Lujo Brentano, 1890
Lujo Brentano, 1927

Ludwig Joseph „Lujo“ Brentano[1] (* 19. Dezember 1844 in Aschaffenburg; † 9. September 1931 in München) war ein deutscher Nationalökonom und Sozialreformer.

Leben

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Lujo Brentano wurde hineingeboren in die prominente, aus Italien stammende katholische Intellektuellenfamilie Brentano: Die Geschwister seines Vaters Christian Brentano waren die Schriftsteller Clemens Brentano und Bettina von Arnim, sein älterer Bruder der Philosoph und Psychologe Franz Brentano.

Nach dem Besuch des Gymnasiums in Augsburg und Aschaffenburg studierte Brentano an den Universitäten in Dublin, Münster, München, Heidelberg (Dr. iur., 1866), Würzburg, Göttingen (Dr. phil, 1867) und Berlin (Habilitation in Staatswissenschaften, 1871). Während seines Studiums wurde er Mitglied des AGV München im Sondershäuser Verband.[2] Er war Professor an den Universitäten Breslau (1872–1882), Straßburg (1882–1888), Wien (1888–1889), Leipzig (1889–1891) und zuletzt München (1891–1916). 1874 heiratete er Valeska Erbreich (* 13. Januar 1851; † 28. Oktober 1918). Sie hatten eine gemeinsame Tochter Sophie, genannt Sissi (1874–1956). In den folgenden Jahren geht er eine Bindung mit Irene Forbes-Mosse ein; das Paar wohnt meist in seiner Villa in Prien am Chiemsee.[3]

Brentano war ein „Kathedersozialist“ – d. h. Reformist und Vertreter eines „Dritten Weges“ –, Gründungsmitglied des Vereins für Socialpolitik[4] und bedeutender Vertreter der Historischen Schule. Gleichwohl bediente er sich schon ansatzweise formaler Methoden.

In seinen Schriften begründete er unter anderem, warum die Gewerkschaften und ihre Arbeitskampfmittel ein konstitutives Element der Marktwirtschaft seien; erst sie würden den Angebotszwang, unter denen Lohnarbeiter stünden, elastischer machen. Brentano setzte also im Gegensatz zu anderen „Kathedersozialisten“ weniger auf den Staat als Schutzinstanz der Arbeiterschaft, sondern vor allem auf das prinzipiell gleichberechtigte Gegenüber der Arbeitsmarktparteien beim Abschluss von Kollektivvereinbarungen; in diesem Sinne kann er als früher „Sozialliberaler“ verstanden werden.

Brentano publizierte seit 1898 in unregelmäßigen Abständen Beiträge zur Sozial- und Wirtschaftspolitik in Theodor Barths Zeitschrift Die Nation und seit 1901 auch in Friedrich Naumanns Wochenblatt Die Hilfe. Obwohl er sich zunächst noch keiner politischen Partei anschloss, übte Brentano durch seine Publikationen, persönlichen Korrespondenzen und Auftritte als Gastredner bei Parteitagen maßgeblichen Einfluss auf die sozial- und wirtschaftspolitische Ausrichtung von Barths Freisinniger Vereinigung und Naumanns Nationalsozialen Verein aus. Zusammen mit Gerhart von Schulze-Gaevernitz hatte er auch entscheidenden Anteil am Beitritt der Nationalsozialen zur Freisinnigen Vereinigung; beide traten nach der erfolgreichen Fusion 1903 der Partei bei.[5]

1914 gehörte Brentano zu den Unterzeichnern des Manifests der 93, distanzierte sich aber später davon mit dem Argument, er habe den Text nicht gekannt. In der Bayerischen Räterepublik war er Wirtschaftsminister. Lujo Brentano starb am 9. September 1931 in München, wurde aber auf eigenen Wunsch in der Begräbnisstätte der Brentanos auf dem Altstadtfriedhof in Aschaffenburg beigesetzt.

