Der Zwischenfall vom 28. Februar (chinesisch 二二八事件, Pinyin èrèrbā shìjiàn), auch 228-Zwischenfall oder 228-Massaker, war ein im Jahr 1947 die ganze Insel Taiwan erfassender Aufstand gegen den KMT-Militärgouverneur Chen Yi (陳儀, Chén Yí). Heute ist der 28. Februar in Taiwan im Gedenken daran ein Friedenstag und zugleich staatlicher Feiertag.

Taiwan war zwei Jahre zuvor von Japan an die Republik China übergeben worden. Zwischen der alteingesessenen Bevölkerung, den Taiwanern, und den neu zugewanderten Festlandchinesen kam es in der Folge zu Spannungen. Ein Streit zwischen einer Zigarettenverkäuferin und einem Anti-Schmuggel-Beamten am 27. Februar 1947 löste eine öffentliche Unruhe aus, die durch chinesisches Militär gewaltsam niedergeschlagen wurde. Zwischen 10.000 und 30.000 Zivilisten kamen dabei ums Leben.

Vorgeschichte

Taiwan unter japanischer Herrschaft

Infolge des verlorenen Chinesisch-Japanischen Krieges von 1894/95 musste das kaiserliche China Japan die gesamte Insel Taiwan überlassen. Von der ansässigen Bevölkerung wird die Zeit der japanischen Herrschaft im Gegensatz zu fast allen anderen Teilen Ostasiens positiver gesehen. Während seiner 50 Jahre als Kolonialmacht trug Japan dazu bei, die taiwanische Wirtschaft zu stärken und den Lebensstandard seiner Bewohner auf ein Niveau zu heben, das über demjenigen zahlreicher anderer Regionen Asiens lag. Die wirtschaftliche Entwicklung Taiwans diente zwar in allererster Linie den Interessen Japans. Die Insel wurde systematisch als Rohstoffkolonie entwickelt, um die in Japan benötigten Rohstoffe (Holz, Kampfer, Zuckerrohr, Reis) zu liefern. Diese Entwicklung kam jedoch auch den Einheimischen zugute. Auch im Bildungsbereich waren Erfolge zu verzeichnen. Die Alphabetisierungsrate stieg von etwa 1 % im Jahr 1905 auf 27 % im Jahr 1940.[1] Zahlreichen jüngeren Taiwanern stand der Weg offen, an japanischen Universitäten zu studieren. Die einheimische Oberschicht wurde von den Japanern respektiert und die Rechtsstaatlichkeit weitgehend eingehalten, allerdings wurde so gut wie keine Selbstverwaltung gewährt. Die politische Macht in Taiwan blieb vollständig in den Händen zugewanderter Japaner und ein sozialer Aufstieg einheimischer Taiwaner war nur möglich bei vollständiger Anpassung und Integration in das japanische Herrschaftssystem. Als Ergebnis dieser Entwicklung war der Durchschnittstaiwaner besser ausgebildet und stand dem modernen Leben offener gegenüber als die Menschen vom chinesischen Festland. Der höhere Lebensstandard wie auch das Verständnis für die Bedeutung politischer Organisation und moderner Kommunikation (wie Zeitung, Rundfunk und Telefon) sollten beim Zwischenfall vom 28. Februar eine wichtige Rolle spielen.

Gleichzeitig führte die japanische Herrschaft in einem dreistufigen Prozess zur Kolonisierung Taiwans. Diese begann mit einem repressiven, paternalistischen Ansatz. In der zweiten Phase (dōka 同化, dt. etwa ‚Assimilation, Angleichung‘) wurde postuliert, dass die Taiwaner den Japanern gegenüber zwar unterschiedlich, aber gleich seien. In der letzten Phase (kōminka 皇民化運動, dt. etwa ‚Bewegung zur Gewinnung von Untertanen des Tennō‘) schließlich sollten die Einwohner Taiwans darauf vorbereitet werden, für den japanischen Tennō zu kämpfen. Hierzu sollte ihnen der japanische Geist beigebracht werden, um sie schließlich in die japanische Gesellschaft assimilieren zu können. Den Taiwanern wurde das japanische Bildungssystem aufgezwungen und sie wurden genötigt, japanische Namen anzunehmen. In dieser letzten Phase entstand eine gebildete und organisierte lokale Oberschicht. Es entstand ein eigenes taiwanisches Selbstbewusstsein, das sich gegenüber Japanern und Chinesen abhob. Die Taiwaner drängten auf eine Vertretung im japanischen Parlament, die ihnen jedoch erst Anfang 1945, kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges, schließlich gewährt wurde. Während des Krieges wurden auch junge Taiwaner in die japanische Armee eingezogen, um dort gegen das chinesische Festland und in anderen Teilen Südostasiens zu kämpfen.

