Anarchisten in London: Ernst Simmerling, Rudolf Rocker, Wuppler, Lazar Sabelinsky, Loefler, (hinten) Milly Witkop-Rocker, Milly Sabel (vorn)

Rudolf Rocker (* 25. März 1873 in Mainz; † 19. September 1958 nahe Crompond, Westchester County) war deutscher Anarchist und Anarchosyndikalist. Der gelernte Handwerker wurde trotz seiner nichtjüdischen Herkunft Autor, Herausgeber und Verleger jiddischer Zeitungen und Zeitschriften. Später war Rocker Redakteur der Zeitschrift Der Syndikalist und veröffentlichte nach seiner Flucht vor dem Nationalsozialismus Beiträge zur anarchistischen Theorie.

Leben

Rudolf Rocker wurde in eine katholische Familie geboren.[1] Sein Vater arbeitete im Druckwesen und starb, als Rudolf zehn Jahre alt war. Rocker ging bei seinem Onkel, einem Buchbinder in die Lehre. Durch ihn beeinflusst trat er Anfang der 1890er Jahre der SPD bei. Unzufrieden mit der Politik der Partei, verließ er sie jedoch bald wieder. Während seiner Buchbinderlehre kam er ab 1891 in Berührung mit den Ideen des Anarchismus.

Nachdem er 1892 begonnen hatte, sich noch in der Opposition der sozialdemokratischen Partei politisch zu engagieren, musste er das Land verlassen. Als Wanderhandwerker zog er durch Deutschland, Österreich,[1] die Schweiz,[1] Italien[1] und Spanien[1] und flüchtete vor der Polizei 1893[1] nach Paris, wo er bis 1895 blieb. Im Pariser Stadtteil Barbès[1] kam er erstmals mit jüdischen Anarchisten in Kontakt und schloss sich ihnen an.

Von Paris aus begab er sich 1895[1] nach Whitechapel im Londoner Stadtbezirk London Borough of Tower Hamlets, wo er in der jüdischen Gemeinde lebte. Dort betätigte er sich in der anarchistischen Bewegung und lernte unter anderem den russischen Theoretiker des Anarchismus Peter Kropotkin kennen, den Begründer des Kommunistischen Anarchismus. Rocker begann für die jiddischsprachige Zeitung Das Freie Wort zu schreiben, obwohl er damals der Sprache noch nicht mächtig war. Er schrieb auf Deutsch und andere übersetzten seine Texte. Während der Arbeit für das Freie Wort lernte er Jiddisch.

Er lebte mit der ukrainischen Jüdin Milly Witkop[1] im Konkubinat. Auf dem Schiff Chester[1] versuchte das Paar in die USA auszuwandern, wurde jedoch auf Ellis Island abgewiesen.[1] Die beiden hatten angegeben, verheiratet zu sein und sich, als sie den Einwanderungsbeamten einen Beweis dafür schuldig blieben, lautstark[1] für das unverheiratete Zusammenleben von Mann und Frau und gegen die Ehe ausgesprochen.[1] Später gab Rocker die Zeitung Arbeiterfreund (Arbeter-Fraynd) und zeitweise die Theoriezeitschrift Germinal heraus. Der Arbeiterfreund sollte zum Organ einer Föderation jüdischer Anarchisten werden, die 1902 in Whitechapel gegründet wurde. Rocker vertrat die Föderation unter anderem bei dem Internationalen Anarchistischen Kongress in Amsterdam.

Während des Ersten Weltkrieges wurde Rocker als Deutscher in England interniert und der Arbeiterfreund verboten. Nach dem Krieg kehrte Rocker 1918[1] nach Deutschland zurück und stieg zum spiritus rector der entstehenden anarchosyndikalistischen Bewegung auf. Seine Prinzipienerklärung des Syndikalismus wurde als Statut der Freien Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD) verstanden. 1922 nahm er maßgeblich an der Gründung der anarchosyndikalistischen Internationalen Arbeiter-Assoziation (IAA) teil, zu deren Sekretär er zusammen mit Augustin Souchy und Alexander Schapiro gewählt wurde und deren Statuten er verfasste.

