Die Theorie der drei Welten oder Drei-Welten-Theorie (Kurzzeichen: 三个世界理论; Langzeichen: 三個世界理論; Pinyin: Sān gè shìjiè lǐlùn) ist ein außenpolitisches Konzept, das auf Mao Zedong zurückgeht und die internationalen Beziehungen der Volksrepublik China in den 1970er und 1980er Jahren bestimmte.

Inhalt und politische Ausformung

Bereits in den späten 1950er Jahren hatte Mao Überlegungen angestellt, dass es auf dem Erdball drei miteinander im Konflikt stehende „Welten“ gab. Er sah die Supermacht USA, die die unterentwickelten und kolonisierten Regionen zu dominieren versuchte, und dazwischen kleinere, weit entwickelte Staaten, die mit den USA um den Einfluss in den zu kolonisierenden Ländern rangen. Die Sowjetunion kam in diesen Überlegungen zunächst noch nicht vor. In den 1960er Jahren bahnte sich das chinesisch-sowjetische Zerwürfnis an, weil die Kommunistische Partei Chinas bereits seit den 1930er Jahren eine von der Kommunistischen Partei der Sowjetunion unabhängige Politik betrieb und sich an der sowjetischen Machtpolitik störte. Diese Entwicklung bedeutete einen Spalt im damaligen kommunistischen Lager.[1]

Am 22. Februar 1974 legte Mao Zedong im Gespräch mit dem Präsidenten Sambias Kenneth Kaunda dar, dass sich die Erde seiner Meinung nach in drei Machtblöcke aufteile. Die zwei Staaten der ersten Welt, nämlich die USA und der Sowjetunion, versuchten, die Vorherrschaft über die dritte Welt an sich zu reißen. Diese dritte Welt bestand für Mao Zedong aus den armen, wenig entwickelten Staaten, etwa damals ganz Asien außer Japan, Afrika und Lateinamerika. Die zweite Welt bestand für Mao Zedong aus den entwickelten, jedoch weniger mächtigen Staaten wie Europa, Kanada oder Japan, die in seinen Augen von den Staaten der ersten Welt tyrannisiert wurden. Mao zählte China zur dritten Welt.[1] Diese Theorie erwähnte Deng Xiaoping bei seiner von Qiao Guanhua geschriebenen Rede vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen am 10. April 1974, die gleichzeitig der erste Auftritt eines Politikers aus der Volksrepublik China vor der Vollversammlung war. Er setzte das Hegemonialstreben der zwei Supermächte in den Kontext eines möglichen Atomkrieges und erklärte gleichzeitig, dass die Erklärung der politischen Lage als ein Kampf zweier Lager die wirkliche Komplexität nicht darstelle.[2][3] Den Urheber der vorgetragenen Theorie nannte Deng jedoch nicht. In der Tat vermied Mao es zu seinen Lebzeiten, als Urheber dieser Theorie genannt zu werden. Erst im Jahre 1977, also ein Jahr nach Maos Tod, wurde die Theorie der drei Welten zu einem bedeutenden Beitrag zum Marxismus-Leninismus erklärt.[1] Im September 1977 unterstrich das Parteiorgan Renmin Ribao die Bedeutung der Drei-Welten-Theorie und erklärte die Sowjetunion zur „grausameren, rücksichtsloseren und hinterhältigeren“ der zwei Mächte der ersten Welt, und zur gefährlicheren Quelle eines Krieges. Die Sowjetunion wies dies „als Versuch, die Entspannung in Europa zu untergraben und [..] die sozialistischen Staaten gegeneinander auszuspielen“ zurück.[4]

Als Ergebnis dieser Theorie kam es zur außenpolitischen Umorientierung der Volksrepublik China in den 1960er und 1970er Jahren. In der Annahme, der sowjetische Imperialismus sei die größere Gefahr für China als der US-amerikanische Imperialismus, suchte Peking sich neue Verbündete unter den china-freundlichen sozialistischen Staaten, Nordkorea, mit Einschränkungen Rumänien und Nordvietnam, dann in der Dritten Welt, dann in den Staaten der zweiten Welt, die sich aus Pekings Sicht dem Hegemoniestreben der USA und der Sowjetunion widersetzten, und zum Schluss strebte man eine Partnerschaft mit den USA an. Auch das Engagement in der Bewegung der Blockfreien Staaten ist eine Umsetzung dieser Theorie.[1] Albanien unter Enver Hoxha folgte diesem außenpolitischen Kurswechsel jedoch nicht, verurteilte die unter Deng eingeleitete Wende als restaurativ und brach 1978 mit Peking.[5]

Seit den 1980er Jahren hat diese Theorie schrittweise an Bedeutung verloren. Zunächst ließ die Kommunistische Partei Chinas den Vorwurf des Revisionismus gegenüber der KPdSU fallen.[1] Der Chinesisch-Vietnamesische Krieg hatte der Sowjetunion gezeigt, dass die Kosten einer Expansion in Südostasien hoch sein würden; danach schätzte Peking die Gefahr eines sowjetischen Angriffs als niedriger ein.[6] Orientierung auf die Dritte Welt und der Widerstand gegen den Imperialismus blieben zunächst Leitideen der chinesischen Außenpolitik. Durch den schnellen wirtschaftlichen Aufstieg orientiert sich die Volksrepublik seit Beginn der 1990er Jahre an den Industriestaaten. Aus diesem Grund ist die Theorie der drei Welten heute obsolet.[1] Sie hatte auch nur für die chinesische Außenpolitik Bedeutung; sie wurde in kein anderes Land exportiert.[7]

Literatur

Offizielle Darstellung

Kritische Stellungnahmen

Einzelnachweise und Anmerkungen

  1. a b c d e f Ingo Nentwig: Drei-Welten-Theorie. In: Fritz Haug (Hrsg.): Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus. Band 2. Argument-Verlag, Hamburg 1994, ISBN 3-88619-432-9, S. 830–834.
  2. Ronald C. Keith: Deng Xiaoping and China's foreign policy. Routledge, London und New York 2018, ISBN 978-1-138-40018-4, S. 96.
  3. Ezra F. Vogel: Deng Xiaoping and the Transformation of China. Harvard University Press, 2011, ISBN 978-0-674-05544-5, S. 84 f.
  4. Ronald C. Keith: Deng Xiaoping and China's foreign policy. Routledge, London und New York 2018, ISBN 978-1-138-40018-4, S. 101.
  5. Jürgen Domes, Marie-Luise Näth: China nach der Kulturrevolution. Politik zwischen zwei Parteitagen, 1975, ISBN 9783770512119.
  6. Ronald C. Keith: Deng Xiaoping and China's foreign policy. Routledge, London und New York 2018, ISBN 978-1-138-40018-4, S. 104.
  7. Erwin Wickert: China von innen gesehen. Stuttgart 1984, S. 234.