Hans Blumenberg (* 13. Juli 1920 in Lübeck; † 28. März 1996 in Altenberge) war ein deutscher Philosoph.

Leben

Hans Blumenberg war der älteste Sohn von Josef Carl Blumenberg (1880–1949), dem Inhaber eines Lübecker Kunstverlages, und seiner Ehefrau Else Blumenberg, geb. Schreier (1882–1945). Die Familie des Vaters stammte aus dem Bistum Hildesheim und hatte seit Generationen katholische Priester[1] wie Friedrich Blumenberg SJ (1732–1811) und Franz Edmund Blumenberg (1764–1846) hervorgebracht.[2] Im katholischen Diasporamilieu Lübecks wirkte der in Sankt Georgen (Frankfurt am Main) ausgebildete, NS-kritische Kaplan Johannes Prassek, der zu den Lübecker Märtyrern gehört, als Jugendseelsorger und spiritueller Begleiter prägend auf Blumenberg.[3]

Blumenberg besuchte das Lübecker Katharineum, wo er im Jahr 1939 als Jahrgangsbester die Reifeprüfung ablegte.[4] Im Wintersemester 1939/40 begann er als Priesteramtskandidat des Bistums Osnabrück an der Theologischen Akademie Paderborn sein Theologiestudium, das nach damaliger Studienordnung in den Anfangssemestern sehr hohe Philosophieanteile hatte.[5] Das Sommersemester 1940 verbrachte Blumenberg im Jesuiten-Studium in Frankfurt-Sankt Georgen, wo ihm besonders der skotistisch orientierte Philosoph Caspar Nink imponierte.[6] Aufgrund des jüdischen Familienhintergrundes seiner Mutter musste er im Herbst 1940 das Studium der katholischen Theologie abbrechen. Über das Studium erzählte sein Freund, der Priester und ehemalige Frankfurter Studentenpfarrer Walter Kropp (1919–2019), der mit Blumenberg das Zimmer geteilt hatte: „Es wurde für mich das auf- und anregendste Semester meines Studiums. Tag und Nacht waren wir im Gespräch. Das heißt: Meist redete er, und ich hörte zu. Der Viel-Wissende, Durchblickende und Weiter-Denkende beeindruckte mich tief.“[7]

Zurück in Lübeck wurde er zunächst zum Arbeitsdienst eingezogen und arbeitete danach bei der Drägerwerk AG in Lübeck. 1945 wurde er in Zerbst interniert, konnte jedoch auf Initiative Heinrich Drägers freikommen und sich bis Kriegsende bei der Familie von Ursula Heinck (1922–2010[8]) verstecken, die er 1944 geheiratet hatte.[9] Nach 1945 setzte er sein Studium der Philosophie, Germanistik und Klassischen Philologie an der Universität Hamburg fort.[10] 1947 wurde Blumenberg mit seiner Dissertation Beiträge zum Problem der Ursprünglichkeit der mittelalterlich-scholastischen Ontologie, die noch Anfang 1946 den Arbeitstitel „Die ontologische Leistung der mittelalterlichen Scholastik, im Hinblick auf Heideggers Destruktion der traditionellen Ontologie“ trug,[11] an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel promoviert. Hier habilitierte er sich 1950 mit der Studie Die ontologische Distanz. Eine Untersuchung über die Krisis der Phänomenologie Husserls. Sein Lehrer während dieser Zeit war Ludwig Landgrebe.

1958 wurde Blumenberg in Hamburg außerordentlicher Professor für Philosophie und 1960 an der Justus-Liebig-Universität Gießen ordentlicher Professor für Philosophie. 1965 wechselte er als ordentlicher Professor für Philosophie an die Ruhr-Universität Bochum und im Jahr 1970 an die Westfälische Wilhelms-Universität Münster, wo er 1985 emeritiert wurde.

Blumenberg war Mitglied der Akademie der Wissenschaften und der Literatur zu Mainz (seit 1960), des Senats der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), Mitglied der Senatskommission für Begriffsgeschichte der DFG unter Vorsitz Hans Georg Gadamers und Mitgründer der 1963 ins Leben gerufenen Forschungsgruppe „Poetik und Hermeneutik“.

Hans Blumenberg starb am 28. März 1996 an einem Herzinfarkt.[12] Blumenberg hatte drei Söhne und die Tochter Bettina Blumenberg.

Werk

Die frühe Schrift Paradigmen zu einer Metaphorologie[13] (1960) verfolgt anhand ausgewählter Beispiele aus der Geistes- und Philosophiegeschichte den Gedanken, dass bestimmte Metaphern (wie etwa die der „‚nackten‘ Wahrheit“) als „Grundbestände der philosophischen Sprache“ anzusehen sind, die sich nicht durch Begriffe ersetzen und so „ins Eigentliche, in die Logizität zurückholen lassen“. Solche „absoluten Metaphern“ konstituieren nach Blumenberg eine in ihrer Anschaulichkeit und ihrem Sinngehalt begrifflich nie vollständig einholbare Vorstellung von Wirklichkeit als einem Ganzen, an der sich menschliches Denken und Handeln orientieren kann und muss. Dieser Ansatz wird darauf in Einzeldarstellungen unter anderem zur Lichtmetaphorik in erkenntnistheoretischen Zusammenhängen, zur Schifffahrt als Metapher für das Dasein (Schiffbruch mit Zuschauer, 1979) sowie zur Buchmetapher (Die Lesbarkeit der Welt, 1979) weiter ausgeführt.

