Arno Borst, private Aufnahme aus dem Jahr 1978

Arno Borst (* 8. Mai 1925 in Alzenau; † 24. April 2007 in Konstanz) war ein deutscher Historiker. Er gilt als einer der bedeutendsten Mediävisten des 20. Jahrhunderts.

Leben

Arno Borst wurde als Sohn des Schulrats und Archivars Alfons Maria Borst und der Lehrerin Anna Elisabeth Fink geboren. Er wuchs in Brendlorenzen auf. Seit 1935 besuchte er das Gymnasium Münnerstadt[1], auf dem er 1943 sein Abitur machte.[2]

Nach Reichsarbeitsdienst, Wehrdienst und Kriegsgefangenschaft studierte Borst von 1945 bis 1951 an der Georg-August-Universität Göttingen und der Ludwig-Maximilians-Universität München, dort als Stipendiat der Stiftung Maximilianeum, und wurde 1951 in Göttingen mit einer von Percy Ernst Schramm betreuten Arbeit über die Katharer zum Dr. phil. promoviert. Anschließend war Borst Assistent an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster bei Herbert Grundmann, wo er sich mit einer grundlegenden ideengeschichtlichen Arbeit über die Geschichte der Theorien zum Ursprung der Sprachen 1957 habilitierte.

Ab 1961 war er in Münster als außerplanmäßiger Professor tätig und folgte 1962 einem Ruf als ordentlicher Professor an die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Sechs Jahre später wechselte er an die neu gegründete Universität Konstanz auf den Lehrstuhl für mittlere und neuere Geschichte. Von 1969 bis 1970 war Arno Borst Prorektor der Universität Konstanz. Von 1987 bis 1990 war er Inhaber einer besonderen Stiftungsprofessur des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft in Konstanz. 1990 wurde er emeritiert.

Borst war verheiratet mit Gudrun Borst, geborene Witzig. Aus der Ehe gingen vier Kinder hervor, darunter die Psychotherapeutin Ulrike Borst.[3]

Wirken

Der Schwerpunkt von Borsts Forschungen liegt auf der mittelalterlichen Geschichte, jedoch weniger auf den klassischen Feldern der Politik-, Rechts- und Verfassungsgeschichte, sondern auf dem Gebiet der Alltags-, Mentalitäts-, Ideen-, Wissenschafts- und Sozialgeschichte.[4] Borst war einer der wenigen Historiker, der nahezu die ganze Bandbreite des Mittelalters von ca. 500 bis 1500 abdeckte. Gestützt auf gediegene Beherrschung der philologischen, paläographischen und kodikologischen Grundlagen war er imstande, die Quellen in der Originalsprache zu studieren und sie, soweit noch unpubliziert, aus den Handschriften und Archivalien zu edieren, zu erläutern und auszuwerten. In die Paläographie und Handschriftenkunde war er von Bernhard Bischoff eingeführt worden, der auch seinen weiteren Weg mit Interesse verfolgte.[5] International bekannt wurde er mit seinem 1973 erschienenen und mehrfach neu aufgelegten sozial- und mentalitätsgeschichtlichen Werk Lebensformen im Mittelalter, mit dem er als einer der ersten deutschen Historiker Fragestellungen der französischen Annales-Schule aufnahm, ohne jedoch abstrakten Theoriediskussionen und esoterischer Begrifflichkeit etwas abgewinnen zu können.[6]

Borst befasste sich in Mönche am Bodensee mit exemplarischen Gestalten des mittelalterlichen Mönchtums (jeder Mönch exemplarisch für ein Kloster, eine Epoche und einen Orden) aus dem Bodenseegebiet wie Walahfrid Strabo und Hermann dem Lahmen aus dem Kloster Reichenau, dem Eremiten Gallus und den Äbten Otmar und Ulrich Rösch aus dem Kloster St. Gallen, dem Abt Gregor von Einsiedeln, Eberhard von Rohrdorf aus der Zisterzienserabtei Salem, Propst Hermann des Prämonstratenserklosters Weißenau, Heinrich Seuse aus dem Dominikanerkloster zu Konstanz sowie dem Kartäuser Peter Thaler aus der Kartause Ittingen. Seine Lieblingsgestalt war der Benediktiner Hermann der Lahme, der Reichenauer Universalgelehrte, dem er eine Reihe von Aufsätzen widmete und der auch in der Abhandlung Astrolab und Klosterreform im Mittelpunkt steht.[7]

