Der Bremer Kirchenstreit von 1840 und von 1844/45 war der Streit zwischen theologisch rationalistischen Pastoren und den überwiegend konservativen reformierten Pastoren in Bremen.

Geschichte

Streit von 1840

St.-Ansgarii-Kirche (um 1839)
Friedrich Wilhelm Krummacher (um 1860)

Der erste Streit entstand im Juli 1840, als der Elberfelder reformierte pietistische Theologe und Erweckungsprediger Friedrich Wilhelm Krummacher zwei polemische Gastpredigten (u. a. über Mt 25,31–46 EU Gerichtstag über die Irrlehren und Gal 1,8/9 EU, Verfluchungspredigt) in der Bremer St.-Ansgarii-Kirche hielt.[1] Krummacher als scharfer Gegner des Rationalismus sprach sich „gegen die verkehrten Absichten der modernen Bibelkritiker“ aus, da „… sie hinter eurem Rücken eine neue Welt schaffen …“. Er charakterisierte den Geist der Zeit als „nicht nur gegen diese und jene menschliche Theologie, sondern gegen Paulus, in Paulo gegen alle Apostel, in diesen gegen das Christentum selbst gerichtet“.[2] Zudem griff er die Lehren großer Philosophen und Schriftsteller wie Sokrates, Platon, Immanuel Kant, Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Johann Gottlieb Fichte, Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller an.[3]

Ein Gegner war der rationalistische bremische Pastor Carl Friedrich Wilhelm Paniel von St. Ansgarii, der drei Predigten als Antwort auf Krummacher hielt.[4] Der pietistische Landpastor Johann Nicolaus Tiele (1804–1856) trat als Gegner Paniels auf.[5] Wilhelm Ernst Weber wiederum griff Tiele an.[6] Friedrich Ludwig Mallet nutzte als Herausgeber des „Bremer Kirchenboten“ seine Stellung um Krummacher zu verfluchen.[7][8]

Die meisten Bremer Bürger standen auf der Seite von Paniel. Der Senat hielt sich aus diesem Streit weitgehend heraus. Der Streit fand überregionale Beachtung; u. a. berichtete der junge Friedrich Engels in mehreren Zeitungen als deren damaliger Bremer Korrespondent.[9] Der damals pietistische Engels war beim Pastor von St. Martini Bremen, Georg Treviranus, untergebracht und kritisierte sowohl die Rationalisten als auch die bibeltreuen Orthodoxen. Krummacher verfasste danach eine Theologische Replik an Herrn Dr. Paniel in Bremen. Mit einem Bericht an das Publicum.

22[10] Bremer Pastoren verfassten zudem ein Bekenntnis bremischer Pastoren, in dem sie sich einerseits zur pietistisch-konservativen Linie bekannten, jedoch andererseits den anmaßenden Ton Krummachers kritisierten. Nur fünf Bremer Pastoren vertraten die rationalistische Linie.[11] Der Historiker Hans-Ludwig Schaefer bewertete diesen Streit: „Fragen wir nach dem Ausgang des Kampfes so lag der Sieg auf seiten der Vertreter der neuen Frömmigkeit. Weite Kreise der mittleren und unteren Bevölkerungsschichten waren angesprochen und aus ihrem geistigen Halbschlaf gerissen worden. Ja die ganze Stadt erörterte lebhaft die strittigen Fragen.“[12]

Zweiter Kirchenstreit 1844/45

Am 10. Juli 1842 wurde auf eine der beiden Pfarrstellen der Rembertigemeinde in Bremen Carl August Wilhelm Nagel berufen. Um diese Zeit begann die kirchlich „liberale“ Zeit der Rembertigemeinde. Nagel war ein Vertreter des kirchlichen Liberalismus mit dem Einbezug naturwissenschaftlicher Erkenntnisse.

Nach einer Versammlung der deutschen Naturforscher in Bremen veröffentlichte Nagel 1844 anonym in der Weser-Zeitung den Aufsatz Einiges über den Einfluß der Naturwissenschaften auf Religion und Volksbildung überhaupt. Schon bald wurde bekannt, wer der Verfasser dieses Artikels war. Mit seiner liberalen Bibelauslegung sorgte Nagel für erhebliches Aufsehen in Bremen. Er löste einen Streit mit seinen orthodoxen Gegnern aus, die für seinen Ausschluss aus dem geistlichen Ministerium Venerandum votierten, einer Körperschaft, in der die alt-, neu- und vorstädtischen Pastoren im Auftrag des Senats das Kirchenregiment ausübten. Die Rembertigemeinde und der liberale Pastor Carl Friedrich Wilhelm Paniel von der St.-Ansgarii-Kirche verteidigten jedoch Nagel.

Bürgermeister Johann Smidt und die Kirchliche Kommission des Senats unterstützten Nagel mit der Erklärung, „… daß, da sogenannte Glaubensgerichte im Bremischen Freistaate ordnungsmäßig nicht beständen, es auch keiner Behörde gestattet sei, sich eigenmächtig dazu aufzuwerfen. Pastor Nagel könne und dürfe nicht vom Ministerio ausgeschlossen werden, und dieses werde keine Sitzung halten, ohne ihn dazu einzuladen.“ Der Senat annullierte am 30. Juli 1845 endgültig die Entschließung des Ministeriums, Nagel aus der Körperschaft zu entfernen. Er verbot den Geistlichen jegliche weitere Kritik und jeder Pastor musste schriftlich erklären, weitere Angriffe zu unterlassen.

Letztlich war damit die theologische Lehrfreiheit in Bremen, mit Auswirkungen auch für andere Regionen, deutlich bestätigt worden.

Schriften als Folge des Streits

Literatur

Einzelnachweise

  1. Friedrich Wilhelm Krummacher: Paulus kein Mann nach dem Sinne unserer Zeit. Predigt gehalten am 19. Juli 1840 vor der St. Ansgarii-Gemeine.
  2. Gustav Adolf Benrath, Martin Sallmann: Der Pietismus im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert (= Geschichte des Pietismus, Band 3). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2000, ISBN 3-525-55348-X, S. 251.
  3. Hans Walter Krumwiede: Kirchengeschichte Niedersachsens: Vom Deutschen Bund 1815 bis zur Gründung der Evangelischen Kirche in Deutschland 1948. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1996, ISBN 3-525-55432-X, S. 349 f.
  4. Carl Friedrich Wilhelm Paniel: Ein kritisches Sendschreiben aus dem Seebade Norderney an den Pastor Tiele zu Oberneuland bei Bremen, als Vertheidiger der F. W. Krummacher'schen Verfluchungssache.
  5. Johann Nicolaus Tiele: Des Evangeliums Segen. Eine durch die Streitschriften des Anonymus und des Dr. Paniel veranlaßte Gegenschrift.
  6. Die Verfluchungen als ein Beitrag zur neuesten Kanzelpolemik.
  7. Reinhart Seeger, S. 68.
  8. Johann-Günther König, S. 207.
  9. Vgl.: Hans Pelger, Michael Knieriem.
  10. Bekenntniß bremischer Pastoren in Sachen der Wahrheit, S. 30
  11. Toel, Tiele, Mallet, Ludwig Müller und Schlichthorst. (Friedrich Wilhelm Krummacher: Der scheinheilige Rationalismus vor dem Richterstuhl der h. Schrift. Resumé der Bremer Kirchenfehde, S. IX.)
  12. Hans-Ludwig Schaefer: Bremens Bevölkerung in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts. Bremen 1957, S. 129. (Zitiert nach Johann-Günther König, S. 213.)