Jesus als Lehrer ist der Titel der Dissertation von Rainer Riesner, die 1981 erschien und danach noch drei weitere Auflagen erlebte (1984, 1988 und – in einem Abstand von 35 Jahren! – 2023). Der Untertitel dieses mehr als 600 Seiten umfassenden Buches lautet: Eine Untersuchung zum Ursprung der Evangelien-Überlieferung, in der 4., nun auf mehr als 800 Seiten angewachsenen Auflage: Frühjüdische Volksbildung und Evangelien-Überlieferung. Gemäß diesem Buch gehen die in den Evangelien berichteten Worte Jesu überwiegend tatsächlich auf das Wirken Jesu zurück.
Es handelt sich um eine an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen angenommene Dissertation. „Doktorvater“ war Otto Betz, Zweitgutachter war Martin Hengel. Riesner knüpfte an die Forschungen der schwedischen Neutestamentler Harald Riesenfeld und Birger Gerhardsson um 1960 an, wonach Jesus in Analogie zu den Rabbinen – seinen Schülern konkrete Formulierungen vorlegte, die diese memorieren sollten. Riesner erweiterte die Vergleichsbasis auf Israel sowie die antike Umwelt und gab einen Überblick über die dort praktizierten Lernmethoden.[1]
Riesner führt die in den Synoptikern berichteten Reden Jesu im Wesentlichen auf diesen zurück, schätzt die Ursprünge der Evangelien-Überlieferung daher als „vorösterlich“ ein. Insofern ist seine Sichtweise als „theologisch konservativ“ einzustufen. Das Johannesevangelium berücksichtigt Riesner aber nur vereinzelt.
Die beiden ersten Kapitel widmen sich der Jesus-Überlieferung und der jüdischen Volksbildung – es werden also der Forschungsstand zu den beiden Größen beleuchtet, die danach miteinander in Verbindung gebracht werden. Danach verweist Riesner auf die Autorität Jesu (Kapitel 3) – diese von Jesus beanspruchte Autorität war deutlich höher als die eines jüdischen Rabbis, sie war eher gleichzusetzen mit der Stellung der Tora in der Achtung religiöser Juden. Die beiden letzten Kapitel betrachten den Unterricht Jesu genauer, zuerst seine öffentliche Lehre, und schließlich die Jüngerlehre – hier geht es also um die Eigenheiten je nach Adressaten.
In den Rezensionen[2] wurde allgemein anerkannt, dass Riesner die Fachliteratur in großer Breite verarbeitet hat. Inwieweit Rezensenten den Thesen Riesners zustimmten, hing stark von ihrer eigenen theologischen Position ab. Aus fundamentalistischer Sicht gab es Anerkennung für Riesners Argumentation. So meinte Helge Stadelmann:
Gleichzeitig bedauert Stadelmann jedoch, dass kein klares Inspirationsverständnis den Ausgangspunkt bildet:
Starke Zustimmung kam von Ian Howard Marshall, einem britischen Neutestamentler mit konservativer Grundhaltung:
Starke Zustimmung gab es auch bei konservativen Katholiken, z. B. urteilte John P. Heil:
Manche Neutestamentler, die als „gemäßigt kritisch“ eingestuft werden, reagierten nachdenklich, so etwa Franz Mußner über die Lektüre von Riesners Buch:
Und Rudolf Schnackenburg meinte: „Man wird ständig zwischen Zustimmung und Widerspruch hin- und hergerissen“.[7] Aus evangelischer „liberaler“ Sicht kam deutliche Ablehnung, etwa von Werner Georg Kümmel, der in Riesners Buch eine „apologetische Grundtendenz“ sieht und meint, dass Riesners Meinung „mit mancherlei überzeugenden Argumenten, aber auch mit einer großen Zahl fragwürdiger Thesen und problematischer Exegesen begründet“ werde.[8] Walter Schmithals urteilte, dass Riesner „mehr auf allgemeinen Überlegungen als auf präziser Textanalyse“ aufbaue.[9] Wo die Historizität der Evangelien als unwichtig eingeschätzt wird, gibt es für Riesners Fragestellung wenig Verständnis; so sieht ihn Dieter Nestle auf „einem evangelikal-positivistischen Holzweg“.[10]
Im Anschluss an Riesners Buch verfasste Franz Stuhlhofer ein apologetisches Buch mit dem Titel: Jesus und seine Schüler. Wie zuverlässig wurden Jesu Worte überliefert?[11] Schon der Titel deutet eine Nähe zu Riesners Thema an (Lehrer/Schüler). Stuhlhofer stellt speziell jene Gesichtspunkte dar, in denen es um die Zuverlässigkeit der Weitergabe der Reden Jesu geht. Sein Buch wird als „hilfreiche, auch Nichtfachleuten leicht zugängliche Zusammenfassung der Ergebnisse“ Riesners beschrieben.[12] Über Riesner hinausgehend bezieht Stuhlhofer auch das Johannesevangelium ausgiebig mit ein, und er verweist auf den geringen Umfang der in den vier kanonischen Evangelien dargestellten Reden Jesu: „Drei Stunden Jesus-Reden“.[13]
Die von Riesner herausgeschälten Charakteristika der Lehrtätigkeit Jesu bilden auch weiterhin einen Ausgangspunkt für die Suche nach dem historischen Jesus.[14]
In seiner Methodenlehre zum NT greift Wilhelm Egger Riesners Beobachtungen auf und verweist auf sie mit folgender Feststellung:
Deshalb sei „schon im vorösterlichen Jüngerkreis mit dem Traditionsprinzip und mit mehr Treue in der Traditionsübermittlung zu rechnen, als dies die klassische Formgeschichte angenommen hatte“.[15]
Das in Jesus als Lehrer vermittelte Bild von Jesu Glaubensweitergabe wurde von Reiner Braun auf die analoge gegenwärtige kirchliche Aufgabe angewandt, und zwar speziell auf die evangelische Konfirmandenarbeit.[16] Hier gibt es die Tendenz, einen Unterricht zu vermeiden, die Fragen und Meinungen der Konfirmanden ins Zentrum zu rücken, und sich auf deren momentane Lebenswelt zu beschränken. Gegen diese Tendenz verweist Braun auf die Unterrichtstätigkeit Jesu als einem auch für die Gegenwart maßgeblichen Vorbild.