Augustin Theiner (* 11. April 1804 in Breslau; † 8. oder 9. August 1874 in Civitavecchia) war ein deutscher Kirchenrechtler und Historiker.

Leben

Augustin Theiner studierte in Breslau und Halle Jura (Abschluss 1829). Zusammen mit seinem Bruder Johann Anton Theiner (1799–1860) veröffentlichte er noch als Student ein materialreiches zölibatskritisches Buch von lange bleibender Bedeutung. Aber die Hoffnungen, dass der Deutschkatholizismus zu einer umfassenden Reform der Kirche führen werde, waren kühn. Während sein Bruder an der Universität Breslau lehren durfte, doch später vom Breslauer Bischof Diepenbrock exkommuniziert wurde, erhielt Augustin Theiner ein Stipendium des Königreiches Preußen für weitere Studien in Belgien, England und Frankreich. Er forschte kritisch nach den Ursprüngen des kanonischen Rechts. In Rom konnte er manche Arbeiten vollenden. Er wurde Ende der 1830er Jahre zum Priester geweiht. Er erhielt Zugang zu den päpstlichen Archiven und schrieb die gewünschten Auftragswerke. 1840 wurde er zum Consultor der Indexkongregation ernannt. 1851 wurde er Koadjutor des Präfekten des Vatikanischen Geheimarchivs und 1856 dessen Präfekt.

Er arbeitete gewissermaßen als Geheimagent, der die archivarische Arbeit liebte und die Quellen der päpstlichen Macht und deren System aufspüren wollte. Dies durchaus in der Ambivalenz unbedingter katholischer Zugehörigkeit, die die ganze Geschichte aus diesen konfessionellen Fronten interpretierte, dabei parteilich, apologetisch, selektiv vorging und womöglich praktisch bereit war für die Befreiung des vom Liberalismus bedrohten Papstes mit einem Freiwilligenheer; der aber dann doch auch deutsch, auch gebildet genug war, um hier das Wertgefüge umzubilden, um Nationalität und Wissenschaftlichkeit neben die Konfessionalität zu setzen. Auch Johann Friedrich von Schulte war streitbarer Katholik, Kirchenjurist, und stieß sich am Zölibat und den geistigen Engheiten.[1] Der Hexenforscher Wilhelm Gottlieb Soldan widmete Theiner fast ein eigenes Buch, in dessen Vorwort auch die menschlichen Fragen der Konfessionsgrenzen freundschaftsbereit angesprochen werden.[2]

Bezüglich Theiners jesuitenkritischer Einschätzungen zum Pontifikat Clemens’ XIV. zog ihn der jesuitische Historiker Jacques Crétineau-Joly in einen Disput. Mit den Alta-Vendita-Akten, die Crétineau-Joly erstmals publiziert hatte, zeigte sich die jesuitische Vorlage für das, was dann später im Taxil-Schwindel andersherum versucht wurde. Theiner aber blieb im katholischen Lager. In Deutschland übten nun auch einige katholische Gelehrte – an den Universitäten in Breslau, Bonn, Tübingen, München – zunehmend schärfere Jesuiten-Kritik und forderten freie Wissenschaft auch für die Theologie.[3] Theiner hatte Kontakt mit Félicité de Lamennais und war befreundet mit Ignaz von Döllinger. Er – und zum Teil andere wie Lord Acton[4] – öffnete der Oppositionsbewegung die sonst verschlossenen Quellen. Der kirchenjuristische Fachmann für die Winkelzüge der Konzilsorganisation wurde vor dem Ersten Vatikanischen Konzil von 1869/70 zu einer der wichtigsten Verbindungspersonen für den Widerstand gegen die geplante Dogmatisierung der päpstlichen Unfehlbarkeit.