Die Kolonialherrschaft Japans führte dazu, dass sich die einheimischen Taiwaner von ihren Gegenübern auf dem chinesischen Festland entfremdeten. Viele von ihnen waren in der Lage, Japanisch zu lesen und zu schreiben, aber hatten nur unzureichende Kenntnisse des Hochchinesischen Mandarin. Einigen war es nicht einmal möglich, selbst die Alltagskommunikation auf Chinesisch zu bewältigen. Die Unterrichtung im „japanischen Geist“ tat ihr Übriges, den Graben zu verbreitern. Insbesondere die jüngere Generation, die während der Zeit der japanischen Herrschaft geboren und aufgewachsen war, hatte eine neutralere oder sogar pro-japanische Einstellung. Demgegenüber stand die ältere Bevölkerung, welche die Übernahme der Macht durch die Chinesen nach dem Zweiten Weltkrieg feierte. Allerdings fand diese Freude ein schnelles Ende, als die Desillusionierung über die chinesische Verwaltung einsetzte.

Spannungen zwischen Einheimischen und Festlandchinesen

Chen Yi, der oberste Verwaltungschef Taiwans, kam am 24. Oktober 1945 auf der Insel an und empfing den letzten japanischen Gouverneur, Andō Rikichi, der am nächsten Tag die Kapitulationserklärung unterzeichnete. Er erklärte den Tag zum Rückübertragungstag. Da Japan bis ins Jahr 1952 nicht seine Souveränität über Taiwan aufgab, war dieser Umstand rechtlich umstritten.

Nach der Kapitulation Japans begann die nationalchinesische Herrschaft über die Insel im Oktober 1945. In der unmittelbaren Nachkriegszeit führte die repressive und korrupte Politik der Kuomintang (KMT) auf Taiwan zu Unzufriedenheit unter der einheimischen Bevölkerung. Handel mit Produkten wie Alkohol, Tabak und Streichhölzern wurden verstaatlicht, sie durften lediglich vom staatlichen Monopolamt verkauft werden. Ausländische Marken wurden verboten. In der Folge stieg die Inflationsrate und ein großer Schwarzmarkt entstand. Durch wirtschaftliches Missmanagement kam es auch zu Nahrungsmittelengpässen. Personen vom Festland hatten fast alle politischen und judikativen Ämter inne. Viele Angehörige der nationalchinesischen Garnison waren zudem undiszipliniert, stahlen und plünderten bei der lokalen Bevölkerung.

Viele der Festlandchinesen, die die neue Verwaltung der Insel dominierten, waren mit frischen Erinnerungen an die Verbrechen der Japaner während des Zweiten Weltkrieges eingetroffen. Sie hatten kein Verständnis für die taiwanische Bevölkerung, die die Japaner zwar als Kolonialherren kennengelernt, aber auch den durch die Japaner gebrachten technischen und wirtschaftlichen Fortschritt Taiwans schätzen gelernt hatte. Viele geflohene Festlandchinesen gehörten der Elite der alten Republik China an, waren Verwaltungsbeamte, Ingenieure, Intellektuelle etc. und empfanden die alteingesessene taiwanische Bevölkerung, die zum großen Teil nicht Hochchinesisch sprach und größtenteils über keine höhere Schulbildung verfügte, als primitiv und ungebildet. Dieser unterschiedliche Hintergrund verschärfte die Spannungen zwischen beiden Gruppen.

Aufstand gegen den Obersten Verwaltungschef und Razzia

Yidingmu-Polizeiwache in Taipeh am Morgen des 28. Februar 1947
Die Taipeh-Abteilung des Büros für Monopol wird von Demonstranten besetzt
Kuomintang-Truppen montieren ein Maschinengewehr auf einen Feuerwehrwagen

