Neue psychoaktive Substanzen (NPS), auch: Designerdrogen, „Legal Highs“, „Herbal Highs“, „Research Chemicals“ oder Badesalzdrogen, sind psychoaktive Substanzen, die unter anderem als Blotter, Pulver, Pillen, Kräutermischungen (Spice), Lufterfrischer, Reinigungsmittel oder Badesalze[1] angeboten werden. In Deutschland bezeichnet der Gesetzgeber einen Stoff oder eine Zubereitung eines Stoffes aus den in der Anlage zum NpSG genannten Stoffgruppen (Abkömmlinge des 2-Phenethylamins, der Benzodiazepine, des N-(2-Aminocyclohexyl)amids, des Tryptamins sowie Cannabinoidmimetika) als neuen psychoaktiven Stoff.
Diese Produkte werden zumeist offen im Internet, Smartshops oder Headshops oder verdeckt auf Darknet-Märkten beispielsweise unter den Namen Explosion oder Spice angeboten.[2][3][4] Sie enthalten häufig Rauschmittel, Stimulanzien oder ähnliche chemische Wirkstoffe, die auf den Verpackungen nicht ausgewiesen werden. Neue psychoaktive Substanzen (NPS) werden zu Rauschzwecken konsumiert.
Die Zahl neu entdeckter Substanzen auf dem europäischen Drogenmarkt wächst seit Jahren. Dem Frühwarnsystem der EU wurden im Jahr 2011 insgesamt 49 neue psychoaktive Substanzen gemeldet.[5] Einige der als NPS vermarkteten Stoffe wie BZP, Mephedron oder Methylendioxypyrovaleron sowie die synthetischen, auf Cannabinoid-Rezeptoren wirkenden Alkylindol-Derivate JWH-018,[6] JWH-019 und JWH-073 wurden mittlerweile in Deutschland dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG) unterstellt. Es werden jedoch immer wieder neue Stoffe auf den Markt gebracht, um das Betäubungsmittelgesetz zu umgehen. Die gesundheitlichen Folgen sowie deren Wirkung sind für Konsumenten nicht absehbar.[7] Alexis Goosdeel, Direktor der EMCDDA (Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht), stellt in seinem Vorwort zum Europäischen Drogenbericht 2022 hinsichtlich neuer psychoaktiven Substanzen fest:
„Aus unserem Bericht über das Phänomen der neuen psychoaktiven Substanzen geht hervor, dass fast alles, was über ein psychoaktives Potenzial verfügt, nun auf dem Markt mit falscher Kennzeichnung angeboten werden kann, wodurch die Konsumenten dieser Substanzen über deren Zusammensetzung möglicherweise im Unklaren sind.“
Der aktuelle Wissensstand zur Wirkung beruht derzeit überwiegend auf Berichten von Konsumenten.[9] Der Konsum von NPS zielt auf eine Rauschwirkung ab. Grundsätzlich sind dabei die verschiedenen verfügbaren Stoffe zu unterscheiden. Räuchermischungen enthalten hauptsächlich synthetische Cannabinoide und sollen einen cannabisähnlichen Rauschzustand erzeugen. Darüber hinaus gibt es „Badesalze“, die hauptsächlich aus amphetaminähnlichen Stoffen bestehen und daher auch einen amphetaminähnlichen Rauschzustand auslösen. Als dritte Gruppe ist das Herbal Ecstasy erhältlich, das zum Teil aus Holzrosensamen, aber auch aus anderen, synthetischen, Bestandteilen besteht. Alle diese verschiedenen Substanzen sollen einen entweder beruhigenden, angenehmen Rauschzustand herbeiführen oder aber stark belebend bis halluzinogen wirken.
