Rafik Schami auf der Frankfurter Buchmesse 2017

Rafik Schami (arabisch رفيق شامي, DMG Rafīq Šāmī; * 23. Juni 1946 als Suheil Fadel, سهيل فاضل, DMG Suhail Fāḍil, in Damaskus) ist ein syrisch-deutscher Schriftsteller.[1] Er ist einer der erfolgreichsten deutschen Schriftsteller der interkulturellen Literatur.

Leben

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Rafik Schami stammt aus einer christlichen, melkitisch-katholischen[2] Familie und wuchs unter seinem bürgerlichen Namen Suhail Fadil mit mehreren Geschwistern im christlichen Viertel der Altstadt von Damaskus auf.[3] Vor dem Hintergrund seiner Eltern, die aus Maalula nach Damaskus gekommen waren, bezeichnet er sich einerseits als „Aramäer“, andererseits aber auch als „christlichen Araber“.[4] Neben Französisch und Arabisch lernte er in seiner Jugendzeit auch das in Maalula gesprochene Aramäisch sowie Englisch.[5] Er besuchte in Damaskus zwölf Jahre lang die Schule der melkitischen griechisch-katholischen Kirche nahe der Kathedrale Unserer Frau an-Niah in der al-Zaitun-Gasse.[6] Fadels Vater, der sich als Neuankömmling in Damaskus als Bäcker etabliert hatte, wollte, dass sein Sohn katholischer Priester würde, und schickte ihn in ein jesuitisches Kloster-Internat im Norden des Libanons. Dieser hielt es im dortigen Internat jedoch nicht aus und kehrte nach schwerer Krankheit nach Damaskus zurück, wo er Chemie, Mathematik und Physik studierte.[7] Schon mit neunzehn Jahren hatte er sich der Literatur verschrieben, gründete und leitete 1966 in der Altstadt von Damaskus die Wandzeitung Al-Muntalak (dt. ‚Ausgangspunkt‘), die 1969 verboten wurde.

1970 verließ Rafik Schami sein Heimatland Syrien und fuhr zunächst in den Libanon –, zum einen, um dem Militärdienst zu entgehen, zum anderen, weil er wegen der Zensur nach eigenen Angaben „zu ersticken“ drohte. 1971 wanderte er in die Bundesrepublik Deutschland aus. Er sprach anfangs kein Deutsch und musste diese Sprache mühsam erlernen.[7] Er setzte sein Chemiestudium in Heidelberg fort und schloss es 1979 mit der Promotion ab. Neben seinem Studium nahm er verschiedene Aushilfsjobs in Fabriken, Kaufhäusern, Restaurants und auf Baustellen an. Er veröffentlichte zahlreiche Texte in Zeitschriften und Anthologien, zunächst in arabischer Sprache. Nachdem 1977 sein erster deutscher Text erschienen war, schrieb er nunmehr ausschließlich auf Deutsch.[7] 1978 erschien mit Andere Märchen sein erstes Buch in deutscher Sprache. 1980 war er Mitbegründer der Literaturgruppe „Südwind“ und des PoLiKunst-Vereins (= Polynationaler Literatur- und Kunstverein). Von 1980 bis 1985 war Rafik Schami Mitherausgeber und Autor der Reihe „Südwind-Gastarbeiterdeutsch“ und der Reihe „Südwind-Literatur“ (insgesamt 13 Bände).

Für sein Werk hat er zahlreiche Auszeichnungen und Preise erhalten. Sein Erfolg gründet sich nicht zuletzt auf seine zahlreichen Lesungen, bei denen er sein Talent zum freien Fabulieren entfaltet. Der Verkauf des einmillionsten Exemplars der Taschenbücher Schamis bei dtv im Januar 2005 zeugt von seiner gleichbleibend großen Beliebtheit beim deutschen Publikum.

Rafik Schami engagiert sich seit vielen Jahren für die Aussöhnung zwischen Palästinensern und Israelis und versucht bei vielen Gelegenheiten, für diese Aufgabe zu werben, so z. B. auf Kongressen, in seinem umfangreichen essayistischen Werk und nicht zuletzt als Herausgeber der Aufsatzsammlung Angst im eigenen Land (2001), in der Araber wie Israelis zu Wort kommen und zum Israel-Palästina-Konflikt Stellung nehmen. Schami wurde während der Frankfurter Buchmesse 2004 von staatlich loyalen Autoren aus der arabischen Welt scharf kritisiert. Anlass dazu waren Schamis Aussagen über die Situation von Autoren in den arabischen Ländern in einem stern-Interview.[8]

