Die Kassation (zu lateinisch cassare ‚aufheben, annullieren‘) oder auch Kassationsbeschwerde ist ein förmlicher gerichtlicher Rechtsbehelf im Prozessrecht zahlreicher Staaten.
Sie ist grundsätzlich auf die Rechtsfrage beschränkt[1] und damit ein funktionales Äquivalent[2] zu Revision[3] bzw. Rechtsbeschwerde in Deutschland, Revision, Revisionsrekurs bzw. Nichtigkeitsbeschwerde in Österreich oder der Beschwerde ans Bundesgericht in der Schweiz.[4] Typischerweise fehlt der Kassationsbeschwerde der Suspensiveffekt,[5] so dass die Kassationsentscheidung die Rechtskraft durchbrechen kann (insoweit ähnlich der erfolgreichen Verfassungsbeschwerde[6]).
Die stattgebende Kassationsentscheidung kann,[7] muss aber nicht notwendig[8] rein kassatorischen Inhalt haben. Im Detail können je nach Rechtsordnung zahlreiche weitere Unterschiede bestehen (z. B. Ausgangsinstanz; Inhaber des Initiativrechts; Länge der einzuhaltenden Frist; Zulassung der Revision durch Iudex a quo oder ad quem; Prüfung auf alle oder nur auf die gerügten Rechtsverstöße).[9]
In Ländern mit Kassation ist ihr tatfragebezogenes und suspensives Gegenstück die Appellation („Berufung“).
Vorläufer der Kassation lassen sich bis ins Frankreich des 13. Jahrhunderts zurückverfolgen.[10] Gemeinrechtliche Entsprechung war die Nichtigkeitsbeschwerde[11] (lateinisch querela nullitatis).[12]
Staaten mit Kassation
- in Westeuropa:[9]
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- in Osteuropa: |
England, Irland und der nordische Rechtskreis haben begrifflich ein einheitliches Rechtsbehelfsystem (englisch Appeal, dänisch Anke usw.).
Die Kassation existierte auch im Prozessrecht der Sowjetunion[14] und anderer sozialistischer Staaten.
Vor den Oberlandesgerichten der sowjetischen Besatzungszone[15] und ab 1949 vor dem Obersten Gericht DDR hatte der Generalstaatsanwalt das Recht, die Kassation rechtskräftiger Entscheidungen in Zivil- und Strafsachen zu beantragen.[16] Vorbild war die sowjetische Prokuratura als „Hüter der Gesetzlichkeit“ im Sinne eines allgemeinen Kontrollorgans über die Tätigkeit der Verwaltung und der Gerichte,[17] rechtstechnisch die Nichtigkeitsbeschwerde in Strafsachen aus der NS-Zeit.[18] Ab 1952 hatte auch der Präsident des Obersten Gerichts ein Antragsrecht;[19] ab 1963 waren auch die Bezirksgerichte auf Antrag ihrer Direktoren bzw. des jeweiligen Bezirksstaatsanwalts zur Kassation befugt.[20]
Der Kassationsantrag war grundsätzlich auf ein Jahr ab Rechtskraft befristet. Eine wesentliche Eigenheit bestand darin, dass das Antragsrecht nicht bei den Prozessbeteiligten lag. Bürger konnten nur als spezielle Form der Eingabe Kassationsanregungen einbringen,[21] hatten aber keine verfahrensrechtliche Stellung und kein Recht auf eine Begründung, wenn ihr Anliegen zurückgewiesen wurde.[22]
Im vertragsgerichtlichen Verfahren entsprach der Kassation die Nachprüfung,[23] im sozialversicherungsrechtlichen Beschwerdeverfahren die Aufhebung rechtskräftiger Entscheidungen.[24]
In Russland besteht auch heute noch eine Kassationsinstanz,[25] gegenüber der sozialistischen Zeit allerdings stärker an die Kassation im Westen angenähert.[26]