Bei den meisten Substanzen handelt es sich um zufällige Entwicklungen; siehe auch Leitstruktur (Pharmakologie) und Wirkstoffdesign.[10] Es sind weder die genaue Wirkweise noch eventuelle Kurz- und Langzeitfolgen in irgendeiner Weise ausreichend dokumentiert. Auch ist der Reinheitsgrad der chemischen Wirkbestandteile nicht sichergestellt, sodass teilweise giftige Verunreinigungen und Prozesszwischenstufen der Herstellung enthalten sein können.[11]
Bei einer Online-Befragung zum Thema NPS des Centre for Drug Research der Goethe-Universität Frankfurt im Jahr 2011 berichteten Konsumenten über Nebenwirkungen wie Angstzustände, Kopfschmerzen, Übelkeit, Herzrasen, Kreislaufprobleme, Kreislaufversagen und Ohnmacht sowie über Vergiftungen, Wahnvorstellungen und Psychosen.[12] Nach dem (Misch-)Konsum von NPS starben in den vergangenen Jahren nachweislich bereits mehrere Menschen.[13][14]
Es sind Fallberichte bekannt, nach denen es nach dem Konsum von synthetischen Cathinonen (Badesalz-Drogen) zu schwersten psychotischen Angst- und Verwirrtheitszuständen mit unmittelbarer Selbstgefährdung und Gefährdung der Umwelt sowie lebensbedrohlichen Organschäden (Rhabdomyolyse mit akutem Nierenversagen) gekommen ist.[15] Über einen anderen Vorfall in 2016 berichtete das NEJM ausführlich unter dem Titel Zombie Outbreak in New York. Dabei wurden 33 Personen in hilflosem Zustand angetroffen, die durch verlangsamte, roboterhafte Bewegungen (zombiehaft) und unverständliche Lautäußerungen auffielen. 18 von ihnen wurden hospitalisiert und im Nachgang konnte durch Analyse erstmals die Beteiligung eines Δ9-Tetrahydrocannabinol-Abkömmlings als Auslöser nachgewiesen werden. Die gefundene Substanz, AMB-FUBINACA ist ein synthetisches Cannabinoid, das zuvor von Pfizer zur Erforschung von Analgetika und dem Cannabinoid-Rezeptor System entwickelt und patentiert wurde. Diese NPS wird illegal unter dem Namen AK47-Gold in Umlauf gebracht und weist eine 50-fach höhere Wirkstärke als THC auf.[16]
Von 2012 bis 2014 wurden in Japan 214 Zusammenstöße im motorisierten Straßenverkehr auf den Konsum illegaler Drogen zurückgeführt. In 93 von 96 näher untersuchten Fällen waren die beteiligten Substanzen vermutlich synthetische Cannabinoide (SC). Nach einer entsprechenden Verschärfung der Gesetze gingen die Fallzahlen seit 2015 zurück.[17]
In Deutschland stieg die Zahl der erfassten Todesfälle, verursacht durch NPS, von 39 im Jahr 2015 auf 76 im Jahr 2016. Bei Berücksichtigung auch der 2016 erstmals erfassten Todesfälle durch synthetische Opioide (u. a. Fentanylderivate) war 2016 die Gesamtzahl 98. Der Anstieg der Todesfälle von 2015 nach 2016 war somit bei NPS noch erheblich höher als der bereits vielbeachtete Anstieg um 9 % bei illegalen Drogen insgesamt.
Bei der Verwendung von NPS ist es für den Konsumenten oftmals schwierig, die eigene Reaktion auf die Substanzen durch eine anfangs geringe Dosierung genügend abzuschätzen, da einige Substanzen ein starkes Bedürfnis zur Dosissteigerung hervorrufen können. Dies erhöht die Gefahr einer Überdosierung, die zu lebensgefährlichen Zuständen bis hin zum Tod führen kann.
Zur zuverlässigen qualitativen und quantitativen Bestimmung der verschiedenen Inhaltsstoffe der NPS werden die Methoden der Chromatographie in Kopplung mit der Massenspektrometrie eingesetzt. Die stets nötige Probenvorbereitung richtet sich nach dem Untersuchungsmaterial.[18][19][20][21] Untersuchungsergebnisse aus dem Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums in Bonn wurden 2013 veröffentlicht.[22]
Am 26. November 2016 ist das Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz (NpSG)[23] in Kraft getreten, um eine bis dahin bestehende Gesetzeslücke zu schließen. Laut § 2 des NpSG ist im Sinne dieses Gesetzes ein neuer psychoaktiver Stoff „ein Stoff oder eine Zubereitung eines Stoffes aus einer der in der Anlage genannten Stoffgruppen“. In Ergänzung enthält das NpSG zum einzelstofflichen Ansatz des Betäubungsmittelgesetzes eine Stoffgruppenregelung, um NPS rechtlich effektiver begegnen zu können. Das NpSG verbietet, mit einem neuen psychoaktiven Stoff Handel zu treiben, ihn in den Verkehr zu bringen, ihn herzustellen, ihn zu verlagern, ihn zu erwerben, ihn zu besitzen oder ihn einem anderen zu verabreichen (§ 3 Abs. 1 NpSG). Vom Verbot ausgenommen sind unter anderem „nach dem jeweiligen Stand von Wissenschaft und Technik anerkannte Verwendungen eines neuen psychoaktiven Stoffes zu gewerblichen, industriellen oder wissenschaftlichen Zwecken“ (§ 3 Abs. 2 NpSG). Nach § 4 Abs. 1 NpSG ist der Handel, das Inverkehrbringen und das Verabreichen von neuen psychoaktiven Substanzen unter Strafe gestellt.[24] Besitz oder Erwerb von NPS werden nach § 4 NpSG zwar nicht strafrechtlich verfolgt,[25] sind jedoch nach § 3 NpSG verboten und unterliegen, unabhängig von einem Strafverfahren, der verwaltungsrechtlichen Sicherstellung und Vernichtung nach den §§ 47 bis 50 des Bundespolizeigesetzes und den Vorschriften der Polizeigesetze der Länder.
