Das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz[1] (bisweilen auch Rechtsweggarantie oder Rechtsschutzgarantie genannt) verbürgt das Recht auf Anrufung staatlicher Gerichte.
Die Rechtsweggarantie gegen Akte der öffentlichen Gewalt ist in der Bundesrepublik Deutschland in Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) für jede natürliche und privatrechtliche juristische Person und in der Schweiz in Art. 29a Bundesverfassung geregelt. Wenn von Rechtsweggarantie gesprochen wird, ist häufiger eine dieser konkreten Regelungen (Rechtsweggarantie im engeren Sinne) und nicht eine denkbare umfassende Rechtsweggarantie gemeint.[2] Wird „Rechtsweggarantie“ in diesem engeren Sinne verwendet, dann wird – zum Zwecke der Unterscheidbarkeit – für die weitere Bedeutung die Bezeichnung Justizgewährungsanspruch verwendet.[3] Nach dem Bundesverfassungsgericht folgt dieser „Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz“[4] auch (insbesondere im Hinblick auf andere Verfahren als gegen Akte staatlicher Gewalt) aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes.
Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und der sich ihm anschließenden Lehre besteht ein Recht auf effektiven Rechtsschutz. „Die […] Rechtsschutzgarantie gewährleistet nicht nur, dass überhaupt ein Rechtsweg zu den Gerichten offensteht, sie garantiert vielmehr auch die Effektivität des Rechtsschutzes.“[5] Das Gericht ist verpflichtet, die angefochtene Entscheidung in rechtlicher und in tatsächlicher Hinsicht vollständig nachzuprüfen. Dieses Grundrecht entfaltet auch Vorwirkungen auf das Verwaltungsverfahren. Schon die Behörde hat demnach im Verfahren so zu handeln, dass das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz im Weiteren nicht beeinträchtigt wird.
Nach dem Bundesverfassungsgericht gewährleistet Art. 19 Abs. 4 ein Grundrecht auf wirksamen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt, soweit diese in die Rechte des Betroffenen eingreifen.[6] Das Grundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes werde in zivilrechtlichen Streitigkeiten aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitet[7]
Art. 19 Abs. 4 GG enthalte ein Grundrecht auf effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt. Dies umfasse „den Zugang zu den Gerichten, die Prüfung des Streitbegehrens in einem förmlichen Verfahren sowie die verbindliche gerichtliche Entscheidung“.[8] Der Bürger habe einen substantiellen Anspruch auf eine möglichst wirksame gerichtliche Kontrolle[8].
Art. 19 Abs. 4 GG fordert keinen Instanzenzug. „Eröffnet das Prozessrecht aber eine weitere Instanz, so gewährleistet Art. 19 Abs. 4 GG dem Bürger auch insoweit eine wirksame gerichtliche Kontrolle […]. Die Rechtsmittelgerichte dürfen ein von der jeweiligen Rechtsordnung eröffnetes Rechtsmittel nicht durch die Art und Weise, in der sie die gesetzlichen Voraussetzungen für den Zugang zu einer Sachentscheidung auslegen und anwenden, ineffektiv machen und für den Beschwerdeführer leerlaufen lassen; der Zugang zu den in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanzen darf nicht von unerfüllbaren oder unzumutbaren Voraussetzungen abhängig gemacht oder in einer durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert werden“[9][10][11]. Entsprechendes gilt auch für den Zivilprozess und den allgemeinen Justizgewährungsanspruch.[12]
„Der Bürger hat einen Anspruch auf eine möglichst wirksame gerichtliche Kontrolle in allen ihm von der Prozessordnung zur Verfügung gestellten Instanzen […], wobei es keinen Unterschied macht, ob es sich um Eingriffe in geschützte Rechtspositionen oder die Versagung gesetzlich eingeräumter Leistungsansprüche handelt […]. Aus der Garantie effektiven Rechtsschutzes folgt grundsätzlich die Pflicht der Gerichte, die angefochtenen Verwaltungsakte in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht vollständig nachzuprüfen. Das schließt eine Bindung der rechtsprechenden Gewalt an tatsächliche oder rechtliche Feststellungen und Wertungen seitens anderer Gewalten hinsichtlich dessen, was im Einzelfall rechtens ist, im Grundsatz aus.“[18] Der Gesetzgeber ist daher „nicht frei in der Einräumung behördlicher Letztentscheidungsbefugnisse. Die durch Art 19 Abs. 4 Satz 1 GG garantierte Effektivität der Gerichte darf auch der Gesetzgeber nicht durch zu zahlreiche oder weitgreifende Beurteilungsspielräume für ganze Sachbereiche oder gar Rechtsgebiete aufgeben.“[18]
Das aus Art. 19 Abs. 4 GG folgende Gebot effektiven Rechtsschutzes gebietet einen zeitgerechten Rechtsschutz, d. h. „strittige Rechtsverhältnisse sind in angemessener Zeit zu klären“[19]
Die Unangemessenheit ist eine Frage, die nur unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zu entscheiden ist. „Der Staat kann sich nicht auf solche Umstände berufen, die in seinem Verantwortungsbereich liegen […]. Die Gerichte haben zudem die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen und sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen.“[19]
Seit 2011 gewähren die §§ 198 ff. GVG Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren.