Der Aufstand gegen die Regierung brach sich schließlich am 28. Februar 1947 Bahn. Er hatte seine Ursache in einem Zwischenfall mit einer Zigarettenverkäuferin, die wie viele andere der verarmten taiwanischen Bevölkerung die sehr rentablen westlichen Zigaretten verkaufte. Dies war jedoch zuvor von der nationalchinesischen Regierung im Sinne der Selbsterhaltung des chinesischen Volkes verboten worden. Diese Frau wurde von einem zuständigen festländischen Beamten des chinesischen Monopolamtes darauf angesprochen, woraufhin sie antwortete, sie hätte eine Familie zu versorgen und warum er sich nicht auf die Großverkäufer konzentriere. Erregt wegen des Vorwurfes, schlug der Beamte sie nieder, worauf Passanten den Beamten angriffen und dieser zu fliehen versuchte. Weitere Polizisten versagten ihm Hilfe und versuchten ebenfalls zu fliehen. In einem Anfall von Angst drehte sich ein Polizist um, schoss in die Menge und tötete einen Zivilisten. Die aufgebrachte Menge marschierte dann geschlossen zum Monopolamt und brannte es nieder, während die Angestellten flohen. Die anschließenden Proteste in Taipeh wurden von den Truppen der Republik China gewaltsam niedergeschlagen. Dieses führte schließlich zu einer die gesamte Insel Taiwan umgreifenden Rebellion. Über den Rundfunk und per Telefon verbreiteten sich Berichte über wahre und vermeintliche Gräueltaten der Regierung.

Nach dem 28. Februar behielten die Rebellen einige Wochen lang die Kontrolle über weite Teile der Insel. Sie waren in der Regel gut organisiert und verstanden es, ihre Aktionen zu koordinieren. Die öffentliche Ordnung in den Rebellengebieten wurde von einer kurzfristig gebildeten Polizeitruppe aus örtlichen Oberstufenschülern aufrechterhalten. Die lokalen Führer des Aufstandes bildeten schnell ein Komitee, welches der Regierung eine Liste mit 32 Forderungen zur Reform der Provinzregierung vorlegte. Durch vorgetäuschte Verhandlungen versuchten die Nationalisten Zeit zu gewinnen, um in der Zwischenzeit eine große Militärmacht auf dem Festland zu sammeln. Nach ihrer Ankunft auf Taiwan führten die Truppen der Republik China massive Razzien durch und starteten eine Terrorkampagne, bei der viele Taiwaner umkamen und tausende andere inhaftiert wurden.

Die Massaker fanden gezielt und vorsätzlich gegen die lokale Oberschicht und gebildete Taiwaner statt. Viele derjenigen, die während der japanischen Herrschaft „Home-Rule“-Gruppen gebildet hatten, waren jetzt Opfer des 28. Februar. Eine überproportional hohe Anzahl der Opfer waren taiwanische Mittel- und Oberstufenschüler, die einen Großteil der kurzfristigen Polizeitruppen in den Rebellengebieten ausgemacht hatten. Deren Bewaffnung waren hauptsächlich Säbel, Schwerter und Messer. Teilweise hatten sie auch Gewehre von flüchtenden oder getöteten Soldaten erbeuten können. Diese waren jedoch schlechter als die Großkaliber und Maschinengewehre der Soldaten vom Festland. Es gab Berichte, dass Truppen der Republik China jeden in Schuluniform entweder verhafteten oder erschossen. Der anfänglichen „Säuberungsaktion“ folgte der Weiße Terror, der bis zum Ende des Kriegsrechts 1987 andauerte. Bis dahin wurden tausende Taiwaner für ihre wirkliche oder unterstellte Opposition zum Regime der Kuomintang inhaftiert oder hingerichtet. Auf Seiten eines Großteils der einheimischen Bevölkerung führte dies zu einem tiefsitzenden Gefühl der Verbitterung gegenüber den Festlandchinesen.

Die Gesamtzahl der Opfer infolge des Zwischenfalls vom 28. Februar ist noch immer Inhalt der Diskussion. Einige sagen, dass etwa 30.000 Taiwaner getötet wurden, während andere davon ausgehen, dass die Mehrheit der Getöteten unschuldige Zivilisten vom Festland waren. Die Feststellung der Anzahl der Opfer wird immer noch untersucht. Vor einiger Zeit gab die taiwanische Regierung einige sensible Dokumente frei. Die offizielle Schätzung beläuft sich auf 10.000 bis 30.000 Tote, die hauptsächlich während der anfänglichen „Säuberungsaktion“ ums Leben kamen. Die taiwanische Regierung hat einen zivilen Reparationsfonds aufgelegt, der von öffentlichen Spenden unterstützt wird. Aus ihm sollen die Familien der Opfer entschädigt werden. Allerdings haben nur wenige hundert Forderungen gestellt, obwohl die Frist einige Male verlängert wurde.

