Titelblatt eines frühneuzeitlichen Drucks des Regimen sanitatis Salernitanum, Venedig 1480

Als Regimen sanitatis (deutsch „Gesundheitslehre“ oder „Gesundheitsregeln“, auch Ordnung der Gesundheit) oder Gesundheitsregimen wird eine Literaturgattung vor allem der Fachliteratur des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit bezeichnet, die sich vornehmlich mit der Erhaltung der Gesundheit mit Hilfe der sex res non naturales, d. h. der vom Menschen steuerbaren Verhaltensweisen und Umweltbedingungen beschäftigt.[1] Zu den sechs diätetisch[2] ausgerichteten res non naturales[3] gehören die (eingeatmete) Luft (aer), das Schlafen und Wachen (somnus et vigilia), Ruhe und Bewegung (exercitium), Völle und Leere des Körpers (repletio et evacuatio), der Gemütszustand (accidentia animae) und die Nahrung[4] (cibus et potus).[5][6] Über eine durch die Lebensführung mögliche Gestaltung der res non naturales im Sinne deren Ausgewogenheit sollten zur Erhaltung bzw. Wiederherstellung von Gesundheit die sex res naturales (Elemente, Temperamente, Leibessäfte, Hauptorgane, deren Wirkkräfte und deren Aufgaben sowie die spiritus als Funktionsvermittler) beeinflusst werden.[7] Im Gegensatz zu den als nicht in der (konstanten) „Natur“ des Menschen liegend angesehenen sex res non naturales galten die sex res naturales als nicht durch die Änderung der Lebensweise beeinflussbar.[8] Arabischsprachige medizinische Lehrwerke des 10. und 11. Jahrhunderts enthalten neben allgemeinen Darstellungen einer gesunden Lebensweise bereits spezielle Gesundheitsregimina für bestimmte Persongruppen wie Säuglinge, Kinder, alte Menschen, Schwangere und Reisende.[9] Die älteste auf der antik-mittelalterlichen Diätetik beruhende Gesundheitslehre für Mönche stellt das im 15. Jahrhundert verfasste Erfurter Kartäuserregimen dar. Eine Gesundheitslehre für Gelehrte entstand zwischen 1482 und 1489 durch Marsilio Ficino, und im Jahr 1502 veröffentlichte der Theologe Johann Ulrich Surgant (latinisiert Johannes Ulricus Surgant; um 1450 – 1503) in Basel sein Regimen studiosorum, eine Gesundheitslehre speziell für Studenten.[10][11]

Überlieferungsgeschichte

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Zu den Überlieferungstraditionen derartiger, seit dem Frühmittelalter sich im westlichen als auch im arabisch-islamischen Raum als Handbücher mit Lebensregeln herausgebildeten Regimina[12] gehören die Secreta secretorum[13] und das früher oft der Schule von Salerno zugeschriebene und als Gesundheitslehre in Versen um 1275 entstandene Regimen sanitatis Salernitanum,[14][15][16] die 1317 durch Probst Arnold von Bamberg[17] abgeschlossene und für Rudolf von Hohenberg verfasste Ordnung der Gesundheit,[18] das um 1315[19] entstandene 'Urregimen'[20][21] Konrads von Eichstätt[22][23][24][25] (um 1275–1342),[26] die anonyme, im 14. Jahrhundert entstandene und auch Versatzstücke aus dem „Urregimen“ enthaltende Regel der Gesundheit,[27] Bearbeitungen von Heinrich Laufenberg[28], Maino De Maineri († 1368)[29] und Ortolf von Baierland sowie die teilweise versifizierten Formen der Zwölfmonatsregeln (Regimen duodecim mensium). Ein neuerer Begriff ist der des Gesundheitskatechismus. Eine Blütezeit erlebten die Regimina als populärwissenschaftliche Literaturgattung am Ende des 14. Jahrhunderts mit der Entstehung der reich illustrieren Tacuina sanitatis. Auch die mittelalterlichen „Hausbücher“ gehen auf die Regimina zurück.[30]