Schami lebt als freier Schriftsteller in der pfälzischen Gemeinde Marnheim im Donnersbergkreis. Er besitzt die Staatsbürgerschaften von Syrien und Deutschland. 1990 lernte er die Zeichnerin und Autorin Root Leeb kennen, mit der er seit 1991 verheiratet ist und einen Sohn hat. Root Leeb illustrierte eine große Anzahl seiner Bücher, gestaltete die Titelbilder aller bei dtv erschienenen Bücher Schamis und gab ihnen so ein unverwechselbares Design. Der Sohn, Emil Fadel (* 1992), wurde mit dem Gewinn des Martha-Saalfeld-Förderpreises 2014 erstmals als Schriftsteller einer größeren Öffentlichkeit bekannt.[9]

2010 erhielt Schami die Brüder-Grimm-Professur der Universität Kassel. Seine Vorlesungen beschäftigten sich mit der Erzählkunst. Bisherige Inhaber waren unter anderen die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller sowie Christoph Hein und Klaus Harpprecht.

Literarische Bedeutung

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Rafik Schami, 2008

Die bestimmenden Themen von Schamis Werk sind das Leben von Migranten in Deutschland, die Darstellung der arabischen und insbesondere der syrischen Welt in Vergangenheit, Gegenwart und in der Utopie, Politik und Gesellschaft sowie das Erzählen selbst. Schami gilt als ein begnadeter Erzähler. Er trägt entsprechend der Erzähltradition seiner Heimatstadt Damaskus seinem Publikum seine Geschichten am liebsten mündlich vor. Ein wesentliches Merkmal von Schamis Stil ist seine Nähe zur oralen Tradition des arabischen Geschichtenerzählens im Sinne einer Integration der arabischen und der deutschen Tradition von Erzählung. Seine Bücher sind vorwiegend Sammlungen von Geschichten, wobei die Erzählungen bewusste Anklänge an die Geschichten von Tausendundeiner Nacht beinhalten. Innerhalb einer rein narrativen Rahmenhandlung wird eine Serie von ebenfalls mündlich vermittelten Geschichten entfaltet. Schon als Kind erzählte er seinen Freunden in den Straßen von Damaskus Geschichten; auch seine heutigen öffentlichen Auftritte sind weniger typische Lesungen als freie Wiedererzählungen seiner Werke.

In der ersten Phase seines deutschsprachigen Schreibens widmete sich Schami sowohl der Märchenwelt Arabiens als auch dem Leben Fremder in Deutschland. Seine Bücher bieten damit einerseits einen faszinierenden Einblick in die auf manche Leser sehr fremd wirkenden orientalischen Lebens- und Gedankenwelten und zeigen andererseits den aufmerksamen Blick des Fremden auf die Eigenheiten Deutschlands, das ihm zur zweiten Heimat wurde. Dabei ist es Schamis Ziel, den deutschen Lesern die Vielfalt der arabischen Welt nahezubringen und so zur Vermittlung zwischen Orient und Okzident beizutragen. Zudem wird er zu einem Initiator der sogenannten Gastarbeiterliteratur. Allerdings ist es ihm relativ schnell gelungen, sich aus den Gattungsgrenzen der ‚Gastarbeiterliteratur’ zu lösen und seinen eigenen Stil zu finden. Dabei ist zu beobachten, dass am Anfang seines literarischen Schaffens in der Wahl der Handlungsorte eine strenge Trennung zwischen Orient, der Verarbeitung von Kindheits- und Jugenderfahrungen, und Okzident, der Darstellung des Lebens eines Fremden im anderen Land, gezogen wird. Erst mit dem Roman Reise zwischen Nacht und Morgen (1995) wird diese Trennung aufgegeben, und Schami beginnt, das ‚Hin und Her’ zwischen den Welten zu thematisieren (Die Sehnsucht der Schwalbe, 2000). In zahlreichen Essays und literarischen Texten begibt er sich in die Rolle eines Vermittlers zwischen Orient und Okzident. Höhepunkt dieser Vermittlerrolle ist die poetische Auseinandersetzung mit Goethe in Der geheime Bericht über den Dichter Goethe, der eine Prüfung auf einer arabischen Insel bestand (1999),[10] der erste ins Arabische übersetzte Text Schamis. Schamis Literatur spiegelt so den Prozess eines allmählichen Heimischwerdens im neuen Land.

