Wichtigster Aromat: Benzol

Mesomere Grenzstrukturen von Benzol mit sechs π-Elektronen in delokalisierten Doppelbindungen, einer der einfachsten aromatischen Verbindungen. (Hinweis: Die Präsentationen oben und unten sind gleichwertig.)

Die delokalisierten Elektronen und die Gleichheit der Bindungen des Benzolmoleküls werden durch einen Kreis symbolisiert.

Historische Kekulé-Benzol-Formel aus der Originalpublikation.[1]

Aromatische Verbindungen, kurz auch Aromaten, sind eine Stoffklasse in der organischen Chemie. Ihr Name stammt vom aromatischen Geruch der zuerst entdeckten Verbindungen dieser Stoffklasse.

Aromatische Moleküle besitzen mindestens ein Ringsystem, das nach der Hückel-Regel in konjugierten Doppelbindungen, freien Elektronenpaaren oder unbesetzten p-Orbitalen eine Anzahl von 4n+2 (n=0,1,2,…) delokalisierten Elektronen enthält. Diese Delokalisierung führt zu einem besonderen Bindungssystem, in dem im Ring nicht zwischen Einzel- und Doppelbindungen unterschieden werden kann. In einfachen, symmetrischen Ringsystemen wie beim Benzol sind damit alle Bindungen identisch. In Strukturformeln werden zur Verdeutlichung alle mesomeren Grenzstrukturen dargestellt oder die Einfachbindungen mit einem (manchmal gestrichelten) Ring versehen, der die delokalisierten Elektronen symbolisiert. Aromaten sind im Vergleich zu aliphatischen, d. h. nichtaromatischen, Doppelbindungssystemen energieärmer und deshalb weniger reaktiv. Insbesondere neigen sie nicht zu Additionsreaktionen.

Aromatizitätskriterien

Historische Definitionen

Allerdings lassen sich die Aromaten nicht über den Geruch definieren, da bei hoher molarer Masse oder stark polaren Substituenten oft kein Geruch wahrnehmbar ist.

Diese Namensbestimmung, die eine experimentelle Unterscheidung erlaubt, war beispielsweise im 20. Jahrhundert gültig, schon bevor die Struktur- und Bindungsverhältnisse geklärt waren. Heute wird in der Regel eine allgemeinere Definition über die elektronische Struktur bevorzugt. Die angegebenen Eigenschaften – kurz: Substitution statt Addition – sind natürlich dennoch charakteristische und sehr wichtige Merkmale.

Definition der Aromaten

Notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzungen für einen Aromaten:

Gleichbedeutend und kürzer lautet diese Bedingung:

Ein Aromat liegt dann vor, wenn auch die folgenden Bedingungen erfüllt sind:

Die von Erich Hückel aufgestellte Hückel-Regel wird meist durch die Formel (4n + 2) π-Elektronen (n = 0,1,2,3…), delokalisiert über alle Ringatome des Systems, wiedergegeben. Cyclisch konjugierte π-Systeme mit 4n π-Elektronen (n = 1,2,3…) heißen Antiaromaten.

Die Grundstruktur vieler aromatischer Verbindungen ist das Benzol C6H6. (Die Hückel-Regel ist hier mit n=1 erfüllt: Benzol besitzt 6 π-Elektronen.) Das Benzol wird daher als einer der einfachsten aromatischen Kohlenwasserstoffe angesehen – insbesondere da die besonderen Eigenschaften aromatischer Verbindungen am Benzol und dessen Derivaten entdeckt wurden. Benzol ist gegenüber einem hypothetischen (das heißt nicht herstellbaren) Cyclohexatrien mit lokalisierten Doppelbindungen stabiler und damit weniger reaktiv.

Aromatische Ionen

Struktur der Metallocene: jeweils über und unter dem Metallion ist ein Cyclopentadienyl-Anion lokalisiert.

Da laut Hückel-Regel auch ein planares, cyclisch konjugiertes System mit 2 π-Elektronen als Aromat gilt, enthalten auch Cyclopropenylium-Salze aromatische Kationen:

Das Cyclopropenylium-Ion erfüllt die Hückel-Regel mit n = 0 und zählt somit sowohl bezüglich der Zahl der delokalisierten Elektronen als auch bezüglich der Ringgröße zu den kleinstmöglichen aromatischen Verbindungen.

Ebenfalls aromatisch ist das negativ geladene Cyclopentadienyl-Anion, das in Metallocenen wie Ferrocen vorkommt:

Das Cyclopentadienyl-Anion
Das Cyclopentadienyl-Anion

Wie beim Benzol ist hier n = 1.

