Ronya Othmann (* 12. Januar 1993 in München) ist eine deutsche Schriftstellerin und Journalistin.
Ronya Othmann wuchs als Tochter eines kurdisch-jesidischen Vaters[1] und einer deutschen Mutter im Landkreis Freising auf. Die Familie ihres Vaters stammt aus der Nähe von Tirbespi im kurdischen Siedlungsgebiet in Syrien.[2] 2012 legte sie am Camerloher-Gymnasium ihr Abitur ab. Danach begann sie Ausbildungen am International Munich Art Lab und am Schweizer Literaturinstitut der Hochschule der Künste in Biel. 2013 nahm sie am Literatur Labor Wolfenbüttel teil.[3] Ab 2014 studierte sie am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig.[4] Dort organisierte sie 2015 die Kurdischen Filmtage. 2018 war sie Jurorin des „Duhok International Film Festival“ in der Kurdischen Autonomieregion des Irak.[5]
Ronya Othmann schreibt Prosa, Gedichte und Essays. Erste Arbeiten von ihr erschienen unter anderem in BELLA triste und im Jahrbuch der Lyrik. Gemeinsam mit Yevgeniy Breyger, Özlem Özgül Dündar und anderen gab sie 2017 die Lyrikanthologie Ansicht der leuchtenden Wurzeln von unten heraus. Im August 2020 erschien im Hanser Verlag ihr Debütroman Die Sommer, der anhand einer Familiengeschichte den Bürgerkrieg in Syrien und die Ermordung der Jesiden durch den Islamischen Staat reflektiert.[6][7] Das Werk gelangte auf die Shortlist des aspekte-Literaturpreises.[8] In ihrem ersten Gedichtband die verbrechen (2021) bezieht sich Othmann auf ein müdes, müdes Land, das Kritiker mit Kurdistan identifizierten. Geschichtliche und ideologische Spuren eines Jahrhunderts verwebt sie darin mit den Erinnerungen eines lyrischen Ichs.[9]
In Medien wie Der Spiegel, taz oder Zeit Online veröffentlichte Othmann auch journalistische Texte. Seit März 2021 schreibt sie für die Frankfurter Allgemeine Zeitung die Kolumne „Import Export“.[10]
Auf Einladung von Insa Wilke nahm Ronya Othmann im Juni 2019 an den 43. Tagen der deutschsprachigen Literatur (Ingeborg-Bachmann-Preis) in Klagenfurt teil und las dort ihren Text Vierundsiebzig,[11] der den Genozid an den Jesiden zum Gegenstand hat. Ihr Beitrag gewann den Publikumspreis. Damit wurde Ronya Othmann für sechs Monate auch Klagenfurter Stadtschreiberin. Das Stipendium begann im Mai 2020. Bei der Gründung des PEN Berlin am 10. Juni 2022 wurde Othmann in das Board des neu gegründeten Verbands gewählt.[12]
Anfang 2024 sollte Ronya Othmann auf dem Literaturfestival Karatschi in Pakistan aus ihrem Roman Die Sommer vorlesen. Ihre Einladung wurde jedoch zurückgezogen, nachdem ihr „Islamophobie“ und „Zionismus“ vorgeworfen worden waren.[13] Diese Anschuldigungen kamen in einem offenen Brief pakistanischer Intellektueller zum Ausdruck, die ihre Teilnahme am Festival vehement ablehnten. Die Vorwürfe bezogen sich unter anderem auf Othmanns Kolumnen und ein Gespräch, in denen sie sich kritisch mit dem islamistischen Terrorismus auseinandergesetzt hatte.[13] Othmann befürchtet seither, dass die gegen sie erhobenen Vorwürfe ihren Ruf dauerhaft beschädigen könnten, was zukünftige Reisen gefährlich machen würden.[13]
In der Tageszeitung taz war Othmann von 2019 bis 2020 zusammen mit Cemile Sahin Verfasserin einer Kolumne mit dem Titel „Orient Express“.[14] In der Kolumne äußerte sie insbesondere Kritik an Zuschreibungen und forderte Aufmerksamkeit für marginalisierte Gruppen. Identitätspolitik sieht sie als ein „Mittel der Minderheiten“, das als Methode der Auseinandersetzung beibehalten werden sollte.[15]
Othmann kritisiert romantisierende Vorstellungen von Kurdistan. Sie argumentiert, dass Kurdistan keine Projektionsfläche für rechte oder linke Politik sein sollte; die Kurden seien „keine kämpfende Folkloretanzgruppe, sondern eine politisch, religiös und gesellschaftlich heterogene Ethnie im Nahen Osten.“[16] Außerdem fordert Othmann, die politische Linke dürfe den Islamismus nicht zum Tabuthema machen; der Islamismus sei nicht nur eine Reaktion auf den Kolonialismus, sondern habe schon vorher bestanden. Die „Schweige- und Verharmlosungsreflexe der Linken“ seien gefährlich, da man das Thema „reaktionären Kräften für deren Narrative“ überlasse und gleichzeitig die Opfer des politischen Islam ignoriere.[17]