Von dem erwähnten Regimen (sanitatis) Salernitanum,[31] genannt auch Flos medicinae (Salernitanae), einem von 364 (Anfang des 14. Jahrhunderts von Arnald von Villanova kommentierten) auf 3520[32] Verse angewachsenes Konglomerat medizinischer Merkverse, ist weder der Verfasser noch der Entstehungsort bekannt. Es wird inzwischen als pseudo-salernitanisch angesehen und nicht mehr als Produkt der Schule von Salerno zu ihrer Blütezeit im 12. Jahrhundert.[33]

Siehe auch

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Literatur

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Übersichtsdarstellungen

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Textausgaben und Übersetzungen

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Untersuchungen mit Textausgaben

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Einzelnachweise

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  1. Vgl. Haage/Wegner, S. 217
  2. Gundolf Keil: Vegetarisch. In: Medizinhistorische Mitteilungen. Zeitschrift für Wissenschaftsgeschichte und Fachprosaforschung. Band 34, 2015 (2016), S. 29–68, hier S. 32 f.
  3. Wolfram Schmitt: Res non naturales. In: Lexikon des Mittelalters. Band 7 (1995), Sp. 751 f.
  4. Melitta Weiss Adamson: Medieval dietetics. Food and drink in Regimen sanitatis literature from 800 to 1400. Frankfurt am Main 1995 (= German studies in Canada. Band 5).
  5. Ria Jansen-Sieben: Mittelniederländische Kochbücher: medizinisch oder kulinarisch? In: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen. Band 16, 1997, S. 191–202, hier S. 191.
  6. Gundolf Keil: Meurer (auch Sprottau), Johann (Hans). In: Verfasserlexikon. 2. Auflage. Band 6, Sp. 468 f., hier Sp. 469 (zu Meurers Gesundheitsregiment Doctrina bona et utilis).
  7. Gundolf Keil: Regimina. 2005, S. 1225.
  8. Ortrun Riha: Mittelalterliche Heilkunst. Das Arzneibuch Ortolfs von Baierland (um 1300). Deutscher Wissenschafts-Verlag, Baden-Baden 2014, ISBN 978-3-86888-071-7, S. 12–13.
  9. Wolfram Schmitt: Theorie der Gesundheit und „Regimen sanitatis“ im Mittelalter. 1973, S. 91–92, 116, 120 und 124.
  10. Werner Friedrich Kümmel: Der Homo litteratus und die Kunst, gesund zu leben. Zur Entwicklung eines Zweiges der Diätetik im Humanismus. In: Rudolf Schmitz, Gundolf Keil (Hrsg.): Humanismus und Medizin. Acta humaniora, Weinheim an der Bergstraße 1984 (= Deutsche Forschungsgemeinschaft: Mitteilungen der Kommission für Humanismusforschung. Band 11), S. 67–85, hier: S. 72–85.
  11. Vgl. auch Robertus Gropretrius: Regimen sanitatis […] non solum medicis, verum etiam omnibus studiosis perneccarium et utile. Paris 1539.
  12. Gundolf Keil: Regimina. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin/ New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 1225 f.
  13. Vgl. etwa Wolfgang Hirth: Studien zu den Gesundheitsregeln des sogenannten Secretum secretorum unter besonderer Berücksichtigung der Prosaüberlieferung. Philosophische Dissertation Heidelberg 1969; Heidelberg 1971.
  14. Johann Christian Gottlieb Ackermann: Regimen sanitatis Salerni sive Scholae Salernitanae De conservanda bona valetudine praecepta. Stendal 1790
  15. Gundolf Keil: ‚Regimen sanitatis Salernitanum‘. In: Werner E. Gerabek u. a. (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. 2005, S. 1224 f.
  16. Rolf Schott (Hrsg.): Die Kunst sich gesund zu ernähren. Regimen sanitatis salernitanum. Rom 1954; 2. Auflage Zürich/Stuttgart 1964 (= Lebendige Antike.).