Reaktionen von Aromaten

Am wichtigsten sind Substitutionsreaktionen, beispielsweise

Einteilung der Aromaten

Kriterien

Aromatische Systeme
Fünfringe Kondensierte Fünfringe

Furan

Benzofuran

Isobenzofuran

Pyrrol

Indol

Isoindol

Thiophen

Benzothiophen

Benzo[c]thiophen

Imidazol

Benzimidazol

Purin

Pyrazol

Indazol
 

Oxazol

Benzoxazol
 

Isoxazol

Benzisoxazol
 

Thiazol

Benzothiazol
 
 
Sechsringe Kondensierte Sechsringe  

Benzol

Naphthalin

Anthracen

Pyridin

Chinolin

Isochinolin

Pyrazin

Chinoxalin

Acridin

Pyrimidin

Chinazolin
 

Pyridazin

Cinnolin
 

Es gibt eine gewaltige Zahl (mehrere Millionen sind bekannt) verschiedener aromatischer Verbindungen. Sie können nach verschiedenen Kriterien in Gruppen eingeteilt werden:

Beispiele aromatischer Verbindungen

Kohlenwasserstoffe

Aromatische Kohlenwasserstoffe werden auch Arene genannt. Beispiele dafür sind:

Kohlenwasserstoffe mit mehreren Ringen werden polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) genannt, das sind zum Beispiel:

Annulene, also cyclische Kohlenwasserstoffe mit konjugierten Doppelbindungen, können Aromatizität aufweisen. Nach Benzol ist [14]-Annulen das kleinste aromatische Annulen, ebenfalls aromatisch sind Annulene mit 18 und 22 Kohlenstoffatomen.[2]

Aromatische Ionen

Aromatische Ringsysteme mit Ladungen

Cyclopropenyl-Kation

Cyclopentadienyl-Anion

Cycloheptatrienyl-Kation

Pyrylium-Kation

Typische Stammverbindungen dieser Klasse sind mit 2π-Elektronen das Cyclopropenylium-Ion, mit 6π-Elektronen das Cyclopentadienyl-Anion, das Cycloheptatrienyl-Kation und das Pyrylium-Ion. Im Falle des Pyrylium-Ions steuert der Sauerstoff zwei Elektronen über eines der beiden freien Elektronenpaare zum delokalisierten π-System bei. Das zweite freie Elektronenpaar liegt in der Ringebene und trägt somit nicht zum delokalisierten π-System bei (analog zum freien Elektronenpaar am Stickstoff des Pyridins).

Benzolderivate

Heteroaromaten

Halogenaromaten

Antiaromaten

Antiaromatische Systeme

Cyclobutadien

Oxepin
Alicyclische Verbindung

Als Antiaromaten bezeichnet man Stoffe, welche die ersten drei Bedingungen eines Aromaten erfüllen (cyclisch, planar, konjugierte Doppelbindungen), statt 4n+2 π-Elektronen jedoch 4n π-Elektronen besitzen. Antiaromaten erfahren nach der Hückel-Näherung keine oder nur sehr geringe Stabilisierung durch die cyclische Delokalisation. Aufgrund der Hundschen Regel müssen zudem paarweise entartete Molekülorbitale mit jeweils einem Elektron besetzt werden. Gemäß der Näherung liegen die Antiaromaten somit als hochreaktive Triplettradikale vor. Der einfachste Antiaromat, Cyclobutadien, ist nur bei sehr tiefer Temperatur (≤ 20 K) in einer festen Matrix beständig. Tri-tert-butylcyclopentadien ist hingegen einige Stunden bei 20 °C beständig. Interessanterweise ist Cyclobutadien in der Organometallchemie als Ligand stabil, ein Beispiel ist der Komplex Cyclobutadien-eisentricarbonyl.[3]

Cyclooctatetraen besitzt 8 π-Elektronen. Es liegt jedoch nicht planar vor, sodass die Doppelbindungen nicht konjugiert sind. Die Hückel-Regel kann also nicht angewandt werden. Damit ist 1,3,5,7-Cyclooctatetraen ein Nichtaromat.

Antiaromaten sind eine Teilmenge der nichtaromatischen alicyclischen Verbindungen. Letztere schließen zusätzlich auch nichtkonjugierte Verbindungen ein.