Die fünf Gruppen psychoaktiver Substanzen, die dem Verbot unterliegen, sind in der Anlage des Gesetzes aufgeführt:
Zwei Jahre vor dem NpSG von 2016 hatte der Europäische Gerichtshof 2014 mit einem Urteil[34][35][36] den Bundesgerichtshof[37][38] bestätigt, wonach NPS, darunter auch ausdrücklich als legaler Ersatz für Cannabis vertriebene, nicht unter den Arzneimittelbegriff fielen. Der Europäische Gerichtshof erkannte abschließend in seinem Urteil:
„Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel in der durch die Richtlinie 2004/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass davon Stoffe wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht erfasst werden, deren Wirkungen sich auf eine schlichte Beeinflussung der physiologischen Funktionen beschränken, ohne dass sie geeignet wären, der menschlichen Gesundheit unmittelbar oder mittelbar zuträglich zu sein, die nur konsumiert werden, um einen Rauschzustand hervorzurufen, und die dabei gesundheitsschädlich sind.“[39]
Das NpS-Gesetz berücksichtigte diese Auffassung des Europäischen Gerichtshofs. Das NpSG ist nicht auf Arzneimittel anzuwenden.[40]
Das „Neue-Psychoaktive-Substanzen-Gesetz“ (NPSG)[41] sieht in Österreich ab dem 1. Februar 2012 Freiheitsstrafen für Händler von einem bis zu zehn Jahren vor. Wer eine neue psychoaktive Substanz mit dem Vorsatz erzeugt, einführt, ausführt oder einem anderen überlässt oder verschafft, dass sie von dem anderen oder einem Dritten zur Erreichung einer psychoaktiven Wirkung im menschlichen Körper angewendet wird, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft.[42]
Im Unterschied zum Suchtmittelgesetz besteht der Strafbestand in solchen Fällen rein auf der Angebotsseite. Die Käufer werden nicht kriminalisiert. Trotzdem ist die Exekutive berechtigt, psychoaktive Substanzen zu beschlagnahmen, sofern der Konsument nicht glaubhaft vermitteln kann, dass er die Produkte nicht zur Bewusstseinsveränderung konsumiert. Ein Strafbestand besteht dabei allerdings trotzdem nicht.[43]
Die Schweiz hat am 1. Dezember 2011 erstmals 52 Substanzen und 7 Derivate aus dem Bereich der NPS bzw. Designerdrogen[44] dem Betäubungsmittelgesetz unterstellt. Das Eidgenössische Departement des Innern untersagte ein Jahr später am 1. Dezember 2012 mittels Änderung der Betäubungsmittelverzeichnisverordnung weitere 46 Substanzen.[45] Die Anwendung, die Herstellung und der Handel unterliegen seitdem dem Betäubungsmittelgesetz.[46]
Im Interesse einer einheitlichen, hinreichend bestimmten und verhältnismäßigen Strafgesetzgebung hat die Europäische Union unter anderem ein Risikobewertungsverfahren[47] für neue psychoaktive Substanzen entwickelt, welches eine vergleichbare und hinreichend zeitnahe Bewertung neuer psychoaktiver Substanzen in den Mitgliedsstaaten sicherstellen soll.[48][49][50][51]