Rafik Schami spricht mit seiner Literatur Leser jeglichen Alters an. Seine Veröffentlichungen verwenden dabei viele verschiedene Genres, sie erstrecken sich vom Bilderbuch etwa mit Wie ich Papa die Angst vor Fremden nahm (2003) über das Kinderbuch, zum Beispiel Luki. Die Abenteuer eines kleinen Vogels (1993), den gesellschaftskritischen Roman für jugendliche und erwachsene Leser, z. B. Der ehrliche Lügner (1992) oder Milad (1997), bis zum politischen Essay und der politischen Buchveröffentlichung wie Mit fremden Augen (2002), vom Märchen, vgl. z. B. die Sammlung Malula. Märchen und Märchenhaftes aus meinem Dorf (1987), bis zur Satire, so z. B. die Sammlung Der Fliegenmelker (1985), vom autobiographischen Jugendroman Eine Hand voller Sterne (1987) bis zum autobiographisch geprägten satirischen Roman für Erwachsene, Sieben Doppelgänger (1999). Rafik Schami hat eine für die deutsche Literaturlandschaft neue Form des orientalisch-okzidentalen Schreibens entwickelt – der bisherige Höhepunkt seines literarischen Schaffens ist der umfangreiche Roman Die dunkle Seite der Liebe (2004), der auch von der Literaturkritik beachtet und hochgelobt wurde. Dieser Roman ist vor allem eine autobiographisch gefärbte Auseinandersetzung mit der Geschichte Syriens von 1870 bis zum Jahr 1970, der Ausreise des Autors aus Damaskus.

In der 2006 erschienenen Essaysammlung Damaskus im Herzen und Deutschland im Blick zeichnet Schami ein düsteres Bild der arabischen Welt. Die „Wurzeln einer kranken Gesellschaft“ sieht Schami in einer diktatorischen Unterdrückung der Araber in unterschiedlichen Gewändern, die unter Muʿāwiya I. begonnen habe und sich bis heute fortsetze. Er wehrt sich in diesem Zusammenhang entschieden gegen die Glorifizierung von Saladin, den er als „gnadenlosen Fanatiker“ bezeichnet, der Kritiker skrupellos habe hinrichten lassen. Jahrhundertelange Überwachung und Kontrolle und die daraus resultierende Angst habe das arabische Volk „gelähmt und schizophren“ werden lassen. Öffentlich beuge es sich dem Diktat, nach innen hin spotte es über die Regime und fühle sich überlegen, ohne zu merken, dass es sich an die Fesseln der Unterdrückung gewöhnt habe. Die Machthaber wiederum würden hemmungslos „wirtschaftliche Katastrophen in Erfolgsmeldungen“ umdichten sowie „Clan-, Vettern- und Mafiawirtschaft“ unter dem Deckmantel politischer Ideologien betreiben. Die „gegenseitige Lüge“ sei „neben der arabischen Sprache eine der elementaren gemeinsamen Eigenschaften arabischer Länder.“ Arabische Kinder würden mit dieser Lüge groß. Nach außen hin gelte es, dichtzuhalten, nach innen hin gälten unbedingte Treue zur Familie und Sippe. Dies habe zu einer „Selbstzensur“ geführt, jede Kritik gelte dadurch als gefährliche „Nestbeschmutzung“. Dadurch würden auch „Fehltritte der Angehörigen mit Schweigen“ beantwortet. In diesem Zusammenhang führt Schami die Unterdrückung der Frau auf das gekränkte Ehrgefühl des arabischen Mannes zurück, der sich nicht traut, sich öffentlich zur Wehr zu setzen und sich dafür in der Familie umso autoritärer gibt. Schami kritisiert auch die fehlende Pressefreiheit in der arabischen Welt. Wo die „Freiheit des Wortes mit Füßen getreten“ werde, könne man „primäre Nachrichten nicht über den eigenen Rundfunk oder die Zeitung bekommen.“

Im 2008 erschienenen Buch Das Geheimnis des Kalligraphen erzählt Rafik Schami ornamental von Kunst und Eheleben in Damaskus: Die Geschichte spielt im Damaskus der 1950er-Jahre und besteht aus zwei großen Erzählungen: eine verborgene, geheime Liebesgeschichte und die Geschichte des Kalligraphen, die zugleich eine Geschichte der Reformierung der arabischen Schrift und zum Mittelpunkt einer politischen Verschwörung wird.

