Paul Diepgen, 1943

Paul Diepgen (* 24. November 1878 in Aachen; † 2. Januar 1966 in Mainz) war ein deutscher Gynäkologe und Medizinhistoriker.

Leben

Diepgen legte nach dem Studium der Medizin und einer gynäkologischen Ausbildung an den Universitäten Tübingen, Leipzig, Bonn und Freiburg im Breisgau in Freiburg das medizinische Staatsexamen ab und wurde dort auch 1902 zum Doktor der Medizin promoviert. Er war Mitglied des K.St.V. Arminia Bonn. Von 1906 bis 1929 war er Frauenarzt und Leiter der gynäkologisch-geburtshilflichen Station des Freiburger Lorettokrankenhauses.[1] Nach einem Studium der Geschichte bei Heinrich Finke wurde er 1908 auch zum Doktor der Philosophie promoviert. Obwohl er sich schon 1910 für Geschichte der Medizin habilitieren konnte, wurde er erst 1920 zum außerordentlichen Professor der Geschichte der Medizin in Freiburg ernannt. In Freiburg, wo unter anderem Walter Artelt zu seinen Schülern gehörte, hielt er seine medizinhistorischen Seminarübungen im Obergeschoss des Universitätsgebäudes ab, wo auch die Fakultätssitzungen stattfanden.[2] 1929 erfolgte der Ruf auf eine ordentliche Professur für Medizingeschichte an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin, wo er das Institut für Geschichte der Medizin und Naturwissenschaften begründete.[3] 1944 erfolgte seine Emeritierung. Dennoch stellte sich Diepgen nach Kriegsende für den Neuaufbau der Berliner Universität zur Verfügung und nahm 1947 den Ruf auf eine außerordentliche Professur für Geschichte der Medizin an der Universität Mainz an, die 1949 zu einer ordentlichen Professur umgewidmet wurde. Dort war er bis zu seinem Tod im Jahr 1966 tätig.

Diepgen war wesentlich an der Etablierung der Medizingeschichte in Berlin beteiligt und unterstützte die Einführung der Medizingeschichte (auch zur Untermauerung der Erziehung zum nationalpolitischen Denken, zur ärztlichen Ethik und Rassenhygiene[4]) als Pflichtfach, die 1939 erfolgte. Sein Verhältnis zum Nationalsozialismus war nach dem Urteil von Florian Bruns und Andreas Frewer vielschichtig und ambivalent[5]. Er war nie Mitglied der NSDAP, sondern einigen von deren Vertretern als Katholik eher verdächtig, war aber nationalkonservativ mit Sympathien für die Politik der Nationalsozialisten (wie den Einmarsch in Polen) und er hatte gute Beziehungen zum Reichsarzt der SS Ernst Robert Grawitz und zu Hitlers Arzt Karl Brandt. Der Medizinhistoriker und SS-Sturmbannführer Bernward Gottlieb habilitierte sich bei ihm (ebenso wie der Arzt, SS-Offizier und Medizinhistoriker Alexander Berg, der aber schon vor seiner SS-Karriere sein Doktorand gewesen war), und Gottlieb wurde schließlich auf Druck der SS 1945 als sein Nachfolger auf dem Berliner Lehrstuhl ausgewählt (wobei Diepgen dem durchaus zustimmend gegenüberstand und auch nach dem Krieg versuchte, Gottlieb und Berg zu fördern).[6] Zu Diepgens akademischen Schülern gehörte auch der Medizinhistoriker Gernot Rath, der 1963 entscheidend bei der Umhabilitierung Bergs nach Göttingen beteiligt war.[7]

Diepgen war Ehrendoktor der Universität Madrid sowie Mitglied und Ehrenmitglied zahlreicher in- und ausländischer Akademien. 1936 wurde er zum Mitglied der Leopoldina gewählt.

Zu seinen Arbeitsgebieten zählten die Entwicklung der Medizin im Mittelalter und in der Romantik sowie die Geschichte der Volksheilkunde und der Geburtshilfe und Gynäkologie.

Er war der Großvater des späteren Regierenden Bürgermeisters von Berlin Eberhard Diepgen.

Grab von Paul Diepgen auf dem Hauptfriedhof Mainz

Veröffentlichungen (Auswahl)

Literatur

Anmerkungen

  1. Eduard Seidler: Die Medizinische Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau: Grundlagen und Entwicklungen. Springer-Verlag, 2013, ISBN 978-3-662-06665-2 (google.de [abgerufen am 4. September 2017]).
  2. Walter Artelt: Ernst Georg Kürz 1859–1937. [Vortrag, gehalten am 1. Oktober 1963 auf der Jahresversammlung der Deutschen Gesellschaft für Geschichte der Medizin, Naturwissenschaft und Technik e. V. in Schaffhausen und meinem Lehrer Paul Diepgen zu seinem bevorstehenden 85. Geburtstag am 24. November 1963 gewidmet]. Senckenbergisches Institut für Geschichte der Medizin der Universität, Frankfurt am Main 1963, S. III und S. 5.
  3. Benjamin Marcus: Institut für Geschichte der Medizin. In: Institut für Geschichte der Medizin und Ethik in der Medizin. (charite.de [abgerufen am 4. September 2017]).
  4. Barbara I. Tshisuaka: Diepgen, Paul. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin/ New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 306.
  5. Florian Bruns, Andreas Frewer: Fachgeschichte als Politikum: Medizinhistorikerin Berlin und Graz im Dienste des NS-Staates, in: Medizin, Gesellschaft und Geschichte, Jahrbuch des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung, Band 24, 2005, S. 151–180, besonders S. 157ff
  6. Bruns, Frewer, 2005, loc. cit., S. 171
  7. Florian G. Mildenberger: Gerhard Oskar Baader (3. Juli 1928–14. Juni 2020). In: Medizinhistorische Mitteilungen. Zeitschrift für Wissenschaftsgeschichte und Fachprosaforschung. Band 36/37, 2017/2018 (2021), S. 321–326, hier: S. 323.
  8. Die Medizin an der Berliner Charité bis zur Gründung der | NA Diepgen | Springer. (springer.com [abgerufen am 4. September 2017]).
  9. Interpretation des Paracelsus als „deutscher Mediziner“ im Gegensatz zur „jüdisch-griechischen“ Medizin, vgl. auch den Film von 1942/1943