Möbius-Aromaten

Die 1964 von Edgar Heilbronner vorhergesagte Möbius-Aromatizität[4] setzt voraus, dass in einem cyclisch-konjugierten System die besetzten pπ-Orbitale als Möbiusband angeordnet sind, d. h. mit einer 180°-Drehung. Zusätzlich sind die π–Orbitale mit 4n Elektronen besetzt (wobei n hier eine natürliche Zahl ist). Möbius-Aromaten sind durch die Verdrehung chiral. Heilbronner zog nun den Schluss, dass Möbius-Systeme niemals niedriger in der Energie sein können als die entsprechenden Hückel-Pendants. Das Problem bei ihm war, dass er eine Drehung nur für die Berechnung der Möbius-Moleküle, aber nicht für die hückelschen, annahm. Ein Jahr später hatte Zimmerman das Problem genauer behandelt.[5][6]

Ob ein 2003 von Rainer Herges synthetisiertes Molekül[7] wirklich einen Möbius-Aromaten darstellt oder nur die nötige Topologie besitzt, wird noch kontrovers diskutiert.[8]

Aromaten in der Natur

Einleitung der Ringspaltung im Aromatenabbau: Eine Phenol-Monooxygenase oxidiert Phenol zu Brenzcatechin, das entweder zwischen den beiden OH-Gruppen (intradiol-Spaltung) oder versetzt (extradio-Spaltung) gespalten wird.

Viele Verbindungen der Natur besitzen aromatische Strukturen. Allgegenwärtig sind in Proteinen die Aminosäuren wie Tyrosin, Tryptophan oder Phenylalanin. Die DNA oder RNA, die Träger der genetischen Informationen, enthalten die Nukleinbase Adenin als Teil des Nukleotids ATP. Pflanzenfarbstoffe wie die wasserlöslichen Flavonoide, der Gerüststoff Lignin des Holzes, Kofaktoren von Enzymen wie Pyridoxalphosphat oder Pterine sind nur einige weitere Beispiele.

In den natürlichen weiblichen Sexualhormonen Estradiol, Estriol und Estron ist der Ring A des Steroidgerüstes aromatisch. Hingegen ist der Ring A bei den männlichen Sexualhormonen (Androgene) nicht aromatisch.[9]

Die biochemische Synthese und der Abbau von Aromaten ist häufig durch spezielle Enzyme realisiert. Durch den Aromatenabbau werden von Mikroorganismen auch Aromaten der unbelebten Natur, wie Schadstoffe, Pestizide oder Abfälle der chemischen Industrie, in den Kohlenstoffkreislauf zurückgeführt.

Siehe auch

Literatur

Einzelnachweise

  1. August Kekulé: Ueber einige Condensationsproducte des Aldehyds, Liebigs Ann. Chem. 1872, 162 (1), S. 77–124; doi:10.1002/jlac.18721620110.
  2. F. A. Carey, R. J. Sundberg: Organische Chemie, VCH, Weinheim, 1995, ISBN 978-3-527-29217-2.
  3. Joachim Buddrus: Grundlagen der Organischen Chemie, 4. Auflage, de Gruyter Verlag, Berlin, 2011, S. 426, ISBN 978-3-11-024894-4.
  4. E. Heilbronner: Hűckel molecular orbitals of Mőbius-type conformations of annulenes. In: Tetrahedron Letters. Band 5, Nr. 29, 1. Januar 1964, S. 1923–1928, doi:10.1016/S0040-4039(01)89474-0.
  5. Howard E. Zimmerman: On Molecular Orbital Correlation Diagrams, the Occurrence of Möbius Systems in Cyclization Reactions, and Factors Controlling Ground- and Excited-State Reactions. I. In: Journal of the American Chemical Society. Band 88, Nr. 7, 1. April 1966, S. 1564–1565, doi:10.1021/ja00959a052.
  6. Howard E. Zimmerman: Molecular Orbital Correlation Diagrams, Mobius Systems, and Factors Controlling Ground- and Excited-State Reactions. II. In: Journal of the American Chemical Society. Band 88, Nr. 7, 1. April 1966, S. 1566–1567, doi:10.1021/ja00959a053.
  7. D. Ajami, O. Oeckler, A. Simon, R. Herges: Synthesis of a Möbius aromatic hydrocarbon. In: Nature. Band 426, Nr. 6968, 2003, S. 819–821, doi:10.1038/nature02224.
  8. Claire Castro, Zhongfang Chen, Chaitanya S. Wannere, Haijun Jiao, William L. Karney, Michael Mauksch, Ralph Puchta, Nico J. R. van Eikea Hommes, Paul von Ragué Schleyer Investigation of a Putative Möbius Aromatic Hydrocarbon. The Effect of Benzannelation on Möbius [4 n]Annulene Aromaticity. In: J. Am. Chem. Soc., 2005, 127, S. 2425–2432; doi:10.1021/ja0458165.
  9. Carsten Schmuck, Bernd Engels, Tanja Schirmeister, Reinhold Fink: Chemie für Mediziner, Pearson Studium, S. 493, ISBN 978-3-8273-7286-4.