Das Gebot effektiven Rechtsschutzes wirkt sich auch auf die Anwendung der Rechtsvorschriften des Eilrechtsschutzes aus.[20][21]
„Wirksamer Rechtsschutz bedeutet auch Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit.“[21] Gerichtlicher Rechtsschutz hat „so weit wie möglich der Schaffung solcher vollendeter Tatsachen zuvorzukommen hat, die dann, wenn sich eine Maßnahme bei (endgültiger) richterlicher Prüfung als rechtswidrig erweist, nicht mehr rückgängig gemacht werden können“[21].
Den Fachgerichten ist es verwehrt, „überspannte Anforderungen an das Vorliegen eines Anordnungsgrundes stellen“[21].
Wenn der nachgängige Rechtsschutz – einschließlich des einstweiligen Rechtsschutzes – mit unzumutbaren Nachteilen verbunden wäre, besteht im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Gebot effektiven Rechtsschutzes ein besonderes, qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis nach vorbeugendem Rechtsschutz.[22][23][24] Mit einem Hängebeschluss ist deshalb auch eine zeitlich begrenzte, durch die Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren selbst auflösend bedingte Zwischenregelung zulässig (sog. Eil-Eil-Rechtsschutz).[25]
„Die nach § 80 Abs. 1 VwGO für den Regelfall vorgeschriebene aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage ist insoweit eine adäquate Ausprägung der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie. Andererseits gewährleistet Art. 19 Abs. 4 GG die aufschiebende Wirkung der Rechtsbehelfe im Verwaltungsprozess nicht schlechthin. Überwiegende öffentliche Belange können es rechtfertigen, den Rechtsschutzanspruch des Grundrechtsträgers einstweilen zurückzustellen, um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des allgemeinen Wohls rechtzeitig in die Wege zu leiten. Für die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit eines Verwaltungsakts ist daher ein besonderes öffentliches Interesse erforderlich, das über jenes Interesse hinausgeht, das den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt.“[26]
Die Statthaftigkeit einer in entsprechender Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO erhobenen Fortsetzungsfeststellungsklage dient der Effektivität des Rechtsschutzes. „Die Zulässigkeit eines Rechtsschutzbegehrens ist dabei allerdings vom Vorliegen eines schutzwürdigen Interesses bei der Verfolgung eines subjektiven Rechts abhängig. Damit der Rechtsschutz nicht unzumutbar beschränkt wird, dürfen aber an ein solches Rechtsschutzbedürfnis keine aus Sachgründen nicht zu rechtfertigenden Anforderungen gestellt werden“[27]
Auch die Möglichkeit der Prozesskostenhilfe wird nach dem BVerfG aus dem Recht auf effektiven und gleichen Rechtsschutz abgeleitet.[28] Dieses Recht folge für die öffentlich-rechtliche Rechtsprechung aus Art. 3 GG, Art. 19 Abs. 4 GG.[28] Dieses schreibe „eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes“[28] vor. Es sei allerdings verfassungsgemäß, die Gewährung von Prozesskostenhilfe von zutreffenden Erfolgsaussichten und fehlender Mutwilligkeit abhängig zu machen.[28]
In Bezug auf Verletzungen des rechtlichen Gehörs im Sinne des Art. 103 Abs. 1 GG forderte der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts, dass entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Zweiten Senats Art. 19 Abs. 4 GG auch auf gerichtliche Entscheidungen anzuwenden sei[29]. Das Plenum des Bundesverfassungsgerichts[30] lehnte dies mit der Begründung ab, dass in Verbindung mit dem allgemeinen Justizgewährleistungsanspruch ein ausreichender Rechtsschutz gewährleistet werde:
In der folgenden Entscheidung leitete der Erste Senat die vom Beschwerdeführer die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Bestimmungen der Zivilprozessordnung aus dem „im Rechtsstaatsprinzip verankerten Justizgewährungsanspruch in Verbindung mit Art. 103 Abs. 1 GG“ ab.[32]
Ist eine weitere Instanz aber bereits vorgesehen, muss das Gebot effektiven Rechtsschutzes beim Zugang zu der weiteren Instanz beachtet werden (siehe oben).
