Der Kreis Memel war bis 1920 der nördlichste Landkreis des Deutschen Reiches. Das Kreisgebiet bestand aus einem Stück Festland am nördlichen Ende des Kurischen Haffs und dessen Mündung in die Ostsee im Stadtgebiet von Memel (Memeler Tief) sowie aus dem nördlichsten Stück der Kurischen Nehrung, der langen schmalen Landzunge, die Haff und Ostsee voneinander trennt.
Der größte Fluss im Kreisgebiet war die Minge, die u. a. durch Prökuls fließt. Von der Minge beim Dorf Lankuppen bis zum Kurischen Haff im Hafen von Memel führte der 1863–1873 erbaute König-Wilhelm-Kanal.
Der Kreis Memel grenzte im Süden an den Kreis Heydekrug sowie auf der Kurischen Nehrung an den Kreis Fischhausen. Auf dem Festland lag die Südgrenze des Kreises etwa in Höhe von 55° 30' n. Br., südlich des Dorfs Lankuppen, zwischen Prökuls und Heydekrug. Auf der Nehrung reichte das Kreisgebiet deutlich weiter nach Süden, so dass Nidden noch zum Kreisgebiet gehörte. Im Norden und Osten grenzte das Kreisgebiet bis 1918 an das Russische Reich (Gouvernement Kowno), danach an das unabhängig gewordene Litauen. Im Westen grenzte der Kreis an die Ostsee.
Der Landkreis Memel gehörte zum Regierungsbezirk Königsberg. Die Lage war vergleichsweise isoliert, denn die nächstgelegenen Kreise Heydekrug und Niederung zählten zum Regierungsbezirk Gumbinnen. Nur die Kurische Nehrung verband den Kreis Memel mit dem Rest des Regierungsbezirks.
Das Gebiet des Kreises Memel gehörte seit der Einteilung Ostpreußens in landrätliche Kreise von 1752 zu dem damaligen Kreis Insterburg.[1][2] Im Rahmen der preußischen Verwaltungsreformen ergab sich mit der „Verordnung wegen verbesserter Einrichtung der Provinzialbehörden“ vom 30. April 1815 die Notwendigkeit einer umfassenden Kreisreform in ganz Ostpreußen, da sich die 1752 eingerichteten Kreise als unzweckmäßig und zu groß erwiesen hatten. Zum 1. Februar 1818 wurde im Regierungsbezirk Königsberg aus Teilen des alten Kreises Insterburg der neue Kreis Memel gebildet. Dieser umfasste die damaligen KirchspieleDeutsch Crottingen, Deutsch Memel (mit der Stadt Memel), Litauisch Memel, Prökuls und Schwarzort.[3] Das Landratsamt war in der Stadt Memel.
Seit dem 3. Dezember 1829 gehörte der Kreis – nach dem Zusammenschluss der Provinzen Preußen (nicht: Ostpreußen) und Westpreußen – zur neuen Provinz Preußen mit dem Sitz in Königsberg i. Pr. Seit dem 1. Juli 1867 gehörte der Kreis zum Norddeutschen Bund und seit dem 1. Januar 1871 zum Deutschen Reich. Nach der Teilung der Provinz Preußen in die Provinzen Ostpreußen und Westpreußen wurde der Kreis Memel am 1. April 1878 Bestandteil Ostpreußens. Sonderlich im Kreis Memel wurde auf dem Land vielerorts vorwiegend Litauisch gesprochen; auf Basis des Zensus vom 1. Dezember 1900 wurden 1905 diejenigen Landgemeinden und Gutsbezirke des Kreisgebiets aufgezählt, in denen mehr als 75 von hundert Einwohnern Litauisch als Muttersprache benutzen.[4]
Während des Ersten Weltkrieges besetzten russische Truppen am 18. März 1915 den Kreis Memel, dieser wurde jedoch am 21. März 1915 von deutschen Truppen zurückerobert. Am 1. April 1918 schied die Stadt Memel – unter gleichzeitiger Eingemeindung der Landgemeinden Bommelsvitte, Janischken und Schmelz – aus dem Kreisgebiet aus und bildete fortan einen eigenen Stadtkreis. Seitdem führte der Kreis Memel die Bezeichnung Landkreis.
Mit dem Inkrafttreten des Versailler Vertrages am 10. Januar 1920 fielen die Stadt und der Landkreis Memel an das neu errichtete Memelgebiet. Am 10. Januar 1923 wurde das Memelgebiet von litauischen Truppen besetzt und am 7. Mai 1923 unter litauische Oberhoheit gestellt. Der Kreis bestand in Litauen als Verwaltungsbezirk Klaipėdos apskritis fort.
Der Kreis gliederte sich in die Stadt Memel (bis 1918), in Landgemeinden und in Gutsbezirke. Diese kommunale Gliederung blieb im Wesentlichen auch in der memelländischen Zeit bestehen.
Durch das Kreisgebiet führte eine von der Preußischen Staatseisenbahn betriebene Strecke von Tilsit über Pogegen und Heydekrug nach Memel. Der Bahnhof Memel wurde am 1. Juni 1875 ans Eisenbahnnetz angeschlossen. Die Strecke wurde 1892 bis zur russischen (litauischen) Grenze bei Bajohren (Deutsch-Krottingen) verlängert.
Die Reichsstraße 132 führte von Tilsit über Heydekrug in den Kreis und dort über Prökuls und Memel bis in das nördlichste Dorf Deutschlands, nach Nimmersatt – „da wo das Reich ein Ende hat“. Dort bestand ein Grenzübergang ins russische (litauische) Polangen.
