Horst Herrmann (* 1. August 1940 in Schruns; † 19. September 2017 in Süddeutschland[1]) war ein ehemaliger Priester der römisch-katholischen Kirche, deutscher Kirchenrechtler und Kirchenkritiker, Soziologe und Schriftsteller. Bekannt wurde er seit den 1970er-Jahren durch zahlreiche kritische Auseinandersetzungen mit der römisch-katholischen Amtskirche.

Leben

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Horst Herrmann wuchs im württembergischen Tuttlingen auf. Während seiner zwölf Jahre im Internat und als Messdiener wurde seine Faszination für den Katholizismus gefördert, sein frühester Berufswunsch war „Kardinal“.[2] Herrmann studierte katholische Theologie und Rechtswissenschaft an den Universitäten in Tübingen und München und wurde 1964 in Stuttgart-Bad Cannstatt zum Priester geweiht. In Bonn promovierte er 1967 zum Dr. theol. In den folgenden zwei Jahren wohnte er am Campo Santo und setzte seine Studien an den römischen Fakultäten fort. Im Jahr 1970 wurde er in Bonn habilitiert.

Lehrstuhl für katholisches Kirchenrecht

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Ab 1970 hatte Herrmann einen Lehrstuhl für katholisches Kirchenrecht an der Universität Münster inne. Von dort aus kam es wiederholt zu Spannungen zwischen ihm und den Kirchenoberen:

Infolge des Entzugs seiner Lehrerlaubnis konnte Herrmann zwar keine katholischen Theologen mehr ausbilden, wohl aber weiter als Professor an der Fakultät lehren.[5] Auch hiergegen versuchte Tenhumberg vorzugehen, indem er bei Johannes Rau, damals Wissenschaftsminister von Nordrhein-Westfalen, Herrmanns Abberufung und „einen dem Lehrbedürfnis entsprechenden Ersatz“ forderte. Der Bischof berief sich dabei auf Artikel 12 des Preußischen Konkordats von 1929, nach dem ihm das Recht zustehe, einen Theologie-Professor beim Ministerium „anzuzeigen“, wenn dieser nach Meinung des Bischofs „der katholischen Lehre zu nahe tritt“.

Die Bürgerrechtsvereinigung Humanistische Union schrieb Tenhumbergs Vorgehen deshalb „größte Gewichtigkeit“ zu, weil nach Wissen dieses Verbands erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Vertragsklauseln der Konkordate mit dem Heiligen Stuhl „verfassungswidrig“, nämlich gegen die in Artikel 5 des Grundgesetzes garantierte Wissenschaftsfreiheit eingesetzt werden sollten.[6]

In der Tat hatten die Kirchenoberen keine rechtliche Handhabe, Herrmann aus der Fakultät zu entfernen. Das preußische Konkordat wurde erst später mit dem Zusatz versehen, wonach Professoren bei Beanstandungen die Fakultät verlassen müssen. Herrmann bezeichnet diese durch die Landesregierung initiierte Veränderung als „Lex Herrmann“.[7]

1977 wurde Herrmann einem von ihm selbst beantragten Lehrbeanstandungsverfahren unterzogen, mit welchem er sich das Recht zur Freiheit von Forschung und Lehre bestätigen lassen wollte. In diesem Verfahren hatte er nur teilweise Erfolg: Eine Kommission der Deutschen Bischofskonferenz unter Vorsitz des damaligen Mainzer Kardinals Hermann Volk stellte entlastend fest, dass in Herrmanns Publikationen „ein direkter Widerspruch zu einem definierten Dogma nicht nachweisbar“ sei. Man warf ihm aber eine „Verfälschung“ der kirchlichen Lehren vom unfehlbaren Lehramt der Kirche, von der Unauflöslichkeit der Ehe und dem Fortleben Jesu Christi in der Kirche vor.[8]

Im Jahr 1981 trat Herrmann aus der Kirche aus. Er betonte, dass seine ursprüngliche Überzeugung, „daß nichts die Menschen so verbessern könnte wie die Kirche“, schwer enttäuscht worden sei. Im Laufe der Jahre habe er gemerkt, „daß nichts so ungeeignet zur Verbesserung der Menschheit ist wie die Kirche“. Statt ein Sammelbecken für menschliche Entfaltung und Befreiung zu sein, terrorisiere die Kirche ihre Mitglieder „mit selbstgestrickten Zwängen und Schranken, die schon viele Menschen kaputtgemacht haben“.[9]

Im selben Jahr heiratete Herrmann eine 24 Jahre alte Pädagogik- und Romanistikstudentin.[10] Dieser Verstoß gegen die priesterliche Zölibatsverpflichtung führte nach den damals geltenden Kirchengesetzen (can. 2388, § 1 CIC/17) zur automatischen Exkommunikation.[11]

Lehrstuhl für Soziologie

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Im Jahr seines Kirchenaustritts bat Herrmann beim Wissenschaftsministerium des Landes Nordrhein-Westfalen von sich aus darum, in eine nicht-theologische Fakultät versetzt zu werden. Seinen Darstellungen zufolge gestand man ihm eine weite Auswahl zu, woraufhin er sich für den Fachbereich Sozialwissenschaften entschied.[12] Er blieb an der Universität Münster und war dort ab dem Jahr 1981 Professor für „Institutionenlehre unter besonderer Berücksichtigung der Geschichte, des Rechts und der Soziologie religiöser Institutionen“.[13] Herrmann blieb bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2005 am Institut für Soziologie.