Daneben beschäftigte sich Borst auch mit der lateinischen Philologie des Mittelalters, der neueren Geschichte und der Komputistik, die unter der übergeordneten Frage nach dem Zeitverständnis des Mittelalters zum Hauptthema seiner außerordentlich umfangreichen Forschungs- und Publikationstätigkeit nach der Emeritierung wurde. Sein letztes Werk ist seine Autobiographie Meine Geschichte, die, herausgegeben und mit einem Nachwort von Gustav Seibt ausgestattet, postum 2009 im Libelle-Verlag erschien. Ihr sowie dem Vorwort der 2006 veröffentlichten dreibändigen Schriften zur Komputistik im Frankenreich von 721 bis 818[8] ist zu entnehmen, dass sich Borst trotz seiner großen Öffentlichkeitswirkung und zahlreichen akademischen Ehrungen im Kreis der Fachkollegen wegen seiner abseits vom Mainstream und den traditionellen Forschungsgebieten der Disziplin liegenden Fragestellungen und Denkwege zunehmend isoliert und unverstanden fühlte: „Für Ernüchterung sorgten die meisten Fachvertreter der Mediävistik, zumal an deutschen Universitäten. Von dem Thema, das ihre Spezialstudien und Generalthesen durchkreuzte, wollten sie weniger wissen als Grotefend oder gar Mommsen.“[9] Auch seine an die Gründung der Reformuniversität Konstanz geknüpften Hoffnungen waren bitter enttäuscht worden.[10]

Besondere Bekanntheit hatte er mit seiner Habilitationsschrift erlangt, dem erwähnten monumentalen, sechsbändigen Werk über das Phänomen der verschiedenen Sprachen und Völker auf der Erde, das nach den Aussagen des Alten Testaments beim Turmbau zu Babel aufgetreten sein soll: Der Turmbau von Babel. Geschichte der Meinungen über Ursprung und Vielfalt der Sprachen und Völker, für das er eine Fülle spätantiker und mittelalterlicher Quellen hinsichtlich dieses Themas und auf die Entstehung und Abgrenzung der Volkssprachen vom Lateinischen hin untersuchte. Die erforschte Zeitspanne des Werkes reicht jedoch bis in das 20. Jahrhundert. Für dieses grundlegende Werk, das zwischen 1957 und 1963 in vier Bänden veröffentlicht wurde, erhielt er 1966 den Preis der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen.

Borst war seit 1949 Mitglied der Stiftung Maximilianeum, seit 1982 ordentliches Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, seit 1986 korrespondierendes Mitglied der Braunschweigischen Wissenschaftlichen Gesellschaft und zudem seit 2003 korrespondierendes Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Darüber hinaus war er von 1983 bis 1996 ordentliches Mitglied der Zentraldirektion der Monumenta Germaniae Historica. Seit 1996 war Borst außerdem Vorsitzender der von ihm ins Leben gerufenen Arno-Borst-Stiftung zur Förderung der mediävistischen Geschichtswissenschaften.

Borst war Vorlage für die Figur des „Bock“ in Eckhard Henscheids Schlüsselerzählung 10:9 für Stroh (1998) über das Rigorosum seines Doktoranden Gustav Seibt.

Ehrungen und Auszeichnungen

Schriften (Auswahl)

Ein Schriftenverzeichnis erschien in: Rudolf Schieffer, Gabriela Signori (Hrsg.): Arno Borst (1925–2007). (= Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte. Vorträge und Forschungen. Sonderbd. 53). Thorbecke, Ostfildern 2009, ISBN 978-3-7995-6763-3, S. 39–63 (Digitalisat)

Monographien

Autobiographie

Herausgeberschaften und Editionen

Literatur

Anmerkungen

  1. Horst Fuhrmann: Arno Borst: 8.5.1925 – 24.4.2007. In: Jahrbuch der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (2007) S. 140–145, hier: S. 140.
  2. Borst, Arno. In: Linguisten-Handbuch. Biographische und bibliographische Daten deutschsprachiger Sprachwissenschaftlerinnen und Sprachwissenschaftler der Gegenwart. Bd. 2, Tübingen 1997, S. 92.
  3. Wer ist wer? Das deutsche Who’s Who. XLV. Ausgabe 2006/2007, S. 146.
  4. Zur Bestimmung des eigenen Standorts vgl. Arno Borst: Meine Geschichte. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Gustav Seibt. Lengwil 2009, S. 40–42.
  5. Vgl. Arno Borst: Meine Geschichte. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Gustav Seibt. Lengwil 2009, S. 22; S. 53; S. 64.
  6. Vgl. Arno Borst: Meine Geschichte. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Gustav Seibt. Lengwil 2009, S. 38–39.
  7. Borst, Astrolab und Klosterreform an der Jahrtausendwende (siehe unten Literatur).
  8. Vgl. dazu die Besprechung von Dietrich Lohrmann in: Historische Zeitschrift 285, 2007, S. 441–447.
  9. Borst, Schriften zur Komputistik (s. unten unter Schriften), S. XI-XII. Vgl. Arno Borst: Meine Geschichte. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Gustav Seibt. Lengwil 2009, S. 28–29; S. 42; S. 111–112 (Seibt).
  10. Vgl. Arno Borst: Meine Geschichte. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Gustav Seibt. Lengwil 2009, S. 33–39; S. 108–110.