Nach herrschender Ansicht bezieht sich der Ausdruck „Akte der öffentlichen Gewalt“ in Art. 19 Abs. 4 GG nur auf Akte der Exekutive, aber nicht auf Gesetzgebungsakte.[33] Das Bundesverfassungsgericht[34] führt hierzu aus:
Diese Auffassung kann sich darüber hinaus darauf stützen, dass in der ursprünglichen Fassung des Grundgesetzes noch keine Individual-Verfassungsbeschwerde vorgesehen war, sondern der Parlamentarische Rat die Regelung dieser Frage dem einfachen Gesetzgeber überlassen hatte.[36] Erst später wurde in Art. 93 GG die Bestimmung eingefügt, dass das Bundesverfassungsgericht auch „über Verfassungsbeschwerden [entscheidet], die von jedermann mit der Behauptung erhoben werden können, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Art. 20 Abs. 4, Art. 33, Art. 38, Art. 101, Art. 103 und Art. 104 enthaltenen Rechte verletzt zu sein.“
Man unterscheidet zwischen dem primären und dem sekundären Rechtsschutz:
Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Charta) lautet:
Art. 47 Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht
Jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, hat das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen.
Jede Person hat ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Jede Person kann sich beraten, verteidigen und vertreten lassen.
Personen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, wird Prozesskostenhilfe bewilligt, soweit diese Hilfe erforderlich ist, um den Zugang zu den Gerichten wirksam zu gewährleisten.
Art. 47 Abs. 1 der Charta wird durch Art. 19 Abs. 1 Satz 3 des Vertrages über die Europäische Union (EUV) ergänzt:[37]
Die Mitgliedstaaten schaffen die erforderlichen Rechtsbehelfe, damit ein wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist.
Nach dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) gilt: „Der Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes ist ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts, der sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergibt und der in den Art. 6 und 13 der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert ist.“[38]
Es gehört nach dem Europäischen Gerichtshof zu dem Wesen des Rechtsstaates, dass die Träger von Unionsrechten über effektive Rechtsbehelfe verfügen, mit denen sie ihren Unionsrechten Wirkung verschaffen können.[39] Wenn Unionsrechtsträger keine Möglichkeiten haben, die über sie gespeicherten Daten zu erfahren und berichtigen oder löschen zu lassen, so widerspreche dies dem Wesensgehalt des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf.[40][39]
2019 beantragte die Deutsche Umwelthilfe (DUH) Zwangshaft gegen den Bayerischen Ministerpräsidenten. Der Europäische Gerichtshof stellte eine fehlende Rechtsgrundlage fest, die geschaffen werden müsse, wolle man nicht das Gebot effektiven Rechtsschutzes verletzten.[41] Der Europäische Gerichtshof schrieb in dem Urteil: „Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs verletzen nationale Rechtsvorschriften, die zu einer Situation führen, in der das Urteil eines Gerichts wirkungslos bleibt, ohne dass es über Mittel verfügt, um ihm Geltung zu verschaffen, den Wesensgehalt des in Art. 47 der Charta verankerten Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf [...]“[42]
Art. 47 der Charta spielte auch eine wesentliche Rolle bei den Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe für juristische Personen.[38]