  17. Günter Kallinich, Karin Figala: Das ‚Regimen sanitatis‘ des Arnold von Bamberg. In: Sudhoffs Archiv. Band 56, 1972, S. 44–60.
  18. Christa Hagenmeyer: Die 'Ordnung der Gesundheit' für Rudolf von Hohenberg. Untersuchungen zur diätetischen Fachprosa des Spätmittelalters mit kritischer Textausgabe. Philosophische Dissertation Heidelberg 1972, Stuttgart 1973.
  19. Gundolf Keil: Die deutsche Isaak-Judäus-Rezeption vom 13. bis zum 15. Jahrhundert. Shaker, Aachen 2015 (= Europäische Wissenschaftsbeziehungen, Supplement 2), ISBN 978-3-8440-3933-7, S. 82 f.
  20. Christa Hagenmeyer (1995), S. 63–118.
  21. Walter Buckl: Zum 650. Todestag Konrads von Eichstätt. In: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen. Band 11, 1993, S. 227–234, hier S. 230.
  22. Deutsche Ausgabe: Dis biechlin saget wie sich ein yegklich mensch halten sol durch das gantz jar, mit essen, trincken, schlafen, wachen unnd baden. Als das beschreyben Avicenna, Galienus, Almansor und ander natürlich meister […]. Freiburg im Breisgau (gedruckt bei Johann Wörlin) 1523. Hrsg. (mit einem Beiheft) von Julius Arndt, Steingrüben Verlag, Stuttgart 1965.
  23. Gerhard Eis: Die Groß-Schützener Gesundheitslehre. Studien zur Geschichte der deutschen Kultur im Südosten. Brünn/München/Wien 1943 (= Südosteuropäische Arbeiten. Band 36).
  24. Gundolf Keil: Konrad von Eichstätt. In: Werner E. Gerabek u. a. (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. 2005, S. 773 f.
  25. Zu den Benennungen vgl. auch Hugo Faber: Eine Diätethik aus Montpellier („Sanitatis Conservator“), dem Ende des 14. Jahrhunderts entstammend und „Tractatus medicus de comestione et digestione vel Regimen sanitatis“ benannt. Medizinische Dissertation Leipzig 1921.
  26. Manfred Peter Koch, Gundolf Keil: Konrad von Eichstätt. In: Verfasserlexikon. 2. Auflage. Band 5, Sp. 162–169.
  27. Gundolf Keil: ‚Regel der Gesundheit‘. In: Werner E. Gerabek u. a. (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. 2005, S. 1223.
  28. Karl Baas: Heinrich Louffenberg von Freiburg und sein Gesundheitsregiment (1429). In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins. Neue Folge, 21, 1906, S. 363 ff.
  29. Magninus Mediolanensis: Regimen sanitatis. Straßburg (Johann Prüss d. Ä.) 1503.
  30. Christina Becela-Deller: Ruta graveolens L. Eine Heilpflanze in kunst- und kulturhistorischer Bedeutung. (Mathematisch-naturwissenschaftliche Dissertation Würzburg 1994) Königshausen & Neumann, Würzburg 1998 (= Würzburger medizinhistorische Forschungen, Band 65), ISBN 3-8260-1667-X, S. 220.
  31. Karl Sudhoff: Zum Regimen sanitatis Salernitanum. In: Sudhoffs Archiv. Band 7, 1914, S. 360–362; Band 8, 1915, S. 292 f. und 352–373; Band 9, 1916, S. 221–249; Band 10, 1917, S. 91–101; Band 12, 1920, S. 149–180.
  32. Salvatore de Renzi, C. Daremberg, G. E. T. Henschel: Collectio Salernitana, ossia documenti inediti, e trattati di medicina appartenenti alla scuola medica salernitana., I–V, Tipografia del Filiatre-Sebezio, Neapel 1852–1859; Neudruck Bologna 1967 (= Bibliotheca di storia della medicina, II, 1–5).
  33. Christina Becela-Deller: Ruta graveolens L. Eine Heilpflanze in kunst- und kulturhistorischer Bedeutung. (Mathematisch-naturwissenschaftliche Dissertation Würzburg 1994) Königshausen & Neumann, Würzburg 1998, S. 130 f. (Der Textkomplex des sogenannten ‘Regimen sanitatis salernitanum’).