Einen Schwerpunkt der vielfältigen philosophiegeschichtlichen Untersuchungen Blumenbergs bildet die „Epochenschwelle“ zwischen Mittelalter und Neuzeit (Die Legitimität der Neuzeit, 1966; Die Genesis der kopernikanischen Welt, 1975). Aus einer unter anderem von Ernst Cassirer inspirierten funktionalistischen Perspektive auf die Geistes- und Philosophiegeschichte, die mit epochenspezifischen „Umbesetzungen“ innerhalb eines formalen Beziehungsgefüges geistiger Gehalte rechnet, wird ein substantialistisches Verständnis historischer Kontinuität zurückgewiesen, wie es beispielsweise dem Säkularisierungstheorem vielfach zu Grunde liegt. Die Neuzeit wird als eine gegenüber Antike und Mittelalter eigenständige Epoche dargestellt, deren Ausbildung unter anderem auf die Notwendigkeit menschlicher Selbstbehauptung angesichts der Zuspitzung des „theologischen Absolutismus“ im spätmittelalterlichen Nominalismus zurückzuführen ist und die aus dieser Notwendigkeit heraus die in der griechischen Antike entstandene theoretische Neugier rehabilitiert hat.

In späteren Studien (Arbeit am Mythos, 1979; Höhlenausgänge, 1989) profiliert Blumenberg zunehmend den anthropologischen Hintergrund seines Denkens. Dabei ist die an Arnold Gehlen angelehnte Annahme leitend, dass der Mensch als endliches und hinfälliges Mängelwesen bestimmter Hilfsmittel bedarf, um sich angesichts des „Absolutismus der Wirklichkeit“ behaupten zu können. Unter diesem Aspekt interpretiert Blumenberg nun Metaphern und Mythen – auf Grund ihrer die Wirklichkeit distanzierenden, in ihr orientierenden und den Menschen so entlastenden Leistungen – als ein funktionales Äquivalent zu Institutionen im Sinne Gehlens.

In seinem späten Werk Matthäuspassion (1993) geht Blumenberg der Frage nach, welche Bedeutung christliche Aussagen noch für einen Leser haben können, der – wie Blumenberg selbst – kein Christ mehr ist, aber aus rezeptionsgeschichtlicher Sicht auf das Christentum zurückblickt. Jacob Taubes, ein langjähriger Diskussionspartner Blumenbergs, kritisierte in seiner Auseinandersetzung mit Blumenberg und Odo Marquard neopagane Implikationen von Blumenbergs anthropologischer Theorie der Entlastung und des Mythos.[14] Trotz dieses auch mit autobiographischen Bemerkungen motivierten Abschieds vom Christentum wird Blumenbergs Werk auch von Theologen rezipiert und hinsichtlich seines Anregungspotentials für die protestantische wie katholische Theologie diskutiert.[15]

Zumeist unter Pseudonym verfasste Blumenberg auch Literaturkritiken zu internationaler Belletristik.[16]

Rezeption

Blumenbergs Schüler (Manfred Sommer, Ferdinand Fellmann, Heinrich Niehues-Pröbsting) haben ihre eigenen Positionen in erkennbarer Anknüpfung an und Auseinandersetzung mit Blumenbergs Philosophie entwickelt. Daneben sind Blumenbergs Theorien in Deutschland zunächst vor allem in dem Kreis Joachim Ritters aufgenommen worden –, vor allem bei Odo Marquard, der Elemente von Blumenbergs Anthropologie für die theoretische und wissenschaftspolitische Legitimierung der Geisteswissenschaften übernahm. Schüler Odo Marquards haben diese Form der affirmativen Blumenbergrezeption fortgesetzt (Franz Josef Wetz). Blumenbergs Darstellung des spätmittelalterlichen Nominalismus fand in der Philosophiegeschichtsschreibung eine eingehende Auseinandersetzung und wurde letztlich zurückgewiesen (Wolfgang Hübener, Jürgen Goldstein). Eingehende Rezeption erfuhr auch das Projekt einer Metaphorologie, zumal in der Literaturwissenschaft (etwa bei Anselm Haverkamp), aber auch bei Wissenschaftstheoretikern (Lutz Danneberg). Die Nachlasspublikationen zur Theorie der Lebenswelt und der phänomenologischen Anthropologie haben auf die Zugehörigkeit Blumenbergs zur „phänomenologischen Bewegung“ aufmerksam gemacht.