Übersetzungen

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Rafik Schamis Bücher sind bisher in 34 Sprachen erschienen: Arabisch, Baskisch, Bosnisch, Bulgarisch, Chinesisch, Dänisch, Deutsch, Englisch, Estnisch, Finnisch, Französisch, Galizisch, Griechisch, Hebräisch, Italienisch, Japanisch, Katalanisch, Koreanisch, Kroatisch, Niederländisch, Norwegisch, Persisch, Polnisch, Portugiesisch, Russisch, Schwedisch, Serbisch, Slowenisch, Spanisch, Tschechisch, Türkisch, Ungarisch, Urdu und Usbekisch.

Pseudonym

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Pseudonym Rafik Schami (رفيق شامي, DMG Rafīq Šāmī) bedeutet „Freund aus Damaskus“.[11] Im Arabischen bezeichnet asch-Schām (الشام / aš-Šām, „der Norden“) die Levante oder genauer die Region zwischen Euphrat und Sinai im Nahen Osten.[12] Im modernen Arabischen kann شام / Šām „Syrien“, insbesondere auf Syrisch-Arabisch aber auch „Damaskus“ (eigentlich دمشق / Dimašq), شامي / šāmī somit „syrisch“ oder „aus Damaskus“ bedeuten.[13] رفيق / rafīq steht für Gefährte, Begleiter, Kamerad, Freund, Genosse beziehungsweise freundlich, gütig.[14]

Auszeichnungen

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Werke

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Commons: Rafik Schami – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wikiquote: Rafik Schami – Zitate

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. Rafik Schami. Abgerufen am 11. Februar 2024 (deutsch).
  2. Rafik Schami, der Syrer aus der Pfalz, wird 70. 21. Juni 2016, abgerufen am 12. Februar 2024.
  3. Henrike Roßbach: Rafik Schami: Der Erzähler der Nacht. In: FAZ.NET. 26. November 2007, ISSN 0174-4909 (faz.net [abgerufen am 12. Februar 2024]).
  4. Rafik Schami, in: Alpha-Forum: Rafik Schami im Gespräch mit Corinna Spies. Bayerischer Rundfunk, 3. April 1998.
  5. deutschlandfunkkultur.de: Rafik Schami - "Der Blickwinkel ist mein Geschenk an die deutsche Sprache". Abgerufen am 11. Februar 2024.
  6. Rafik Schami: Damaskus im Herzen und Deutschland im Blick. DTV, München 2009, S. 12 (erste Ausgabe bei Carl Hanser Verlag, München 2006). Siehe auch Leseprobe, S. 12.
  7. a b c Zum 70. Geburtstag des deutsch-syrischen Autors Rafik Schami. 23. Juni 2016, abgerufen am 11. Februar 2024.
  8. Arno Luik: Rafik Schami: „Emigranten sterben jung“. stern, 26. September 2004; Interview
  9. Von Antike, Selbstfindung und Slamtexten, Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur Rheinland-Pfalz, Pressemitteilung 4. Juli 2014; abgerufen 24. Januar 2016.
  10. Rezension: Sachbuch: Da muss er durch. In: FAZ.NET. 7. August 1999, ISSN 0174-4909 (faz.net [abgerufen am 12. Februar 2024]).
  11. Monika Brandmaier: Der „Freund aus Damaskus“ – „Weilheimer Literaturpreis 2003“ an Rafik Schami verliehen. Münchner Merkur, 2. April 2009.
  12. Der immense Stellenwert von Asch-Scham. In: Islamische Zeitung. 3. Januar 2007, abgerufen am 21. Juli 2018.
  13. Hans Wehr: Arabisches Wörterbuch für die Schriftsprache der Gegenwart. Wiesbaden 1998, Einträge شام (". 625) und شامي (S. 626).
  14. Hans Wehr: Arabisches Wörterbuch für die Schriftsprache der Gegenwart. Wiesbaden 1998, Eintrag رفيق (S. 478).
  15. Michael Köhlmeier: Scheherazades Bruder. Abgerufen am 25. Juni 2017.
  16. Michael Gottschalk: Ein "Mosaik der Fremde" entworfen. In: DJV. DJV-Landesverband Rheinland-Pfalz, 11. Juni 2016, archiviert vom Original am 13. Juni 2016; abgerufen am 13. Juni 2016.
  17. Rheinland Pfalz Die Landesregierung vom 4. November 2021: Carl-Zuckmayer-Medaille 2022 | Staatskanzlei, abgerufen am 4. November 2021
Personendaten
NAME Schami, Rafik
ALTERNATIVNAMEN رفيق شامي (arabisch); سهيل فاضل (arabisch)
KURZBESCHREIBUNG syrisch-deutscher Schriftsteller und promovierter Chemiker
GEBURTSDATUM 23. Juni 1946
GEBURTSORT Damaskus, Syrien