Die Münchner Veröffentlichungen von Johann Nepomuk Huber, Johannes Friedrich, Döllinger und Franz Heinrich Reusch gehen auf seine Aktenweitergaben zurück. Die Publikation unter dem Pseudonym Janus sorgte für Aufsehen.[5]

Nachdem deutlich wurde, dass der Verantwortliche des Geheimarchivs selbst die Geschäftsordnungen des Konzils von Trient verraten hatte, wurde er seiner Ämter enthoben. Die im Aufbau befindliche altkatholische Kirche bemühte sich um ihn, doch beteiligte er sich nicht daran. Sie blieb mit ihm in Briefwechsel und Gespräch und versicherte, dass Theiner altkatholische Positionen habe, doch wird von katholischer Seite sein Abfall bestritten. Einer der führenden Köpfe des altkatholischen Klerus kolportierte Theiners Stellung zum Konzil. Danach hätte die jesuitische Partei am Vatikanische Konzil versucht, „die Bischöfe über den unfehlbaren Papst umso besser beherrschen zu können und dann mit ihrer Hilfe den Klerus [zu] verdummen und [zu] knechten.“[6]

In seinen letzten Lebensjahren versuchte Augustin Theiner, die ihm noch zugänglichen Akten (eigene Abschriften) zur (unberechtigten) Publikation zu bringen. Der standhafteste Oppositionsbischof, der sich erst als letzter – nach Jahren – dem neuen Dogma der Unfehlbarkeit unterwarf, Josip Juraj Strossmayer aus Zagreb, ermöglichte die sehr kritisch arrangierte Publikation. Theiners Leben ging zur Neige und eine zuverlässigere Ausgabe erschien bereits bei der Görres-Gesellschaft.[7]

Augustin Theiner wurde auf dem deutschen Friedhof in Rom beigesetzt. Sein Grabdenkmal schuf der Freiburger Bildhauer Julius Seitz.[8]

Werke

Editionen mit von Theiner beschafftem Material

Quellen

Siehe auch

Literatur

BW

Einzelnachweise

  1. Im ersten Band seiner Lebenserinnerungen. (3 Bde. Giessen: E.Roth, 1908–1909) schildert Schulte im Rückblick seine Bereitschaft, militärisch für den bedrohten Papst zu kämpfen. Im Umfeld der Unfehlbarkeitsdogmatisation sagt er sich von ihm los. Schulte ist mit seiner grundlegenden Arbeit Geschichte der Quellen und der Literatur des kanonischen Rechts (3 Bde. Stuttgart 1875–1880) nahe an der Arbeit und Position Theiners, er äußert sich zu Augustin Theiner in Lebenserinnerungen Band 3, 1. Halbband S. 387 ff.
  2. Dreißig Jahre des Proselytismus in Sachsen und Braunschweig. F. A. Brockhaus, Leipzig 1845 (google.de).
  3. Döllinger forderte in seinen berühmt gewordenen Odeonsvorträgen (München April 1861) gegen die Neuscholastik eine „deutschwissenschaftliche“ Theologie mit historisch-kritischer Ausrichtung und geschützt vor dem hoheitlichen Lehramt. Er erwog gar die Abschaffung des Kirchenstaates. Zum Buch ausgearbeitet: Kirche und Kirchen. Papsttum und Kirchenstaat. Historisch-politische Betrachtungen. München 1861.
  4. dies aber wohldokumentiert, so redigierte und publizierte Döllinger unter dem Pseudonym Quirinius Lord Actons Römische Briefe vom Konzil. R. Oldenburg, München 1870. 1871 veröffentlichte Lord Acton dann in der Riegerschen Universitätsbuchhandlung München Zur Geschichte des vaticanischen Konzils.
  5. Janus (Döllinger/Huber): Der Papst und das Konzil. Leipzig 1869. Neubearbeitung von Joh. Friedrich, Das Papsttum, München 1892.
  6. Zitiert nach Johannes Rieks: Altkatholisches Kirchenregiment. Eine Verteidigungsschrift. Mit einer Vorrede von Pfarrer Strucksberg. Heidelberg: G. Weiss 1888, S. 11.
  7. Concilium Tridentinum. Diariorum, Actorum, Espistularum, Tratatuum nova Collectio edidit Societas Goerresiana promovendis inter Catholicos Germaniae Litterarum Studiis. 12 Bde. Freiburg Brsg 1870–1890.
  8. Julius Seitz. In: Hans Vollmer (Hrsg.): Allgemeines Lexikon der Bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart. Begründet von Ulrich Thieme und Felix Becker. Band 30: Scheffel–Siemerding. E. A. Seemann, Leipzig 1936, S. 472 (biblos.pk.edu.pl).
  9. Theiner, Augustin. In: Jesús Martínez de Bujanda, Marcella Richter: Index des livres interdits: Index librorum prohibitorum 1600–1966. Médiaspaul, Montréal 2002, ISBN 2-89420-522-8, S. 874–875 (französisch, Digitalisat).