Eine Rezeption Blumenbergs in der akademischen Philosophie im englischsprachigen Raum begann mit dem Erscheinen der ersten englischen Übersetzungen seit 1983. Die Übersetzung von Die Legitimität der Neuzeit wurde von Richard Rorty besprochen, der die verspätete Rezeption des Buches bedauerte.[17] Rorty lobt Blumenbergs Modernitätskonzept noch am Ende des ersten Kapitels von Kontingenz, Ironie und Solidarität.[18] Auch in Frankreich, Italien und Spanien sind zahlreiche Werke Blumenbergs in Übersetzungen erschienen.

Blumenberg hat zu Lebzeiten eine beträchtliche Rezeption im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Neuen Zürcher Zeitung erfahren (Henning Ritter, Martin Meyer). Sibylle Lewitscharoff konfrontiert in ihrem Roman Blumenberg (2011) den Philosophen mit der Erscheinung eines Löwen.[19]

Auszeichnungen

Schriften (Auswahl)

Briefwechsel

Literatur

Film / Fernsehen

Einzelnachweise

  1. Dorothea Haunhorst: Der Totenkeller im Bischöflichen Gymnasium Josephinum. Hildesheimer Kalender 2012, S. 83–93.
  2. Angaben und Daten zur Biographie finden sich bei Angus Nicholls: Myth and the Human Sciences: Hans Blumenberg's Theory of Myth. Routledge, New York 2014, S. 11f.
  3. Vgl. Benjamin Dahlke / Matthias Laarmann: Hans Blumenbergs Studienjahre. Schlaglichter auf Orte, Institutionen und Personen. In: Theologie und Glaube 107 (2017), S. 338–353, dort 339–343.
  4. Siehe den Artikel des Katharineums zu Hans Blumenberg sowie Hans Blumenberg: An Georg Rosenthal erinnernd. In: Katharineum zu Lübeck. Festschrift zum 450jährigen Bestehen. Hrsg. vom Bund der Freunde des Katharineums, Lübeck 1981, S. 55–57.
  5. Vgl. Benjamin Dahlke / Matthias Laarmann: Hans Blumenbergs Studienjahre. Schlaglichter auf Orte, Institutionen und Personen. In: Theologie und Glaube 107 (2017), S. 338–353, dort 343–346.
  6. Vgl. Benjamin Dahlke / Matthias Laarmann: Hans Blumenbergs Studienjahre. Schlaglichter auf Orte, Institutionen und Personen. In: Theologie und Glaube 107 (2017), S. 338–353, dort 346–350.
  7. Walter Kropp: Nachruf auf Hans Blumenberg. In: Upwärts. Zeitschrift des Priesterseminars St. Georgen. AStA-News. Ausg. 1. Sommersemester 1997. S. 5–8.
  8. Siehe den genealogischen Stammbaum Blumenbergs und die Traueranzeige.
  9. Wer ist wer? Das deutsche Who's who (vormals Degeners Wer ist's?). Bundesrepublik Deutschland, Band 29, Schmidt-Römhild, Lübeck 1990, S. 117.
  10. Vgl. Benjamin Dahlke / Matthias Laarmann: Hans Blumenbergs Studienjahre. Schlaglichter auf Orte, Institutionen und Personen. In: Theologie und Glaube 107 (2017), S. 324–339, dort 351–353.
  11. Vgl. Benjamin Dahlke / Matthias Laarmann: Hans Blumenbergs Studienjahre. Schlaglichter auf Orte, Institutionen und Personen. In: Theologie und Glaube 107 (2017), S. 338–353, dort 352.
  12. Zum Tode des Philosophen Hans Blumenberg. Meldung vom 12. April 1996
  13. Bernhard Debatin: Metaphorologie. Abgerufen am 13. Mai 2024.
  14. Jacob Taubes: Zur Konjunktur des Polytheismus. In: Karl Heinz Bohrer (Hrsg.): Mythos und Moderne. Suhrkamp, Frankfurt/M. 1983, S. 457–471.
  15. Etwa in der Abhandlung von Markus Hundeck: Welt und Zeit. Hans Blumenbergs Philosophie zwischen Schöpfungs- und Erlösungslehre. Echter Verlag, Würzburg 2000 (= Bonner dogmatische Studien, 32.)
  16. Philosophie und Belletristik. In: Volltext. Abgerufen am 18. August 2020.
  17. Richard Rorty: Against Belatedness. (Rezension von: Hans Blumenberg, The Legitimacy of the Modern Age, translated by Robert M. Wallace, MIT Press, 1983.) In: London Review of Books. Vol. 5, No. 11, 16 June 1983, S. 3–5.
  18. Richard Rorty: Kontingenz, Ironie und Solidarität, Übersetzt von Christa Krüger. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1989, ISBN 3-518-58012-4. Erstes Kapitel: Die Kontingenz der Sprache.
  19. Vgl. die kritische Besprechung des Romans von Seiten der Philosophin Birgit Recki: „Blumenberg“ oder Die Chance der Literatur. In: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken 66. Jg., Nr. 755, April 2012, S. 322–328.
  20. Helmut Mayer: Verquere Neuzeit. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 276, 26. November 2022, S. L 6.
  21. Hans Blumenberg und Hans Jonas: Ihr Briefwechsel und ihr Streit - WELT. Abgerufen am 7. April 2023.