Am 22. März 1939 wurde das Memelgebiet durch das Deutsche Reich besetzt und in den Regierungsbezirk Gumbinnen in der Provinz Ostpreußen eingegliedert. Aus dem litauischen Verwaltungsbezirk wurde wieder der Landkreis Memel.
Die Entwicklung, die in den 1920er und 1930er Jahren in Preußen stattgefunden hatte, wurde nun nachgeholt. Es wurde die im Deutschen Reich bereits längere Zeit gültige Deutsche Gemeindeordnung vom 30. Januar 1935 eingeführt, die die Durchsetzung des Führerprinzips auf Gemeindeebene vorsah. Außerdem fand eine Gebietsreform statt, bei der nahezu alle Gutsbezirke aufgelöst und benachbarten Gemeinden zugeteilt wurden; ferner wurde die Zahl der Gemeinden durch Zusammenlegungen erheblich verringert. Auch die Zusammenfassung der Gemeinden in Amtsbezirke änderte sich. Eine neue Kreisverfassung wurde nicht mehr geschaffen; es galt weiterhin die Kreisordnung für die Provinzen Ost- und Westpreußen, Brandenburg, Pommern, Schlesien und Sachsen vom 19. März 1881.
Im Oktober 1944 wurde das Kreisgebiet durch die Rote Armee besetzt und wieder Teil der Sowjetunion. Es kam an die Litauische Sozialistische Sowjetrepublik. Seit der Auflösung der Sowjetunion liegt das ehemalige Kreisgebiet in Litauen.
Gustav Neumann: Geographie des Preußischen Staats. 2. Auflage. Band 2, Berlin 1874, S. 8–9, Ziffer 1 (Google Books).
Preußisches Finanzministerium: Die Ergebnisse der Grund- und Gebäudesteuerveranlagung im Regierungsbezirk Königsberg: Berlin 1866, Kreis Memel, S. 1–35 (Google Books).
Adolf Schlott: Topographisch-statistische Uebersicht des Regierungs-Bezirks Königsberg, nach amtlichen Quellen. Hartung, Königsberg 1861, S. 152–162 (Google Books).
Leopold Krug: Die Preussische Monarchie; topographisch, statistisch und wirthschaftlich dargestellt. Nach amtlichen Quellen. Teil I: Provinz Preussen. Berlin 1833, S. 186–240 (Google Books).
Königliches Statistisches Bureau: Die Gemeinden und Gutsbezirke der Provinz Preussen und ihre Bevölkerung. Nach den Urmaterialien der allgemeinen Volkszählung vom 1. December 1871 bearbeitet und zusammengestellt. Berlin 1874, S. 2–15 (Google Books).
August Robert Seraphim: Ueber Auswanderungen lettischer Bauern aus Kurland nach Ostpreußen im 17. Jahrhundert. In: Altpreussische Monatsschrift, NF, Band 29, Königsberg in Pr. 1892, S. 317–331 (Google Books).
Wolfgang von Tabouillot: Die Autonomie des Memelgebietes. Adelsblatt, 1939.
Michael Rademacher: Ostpreußen – Stadt- u. Landkreis Memel. Online-Material zur Dissertation, Osnabrück 2006. In: eirenicon.com. Abgerufen am 1. Januar 1900
↑Max Toeppen: Historisch-comparative Geographie von Preussen. Gotha: Perthes 1858, Seite 320.
↑Ludwig von Baczko: Handbuch der Geschichte, Erdbeschreibung und Statistik Preussens, Band 2. Friedrich Nicolovius, Königsberg und Leipzig 1803, S.41 (google.de).
↑ abKreis Memel Verwaltungsgeschichte und Landratsliste auf der Website territorial.de (Rolf Jehke), Stand 6. Juli 2013.
↑Festschrift des Königlich Preußischen Statistischen Bureaus zur Jahrhundertfeier seines Bestehens (Emil Blenck, Hrsg.), Verlag des Königlichen Statistischen Bureaus, Berlin 1905. Zweiter Teil: Tabellen und Übersichten zum Statistischen Atlas für den Preußischen Staat, S. 19, rechte Spalte (Google Books).
↑Christian Gottfried Daniel Stein: Handbuch der Geographie und Statistik des preußischen Staats. Vossische Buchhandlung, Berlin 1819, Der Regierungsbezirk Königsberg (Digitalisat [abgerufen am 9. September 2020]).
↑Deutschland und seine Bewohner. Ein Handbuch der Vaterlandskunde für alle Stände, bearbeitet von K. Fr. Vollrath Hoffman (Stuttgart 1836), S. 349.
↑Königliches Statistisches Bureau (Hrsg.): Mittheilungen des Statistischen Bureau's in Berlin, Band 2. Einwohnerzahlen der Kreise. S.304 (Digitalisat).
↑ abMichael Rademacher: Ostpreußen – Kreis Memel. Online-Material zur Dissertation, Osnabrück 2006. In: eirenicon.com. Abgerufen am 1. Januar 1900
↑Gemeindelexikon für die Provinz Ostpreußen. Auf Grund der Materialien der Volkszählung vom 1. Dezember 1905 und anderer amtlicher Quellen bearbeitet vom Königlich Preußischen Statistischen Landesamte. In: Königliches Preußisches Statistisches Landesamt (Hrsg.): Gemeindelexikon für das Königreich Preußen. Heft I, 1907, DNB365941670, ZDB-ID 1046036-6, S.310f.
↑Auswärtiges Amt: Materialien, betreffend die Friedensverhandlungen, Teil III, abgeschlossen am 29. Mai 1919. Deutsche Verlagsgesellschaft für Politik und Geschichte m.b.H., Charlottenburg 1919, S. 49.