geburt Abrahams eingetragen
  3. a b Klaus Waller: Paul Abraham. Der tragische König der Operette. Norderstedt 2014
  4. Nicole Restle: Tänzelnd am Abgrund. In: Programmheft Münchner Rundfunkorchester Live-Konzert Paul Abraham zum 50. Todestag, 1. Dezember 2010.
  5. Meldung in der Zeitung Világ, Budapest, vom 2. Februar 1924, Seite 8
  6. Karin Meesmann: Pál Ábrahám. Wien 2023, S. 104
  7. Uraufführung einer Wiener Operette in Budapest. In: Die Stunde. Wien 13. März 1929, S. 7 (onb.ac.at).
  8. Stefan FreyPaul Abraham im Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen der NS-Zeit (LexM), Stand: 19. Juli 2018
  9. Otto Schneidereit: Operette A–Z. Henschelverlag Kunst und Gesellschaft Berlin 1983, S. 11ff.
  10. Rita Bake: Ein Gedächtnis der Stadt. Nach Frauen und Männern benannte Straßen, Plätze, Brücken in Hamburg. Band 3. Landeszentrale für politische Bildung, Hamburg 2017, S. 24.
  11. Die Welt, Hamburg, 13. Juli 2019
  12. Historische Aufführungspraxis in der Operette. In: www.kultiversum.de. Abgerufen am 28. März 2016.
  13. Jazzig-verruchtes Lebensgefühl in Berlin. In: www.josefweinberger.de. Abgerufen am 28. März 2016.
  14. Das Publikum rast – die Kritiker schwärmen. Info zu den Operetten Paul Abrahams. (PDF) Musik und Bühne Verlagsgesellschaft, abgerufen am 14. Januar 2018.
  15. „Bühnenpraktische Rekonstruktion“ – Was ist das eigentlich? – Der Opernhausblog. In: opernhausblog.de. Abgerufen am 28. März 2016.
  16. Theater und Kunst. In: Neues Wiener Journal. Wien 23. September 1928, S. 28 (onb.ac.at).
  17. a b Spektakel im Johann-Strauß-Theater. In: Die Stunde. Wien 5. Oktober 1928, S. 6 (onb.ac.at).
  18. Johann-Strauß-Theater. In: Arbeiter-Zeitung. Wien 5. Oktober 1928, S. 9 (onb.ac.at).
  19. Theater und Kunst. In: Neues Wiener Journal. Wien 28. September 1928, S. 12 (onb.ac.at).
  20. Angela Eder: Lieber bin ich unter den vieren in Hollywood, als unter den vierzigtausend am Friedhof. (PDF; 224 kB) Paul Ábraháms Fußballoperette Roxy und ihr Wunderteam, S. 6 f.; abgerufen am 23. Juni 2008
  21. Fünfter Januar 2024 u.d.T: Jazzmusiker fürs Opernorchster. Karin Meesmann erschließt neue Quellen zu Leben und Werk des Komponisten Pál Abraham.
  22. Dieter David Scholz: Meister der rebellischen Jazz-Operette im Deutschlandfunk 19. Juli 2021