Die Zeit an diesem Lehrstuhl beschreibt Herrmann besonders anhand seiner Etablierung von vier Fachgebieten:

Nach der Emeritierung

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Nach seiner Emeritierung wirkte Herrmann weiter als Kritiker der Amtskirche in Talkshows, als Interviewpartner und als Gastautor von Zeitungen und Online-Medien.[19][20][21] Mehrfach kritisierte er die Päpste Benedikt und Franziskus und sprach ihnen den Willen und die Fähigkeit zur Lösung eines Reformstaus im Vatikan sowie zur Modernisierung der katholischen Kirche ab.[22][23] Wiederholt rügte er die Homophobie der Päpste und Kardinale, insbesondere im Zusammenhang mit kirchlicher Einmischung in politische Abstimmungen in europäischen Ländern zur Ehe-Öffnung.[24][25][26][27] Der Umgang der Kirche mit menschlicher Sexualität sei nach wie vor „zutiefst inhuman“.[28]

Außerdem prangerte Herrmann an, dass die Kirche das Leiden von Tieren ignoriere, was im Widerspruch dazu stehe, dass auch Tiere „Geschöpfe Gottes“ sind.[29][30]

Einem Glauben an Gott stand Herrmann weiterhin betont positiv gegenüber. In seinem 2015 erschienenen Buch Befreit Gott von den Gläubigen! Eine Liebeserklärung an Gott plädierte er dafür, ein negativ besetztes Gottesbild der Kirche durch ein von universaler Liebe und Freundschaft geprägtes zu ersetzen. Der Philosoph Hubertus Mynarek würdigte dieses Werk als „wahrscheinlich umfassendste und systematischste Hymne auf Gott als Freund, indem er wie kaum ein anderer alle Aspekte, Nuancen, Facetten dieser Freundschaft gesammelt, analysiert, zum Teil sogar zum ersten Mal entdeckt hat“.[31]

Sonstiges

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Horst Herrmann war auf Empfehlung von Heinrich Böll und Walter Jens ab 1977 Mitglied des PEN-Zentrums Deutschland. Außerdem war er Herausgeber der im Münchner Goldmann Verlag erschienenen „Bibliothek des Querdenkens“.[32]

Herrmann schrieb zwei Kriminalromane, deren Handlungen im Vatikan angesiedelt sind.[33] Dass dieses unter dem Pseudonym Peter Simon geschah, war laut Herrmann ein Wunsch des Verlags.[34]

Mit seiner Ehefrau bekam Herrmann zwei Söhne.[35] Horst Herrmann starb im September 2017 im Alter von 77 Jahren, während er an seinem Schreibtisch arbeitete.[36]

Auszeichnungen

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Die Mächler-Stiftung verlieh Herrmann 2005 in Zürich den Robert-Mächler-Preis für kritische Aufklärung und humanitäres Engagement. Laut der Laudatio des Philosophen Michael Schmidt-Salomon zählt Horst Herrmann „zu den wichtigsten zeitgenössischen Vertretern der Aufklärung“.[37]

Schriften (Auswahl)

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Unter dem Pseudonym „Peter Simon“ sind erschienen:

Literatur

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Siehe auch

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Wikiquote: Horst Herrmann – Zitate