Nachwirkung

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Sein Einfluss auf die Soziale Marktwirtschaft und auch persönlich auf die führenden Politiker der Gründungsphase der Bundesrepublik Deutschland (Theodor Heuss war sein Student und Doktorand) ist nicht zu unterschätzen. Einer seiner Studierenden, der Japaner Fukuda Tokuzō (Familienname Fukuda, 1874–1930, ab 1898 dreijähriger Deutschlandaufenthalt, später Professor an der Handelshochschule Tōkyō, der heutigen renommierten Hitotsubashi-Universität, sowie an der Keiō gijuku Universität) brachte Teile seiner Lehre nach Japan, wandte sich gegen den Einfluss des Marxismus in den entstehenden Sozialwissenschaften und leistete sich in diesem Zusammenhang eine berühmte Theoriedebatte mit Kawakami Hajime über das Wesen des Kapitalismus. Brentanos Einfluss liegt aber mehr in seiner Funktion als Lehrer und Sozialreformer denn als Wirtschaftswissenschaftler. Seine im hohen Alter geschriebene Autobiographie (1931, s. u.) ist vielleicht sein bekanntestes Werk.

Sonstiges

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Zu seinem siebzigsten Geburtstag (1914) erhielt er eine Festschrift.[6] Zu seinem achtzigsten Geburtstag widmete ihm sein Schüler Joseph Eßlen das Lehrbuch Politik des auswärtigen Handels (1925). 1928 wurde er mit dem Bayerischen Maximiliansorden ausgezeichnet.

Werke (Auswahl)

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Anzeige bei Erich Reiss (1918)

Literatur

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Commons: Lujo Brentano – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. Die Vornamen Ludwig Joseph erhielt er nach den beiden Taufpaten Ludwig (genannt Louis) Brentano, einem Vetter, und Joseph Merkel. Auch in seinem Abiturzeugnis steht Ludwig Joseph. Die Angaben bei Brentano: Mein Leben, S. 18 (Neuedition, S. 55) sind unrichtig; er wurde auch nicht am 18., sondern am 19. Dezember 1844 geboren und am 20. in der Muttergotteskirche in Aschaffenburg getauft, allerdings beging er seinen Geburtstag immer am 18. Dezember.
  2. Otto Grübel, Sondershäuser Verband Deutscher Studenten-Gesangvereine (SV): Kartelladreßbuch. Stand vom 1. März 1914. München 1914, S. 73.
  3. Armin Strohmeyr: Die Frauen der Brentanos (Berlin 2006, S. 287ff.).
  4. Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914, I. Abteilung: Von der Reichsgründungszeit bis zur Kaiserlichen Sozialbotschaft (1867–1881), 8. Band: Grundfragen der Sozialpolitik in der öffentlichen Diskussion: Kirchen, Parteien, Vereine und Verbände, bearbeitet von Ralf Stremmel, Florian Tennstedt und Gisela Fleckenstein. Darmstadt 2006, S. 232–238, 246–249, 252 f., 255, 257 f., 260 f., 264, 276, 287, 292–294, 296, 302–322, 326–329, 332, 336, 342, 344, 347, 349, 358 f., 361, 363–369, 374, 377, 387, 389, 395–400, 405, 408–413, 417–419, 421–423, 428, 430–437, 445–448, 451, 454 f., 457, 460, 462–464, 472.
  5. Konstanze Wegner: Theodor Barth und die Freisinnige Vereinigung. Studien zur Geschichte des Linksliberalismus im wilhelminischen Deutschland. Mohr Siebeck, Tübingen 1968, DNB 458590355, S. 12, 92 f.
  6. archive.org.
Personendaten
NAME Brentano, Lujo
ALTERNATIVNAMEN Brentano, Ludwig Joseph
KURZBESCHREIBUNG deutscher Nationalökonom und Sozialreformer
GEBURTSDATUM 19. Dezember 1844
GEBURTSORT Aschaffenburg
STERBEDATUM 9. September 1931
STERBEORT München