Sein Text Der Bankrott des russischen Staatskommunismus (1921) enthielt eine antileninistische Kritik Sowjetrusslands, in der er sich strikt gegen die Unterstützung der russischen Regierung durch Anarchisten wie Alexander Berkman und Emma Goldmann wandte. In der Folgezeit erschienen eine Reihe von Broschüren mit Texten Rockers im Verlag Der Syndikalist von Fritz Kater, die sich vorwiegend mit syndikalistischer Theorie beschäftigten. Rocker arbeitete als verantwortlicher Redakteur bei der Zeitschrift Der Syndikalist.

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahr 1933 flüchtete Rocker in die USA und zog mit seiner Gefährtin Milly Witkop in die Nähe seines Sohnes Fermin Rocker. Von hier aus unterstützte er die Föderation freiheitlicher Sozialisten (FfS) in Deutschland und veröffentlichte in der FfS-Zeitschrift Die freie Gesellschaft und in Zeitgeist. Im Exil wurde 1937 auch sein wichtigstes Werk Nationalism and Culture, das nach dem Krieg auf Deutsch unter dem Titel Die Entscheidung des Abendlandes erschien, fertiggestellt. Von 1941 bis 1953 korrespondierte er mit Franz Pfemfert, dem Herausgeber der Zeitschrift Die Aktion, der im Exil in Mexiko-Stadt lebte.[2]

Nach dem Zweiten Weltkrieg trat Rocker für eine pragmatische Linie der anarchistischen Bewegung ein, die ihm Kritik aus dem eigenen Lager einbrachte, da sein Antikommunismus und die Abkehr von der Arbeiterbewegung als „Revisionismus“ verstanden wurde. So kritisierte er nachdrücklich einen in der sozialistischen Bewegung verbreiteten "Messiasglauben" an die Potentiale revolutionärer Umstürze.[3] Rudolf Rocker blieb in den USA bis zu seinem Tod 1958 als libertärer Autor tätig.

Literatur

Werke

Sekundärliteratur

Film

Zitate

„Der Sozialismus wird frei sein oder er wird nicht sein“

Rudolf Rocker: Zur Geschichte der parlamentarischen Tätigkeit in der modernen Arbeiterbewegung. Berlin Verlag der Freie Arbeiter o. J. (1919). Zuletzt als: Parlamentarismus und Arbeiterbewegung Verlag Freie Gesellschaft (1978).

„Der Gedanke der Diktatur ist nicht der sozialistischen Ideenwelt entsprungen. Er ist kein Ergebnis der Arbeiterbewegung, sondern eine verhängnisvolle Erbschaft der Bourgeoisie, mit der man das Proletariat beglückt hat. Er ist eng verbunden mit dem Streben nach politischer Macht, das gleichfalls parteibürgerlichen Ursprungs ist. Die Diktatur ist eine gewisse Form der Staatsgewalt, es ist der Staat unter der Herrschaft des Belagerungszustandes. Wie alle anderen Anhänger der Staatsidee, gehen auch die Befürworter der Diktatur von der Voraussetzung aus, dass man das angeblich Gute und zeitlich Notwendige dem Volke von oben her diktieren und aufzwingen könne. Diese Voraussetzung allein macht die Diktatur zum ausgesprochenen Hindernis der sozialen Revolution, deren eigentliches Lebenselement die direkte Initiative und konstruktive Betätigung der Massen ist.“

Rudolf Rocker: Der Bankerott des russischen Staatskommunismus. Berlin 1921. Auflage 1968: Seite 106).

Einzelnachweise

  1. a b c d e f g h i j k l m n Rosie Pinhas-Delpuech: Le typographe de Whitechapel – Comment Y. H. Brenner réinventa l’hébreu moderne. Actes Sud, Arles 2021, ISBN 978-2-330-15590-2, S. 46–49, 53.
  2. Lisbeth Exner / Herbert Kapfer (Hrsg.): Pfemfert. Erinnerungen und Abrechnungen. Texte und Briefe. Belleville, München 1999, ISBN 3-923646-35-6.
  3. Rudolf Rocker: Revolutionsmythologie und revolutionäre Wirklichkeit. In: Die Freie Gesellschaft. Band 4, Nr. 36/37, 1952, S. 3–15.