Nachwirkungen

Getöteter Taiwaner während des weißen Terrors nach dem Aufstand

Über mehrere Jahrzehnte verbot die autoritäre KMT-Regierung eine öffentliche Debatte über die Ereignisse nach dem 28. Februar 1947. Viele Kinder wuchsen auf, ohne zu wissen, dass das Ereignis überhaupt stattgefunden hatte. In den 1970er Jahren entstand die Gerechtigkeits- und Friedensbewegung 28. Februar. Sie wurde von einigen Bürgerrechtsgruppen gegründet, um diese Politik des Verschweigens zu revidieren. 1992 brachte die Regierung den Untersuchungsbericht über den Zwischenfall vom 28. Februar heraus. Präsident Lee Teng-hui, der als junger Kommunist an dem Aufstand gegen die Kuomintang-Herrschaft teilgenommen hatte, entschuldigte sich 1995 im Namen der Regierung formal für die Massaker und erklärte im Jahr 1997 den 28. Februar zu einem staatlich anerkannten Feiertag zur Erinnerung an die Opfer. Neben anderen Denkmälern, die errichtet wurden, wurde unter dem damaligen Bürgermeister Chen Shui-bian der Neue Park in Taipeh in 28.-Februar-Gedächtnis-Park umbenannt. Außerdem wurde eine 28.-Februar-Gedächtnis-Stiftung gegründet, aus der die Opfer und ihre Familien finanziell entschädigt werden sollten. Im Jahr 2003 wurden durch Chen Shui-bian – mittlerweile im Präsidentenamt – 228 damals Verurteilte rehabilitiert.[2] Die Familien der Opfer haben die Regierung aufgefordert, die Geheimhaltung einiger Dokumente aufzuheben, um alle Soldaten zu erfassen, die für den Zwischenfall verantwortlich waren. Die Regierung hat in dieser Frage bisher jedoch noch nicht gehandelt.

Den Taiwanern ging es beim Zwischenfall am 28. Februar hauptsächlich um Autonomie von Festlandchina, jedoch nicht um Unabhängigkeit. Das Scheitern der Verhandlungen mit den Behörden der Republik China im frühen März 1947 sowie das Gefühl von der Regierung und Festlandchina im Allgemeinen betrogen worden zu sein, wird gemeinhin als einer der Hauptgründe für das Entstehen der taiwanischen Unabhängigkeitsbewegung angesehen.

Am 28. Februar 2004 nahmen über eine Million Taiwaner an der 228-Hand-in-Hand-Kundgebung teil. Sie bildeten eine 500 Kilometer lange Menschenkette. Sie reichte von Taiwans nördlichster Stadt Keelung bis zur südlichen Spitze, um an den Zwischenfall vom 28. Februar zu erinnern, zu Frieden aufzurufen und gegen die Aufstellung von Raketen der Volksrepublik China entlang der Festlandsküste zu protestieren. Die Kundgebung wurde von der Pan-grünen Koalition (DPP) organisiert.

Andererseits warfen Anhänger der Pan-Blauen Koalition (KMT, PFP und CNP) ihren politischen Gegnern vor, den Zwischenfall vom 28. Februar zu sehr für die eigenen politischen Zwecke zu missbrauchen und die Kluft zwischen Festlandchinesen und einheimischen Taiwanern zu vergrößern, um Wählerstimmen zu gewinnen. Das Thema ist in Taiwan immer noch hochpolitisiert.

In der taiwanischen Hauptstadt erinnern heute zwei Museen an den Zwischenfall: das Taipei 228 Memorial Museum und das National 228 Museum.[3]

Zeitablauf des Zwischenfalls vom 28. Februar

Literatur

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Cheng Tun-jen: Transforming Taiwan’s Economic Structure in the 20th Century. In: The China Quarterly. 165, Taiwan in the 20th Century, März 2001, S. 20, JSTOR:3451104 (englisch, fes.de [PDF]).
  2. Taiwan’s Peace Memorial Day on February 28 with flags at half-staff (Taipei Economic and Cultural Office in Chicago). In: mofa.gov.tw. Taiwanisches Außenministerium, 10. März 2008, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 12. Juni 2018; abgerufen am 9. Juni 2018 (englisch).
  3. Hubertus Knabe: China – Menschenrechte – Aufarbeitung auf chinesisch. In: hubertus-knabe.de. 2. Juni 2019, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 5. Dezember 2019; abgerufen am 21. Juni 2019.