Einzelnachweise

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  1. Kirchenkritiker und Buchautor Horst Herrmann gestorben, WeltN24, 30. September 2017, abgerufen am 30. September 2017.
  2. Horst Herrmann: Mein wichtigstes Buch. (hpd.de [abgerufen am 24. August 2017]).
  3. Kirche: Schüsse gegen Canones. In: Der Spiegel. 46/1972, 5. November 1972, abgerufen am 24. August 2017.
  4. Michael Schmidt-Salomon: „Lieber einen Knick in der Biographie als im Rückgrat…“: Laudatio auf Horst Herrmann anlässlich der Verleihung des Robert-Mächler-Preises 2005. In: horstherrmann.com. Archiviert vom Original am 26. Februar 2008; abgerufen am 5. Januar 2022.
  5. Rom kann aufatmen. In: Der Spiegel. 41/1979, 7. Oktober 1979, abgerufen am 5. Januar 2022.
  6. Bischof von Münster verlangt Abberufung Professor Horst Herrmanns. In: vorgänge. 16 (4/1975), 1975, abgerufen am 5. Januar 2022.
  7. Carsten Frerk: Horst Herrmann: Mein wichtigstes Buch. In: Humanistischer Pressedienst. 6. August 2008, abgerufen am 5. Januar 2022 (Interview).
  8. Berufliches: Horst Herrmann, Hans Peter Bull. In: Der Spiegel. 53/1977, 25. Dezember 1977, archiviert vom Original am 18. Juni 2013; abgerufen am 5. Januar 2022.
  9. „Die Kirche ist uns völlig wurscht“: Spiegel-Interview mit dem Kirchenrechtler Horst Herrmann. In: Der Spiegel. 41/1981, 5. Oktober 1981, abgerufen am 5. Januar 2022.
  10. Horst Herrmann. In: Der Spiegel. 41/1981, 5. Oktober 1981, abgerufen am 5. Januar 2022.
  11. Wilhelm Rees: § 107. Die einzelnen Straftaten. In: Joseph Listl, Heribert Schmitz (Hrsg.): Handbuch des katholischen Kirchenrechts. 2., grundlegend neubearbeitete Auflage. Pustet, Regensburg 1999, S. 1138–1149, hier: S. 1147.
  12. Horst Herrmann: Mein wichtigstes Buch. (hpd.de [abgerufen am 24. August 2017]).
  13. „Die Kirche ist uns völlig Wurscht“ – DER SPIEGEL 41/1981. Abgerufen am 24. August 2017.
  14. Paternologie. Abgerufen am 4. September 2017 (deutsch).
  15. Horst Herrmann: Mein wichtigstes Buch. (hpd.de [abgerufen am 4. September 2017]).
  16. Infantismus. Abgerufen am 4. September 2017 (deutsch).
  17. Synontologie. Abgerufen am 4. September 2017 (deutsch).
  18. Trochologie. Abgerufen am 4. September 2017 (deutsch).
  19. Irene Helmes: Etwas, das wir nicht verstehen. In: sueddeutsche.de. 19. Mai 2010, ISSN 0174-4917 (sueddeutsche.de [abgerufen am 7. September 2017]).
  20. volksfreund.de: "Ein sehr skurriles Feld": Kirchenkritiker und Buchautor Horst Herrmann über die Faszination von Reliquien. Abgerufen am 7. September 2017.
  21. Horst Herrmann | hpd. Abgerufen am 7. September 2017.
  22. Horst Herrmann: Benedikt-Rücktritt: Ein neuer Papst wird nichts ändern. In: Die Zeit. 12. Februar 2013, ISSN 0044-2070 (zeit.de [abgerufen am 7. September 2017]).
  23. Fensterpredigten und Taten. (hpd.de [abgerufen am 7. September 2017]).
  24. Der homophobe Papst. (hpd.de [abgerufen am 7. September 2017]).
  25. Von Schwulen, Lesben und Kardinälen. (hpd.de [abgerufen am 7. September 2017]).
  26. Das irische Ja eine "Niederlage für die Menschheit"? (hpd.de [abgerufen am 7. September 2017]).
  27. Irland stimmt entschieden gegen seine Oberhirten. (hpd.de [abgerufen am 7. September 2017]).
  28. Mein Sex, mein Gott. (hpd.de [abgerufen am 7. September 2017]).
  29. Ein erster Erfolg in Sachen "Kükenschreddern". (hpd.de [abgerufen am 7. September 2017]).
  30. Kükenschreddern. (hpd.de [abgerufen am 7. September 2017]).
  31. Eine Liebeserklärung an Gott. (hpd.de [abgerufen am 11. September 2017]).
  32. Person. Abgerufen am 24. August 2017.
  33. volksfreund.de: "Ein sehr skurriles Feld": Kirchenkritiker und Buchautor Horst Herrmann über die Faszination von Reliquien. Abgerufen am 7. September 2017.
  34. Horst Herrmann: Mein wichtigstes Buch. (hpd.de [abgerufen am 24. August 2017]).
  35. DeutschlandRadio Berlin – Im Gespräch – Im Gespräch mit Horst Herrmann. Abgerufen am 7. September 2017.
  36. Kirchenkritiker und Buchautor Horst Herrmann gestorben. Süddeutsche Zeitung, 30. September 2017, abgerufen am 7. August 2020.
  37. Michael Schmidt-Salomon: „Lieber einen Knick in der Biographie als im Rückgrat…“ (PDF) Abgerufen am 8. September 2017.
Personendaten
NAME Herrmann, Horst
ALTERNATIVNAMEN Simon, Peter (Pseudonym)
KURZBESCHREIBUNG deutscher Kirchenrechtler, Kirchenkritiker, Soziologe und Autor
GEBURTSDATUM 1. August 1940
GEBURTSORT Schruns, Österreich
STERBEDATUM 19. September 2017
STERBEORT Süddeutschland